Frisches Gebäck mit Folgen

BARBARATROST (LINZ)
Sachverhalt

Annemarie A, die aufgrund ihrer geminderten Auffassungsgabe zunächst schulische Probleme hatte und dann ihre Lehre als Einzelhandelskauffrau erst mit 21 Jahren abschließen konnte, wird nach einjähriger Arbeitslosigkeit am 1.10.2011 von Herrn X im S-Gemischtwarenmarkt als Verkäuferin eingestellt. Das Vorstellungsgespräch hat am 25.9. stattgefunden. Im Zuge des Gesprächs wurde auch die Frage nach dem Bestehen einer Schwangerschaft gestellt, die A mit „Nein“ beantwortete.

Im S-Markt gelten strenge und komplizierte Verhaltensvorschriften, vor allem, was die Mitnahme von Waren für den Eigenbedarf betrifft. A wird von der zuständigen Abteilungsleiterin in der ersten66 Arbeitswoche eine halbe Stunde lang eingeschult. Im Zuge dessen erfährt sie auch Folgendes:

„Waren für Eigenbedarf müssen nach Entnahme aus dem Regal unverzüglich der zuständigen Abteilungsleiterin gezeigt werden. Diese heftet einen von ihr unterfertigten Zettel daran. Danach bezahlt die Mitarbeiterin an der Kasse und die Rechnung wird nun wiederum von Abteilungsleiterin und Mitarbeiterin unterschrieben.“

Am 15.10. entnimmt Frau A am Vormittag ein Croissant, lässt die Entnahme abzeichnen, nimmt dann aber das Gebäck in den Aufenthaltsraum mit und bezahlt erst bei Dienstschluss. Wegen dieses falschen Vorgehens wird sie von der Abteilungsleiterin ermahnt. Der Vorgang wiederholt sich eine Woche später. Dieses Mal erfolgt keine Ermahnung.

Am Tag darauf entnimmt Frau A neuerlich ein Gebäck, weil aber die Abteilungsleiterin gerade nicht im Laden ist, trägt sie es sofort in den Aufenthaltsraum. Sie hat an diesem Tag die Geldbörse vergessen, nimmt daher zu Mittag das Croissant in ihrer Tasche mit und verlässt den Laden, um von ihrem Auto die Bankomatkarte zu holen.

Der gesamte Vorgang wurde von einer Mitarbeiterin beobachtet.

Als Frau A um 14 Uhr wieder das Geschäft betreten will, wird sie bereits vom Filialleiter, Herrn X, beim Eingang empfangen. Dieser spricht die sofortige Entlassung wegen Diebstahls aus. Frau A ist verstört, kann – wie immer in aufregenden Situationen – nichts zu ihrer Verteidigung sagen und geht.

Nach vier Tagen übermittelt sie an X eine ärztliche Bestätigung, wonach sie im fünften Monat schwanger ist.

Wie ist die Rechtslage?
1.
Didaktische Einführung
1.1.
Allgemeine Hinweise zur Falllösung

Ein arbeitsrechtlicher Fall ist dann gelöst, wenn für die handelnden Personen alle denkbaren Anspruchsvoraussetzungen für alle denkbaren Ansprüche überprüft sind und eine Einschätzung möglich ist, wer aufgrund der Fakten und der Rechtslage gegen wen welche Ansprüche tatsächlich oder aller Voraussicht nach durchsetzen kann.

Die zentralen Ausgangsfragen sind daher auch hier – wie zumeist bei juristischen Sachverhalten:

„Wer will was von wem?“

„Auf welche Anspruchsgrundlage/n kann er/sie seinen/ihren Anspruch stützen?“

„Sind die Voraussetzungen hierfür gegeben?“

Um diese Fragen zu lösen, empfiehlt es sich, immer zeitlich gesehen am Ende des Sachverhalts zu beginnen. Es ist die Frage zu stellen: Welcher Zustand ist zeitlich der letzte, der bei diesem Sachverhalt eingetreten ist? Von dort ausgehend ist zu ermitteln, was die handelnden Personen in diesem Zeitpunkt als ihre Anliegen betrachten. Ergeben sich bei diesem Ansatz offene Fragen, die zeitlich weiter zurück liegen aber auch in dem Sachverhalt vorkommen, so sind dies Vorfragen, die im Zuge der Falllösung nach und nach, wann immer ihre Klärung erforderlich ist, zu lösen sind.

Die Ausgangsfrage „Wer will was von wem?“ orientiert sich an möglichen klagbaren Ansprüchen. Bei arbeitsrechtlichen Sachverhalten, welche die Beziehungen zwischen einem/r AG und einem/r AN beschreiben und letztlich auf das Bestehen oder Nicht-Bestehen eines Arbeitsverhältnisses und der daraus resultierenden Ansprüche hinauslaufen, kommen als Klagemöglichkeiten prinzipiell Leistungsklage (bzw Unterlassungsklage), Rechtsgestaltungsklage oder Feststellungsklage in Betracht. Als prozessrechtliches Prinzip gilt auch hier, dass die Möglichkeit einer Leistungsklage oder einer Rechtsgestaltungsklage die Feststellungsklage ausschließt. Es kann aber neben einem Hauptbegehren (zB auf Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses) eine Eventualklage (zB Rechtsgestaltungsklage auf Anfechtung einer Kündigung oder Entlassung) für den Fall der Erfolglosigkeit des Hauptbegehrens eingebracht werden.

1.2.
Lösungsskizze
1.2.1.
Was will X von A?

X, der ja eine Entlassung ausgesprochen hat, will auf die geänderten Umstände (nachgewiesene Schwangerschaft) reagieren und bewirken, dass die von ihm ausgesprochene Entlassung dennoch wirksam ist.

Er prüft die Möglichkeit einer nachträglichen Zustimmung des Gerichts zur ausgesprochenen Entlassung.

1.2.2.
Was will A von X?

A möchte entweder den weiteren aufrechten Bestand ihres Arbeitsverhältnisses oder eine Entschädigung für die ihrer Ansicht nach ungerechtfertigte Entlassung.

Zu prüfen sind die Aussichten auf das eine oder andere Ergebnis für die Varianten

  1. a) Der AG X hat die Klage auf nachträgliche Zustimmung nicht eingebracht.

  2. b) Der AG X hat die Klage auf nachträgliche Zustimmung eingebracht, die Zustimmung wurde aber nicht erteilt.

  3. c) Der AG X hat die Klage auf nachträgliche Zustimmung eingebracht und die Zustimmung wurde erteilt.67

2.
Falllösung
2.1.
Prüfung des Anspruchs von X gegen A
2.1.1.
Die Entlassung im Allgemeinen und der besondere Entlassungsschutz

Herr X hat zunächst gegenüber Frau A einfach eine Entlassung ausgesprochen. Diese ist ein einseitiges Gestaltungsrechtsgeschäft, das prinzipiell mit Zugang wirksam wird. Die Wirkung besteht darin, dass das Arbeitsverhältnis sofort ab Ausspruch beendet ist. War ein Entlassungsausspruch in dem Sinne rechtlich nicht korrekt, dass ein Entlassungsgrund nicht vorgelegen wäre, so bleibt die Entlassung dennoch rechtswirksam, der/die AN hat aber Anspruch auf Kündigungsentschädigung, sonstige Ansprüche aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und allenfalls darüber hinausgehenden Schadenersatz.* Ungerechtfertigte Entlassungen können nur dann, wenn auch noch ein Anfechtungsgrund (zB nach §§ 105–107 ArbVG, nach GlbG, nach AVRAG) vorliegt, mit dem Ziel ihrer Aufhebung angefochten werden.

Im vorliegenden Fall hat sich gegenüber diesen allgemeinen Grundsätzen die Situation des Herrn X in Bezug auf diese Entlassung aber grundlegend geändert.

Abweichend von den dargestellten Grundsätzen gibt es einzelne Fälle, in denen rechtswidrige Entlassungen nicht nur Schadenersatz oder allfällige Anfechtung nach sich ziehen, sondern a priori rechtsunwirksam sind, dh keine Auflösungswirkung entfalten. Diese Unwirksamkeit beruht allgemein auf § 879 ABGB, wonach Verträge (und nach richtiger historischer Interpretation auch Gestaltungsrechtsgeschäfte, wie beispielsweise Kündigungen und Entlassungen) dann nichtig sind, wenn sie gegen das Gesetz oder gegen die guten Sitten verstoßen. Zur Rechtsunwirksamkeit von Entlassungen führen danach neben den Fällen der Sittenwidrigkeit insb Verstöße gegen ausdrückliche gesetzliche Entlassungsverbote. In keinem einzigen Fall sind solche Verbote uneingeschränkt und generell. Vielmehr gibt es eine Anzahl von Fällen, in denen der Gesetzgeber Entlassungen nur unter sehr bestimmten Voraussetzungen für zulässig erachtet, ansonsten aber bei sonstiger Rechtsunwirksamkeit verbietet. Im Wesentlichen sind dies die Fälle der einzelnen Varianten des besonderen Entlassungsschutzes. Im Detail jeweils unterschiedlich ausgestaltet, aber vom Prinzip her ähnlich gibt es einen solchen besonderen Bestandschutz für Betriebsratsmitglieder und diesen Gleichgestellten, für Präsenz-, Ausbildungs- und Zivildiener, für Schwangere, Mütter und Väter, sowie anders ausgestaltet auch für Lehrlinge, für Vertragsbedienstete und Menschen mit Beeinträchtigung.

Im vorliegenden Fall bringt Frau A einen Umstand vor, der den Entlassungsschutz nach dem MSchG begründen könnte. Nur falls die Voraussetzungen dafür im konkreten Fall vorliegen, müssten für X die Voraussetzungen für eine Klage auf Zustimmung zur Entlassung geprüft werden.

2.1.2.
Entlassung und nachträgliche Bekanntgabe der Schwangerschaft

§ 12 MSchG regelt den besonderen Entlassungsschutz für die Zeit der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung. Der Schutzzeitraum wird für die Fälle der Inanspruchnahme von Karenz oder Teilzeitbeschäftigung erstreckt. Im gegenständlichen Fall braucht auf diese Varianten nicht Bedacht genommen werden, weil hier ausschließlich der Zeitraum der Schwangerschaft maßgeblich ist. Eine Entlassung kann nach § 12 Abs 1 MSchG grundsätzlich während des Schutzzeitraums nur nach vorheriger Zustimmung durch das Gericht rechtswirksam ausgesprochen werden.*

Das Gericht ist bei der Erteilung der Zustimmung an das Vorliegen bestimmter Gründe gebunden. Diese Gründe sind in § 12 Abs 2 MSchG festgelegt. Die in dieser Bestimmung taxativ aufgezählten Gründe sind zwar teilweise mit einzelnen allgemeinen Entlassungsgründen (zB nach AngG) ident. Da aber nur fünf Gründe abschließend aufgelistet sind und eine Ausweitung auf vergleichbare Tatbestände nicht möglich ist, ergibt sich schon daraus ein gegenüber nicht besonders geschützten AN gehobener Schutz. Zudem ist für zwei Tatbestände (Z 1 – schuldhafte gröbliche Pflichtenvernachlässigung; Z 4 – erhebliche Ehrverletzung) ausdrücklich angeordnet, dass der besondere Gemütszustand während der Schwangerschaft zu berücksichtigen ist.* Die Konzentration auf die eng umrissenen Entlassungstatbestände macht iVm der Notwendigkeit der vorherigen gerichtlichen Zustimmung die hohe Qualität dieses besonderen Schutzes aus.

Als X die Entlassung gegenüber A ausgesprochen hatte, war ihm das Vorliegen einer allfälligen Schwangerschaft nicht bekannt gewesen. Er hätte daher die Möglichkeit für eine Einholung der Zustimmung durch das Gericht und damit einer korrekten Vorgangsweise gar nicht gehabt. Es ist daher zunächst zu fragen, ob Frau A dem besonderen Entlassungsschutz nach § 12 MSchG auch unterliegt, wenn sie zwar im Zeitpunkt der Entlassung schwanger ist, dem AG aber dieser Umstand nicht bekannt ist. § 12 MSchG regelt diesen Fall nicht ausdrücklich. Der besondere Entlassungsschutz ist aber – was Voraussetzungen und Wirkungen betrifft – immer auch im Kontext mit dem gesamten besonderen Bestandschutz zu sehen. Der Geltungsbereich des § 12 MSchG ist demgemäß, ebenso wie Reichweite und Wirkung, dem des besonderen Kündigungsschutzes gem § 10 MSchG gleichzuhalten. § 10 MSchG sieht, anders als § 12 MSchG, ausdrücklich eine Regelung für den Fall vor, dass dem/r AG im Zeitpunkt des Ausspruchs der Beendigungserklärung die Schwangerschaft der AN nicht bekannt war. Danach68 tritt zwar grundsätzlich die Rechtsunwirksamkeit einer solchen Beendigungserklärung dann nicht ein, wenn dem/r AG im Zeitpunkt des Ausspruchs die Schwangerschaft nicht bekannt war (§ 10 Abs 1 MSchG). Abweichend von diesem Grundsatz legt aber § 10 Abs 2 MSchG fest, dass die Rechtsunwirksamkeit auch dann eintritt, wenn die AN die Schwangerschaft binnen fünf Arbeitstagen nach Ausspruch der Beendigungserklärung – bei schriftlichen Erklärungen binnen fünf Arbeitstagen nach Zugang – bekanntgibt.* Ob die AN über die Schwangerschaft schon früher Bescheid wusste, insb ob sie bereits vor Ausspruch der Beendigungserklärung Bescheid wusste und dem/r AG keine Mitteilung darüber gemacht hat, ist für die Geltung des Schutzes irrelevant, sofern nur die Mitteilung innerhalb von fünf Arbeitstagen nach Ausspruch (Zugang) der Beendigungserklärung erfolgt ist. Weiß aber die AN selbst bis zum Ablauf dieser Frist noch nichts über ihre Schwangerschaft oder ist ihr eine Mitteilung an den/die AG innerhalb dieser Frist nicht zumutbar, kann je nach Sachlage auch eine wesentlich spätere Mitteilung der Schwangerschaft genügen, um rückwirkend den Bestandschutz auszulösen.

Dass der Gesetzgeber dies in § 12 MSchG nicht ausdrücklich geregelt hat, ist vom OGH zu Recht als Lücke, also als planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes, beurteilt worden. Die dargelegten Grundsätze über eine erst nach Beendigungserklärung ergehende Mitteilung der Schwangerschaft an den/die AG sind demgemäß nach überwiegender Auffassung sowohl für den Kündigungsschutz nach § 10 MSchG als auch für den Entlassungsschutz nach § 12 MSchG anzuwenden.*

Im gegenständlichen Sachverhalt hat Frau A nach vier Tagen dem AG mitgeteilt, dass sie im fünften Monat schwanger ist. Die Mitteilung ist daher innerhalb der fünftägigen Frist erfolgt. Selbst wenn sie selbst von der Schwangerschaft schon früher gewusst hätte – was im fünften Schwangerschaftsmonat sehr wahrscheinlich ist – begründet dies keinen Vorwurf und vermag dies dem Bestehen des Schutzes keinen Abbruch zu tun, da die nicht sofort erfolgende Bekanntgabe der Schwangerschaft das Bestehen des Sonderschutzes unberührt lässt. Da der Sonderschutz nicht nur auf die Wahrung des Arbeitsplatzes, sondern auch auf die Erlangung eines solchen abzielt, schadet es auch nicht, wenn die AN bereits bei Vertragsschluss von ihrer Schwangerschaft wusste und hierzu wissentlich eine falsche Angabe machte. Dies ist auch eine logische Konsequenz dessen, dass die Frage nach dem Bestehen einer Schwangerschaft im Zuge eines Bewerbungsgesprächs eine unzulässige Frage darstellt.

2.1.3.
Voraussetzungen für die nachträgliche Zustimmung durch das Gericht

Da also im Zeitpunkt der Entlassung der Sonderschutz bestanden hat, ist die Entlassung rückwirkend rechtsunwirksam. An diesem Befund könnte sich allenfalls dann etwas ändern, wenn es dem AG auch möglich wäre, die Zustimmung des Gerichts zur bereits ausgesprochenen Entlassung auch nachträglich einzuholen.

Grundsätzlich ist die vorherige Zustimmung zur Entlassung nötig. § 12 MSchG sieht von diesem Grundsatz aber zwei Ausnahmen vor: In den Fällen des § 12 Abs 2 Z 4 und 5 MSchG kann gem § 12 Abs 4 MSchG die gerichtliche Zustimmung zur bereits ausgesprochenen Entlassung auch nachträglich eingeholt werden. Der Tatbestand gem § 12 Abs 2 Z 4 MSchG, der eine solche nachträgliche Zustimmung dann vorsieht, wenn sich die AN erheblicher Ehrverletzungen oder Tätlichkeiten gegen den/die AG, Familienangehörige des-/derselben oder ArbeitskollegInnen schuldig gemacht hat, kommt in diesem Sachverhalt nicht in Betracht. Relevant könnte aber der zweite Ausnahmetatbestand sein, nämlich § 12 Abs 2 Z 5 MSchG, wonach die nachträgliche Zustimmung zur Entlassung möglich ist, wenn sich die AN einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe bedroht ist, oder einer mit Bereicherungsvorsatz begangenen gerichtlich strafbaren Handlung schuldig gemacht hat. Der bloße Verdacht einer strafbaren Handlung reicht für den Entlassungsgrund nicht aus.*

Die erste Variante des Ausnahmetatbestandes scheidet meist bei so genannten Bagatelldelikten deshalb aus, weil die Bedrohung mit einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe nicht gegeben ist. In Betracht kommt aber die zweite Variante, nämlich die Begehung einer Tat mit Bereicherungsvorsatz. Ein solcher Vorsatz kann nämlich auch dann gegeben sein, wenn ein Gegenstand von nur geringem Wert wegen eines augenblicklichen Gelüstes entnommen wurde, was strafrechtlich dem Tatbestand der Entwendung gem § 141 StGB entspräche.*

X wird daher seine Klage auf nachträgliche Zustimmung zur Entlassung der A auf § 12 Abs 4 MSchG iVm § 12 Abs 2 Z 5 MSchG stützen.

Wenn der/die AG auf Erteilung der nachträglichen Zustimmung klagen will, muss er/sie diese Klage rechtzeitig beim Arbeits- und Sozialgericht einbringen. Rechtzeitig bedeutet in diesem Fall unverzüglich, nachdem ihm das Erfordernis der Zustimmung bekannt geworden ist, also unverzüglich nach Bekanntwerden der Schwangerschaft. Selbst wenn der/die AG daher zuvor die (nunmehr unwirksame) Entlassung unverzüglich nach Bekanntwerden des Entlassungsgrundes ausgesprochen hat, kann er sein Recht auf Erlangung der nachträglichen Zustimmung verwirken, wenn er die Klage nicht unverzüglich nach Bekanntwerden der Schwangerschaft einbringt.*69

Bei der Klage handelt es sich um eine Rechtsgestaltungsklage. Das Gericht würde im Falle einer Zustimmung eine neue Rechtslage gestalten, indem es die ursprünglich schwebend rechtsunwirksame Entlassung nachträglich genehmigt. Voraussetzung für eine nachträgliche Zustimmung ist, dass die Entnahme von Lebensmitteln durch A den Tatbestand § 12 Abs 2 Z 5, zweite Variante MSchG erfüllt. Dass die Entnahme ohne Bezahlung stattgefunden hat, ist nach dem Sachverhalt als erwiesen anzunehmen. Dies ergibt sich daraus, dass in dem Betrieb Regeln bestehen, welche festlegen, wie das Procedere für Käufe durch betriebsinterne Personen stattzufinden hat.

Zweifelhaft ist aber im gegenständlichen Fall, ob bei A tatsächlich ein Bereicherungsvorsatz vorgelegen hat. Ein Ansatz zur Abschwächung desselben könnte theoretisch sein, dass die Frau aufgrund ihrer Schwangerschaft einem dringenden körperlichen Bedürfnis nach einer bestimmten Speise nachgekommen ist. Dagegen spricht nach dem Sachverhalt, dass sie die Waren nicht sofort konsumiert, sondern – im letzten Fall – sogar erst später aus dem Aufenthaltsraum bis zum Auto mitnimmt. Darüber hinaus ergibt sich aber auch rechtlich daraus kein taugliches Argument: Der Gesetzgeber hat nämlich jene Fälle, in denen der besondere Gemütszustand während der Schwangerschaft ausdrücklich zu berücksichtigen ist, dezidiert geregelt, nämlich für die Fälle des § 12 Abs 2 Z 1 und 4 MSchG. Für den hier relevanten Tatbestand ist eine solche Privilegierung nicht vorgesehen. Eine planwidrige Unvollständigkeit kann hier nicht angenommen werden, weil dem Gesetzgeber nicht zu unterstellen ist, er hätte die Begehung von Straftaten mit dem Gemütszustand während der Schwangerschaft rechtfertigen wollen. Im Umkehrschluss zu den ausdrücklich geregelten Fällen kommt daher eine Entschuldigung oder Rechtfertigung durch das besondere schwangerschaftsbedingte Verlangen – was die Bereicherung betrifft – nicht in Betracht.

Zu fragen ist aber, worauf sich der Vorsatz der Frau A tatsächlich erstreckt hat: Nur auf die Entnahme des Gebäcks oder auch auf die Bereicherung? Im Normalfall kann zwischen diesen beiden Aspekten bei der Entnahme eines fremden Gegenstandes nicht differenziert werden, weil die Entnahme ohne Bezahlung in jedem Fall auch den Vorsatz der Bereicherung inkludiert. Anders könnte dies nur sein, wenn für Frau A der Umstand, dass sie nicht (rechtzeitig) bezahlt hat, nicht als Bereicherung erkennbar war. Dies setzt voraus, dass sie jedenfalls die Absicht gehabt hätte zu bezahlen und dass für sie der geforderte Zeitpunkt und Ort des Kaufs und der Zahlung nicht transparent war.*

Im vorliegenden Fall sprechen vor allem zwei Umstände für diese Lösung. Zum einen ist die Regelung betreffend die genaue Abwicklung der Warenentnahme und Bezahlung objektiv kompliziert und zum anderen war für Frau A dieses System subjektiv schwer zu durchschauen, weil die Einschulung insgesamt nur eine halbe Stunde dauerte und dabei das komplizierte Verrechnungssystem nur mit einem Satz erwähnt wurde. Dass Frau A in einem Fall des unrichtigen Vorgehens ermahnt wurde, ändert an dieser Einschätzung dann nichts, wenn – wie im vorliegenden Sachverhalt – in der Ermahnung nur auf das unrichtige Vorgehen verwiesen wird, eine nunmehr präzisierte Darlegung des geforderten Verhaltens aber unterbleibt. Hier wurde zudem bei einem weiteren unrichtigen Vorgehen von Frau A keine weitere Ermahnung mehr ausgesprochen, sodass für Frau A eine klare Linie des AG hinsichtlich der gewünschten Vorgehensweise nicht sichtbar wurde.

Frau A wird daher nachweisen können, dass sie aufgrund dieser Faktoren den Zeitpunkt, wann allenfalls eine Bereicherung eingetreten sein könnte, gar nicht erkennen konnte. X wird es daher nicht gelingen, einen Bereicherungsvorsatz nachzuweisen. Unter diesen Voraussetzungen kann X die nachträgliche Zustimmung zur Entlassung der Frau A nicht erhalten.

2.2.
Ansprüche der Frau A gegen X
2.2.1.
Der Fall, dass X die Klage auf nachträgliche Zustimmung zur Entlassung nicht (nicht rechtzeitig) eingebracht hat

Hat der/die AG zwar zunächst die Entlassung unverzüglich nach Setzung des (vermeintlichen) Entlassungsgrundes ausgesprochen, sodann aber nach Kenntnis der Schwangerschaft die Klage auf nachträgliche Zustimmung nicht unverzüglich, also ohne unnötigen Aufschub, eingebracht, so bleibt die Entlassung rechtsunwirksam. Das bedeutet, dass die Entlassung keine Lösung des Arbeitsverhältnisses bewirkt. Das Arbeitsverhältnis besteht daher unverändert weiter. Einer besonderen Erklärung der AN bedarf es hierfür nicht.* Frau A kann daher sofort wieder ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Tut sie dies und nimmt der AG die Arbeitskraft an, so ist in der Regel kein weiterer Bedarf nach einer Klärung der Ansprüche mehr gegeben. Da das Arbeitsverhältnis durch die rechtsunwirksame Entlassung nie beendet wurde, war auch der Anspruch auf Entgelt nie unterbrochen.

Kommt es zu keiner tatsächlichen Beschäftigung, weil sich X weigert, Frau A zu beschäftigen, so besteht für die gesamte Dauer des Unterbleibens der Arbeitsleistung ein Anspruch auf Entgelt gem § 1155 ABGB. Wenn die AN grundsätzlich arbeitsbereit ist, liegt es am AG, die Wiederaufnahme der Arbeit zu verlangen.*

Erklärt sich Frau A arbeitsbereit und nimmt X die Arbeitsleistung nicht an, weil er von der Wirksamkeit der Entlassung überzeugt ist, kann Frau A auf Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses klagen. Hat der AG die Klage auf (nachträgliche) Zustimmung nicht (rechtzeitig) eingebracht, und war die AN im Zeitpunkt der Entlassung schwanger und hat sie dies (wie dargelegt allenfalls nachträglich) bekanntgegeben, so ist eine Klage auf Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses jedenfalls erfolgreich, weil es an den formalen Voraus70setzungen für eine wirksame Entlassung fehlt. Das materielle Vorliegen eines Entlassungsgrundes ist in diesem Fall nicht mehr zu prüfen.

Nach hL und stRsp kann die AN in diesem Fall aber anstelle der Geltendmachung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses wahlweise auch die Entlassung gegen sich gelten lassen und Schadenersatz (Kündigungsentschädigung) begehren (sogenanntes „Wahlrecht“ beim besonderen Entlassungsschutz). Für die Bemessung der Ansprüche ist im Falle der Arbeiterin § 1162b ABGB maßgeblich.* Für die Berechnung der Ersatzansprüche ist der gesamte Zeitraum des besonderen Entlassungsschutzes sowie die Dauer der Kündigungsfrist zu berücksichtigen.*

2.2.2.
Der Fall, dass X unverzüglich die Klage auf nachträgliche Erteilung der Zustimmung zur Entlassung eingebracht hat und dass die Klage abgewiesen wurde

Nach Abweisung der Klage auf nachträgliche Zustimmung ist und bleibt die Entlassung dauerhaft rechtsunwirksam. War A in der Zwischenzeit arbeitsbereit, so hat sie für die gesamte Zeit seit Ausspruch der unwirksamen Entlassung den Anspruch auf Entgelt gem § 1155 ABGB (wie oben 2.2.1.).

Lehnt der AG die Weiterbeschäftigung ab, kann A auf Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses klagen. Wahlweise kann sie Schadenersatz (Kündigungsentschädigung) begehren (siehe oben 2.2.1.).

2.2.3.
Der (hypothetische) Fall, dass X unverzüglich die Klage auf nachträgliche Erteilung der Zustimmung eingebracht hat und dass der Klage stattgegeben wurde (im gegenständlichen Fall wegen Nichtvorliegens eines Bereicherungsvorsatzes nicht relevant)

Gibt das Gericht der Klage auf nachträgliche Erteilung der Zustimmung zur Entlassung statt, so ist die Entlassung rückwirkend rechtswirksam. Das Arbeitsverhältnis gilt mit dem Tag der Entlassung als aufgelöst. Die Entlassung ist, nachdem das Gericht als Vorfrage das Vorliegen des Entlassungsgrundes geprüft hat, gerechtfertigt und auch verschuldet. A hat daher keinen Anspruch auf Kündigungsentschädigung. Ein Anspruch auf Urlaubsersatzleistung gebührt im aliquoten Ausmaß für im Zeitpunkt der Entlassung noch nicht verbrauchte Urlaubsansprüche. Den Anspruch kann A mittels Leistungsklage geltend machen. Wurde allerdings von A bereits ein Urlaubsvorgriff auf erst später entstehende Urlaubsansprüche genommen, so ist der Entgeltwert für den zu viel verbrauchten Urlaub zurück zu erstatten.

3.
Zusammenfassung

Aufgrund der bekannt gegebenen Schwangerschaft ist die Entlassung der Frau A zunächst rechtsunwirksam.

X könnte eine Klage auf nachträgliche Zustimmung zur Entlassung einbringen. Diese Klage würde er auf § 12 Abs 4 iVm § 12 Abs 2 Z 5 MSchG stützen, mit der Behauptung, A hätte eine mit Bereicherungsvorsatz begangene strafbare Tat begangen.

Gegen einen Bereicherungsvorsatz der A spricht, dass sie gewillt gewesen wäre, das entnommene Gebäck zu bezahlen, jedoch die Regeln für die Abwicklung interner Käufe nicht klar erkennen konnte. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass sie einen erhöhten individuellen Erklärungsbedarf gehabt hätte, jedoch nur mit einem Satz über die komplexe Regelung in Kenntnis gesetzt worden war. Dass sie in dem einen Fall des Fehlverhaltens ermahnt wurde und im nächsten Fall nicht, konnte bei Frau A noch zusätzlich zur Verwirrung beitragen.

X wird daher mit einer allfälligen Klage auf nachträgliche Zustimmung zur Entlassung keinen Erfolg haben.

Es besteht der Anspruch der Frau A auf Entgeltzahlung seit dem Zeitpunkt der unwirksamen Entlassung (Leistungsklage) sowie der Anspruch der Frau A auf Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses.

Wahlweise kann Frau A die Entlassung gegen sich gelten lassen und Schadenersatz in der Form der Kündigungsentschädigung geltend machen.71