Zur Nachwirkung erloschener Kollektivverträge beim Betriebsübergang

HEINZKREJCI (WIEN)
In jüngster Zeit wurden aus Anlass eines aktuellen Konflikts einige grundlegende Rechtsfragen zum Betriebsübergang virulent, die über den konkreten Fall hinaus diskussionswert erscheinen. So interessiert, ob der bereits erloschene KollV, der für die übernommenen AN des Betriebsveräußerers gegolten hat, auch gegenüber dem Betriebsnachfolger in den übernommenen Arbeitsverhältnissen nachwirkt.
  1. Problemstellung

  2. Rechtsnatur und Zweck der Nachwirkung

    1. Das Ordnungsproblem und § 13 ArbVG

    2. Nachwirkung als verminderte Normwirkung oder als fingierter Parteiwille, eine drohende Vertragslücke zu schließen?

    3. Konsequenz für den Fall des Verlustes der Kollektivvertragsangehörigkeit

    4. Teleologie des § 13 ArbVG

  3. Zur „Ausdehnung“ ursprünglicher Kollektivvertragsangehörigkeit (§ 8 ArbVG)

  4. Stehen die §§ 3 ff AVRAG einer Nachwirkung des Kollektivvertrages entgegen?

  5. Ergebnis3

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Problemstellung

Wir gehen von folgendem abstrakten Sachverhalt* aus: Ein großes Unternehmen, das von einer Aktiengesellschaft betrieben wird, ist in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Einschneidende Sanierungsmaßnahmen sind erforderlich und werden in allen relevanten Unternehmensbereichen getroffen. Insb ist auch an eine erhebliche Verschlechterung der bisherigen, in einem Firmen-KollV festgelegten Arbeitsbedingungen gedacht.

Die zur Verhandlung berufenen AN-Vertreter sind zwar zu gewissen Restriktionen bereit, weigern sich jedoch, all das zu akzeptieren, was der AG von seinen AN verlangt, um das angestrebte Sanierungsziel zu erreichen. Die Verhandlungen geraten ins Stocken.

Daher entschließt sich der AG, einen anderen Weg zu gehen, um sich weitere Verhandlungen zu ersparen. Zum einen gewinnt er den zuständigen AG-Verband dafür, den bestehenden KollV aufzukündigen.* Zum anderen wird ein Betriebsübergang ins Auge gefasst. Der Betrieb des AG wird in eine 100 %-ige Tochtergesellschaft eingebracht, die dem KollV des Veräußerers nicht angehört. Der Betriebsübergang erfolgt bewusst zu einem Zeitpunkt, zu dem der aufgekündigte KollV bereits erloschen ist. Ausschließliches Ziel des Betriebsüberganges ist es, der Belegschaft auf diese Weise die schlechteren Arbeitsbedingungen jenes KollV aufzwingen, der für diese Tochtergesellschaft gilt. Diesen Plan durchkreuzt die AN-Seite dadurch, dass sie ihrerseits den KollV, dem die Tochtergesellschaft angehört, so rechtzeitig aufkündigt, dass er im Zeitpunkt des Betriebsüberganges gleichfalls nicht mehr gilt.

Während die AN der Ansicht sind, dass ihnen auf diese Weise die bisherigen kollektivvertraglichen Arbeitsbedingungen gesichert bleiben, weil anstelle des erloschenen KollV des Betriebsnachfolgers ihr bisheriger KollV nachwirke, steht der Betriebsnachfolger auf dem Standpunkt, dass für die übernommenen AN überhaupt kein KollV mehr maßgeblich sei, weil es einerseits angesichts des betriebsübergangsbedingten Fortfalls der bisherigen Kollektivvertragsangehörigkeit der übernommenen AN keine solche Nachwirkung gebe und andererseits für den Betriebsnachfolger kein KollV mehr in Geltung stehe, daher die Dienstverhältnisse nur mehr den gesetzlichen Regelungen unterläge und alles, was darüber hinausgehe, neu – vorerst lediglich individualrechtlich – vereinbart werden müsse; andernfalls gelte eben ausschließlich das Gesetz, was immer das für die übernommenen Arbeitsverhältnisse bedeuten mag. Während also die AN meinen, sich durch die Aufkündigung des KollV, dem der Betriebsnachfolger angehörte, die ursprüngliche Verhandlungsposition wieder gerettet zu haben, gehen die Parteien des Betriebsübergangsvertrages davon aus, dass sich die AN durch die Aufkündigung des KollV, dem der Betriebsnachfolger angehörte, ihre Rechtslage selbst noch mehr verschlechtert hätten, als vom ursprünglichen AG beabsichtigt war, weil es nunmehr allein beim Betriebsnachfolger liege, auf der Ebene der Einzelverträge jene Rechte und Pflichten de facto einseitig diktieren zu können, die bisher kollektivvertraglich geregelt waren; mag auch der erloschene KollV des Betriebsnachfolgers schlechtere Bedingungen enthalten haben als der erloschene KollV des Betriebsveräußerers.

Wer hat Recht?

Da die übernommenen AN dem bereits erloschenen KollV, dem der Betriebsnachfolger und seine bisherigen AN unterlagen, nie angehörten, kann dieser KollV auf die erst nach Beendigung seiner Geltung vom Betriebsnachfolger übernommenen AN-Verhältnisse nicht nachwirken. Denn die Nachwirkung eines KollV erfasst nur solche AN, für die der KollV vor dem Ende seiner Wirkung gegolten hat.* Diese Ansicht dürfte allgemein anerkannt sein. Probleme bereitet somit nur die Frage, ob der für die übernommenen AN bislang maßgebliche KollV, dem sie als DN des Betriebsveräußerers unterlagen und der trotz seines zwischenzeitlichen Erlöschens jedenfalls bis zum Betriebsübergang in den Arbeitsverhältnissen nachwirkte, auch noch nach Übernahme (auf welcher Rechtsgrundlage auch immer) für die Rechte und Pflichten der übernommenen Arbeitsverhältnisse beachtlich ist, wenn im Betrieb des Nachfolgers ein kollektivvertragsloser Zustand herrscht, somit die übernommenen AN keinem für den Betrieb des Nachfolgers geltenden KollV angehören. Andernfalls entstünde das hier zu klärende Problem erst gar nicht: Die übernommenen AN würden ab Übernahme dem für den Betrieb des Nachfolgers geltenden KollV angehören und der bisher im Betrieb des Veräußerers geltende KollV wäre selbst dann ohne Belang, wenn er dort noch weiterhin in Geltung gestanden wäre.

So aber gehört der Betriebsnachfolger keinem KollV an und es gilt zu klären, ob in diesem Fall der gleichfalls vor Betriebsübergang erloschene KollV, der im Betrieb des Veräußerers gegolten hat, in den übernommenen Arbeitsverhältnissen noch nachwirkt oder ob es eine derartige Nachwirkung gerade nicht gibt und daher zu akzeptieren ist, dass für die übernommenen Arbeitsverhältnisse somit keinerlei kollektivvertraglichen Regelungen beachtlich sind, weshalb die übernommenen Arbeitsverhältnisse erhebliche Regelungslücken aufweisen, die vorerst lediglich durch die bestehenden gesetzlichen Vorschriften zu schließen sind, was allerdings bezüglich zahlreicher bisher vertraglich geregelter Ordnungsfragen Steine statt Brot gibt.

Daher interessiert, welche Bedeutung der Verlust der Kollektivvertragsangehörigkeit für die Nachwirkung eines erloschenen KollV gem § 13 ArbVG hat.4

Diese Bedeutung hängt in erheblichem Maße von der Rechtsnatur der Nachwirkung ab, wobei dies wiederum in hohem Maße vom Sinn und Zweck der Nachwirkung maßgeblich beeinflusst wird. Desgleichen aber interessiert, ob die besonderen arbeitsrechtlichen Bestimmungen über den Betriebsübergang die allgemeinen Regeln über die Nachwirkung konterkarieren.

2
Rechtsnatur und Zweck der Nachwirkung
2.1
Das Ordnungsproblem und § 13 ArbVG

Gem § 13 ArbVGbleiben“ „die Rechtswirkungen des Kollektivvertrages nach seinem Erlöschen für Arbeitsverhältnisse, die unmittelbar vor seinem Erlöschen durch ihn erfasst waren, so lange aufrecht, als für diese Arbeitsverhältnisse nicht ein neuer Kollektivvertrag wirksam oder mit den betroffenen Arbeitnehmern nicht eine neue Einzelvereinbarung abgeschlossen wird“.

Gilt diese Regel auch für den Fall, dass ein AG-Wechsel stattfindet, bei dem der Betriebsnachfolger dem KollV, dem der bisherige AG und der AN angehören, nicht unterworfen ist und auch keinem anderen KollV angehört? Bleiben für einen AN im Falle des Verlustes seiner bisherigen Kollektivvertragsangehörigkeit die bisher für ihn bindenden Kollektivvertragsregelungen für das vom nicht kollektivvertragsangehörigen Betriebsnachfolger übernommene Arbeitsverhältnis aufrecht, oder führt umgekehrt der Verlust der Kollektivvertragsangehörigkeit dazu, dass das Arbeitsverhältnis mit den bisher maßgeblichen Kollektivvertragsregelungen ab Arbeitsvertragsübernahme nichts mehr zu tun hat?

Eine Erörterung dieser Problematik erübrigt sich, wenn der neue AG einem anderen KollV angehört, weil eine neue Kollektivvertragsangehörigkeit jedenfalls kollektivvertragsrechtlich jegliches Weiterwirken des bisher relevanten KollV verhindert. Was aber gilt, wenn es keinen solchen anderen KollV gibt? Sind auch dann die normativen Regelungen des KollV, die für das Arbeitsverhältnis bisher unmittelbar oder mittelbar beachtlich waren, ohne Bedeutung oder gestalten sie bis auf Weiteres das übernommene Arbeitsverhältnis mit?*

Unmittelbare Normwirkung kann der bisher maßgebende KollV nicht mehr entfalten, denn dazu müsste der AN diesem KollV weiterhin angehören; dies ist aber nicht mehr möglich, weil er durch den AG-Wechsel die bisherige Kollektivvertragsangehörigkeit verloren hat.

2.2
Nachwirkung als verminderte Normwirkung oder als fingierter Parteiwille, eine drohende Vertragslücke zu schließen?

Wer die gesetzlich angeordnete Nachwirkung des KollV als nichts anderes denn als eine Nachwirkung der Normwirkung des KollV versteht, wird den Verlust der Kollektivvertragsangehörigkeit auch als Verlust der weiteren Relevanz dieses KollV werten. So sagt Strasser:*

„Die Nachwirkung besteht im Wesentlichen darin, dass für die Inhaltsnormen des erloschenen Kollektivvertrages die Normwirkung des § 11 Abs 1 weitergilt. Die zwingende Wirkung gemäß § 3 kommt dagegen den Bestimmungen des außer Kraft getretenen Kollektivvertrages nicht mehr zu. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 13. Mit anderen Worten heißt dies, dass die Normen des erloschenen Kollektivvertrages Rechtsnormen bleiben, dass sie aber ab dem Außer-Kraft-Treten nur mehr nachgiebige Wirkung haben. Die Bestimmungen des Kollektivvertrages, dessen Geltungsdauer abgelaufen ist, gelten somit als dispositives Recht weiter.“

Muss die Nachwirkung eines erloschenen KollV auf das einzelne Arbeitsverhältnis ausschließlich als eine Art Fortwirkung der Normwirkung des KollV gesehen werden oder kann sie auch auf individualrechtliche Elemente zurückgeführt werden?

Die Vorstellung, die Nachwirkung eines KollV sei ausschließlich eine Funktion seiner Normwirkung, wird zwar durch den Wortlaut des § 13 ArbVG insofern gestützt, als dort von den „Rechtswirkungen des KollV“ gesprochen wird, die „aufrecht bleiben“.

Doch relativiert § 13 ArbVG selbst diese Aussage insofern, als zugleich klargestellt wird, dass sich diese Rechtswirkungen durch das Erlöschen des KollV entscheidend ändern. Die einzelnen AG können mit den einzelnen AN den bisher zwingenden Inhalt des erloschenen KollV individualrechtlich einvernehmlich aufheben oder anders gestalten.

Man kann ebenso gut sagen, die bisher maßgeblichen Kollektivvertragsnormen bleiben schlicht als Inhalt der Einzelverträge erhalten, damit der Arbeitsvertrag, dessen Inhalt weitgehend vom KollV geprägt war, nicht durch das Erlöschen des KollV erhebliche Regelungslücken aufweist. Was vormals Inhalt eines KollV war, der inzwischen seine Geltung verloren hat, ist nunmehr nichts anderes als Inhalt des individuellen Arbeitsvertrages geworden, der von seinen Parteien – wie jeder andere Arbeitsvertragsinhalt auch, der ausschließlich auf ihrer Privatautonomie beruht – jederzeit geändert werden kann.

Dieser Arbeitsvertragsinhalt soll freilich nicht so verstanden werden, dass er gegenüber einem inhaltlich ungünstigeren neuen KollV erhalten bleibt. Auch für dieses Ergebnis braucht man aber keine geheimnisvolle abgeschwächte Weitergeltung einer nicht mehr geltenden Norm; dieses Ergebnis legt vielmehr schon eine vernünftige und redliche Vertragsinterpretation angesichts des Umstandes nahe, dass der betreffende Vertragsinhalt nicht die originäre Frucht ursprünglicher Parteieneinigung ist, sondern aus einem nicht mehr geltenden KollV stammt. Man könnte die „Nachwir-5kung“ statt als nur noch dispositive Weitergeltung einer nicht mehr geltenden Norm (ein im Grunde doch eher seltsames Konstrukt) durchaus auch als fingierte Willenserklärung* der Arbeitsvertragsparteien verstehen.

Die individualrechtliche Dispositivität dessen, was früher einmal normatives Kollektivvertragsrecht war, entspricht weit mehr der Vorstellung, wonach die Nachwirkung des erloschenen KollV nichts anderes bedeutet, als dass die vorerst weiterhin für das individuelle Arbeitsverhältnis maßgeblichen Kollektivvertragsbestimmungen nur mehr Inhalt des einzelnen Arbeitsverhältnisses sind. Was bisher galt, weil ein KollV in Kraft war, gilt nach dessen Erlöschen nur mehr als Inhalt des Einzelarbeitsvertrages.

Damit teilen die entsprechenden Regelungen aber fortan bloß als Arbeitsvertragsinhalt das Schicksal des individuellen Arbeitsvertrages. Der erloschene KollV lebt nicht als solcher im Einzelarbeitsverhältnis „geschwächt normativ“ fort, sondern seine Regelungen bleiben trotz seines Erlöschens im Einzelarbeitsverhältnis vorerst, dh bis zu für den Einzelarbeitsvertrag relevanten Vertragsänderungen bzw bis zum Inkrafttreten eines neuen KollV, erhalten. Und warum soll das so sein? Weil der Fortfall der bisher maßgeblichen kollektivvertraglichen Regelungen in die Regelungen des Arbeitsverhältnisses ein Riesenloch reißen würde, das die Parteien bis zum Inkrafttreten eines neuen KollV einzelvertraglich neu regeln müssten, sofern das Gesetzesrecht nicht ausreicht, diese Lücke zu füllen.

Der Aspekt, die Nachwirkung gem § 13 ArbVG aus Gründen der vorläufigen Erhaltung des bisherigen Arbeitsvertragsinhalts, der weitgehend von einem nunmehr erloschenen KollV geprägt war, iS einer fingierten Willenserklärung der Arbeitsvertragsparteien zu deuten, wird durch eine weitere individualrechtliche Erwägung unterstützt.

Sieht man vorerst einmal von den Fällen des Betriebsüberganges ab, der von einer gesetzlichen Arbeitsvertragsübernahme ausgeht, und beschränkt die Betrachtung auf eine bloß rechtsgeschäftliche Arbeitsvertragsübernahme durch einen neuen AG, der dem KollV, der für die bisherigen Arbeitsvertragsparteien gegolten hat, nicht angehört, so widerspricht ein Ergebnis, das zu einer derartigen Irrelevanz der bisher für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen kollektivvertraglichen Regelungen, in hohem Maße dem, was üblicherweise als vereinbart anzunehmen ist.

Denn eine Arbeitsvertragsübernahme stellt – wie jede Vertragsübernahme – lediglich einen Parteiwechsel dar, betrifft aber nicht den Vertragsinhalt selbst.* Es liegt daher im Falle einer rechtsgeschäftlichen Arbeitsvertragsübernahme auf der Hand, dass das Arbeitsverhältnis mit dem neuen AG mit allen Rechten und Pflichten so fortgesetzt wird, wie es bisher war.

Dies aber bedeutet, dass auch all jene Rechte und Pflichten, die auf kollektivvertraglicher Regelung beruhen, jedenfalls so lange als vom Arbeitsvertrag erfasst gelten, als kein neuer KollV oder eine individuelle Vereinbarung der Parteien des Arbeitsvertrages die Regelungen des bisherigen, inzwischen erloschenen ersetzt.

An sich ist denkbar, dass eine individualrechtliche Übernahme des Inhalts eines erloschenen KollV auch so verstanden werden könnte, dass ein neuer KollV den individuell vereinbarten Inhalt des früheren KollV insofern nicht verdrängt, als der frühere KollV Ordnungsfragen regelte, die der neue KollV nicht beantwortet, oder als die neuen Regelungen ungünstiger sind als die vom Einzelvertrag übernommenen Regelungen des früheren KollV.

Es empfiehlt sich, diese Frage inter partes im Zuge der Arbeitsvertragsübernahme klarzustellen. Im Zweifel gilt, was redliche und vernünftige Parteien vereinbart hätten, wobei auch die Verkehrssitte zur Auslegung mit heranzuziehen ist, sofern man sich nicht vorrangig an der gesetzlichen Nachwirkungsregelung orientiert. Geht es den Parteien lediglich darum, die Regelungen des erloschenen bisherigen KollV in den Einzelvertrag zu übernehmen, um das Entstehen störender Regelungslücken im Einzelvertrag zu vermeiden, liegt nahe, dass ein neuer KollV die individualrechtlich übernommenen Regelungen des früheren KollV verdrängt. Insofern läuft die Auslegung des Individualvertrages auf dasselbe Ergebnis hinaus wie § 13 ArbVG.

Im Zweifel darf davon ausgegangen werden, dass eine rechtsgeschäftliche Arbeitsvertragsübernahme, die ja nur einen Parteiwechsel, nicht aber eine Änderung des Vertragsinhalts vor Augen hat, für den Fall, dass der neue AG seinerseits keinem KollV angehört, so zu verstehen ist, dass der gesamte bisherige Inhalt des Arbeitsvertrages einschließlich jener Partien, die auf einem bisher maßgeblichen KollV beruhen, maßgeblich ist. Nur diese Lösung ist, sofern nicht ausdrücklich anderes vereinbart ist, redlich und vernünftig.

Es ist nicht einzusehen, warum dies anders sein sollte, wenn die Arbeitsvertragsübernahme nicht aufgrund eines Rechtsgeschäftes erfolgt, sondern im Zuge eines Betriebsüberganges aufgrund einer vom Gesetzgeber angeordneten Arbeitsvertragsübernahme, die automatisch eintritt.

Dass ein AN, der im Zuge einer Arbeitsvertragsübernahme, sei es im Rahmen eines Betriebsüberganges oder auch sonst, seine Kollektivvertragsangehörigkeit verliert, die bisher durch den KollV begründeten Rechte und Pflichten behält, ergibt sich also allein schon daraus, dass im Falle eines bloßen AG-Wechsels alle bisherigen Rechte und Pflichten, die sein Arbeitsverhältnis betreffen, erhalten bleiben sollen. Abweichendes muss vereinbart werden oder ergibt sich aus davon abweichenden zwingenden arbeitsrechtlichen Regelungen.

Dass man auch seine arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten, die auf einen KollV zurückzuführen sind, individualrechtlich behalten darf, ist nicht verboten. Auch der Verlust der bisherigen Kollektivvertragsangehörigkeit steht diesem Ergebnis nicht entgegen.

Man kommt also schon nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen im Falle einer rechtsgeschäftlichen Arbeitsvertragsübernahme auch ohne § 13 ArbVG zu einer Art „Nachwirkung“ jenes KollV, dessen Geltungsbereich der AN nach erfolgter Arbeits-6vertragsübernahme durch einen diesem KollV nicht angehörenden AG verlassen hat. § 13 ArbVG bringt im Wesentlichen nichts anderes zum Ausdruck.

2.3
Konsequenz für den Fall des Verlustes der Kollektivvertragsangehörigkeit

Die Frage, ob es bei der Nachwirkung gem § 13 ArbVG lediglich um eine spezifische Verlängerung der Normwirkung des KollV geht oder um ein individualrechtliches Festhalten jener Rechte und Pflichten, die der KollV den einzelnen AN gewährt hat, kann im Hinblick auf die Frage fruchtbar gemacht werden, ob und inwieweit die Kollektivvertragsangehörigkeit für die Nachwirkung von Bedeutung ist.

Wer die Nachwirkung ausschließlich als in ihrer Wirkung abgeschwächte Normwirkung versteht, wird zur Ansicht neigen, dass der Wegfall der Kollektivvertragsangehörigkeit die Nachwirkung ausschlösse. Wenn sogar bei aufrechtem KollV der Verlust der Kollektivvertragsangehörigkeit die Normwirkung auf das davon betroffene Arbeitsverhältnis aufhübe, dann müsste dies erst recht für die Nachwirkung des bereits erloschenen KollV gelten. Unterfällt das Arbeitsverhältnis durch einen AG-Wechsel keinem anderen KollV, so würde der Verlust der Kollektivvertragsangehörigkeit auch den Verlust maßgeblicher Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis bedeuten; der Arbeitsvertrag würde dann umso lückenhafter, je eingehender die bisherigen Kollektivvertragsregelungen das Arbeitsverhältnis geregelt haben. In allen Fällen des Verlustes der Kollektivvertragsangehörigkeit würde § 13 ArbVG nicht greifen; dies würde zwar dann keine Rolle spielen, wenn mit einer Arbeitsvertragsübernahme eine neue, andere Kollektivvertragsangehörigkeit verbunden wäre, schlüge jedoch höchst negativ für das bisherige Arbeitsverhältnis zu Buche, wenn der neue AG keinem KollV angehört und damit ein maßgeblicher Teil des bisherigen Inhalts der übernommenen Arbeitsverhältnisse ersatzlos entfiele. Ein derartiges Ergebnis widerspricht zum einen dem Anliegen einer Arbeitsvertragsübernahme, mit der ja gerade keine inhaltliche Änderung des Arbeitsvertrages verbunden sein soll, zum anderen aber auch dem AN-Schutz. Gerät dieser mit einem Systemfehler des Arbeitsrechts in Konflikt, so legt es die Teleologie des Arbeitsrechts nahe, diesen Systemfehler zu überwinden und nicht darin ein Angebot des Gesetzgebers an die AG zu sehen, diesen Systemfehler zum Nachteil der AN zu nützen.

Insofern fragt man sich, ob die Regel des § 13 ArbVG in der Tat so gemeint ist, dass der Verlust der Kollektivvertragsangehörigkeit zum Verlust jeglicher Relevanz des bisherigen, möglicherweise in seinem persönlichen Geltungsbereich noch weiter geltenden KollV führt.

Versteht man die Nachwirkung nicht als Normwirkung, sondern als Anliegen des Gesetzgebers, den Inhalt der vormals kollektivvertragsangehörigen Arbeitsverträge bis zu einer individualrechtlichen oder kollektivvertraglichen Neuregelung zu retten, um eine sonst nur unter erheblichen Schwierigkeiten ausfüllbare Vertragslücke zu schließen, dann verliert der Verlust der Kollektivvertragsangehörigkeit seine Interessen entweder beider Arbeitsvertragsparteien oder aber zumindest die Interessen der AN, denen ja das Arbeitsrecht vorrangig gilt, ernsthaft beeinträchtigende Wirkung. Denn dann wirkt der erloschene KollV trotz Verlustes der bisherigen Kollektivvertragsangehörigkeit im von einem Betriebsnachfolger übernommenen Arbeitsverhältnis nach.

Der Wortlaut des § 13 ArbVG ist weit genug, um eine Auslegung zuzulassen, der zufolge die Nachwirkung eines erloschenen KollV auch Arbeitsverhältnisse betrifft, die infolge einer Arbeitsvertragsübernahme ihre Kollektivvertragsangehörigkeit verlieren.

Es ist bereits Ergebnis einer Interpretation, § 13 ArbVG so zu lesen, dass er auf den Verlust der Kollektivvertragsangehörigkeit nicht passt.* Denn expressis verbis sagt § 13 ArbVG über die Kollektivvertragsangehörigkeit und ihre Bedeutung für die Nachwirkung nichts aus.

Es ergibt sich aber keineswegs zwangsläufig aus dem Begriff der Kollektivvertragsangehörigkeit, dass eine Nachwirkung nicht infrage käme, weil die Arbeitsvertragsparteien ihre Kollektivvertragsangehörigkeit verloren haben.

2.4
Teleologie des § 13 ArbVG

Im Grunde geht es nicht darum, welcher „Konstruktion“ der Nachwirkung iSd § 13 ArbVG der Vorzug gebührt (verminderte Normwirkung oder fingierte Willenserklärung, die Regelungen des erloschenen KollV in den Individualvertrag aufzunehmen), sondern darum, welche Teleologie der Nachwirkungsregel des § 13 ArbVG zugrunde liegt. Entscheidend ist also nicht das „Wie“, sondern das „Warum“ dieser Gesetzesregel. Nicht auf theoretische Deutung der Konstruktionen der Nachwirkung kommt es vorrangig an, sondern auf den Sinn und Zweck der auszulegenden Gesetzesregel. Nicht die Konstruktion ist stärker als der Normzweck; vielmehr ist der Normzweck stärker als die Konstruktion. Ist klar, was der Gesetzgeber wollte, kann man diesen Willen nicht dadurch beiseite schieben, dass man an einer theoretischen Deutung der Konstruktion festhält; noch dazu an einer, die der Gesetzgeber selbst so, wie es sich der eine oder andere Rechtsanwender ausgedacht hat, gar nicht eindeutig artikuliert.

Wozu dient also die Nachwirkung gem § 13 ArbVG? Sie dient dazu, individualrechtliche Regelungslücken zu vermeiden, die durch die Beendigung des KollV entstünden, würde der einzelne Arbeitsvertrag dadurch jene Regelungen verlieren, die ausschließlich im erloschenen KollV ihre Grundlage hatten. Die einzelnen AN sollen also im Falle des Erlöschens des KollV vor einem abrupten Rechtsverlust und der damit7 verbundenen Rechtsunsicherheit geschützt werden. Da es dessen ungeachtet den bisherigen KollV nicht mehr gibt, besteht sein Rechtszwang nicht mehr fort, so dass individualrechtlich auch Neues, vom Inhalt des bisherigen KollV Abweichendes vereinbart werden kann; gegen den Willen des einzelnen AN, sobald es zu einem neuen KollV kommt; mit dem Willen des einzelnen AN, sofern sich AG und AN über eine individuelle Neuregelung einigen, ohne dass diesen ein neuer oder anderer KollV entgegensteht.

Auch wenn § 13 ArbVG nur vom „Erlöschen“ des KollV spricht, so findet sich kein überzeugender Grund gegen die Annahme, dass dasselbe auch zu gelten hat, wenn ein AN zB aufgrund eines AG-Wechsels aus dem Anwendungsbereich des bisherigen KollV ausscheidet. Das ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der AG-Wechsel dazu führt, dass auf das Arbeitsverhältnis kein anderer KollV gilt.

Das dem § 13 ArbVG zugrunde liegende Ordnungsproblem stellt sich nicht nur im Fall des Erlöschens eines KollV, sondern auch dort, wo ein Arbeitsverhältnis, das mit allen seinen bisherigen Rechten und Pflichten fortbestehen soll, aus der bisherigen Kollektivvertragsangehörigkeit fällt. Diese Frage nicht ausdrücklich geregelt zu haben, erweist sich angesichts des das Arbeitsrecht prägenden AN-Schutzprinzips als planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes. Insofern erscheint eine sinngemäße Anwendung des § 13 ArbVG auch in Fällen des Verlustes der Kollektivvertragsangehörigkeit infolge einer Arbeitsvertragsübernahme aufgrund eines Betriebsüberganges geboten.

3
Zur „Ausdehnung“ ursprünglicher Kollektivvertragsangehörigkeit (§ 8 ArbVG)

Im gegebenen Zusammenhang ist auch ein Blick auf § 8 ArbVG zu werfen. Der Gesetzgeber will ganz offensichtlich Störungen in der Aufrechterhaltung kollektivvertraglicher Regelungen möglichst vermeiden. Daher hat er in § 8 ArbVG Vorkehrungen getroffen, die dazu führen, dass die bei Abschluss eines KollV gegebene Kollektivvertragsangehörigkeit gegebenenfalls „nachwirkt“ oder „ausstrahlt“, um die Geltung von Kollektivverträgen trotz nachträglichen Fortfalls der bei Abschluss des KollV vorhandenen Kollektivvertragsangehörigkeit zu sichern. Was ohnehin weiter gilt, braucht nicht mit Hilfe von Nachwirkungsregeln aufrechterhalten zu werden.

So sind AG und AN, die zur Zeit des Abschlusses des KollV Mitglieder der am KollV beteiligten Parteien waren, auch dann weiterhin kollektivvertragsangehörig, wenn sie diese Mitgliedschaft in der Folge aufgegeben bzw verloren haben (§ 8 Z 1 ArbVG).* Tritt ein AG erst nach Abschluss eines KollV dem AG-Verband bei, so wird er dadurch auch noch nachträglich kollektivvertragsangehörig.

Auf diese Weise begegnet der Gesetzgeber etwaigen Strategien eines AG, die darauf zielen, sich der Geltung eines KollV für ihn und seine Belegschaft durch Austritt aus dem AG-Verband zu entziehen.

Eine Manipulationsmöglichkeit bleibt freilich bestehen: Wechselt der AG seinen bisherigen Verband und tritt einem anderen bei, der gleichfalls einen KollV abgeschlossen hat, so ist damit auch ein Kollektivvertragswechsel verbunden.* Gehört der neue Verband jedoch keinem KollV an, dann behält der AG trotz des Mitgliedschaftswechsels die Angehörigkeit zum KollV seines früheren Verbandes.*

§ 8 Z 2 ArbVG betrifft Fälle des Betriebs- und Teilbetriebsüberganges und erstreckt die Kollektivvertragsangehörigkeit der übernommenen AN auf den Betriebsnachfolger. * Ist der Betriebsnachfolger selbst kollektivvertragsangehörig, ist zu prüfen, ob dann sogleich der KollV, dem der Betriebsnachfolger angehört, anzuwenden ist oder ob die übernommenen AN nach wie vor ihrem bisherigen KollV unterstehen oder ob der Betriebsnachfolger nach dem Grundsatz der Tarifvielfalt zu behandeln ist, womit entweder auf die Regeln der §§ 9 und 10 ArbVG zu verweisen ist oder aber, soweit diese keine Entscheidungshilfe bieten, der Grundsatz der Mitgliedschaftsnähe* heran zuziehen ist.

§ 8 Z 2 ArbVG ist im hier vorliegenden Zusammenhang allerdings keine unmittelbare Hilfe. Denn diese Bestimmung setzt voraus, dass die übernommenen AN im Zeitpunkt des Betriebsüberganges noch dem für den Betrieb des Veräußerers maßgeblichen KollV angehört haben. Ist dieser KollV erloschen, so besteht diesbezüglich auch keine Kollektivvertragsangehörigkeit mehr. Insofern greift also auch die Formulierung des § 8 Z 2 ArbVG zu kurz.

Doch sollte auch dort, wo die bisherige Kollektivvertragsangehörigkeit der übernommenen AN durch Erlöschen des KollV entfallen ist, zu ihrem Schutz die Nachwirkung des erloschenen KollV ebenso behandelt werden wie die Kollektivvertragsangehörigkeit. Das bedeutet: Ebenso, wie § 8 Abs 2 ArbVG den Betriebsnachfolger von der Kollektivvertragsangehörigkeit des Betriebsveräußerers erfasst sein lässt, erscheint es geboten, auch die Nachwirkung des erloschenen KollV, die gegenüber dem Betriebsveräußerer gilt, auch gegenüber dem Betriebsnachfolger gelten zu lassen. Es ginge freilich wohl zu weit, im Zusammenhang mit § 8 Abs 2 ArbVG an eine Art „Nachwirkung der Kollektivvertragsangehörigkeit“ zu denken; dies ist auch nicht notwendig; vielmehr vermag hier bereits ein entsprechendes Verständnis des § 13 ArbVG Abhilfe zu schaffen. Dort ist der systematisch bessere Ort, die geortete Systeminsuffizienz des Kollektivvertragsrechts auszugleichen.8

Wie dem auch sei: Die Regelungen über die Ausdehnung der Kollektivvertragsangehörigkeit im Rahmen des § 8 ArbVG einerseits und die Nachwirkungsregel in § 13 ArbVG andererseits lassen eine teleologische Harmonie erkennen: Der Gesetzgeber ist bestrebt, die Kontinuität kollektivvertraglicher Arbeitsbedingungen vor unerwünschten Irritierungen zu schützen.

4
Stehen die §§ 3 ff AVRAG einer Nachwirkung des Kollektivvertrages entgegen?

Zu prüfen bleibt, ob das bisher entwickelte Ergebnis durch die besonderen Regelungen der §§ 3 ff AVRAG konterkariert werden.*

So wird gesagt, dass der Gesetzgeber im Falle eines Betriebsüberganges eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der übernommenen AN in gewissem Rahmen durchaus zulasse und nur im Hinblick auf Entgeltansprüche und Bestandschutzfragen besondere Schutzbestimmungen vorsehe. Die §§ 3 ff AVRAG würden demnach keineswegs einen lückenlosen Schutz der übernommenen AN vor einer Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen anordnen; sie würden vielmehr auch Anliegen des Betriebsvorgängers und des Betriebsnachfolgers respektieren. So haben die AN bei bestimmten betriebsübergangsbedingten Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen das Recht, gegen die Übernahme ihrer Arbeitsverhältnisse entweder Widerspruch zu erheben oder privilegiert zu kündigen, darüber hinaus müssten sie sich aber die Fortsetzung ihrer Arbeitsverhältnisse auch unter schlechteren Bedingungen als bisher gefallen lassen.

Aus derartigen Einwänden lässt sich aber nicht ableiten, dass ein erloschener KollV, der für Arbeitsverhältnisse im Betrieb des Betriebsvorgängers gegolten hat, in den vom Betriebsnachfolger übernommenen Arbeitsverhältnissen nicht nachwirken könne, wenn für Arbeitsverhältnisse in dessen Betrieb kein anderer KollV in Geltung ist. Denn aus den Sonderbestimmungen zum Betriebsübergang ergibt sich keinesfalls ein derartiges Nachwirkungsverbot. Ein solches Verbot wird weder ausdrücklich angeordnet, noch lässt es sich schlüssig aus den §§ 3 ff AVRAG ableiten.

Dem gegenüber wird eingewandt, dass die Nachwirkungsfrage in § 8 Z 2 ArbVG nicht geregelt worden sei; daher verbleibe zur Beantwortung dieser Frage lediglich § 4 Abs 1 AVRAG.*

Diese Vorschrift sagt aber nichts zur Nachwirkungsfrage. Ist die Nachwirkung des KollV deshalb schon gesetzlich ausgeschlossen – oder ist die Nachwirkung des bisherigen KollV bei der Formulierung „bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Kollektivvertrages oder bis zum Inkrafttreten oder bis zur Anwendung eines anderen Kollektivvertrages“ mitzudenken?

Daraus, dass § 4 Abs 1 AVRAG zur Nachwirkung schweigt, wird geschlossen, dass der für den Betrieb des Veräußerers maßgebliche KollV nur bis zu seinem Ablauf relevant sein soll, sofern er nicht schon vorher durch einen anderen KollV verdrängt wird. Nur wenn die Regeln des KollV, dem der Betriebsvorgänger angehört, noch gelten, könnten sie bis zu einer kollektivvertraglichen Neuregelung im Bereich des Betriebsnachfolgers durch Einzelvertrag abbedungen werden, dies aber nicht vor Ablauf eines Jahres nach Betriebsübergang.

Dieser Ansatz übersieht die Nachwirkungsregelung des § 13 ArbVG, deren Anwendung durch § 4 Abs 1 AVRAG keineswegs aufgehoben oder eingeschränkt wird. Die beiden Bestimmungen widersprechen einander keineswegs. § 4 Abs 1 AVRAG schließt eine Nachwirkung iSd § 13 ArbVG nicht aus, auch wenn § 4 Abs 1 AVRAG nur von der „Kündigung“ bzw vom „Ablauf“ des KollV spricht, eine Formulierung, die (einer bequemen, mitunter aber – wie hier – störenden Umsetzungsmethode folgend) einfach den Wortlaut des Art 3 Abs 3 der BetriebsübergangsRL wiedergibt. Auf die Kündigung kann es wohl von vornherein nicht ankommen, sondern wohl auf den Zeitpunkt der Beendigung des KollV. Der „Ablauf“ bezieht sich auf befristete Kollektivverträge.

Das Kollektivarbeitsrecht der Mitgliedstaaten ist unterschiedlich geregelt; das gilt auch für die Frage, ob und inwieweit Kollektivverträge nachwirken. Die BetriebsübergangsRL hat möglicherweise eben deshalb die Nachwirkung nicht erwähnt. Das Gemeinschaftsrecht vermeidet immer wieder, Rechtsfiguren aufzugreifen, die nicht allen Mitgliedstaaten geläufig sind. Das nimmt den Mitgliedstaaten aber nicht das Recht, diese Rechtsfiguren im Zuge der Umsetzung einer RL mit zu berücksichtigen. Derartiges stört vor allem dann nicht, wenn dadurch jene, zu deren Gunsten und Vorteil das Gemeinschaftsrecht eine Regelung getroffen hat, besser gestellt sind, als die RL vorsieht. Die BetriebsübergangsRL verfolgt nicht das Ziel der „Vollharmonisierung“, die günstigere nationale Regelungen verbietet.

Die BetriebsübergangsRL dient jedenfalls vorrangig dem Schutz der AN im Falle des Betriebsüberganges. * Auch wenn sie den Betriebsnachfolger9 aus guten Gründen nicht dazu zwingt, alle bisherigen kollektivvertraglichen Arbeitsbedingungen, die für die übernommenen Arbeitsverhältnisse gegolten haben, auch weiterhin unverändert (oder unter Beachtung von Änderungen, die sich in jener AG-Sphäre ereignen, denen die übernommenen AN früher zugehört haben) aufrecht zu erhalten, so bedeutet die Möglichkeit bzw Erforderlichkeit eines „Systemumstieges“ keineswegs, dass die AN gegen ihre sonst anerkannten, arbeitsrechtlich geschützten Interessen in eine Situation gebracht werden dürfen, die ihnen ihre bisherigen, kollektivvertraglich zugestandenen Rechte vorerst schlicht und einfach entzieht und sie der „Gnade“ des neuen AG ausgesetzt werden, ob und inwieweit er bereit ist, neue (schlechtere) Arbeitsbedingungen anzubieten. Eine derartige Möglichkeit würde vor allem bei Kollektivverträgen, die im Ergebnis Firmenkollektivverträge sind, das Kräfteverhältnis zwischen den kollektiven Verhandlungspartnern, so wie es vom Gesetzgeber im Allgemeinen strukturiert ist, zu Lasten der AN verschieben. Wenn anstelle der früheren Arbeitsbedingungen vorerst einmal ausschließlich die gesetzlich zustehenden Ansprüche zustehen (mag der AG gegebenenfalls auch von sich aus Besseres einseitig individualrechtlich anbieten), steht die AN-Seite im Hinblick auf anstehende Kollektivvertragsverhandlungen unter einem erheblich höheren Verhandlungsdruck als sie steht, wenn die bisherigen Kollektivvertragsbedingungen nachwirken. Die gesetzlichen Regelungen über den Betriebsübergang sind trotz der Anerkennung des Umstandes, dass der Betriebsnachfolger einem anderen KollV angehört, nicht dazu da, den übernommenen AN vorerst einmal ihre bisherigen kollektivvertraglichen Arbeitsbedingungen zu nehmen, um dann – gleichsam auf der grünen Wiese – neue Arbeitsbedingungen entweder individualrechtlich einseitig anzubieten (Modell: „Friss Vogel oder stirb“) oder das Ergebnis neuer Kollektivvertragsverhandlungen einfach abzuwarten.

Es ist also keinesfalls richtlinienwidrig, § 13 ArbVG auch in Fällen des Betriebsüberganges anzuwenden. Im Gegenteil: Der von der BetriebsübergangsRL berücksichtigte Schutzzweck legt es nahe, auch die Nachwirkung des KollV zu beachten. Dass sie durch einen neuen KollV bzw einen bereits im Bereich des Betriebsnachfolgers geltenden verdrängt wird, entspricht sowohl der österreichischen Nachwirkungsregelung als auch der richtliniengetreuen Anordnung des § 4 Abs 1 AVRAG.

Noch auf einen weiteren Aspekt ist hinzuweisen: Wer meint, dass die §§ 3 ff AVRAG grundsätzlich zwischen einzelvertraglichen Abreden einerseits und kollektivrechtlichen Arbeitsbedingungen (in Kollektivverträgen sowie in Betriebsvereinbarungen) andererseits unterscheide und der Betriebsnachfolger im Kollektivrechtsbereich freie Hand haben dürfe, sollte nicht übersehen, dass die diesbezüglichen Freiheiten bescheiden sind.

Zum einen zeigen die Vorschriften über die Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen (§ 31 Abs 4–7 ArbVG), dass der Betriebsnachfolger weitgehend an die Betriebsvereinbarungen, die für die übernommenen AN beim Betriebsvorgänger gegolten haben, gebunden bleibt; nur dort, wo dies aus bestimmten sachlichen Gründen unzweckmäßig erscheint, ist das anders.

Was hingegen kollektivvertragliche Regelungen betrifft, so ist der Gesetzgeber weit davon entfernt, hier dem Betriebsnachfolger freie Hand zu lassen. § 4 Abs 1 AVRAG bringt klar und deutlich zum Ausdruck, dass es dem Erwerber keineswegs freisteht, ob er die bisher für die übernommenen AN maßgeblichen Kollektivvertragsbedingungen übernehmen will oder nicht.* Vielmehr „hat der Erwerber die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen ... in dem gleichen Maße aufrechtzuerhalten, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren.

Wie diese Pflicht zu erfüllen ist, kann man der Gesetzesbestimmung nicht entnehmen. Die Pflicht ist jedenfalls nicht dispositiv gemeint, sondern zwingend. Sie kann entweder bereits ex lege gegenüber den übernommenen AN bestehen; dann bedarf es dazu keiner rechtsgeschäftlichen Erklärungen mehr. Es wäre freilich auch denkbar, dass eine rechtsgeschäftliche Übernahmepflicht iS eines Kontrahierungszwanges gemeint ist. Das wäre freilich seltsam. Wenn schon die Arbeitsverträge ex lege übergehen, dann sollte dies auch für die entsprechenden kollektivrechtlichen Arbeitsbedingungen gelten. Hier kunstvoll zwischen Individualabreden und kollektivrechtlich begründeten Rechten und Pflichten zu unterscheiden, würde die das Arbeitsverhältnis betreffenden Regelungen auf höchst unzweckmäßige Weise aufspalten. Es ist weitaus sachgerechter, den Betriebsnachfolger in den gesamten, ihn bindenden Komplex jener Rechte und Pflichten aus dem übernommenen Arbeitsverhältnis ex lege eintreten zu lassen, an die ihn der Gesetzgeber bindet. Ob die im bisherigen KollV wurzelnden Arbeitsbedingungen nun iS einer betriebsübergangsrechtlichen kollektiven Sondernachwirkung oder bloß als gesetzlich angeordnete individualrechtliche Übernahme zu qualifizieren sind, spielt im Grunde keine Rolle. Wie bei der Nachwirkung des KollV nach allgemeinen Regeln sieht auch § 4 Abs 1 AVRAG vor, dass eine einzelvertragliche Aufhebung möglich ist; zum besonderen Schutz der AN findet sich aber eine diesbezügliche Dispositionssperre von einem Jahr.

Davon kann keine Rede sein, dass das Ausscheiden der übernommenen AN aus der bisherigen Kollektivvertragsangehörigkeit die Arbeitsverhältnisse im Hinblick auf die bisherigen kollektivvertraglichen Regelungen mit dem Erfordernis konfrontiert, anstelle der bisherigen kollektivvertraglichen Regelungen lediglich das Gesetz oder neue individualrechtliche Vereinbarungen treten zu lassen, sofern der Betriebsnachfolger keinem anderen KollV angehört.

§ 4 Abs 2 AVRAG erhöht den AN-Schutz noch, indem er einer umgehenden kollektivrechtlichen Neugestaltung insofern einen Riegel vorschiebt, als er festhält, dass keinesfalls das dem AN vor Betriebsübergang für die regelmäßige Arbeitsleistung in der Normalarbeitszeit gebührende kollektivvertragliche10 Entgelt geschmälert werden darf. Ferner soll der bisherige kollektivvertragliche Bestandschutz des Arbeitsverhältnisses zum Inhalt des Arbeitsvertrages zwischen AN und Betriebsnachfolger werden, wenn das Unternehmen des Veräußerers im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang nicht weiter besteht.

All dies lässt nicht erkennen, dass die §§ 3 ff AVRAG eine Nachwirkung eines KollV in den übernommenen Arbeitsverhältnissen dann ausschließen, wenn dieser KollV bereits vor Betriebsübergang erloschen ist. Denn der Grund für diese Nachwirkung bleibt unvermindert aufrecht, wenn der Betriebsnachfolger weder diesem KollV noch einem anderen angehört.

Von jenen, die im vorliegenden Zusammenhang eine Nachwirkung des erloschen KollV auch gegenüber dem Betriebsnachfolger ablehnen, weil dies angeblich den §§ 3 ff AVRAG widerspreche, wird ferner ins Treffen geführt, dass das auf ein Jahr ab Betriebsübergang befristete Verbot der Änderung der kollektivvertraglichen Regelungen der Nachwirkungsregel des § 13 ArbVG widerspreche, weil die Anerkennung der Nachwirkung eine jederzeitige spätere individualrechtliche Änderung der Arbeitsbedingungen ermögliche, was mit der Dispositionssperre auf ein Jahr unvereinbar sei.

Der Unterschied zwischen der individuellen Abdingbarkeit nachwirkender Kollektivvertragsregelungen iSd § 13 ArbVG und der Dispositionssperre des § 4 Abs 1 AVRAG kann aber nicht dazu herhalten, die Nachwirkung erloschener Kollektivverträge in übernommenen Arbeitsverhältnissen als solche in Frage zu stellen. Man wird lediglich zu akzeptieren haben, dass zum höheren Schutz der AN die Nachwirkung vor Ablauf dieser Dispositionssperre vertraglich nicht aufgehoben werden kann. Hier den Spieß umzudrehen und aus einem gegenüber der allgemeinen Gesetzeslage höheren Schutz* wegen des angeblichen Wegfalls der Nachwirkung einen vergleichsweise geringeren zu machen, leuchtet angesichts des Gesetzeszweckes nicht ein.

Auch wenn die Betriebsübergangsregelungen den Parteien des Betriebsüberganges den Vorteil bringt, dass die betroffenen AN ihre Übernahme nicht einfach ablehnen können, so bedeutet dies noch lange nicht, dass sich darüber hinaus auch noch weitere Möglichkeiten für die Parteien des Betriebsüberganges eröffnen sollen, den AN wirtschaftliche Nachteile zuzufügen, sieht man von jenen Nachteilen ab, die mit der Geltung eines anderen KollV, neuer Betriebsvereinbarungen oder mit Eingriffen in betriebliche Pensionsregelungen verbunden sind.

Davon abgesehen, geht schon § 3 Abs 1 AVRAG davon aus, dass der Betriebsnachfolger „mit allen Rechten und Pflichten“ in die Arbeitsverhältnisse eintritt. Das Grundanliegen besteht also keineswegs darin, im Zuge des Betriebsüberganges die Arbeitsbedingungen erheblich zum Vorteil des Betriebsnachfolgers zu reduzieren; vielmehr sollen die Arbeitsbedingungen so weit wie möglich erhalten bleiben. Nur ausnahmsweise sind Modifizierungen möglich; letztlich nur insoweit, als dies bedingt durch das geltende Kollektivrechtssystem geboten erscheint.

Dies zeigt § 3 Abs 3 AVRAG: „Bei Betriebsübergang nach Abs 1 bleiben die Arbeitsbedingungen aufrecht, es sei denn, aus den Bestimmungen über den Wechsel der Kollektivvertragsangehörigkeit (§ 4), die betrieblichen Pensionszusagen (§ 5) und die Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen (§§ 31 und 32 ArbVG) ergibt sich anderes...“.

Ein „Wechsel der Kollektivvertragsangehörigkeit“ liegt im Übrigen nicht vor, wenn der Betriebsnachfolger keinem KollV angehört. Gerade in solchen Fällen wirkt die bisherige Kollektivvertragsangehörigkeit fort; eben deshalb ist es aber auch konsequent, die Nachwirkung eines erloschenen KollV auch gegenüber dem Betriebsnachfolger anzuerkennen.

Im Übrigen liegt es im Wesen der Vertragsübernahme, dass es lediglich zu einem Wechsel einer Vertragspartei, nicht aber gleichzeitig auch zu einer Neugestaltung des Vertragsinhalts kommt. Wenn die Neupartei (hier: der Betriebsnachfolger) inhaltliche Änderungen des übernommenen Vertrages will, hat er ein diesbezügliches Angebot zu machen, das aber von der im Vertrag verbleibenden Partei (hier: vom AN) angenommen werden müsste.

Die gesetzlichen Regelungen über den Betriebsübergang sehen gerade deshalb einen ex lege-Eintritt des Betriebsnachfolgers in den bisherigen Arbeitsvertrag vor, weil auf diese Weise die Kontinuität des bisherigen Vertragsinhalts zum Schutz der AN gesichert bleiben soll. Nur wenn der Betriebsnachfolger einem anderen KollV angehört, verdrängt dessen Inhalt die bisher relevanten kollektivvertraglichen Regelungen, die für die übernommenen Arbeitsverhältnisse maßgeblich waren. Gehört der Betriebsnachfolger aber gar keinem KollV an, so liegt mehr als nahe, die bisherigen, für die übernommenen Arbeitsverhältnisse relevanten kollektivvertraglichen Regelungen fortbestehen zu lassen und auch deren Nachwirkung iSd § 13 ArbVG anzuerkennen.

Aus der Teleologie sowohl der §§ 3 ff AVRAG als auch der BetriebsübergangsRL ergibt sich, dass diese Sonderbestimmungen nicht dazu dienen, die Anwendung der sonstigen kollektivarbeitsrechtlichen Vorschriften auszuklammern und insofern den allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutz der AN im Anwendungsbereich der §§ 3 ff AVRAG einzuschränken. Diese Bestimmungen sind auch nicht dazu da, kollektivvertragsrechtliche Vorschriften, die dazu dienen, Strukturschwächen des Systems zu überwinden, zurückzudrängen, um den AN zu schaden.

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Ergebnis

5.1. Ein erloschener KollV, der für die vom Betriebsnachfolger übernommenen AN beim Betriebsveräußerer gegolten hat, wirkt auch gegenüber dem Betriebsnachfolger bis zum Inkrafttreten eines neuen KollV oder bis zur individuellen Abdingung nach.

5.2. Der Verlust der Kollektivvertragsangehörigkeit infolge einer rechtsgeschäftlichen Arbeitsvertragsübernahme durch einen nicht kollektivvertragsangehörigen AG führt schon nach den allgemeinen Grundsätzen der rechtsgeschäftlichen Vertragsübernahme nicht zu einem Wegfall bisheriger kollektivvertraglich vereinbarter Arbeitsbedingungen, weil eine Arbeitsver-11tragsübernahme, sofern nichts anderes vereinbart ist, den bisherigen Arbeitsvertragsinhalt beibehält, also alle arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten des AN umfasst, welcher Rechtsquelle diese Rechte und Pflichten auch immer entspringen. Dieses Ergebnis fußt nicht auf der Regel über die kollektivvertragsrechtliche Nachwirkung, sondern ist in der Figur der Vertragsübernahme als solcher begründet.

5.3. Dies ändert nichts daran, dass ein rechtsgeschäftlich übernommener AN mit Übernahme jenem KollV unterliegt, der für den Betrieb des Betriebsnachfolgers gilt; Entsprechendes gilt für die dort geltenden individuellen Rechte und Pflichten, die aufgrund der normativen Inhalte dortiger Betriebsvereinbarungen relevant sind.

5.4. Was allgemein für eine rechtsgeschäftliche Arbeitsvertragsübernahme durch einen nicht kollektivvertragsangehörigen neuen AG gilt, gilt ebenso für die im Rahmen eines Betriebsüberganges angeordnete gesetzliche Arbeitsvertragsübernahme.

5.5. Im Übrigen bleibt die kollektivvertragsrechtliche Nachwirkung des KollV unabhängig davon aufrecht, ob ein zur Zeit der Geltung des KollV diesem angehörender AN oder AG nachträglich die Kollektivvertragsangehörigkeit verliert. Die Teleologie des § 13 ArbVG legt nahe, die Nachwirkung eines bereits erloschenen KollV auch dann anzunehmen, wenn der AN insb im Zuge einer Arbeitsvertragsübernahme die Kollektivvertragsangehörigkeit verliert.

5.6. Diesem Ergebnis stehen die besonderen gesetzlichen Regelungen über den Betriebsübergang nicht entgegen. Auch wenn diese gesetzlichen Regelungen dem Betriebsinhaber und seinem Nachfolger insoweit entgegenkommen, als die Übernahme der betriebsbezogenen Arbeitsverhältnisse nicht der ausdrücklichen oder schlüssigen Zustimmung der AN bedürfen, sondern diesen AN nur das Recht zusteht, in bestimmten Fällen entweder der Übernahme ihrer Arbeitsverhältnisse zu widersprechen oder die Arbeitsverhältnisse privilegiert zu kündigen, so unterlaufen diese Regelungen nicht den im Übrigen vorrangigen Grundsatz, dass die arbeitsrechtlichen Vorschriften über den Betriebsübergang den Schutz der AN bezwecken.

5.7. Insb enthalten die arbeitsrechtlichen Vorschriften über den Betriebsübergang keine Sonderregelung über die Nachwirkung erloschener Kollektivverträge.12