Substanzielle Änderungen im ASchG: Die Evaluierung psychischer Arbeitsbelastungen kommt

ALEXANDERHEIDER (WIEN)
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Entwicklung psychischer Belastungen in der Arbeitswelt

Die Arbeitswelt hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten grundlegend verändert, mit starken Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen. Während es gelang, die Zahl der Arbeitsunfälle merklich zu reduzieren und klassische (körperliche) Arbeitsbelastungen und belastende Umgebungseinflüsse zumindest nicht weiter anstiegen, nahmen psychische Arbeitsbelastungen mitsamt ihren gesundheitlich negativen Folgen deutlich zu.

Unter Personen, die von psychischen Arbeitsbelastungen betroffen sind, ist die Häufigkeit gesundheitlicher Probleme größer. Das gilt in besonders starkem Ausmaß für Stress, Depressionen oder Angstzustände, aber auch für Herz-/Kreislauferkrankungen, für Kopfschmerzen und Übermüdung sowie für Infektionskrankheiten, in deutlich geringerem Ausmaß auch für Muskel-Skelett-Erkrankungen (siehe Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung, Sondermodul 2007).

AN in Berufen mit starken psychischen Anforderungen leiden häufig unter Schlafstörungen, chronischen Angstzuständen oder Depressionen, Niedergeschlagenheit oder Erschöpfungszuständen. Hilfsarbeitskräfte, insb im Dienstleistungsbereich, im Verkauf und in der Anlagen- und Maschinenbedienung, sind häufiger von psychischen Problemen betroffen als Personen im mittleren Qualifikationssegment. Menschen, die nicht in Österreich geboren wurden, haben ein höheres Risiko, gesundheitlich belastet zu sein, als gebürtige ÖsterreicherInnen. Das schlägt sich in besonders hohem Ausmaß in chronischen Angstzuständen und Depressionen nieder.78

Im Vergleich zum EU-Durchschnitt ist Österreich ein Land mit relativ hoher Arbeitsintensität (hohes Arbeitstempo, Termindruck, Zeitdruck) und mäßigem individuellen Entscheidungsspielraum die Arbeitsorganisation betreffend, was sich generell negativ auf die individuelle Gesundheit der AN auswirkt.

Gleichzeitig wird von den AN heute hohe Mobilität (zeitlich, räumlich und strukturell) verlangt. Sie sind vielfach an mehreren Arbeitsplätzen mit unterschiedlichen Aufgaben tätig, handhaben immer komplexere Betriebsmittel und Informationstechniken und übernehmen Abstimmungs- und Vermittlungsprozesse. Ebenso steigen die kommunikativ-sozialen Anforderungen. Die Psyche der AN wird somit bei weitem stärker und intensiver beansprucht als noch vor einiger Zeit.

Hinzu kommt, dass mit zunehmendem Alter die Belastungen der Arbeitswelt nicht nur subjektiv stärker empfunden werden, sondern die lange Dauer der Arbeitsbelastung über das bisherige Arbeitsleben schlägt sich auch in einer objektiven Verschlechterung der Gesundheit nieder. Insb Beschäftigte im personenbezogenen Dienstleistungssektor, allen voran im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Unterrichtswesen, sind überdurchschnittlich von arbeitsbedingten Beschwerden betroffen.

Internationale Studien legen nahe, dass in Europa zwischen 50 % und 60 % der krankheitsbedingten Arbeitsausfälle in der einen oder anderen Form auf Stress in der Arbeit zurückzuführen sind. Die dadurch bedingte Verringerung der Arbeitsleistung und Arbeitsproduktivität führt zu negativen gesamtwirtschaftlichen Kosten zwischen 1,5 % und 4 % des Bruttoinlandsprodukts, je nachdem ob neben den direkten medizinischen und betrieblichen Kosten auch noch eine Bewertung des Verlusts an Wertschöpfung und der Einschränkung der Produktivität vorgenommen wird.

Um die psychischen Krankmacher in der Arbeit zu erfassen und erstmals deren Kosten für die Gesamtwirtschaft festzumachen, hat die Arbeiterkammer Wien die Studie „Psychische Belastungen der Arbeit und ihre Folgen“ beim Wirtschaftsforschungsinstitut und der Donauuniversität Krems in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse zu den psychischen Folgen der Arbeitsbelastung liegen seit April 2012 vor. Die Studie wurde am 11.4.2012 in einer Pressekonferenz und am 9.6.2012 in einer Fachveranstaltung detailliert präsentiert:

  • Beschäftigte ohne arbeitsbedingte Belastungen weisen nur 0,8 Tage krankheitsbedingter Arbeitsausfälle auf, aber 3,3 Ausfallstage sind auf arbeitsbedingte psychische Belastungen zurückzuführen und schon knapp sechs Ausfalltage sind es beim Zusammentreffen psychischer und physischer Belastungen.

  • 32 % aller Neuzugänge der Berufsunfähigkeitsund Invaliditätspensionen sind psychisch begründet.

  • Die Zahl der psychischen Krankheiten steigt enorm an. Psychische Krankheiten liegen bereits an dritter Stelle bei der Anzahl der Krankenstandstage und damit schon vor den Arbeitsunfällen (siehe Tabelle Veränderung Krankenstandstage 1994 zu 2009).

  • Krankenstände aufgrund arbeitsbedingter psychischer Belastungen dauern länger und die gesamtwirtschaftlichen Kosten belaufen sich auf rund 3,3 Mrd € jährlich.

Veränderung Krankenstandstage 1994 zu 2009 (gerundet auf Tausend):

Krankheitsgruppen19942009Veränderung absoulutVeränderung in %
insgesamt40.211.00038.700.000–1.511.000–3,8
Arbeitsunfälle (ohne Wegunfälle)3.585.0002.397.000–1.188.000–33,1
Psychiatrische Krankheiten1.063.0002.421.000+1.358.000+127,6
Quelle: Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, Krankenstandstatistik 1994 und 2009
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Der Begutachtungsentwurf

Nach schwierigen Verhandlungen, die sich seit Herbst 2010 hingezogen haben, gelang es den Sozialpartnern schließlich dennoch am 2.5.2012 im BMASK eine Einigung zur gesetzlichen Verankerung der Evaluierung psychischer Arbeitsbelastungen zu erzielen.

Die RV regelt die verbindliche Ermittlung und Beurteilung von psychischen Belastungen und Gefährdungen am Arbeitsplatz und unter Anwendung der Grundsätze der Gefahrenverhütung deren Vermeidung durch AG. Zum einen soll die Wichtigkeit der Erhaltung der psychischen Gesundheit der AN besonders betont werden, zum anderen werden die Arbeits- und OrganisationspsychologInnen als bei der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren beizuziehende geeignete Fachleute ausdrücklich genannt.

Zudem besteht bei der Definition der Eigenschaften gefährlicher Arbeitsstoffe ein Anpassungsbedarf an die CLP*-VO (EG) 1272/2008, weshalb die CLP-VO bei den Regelungen über Arbeitsstoffe berücksichtigt ist. Schließlich werden eine Reihe redaktioneller Bereinigungen und Aktualisierungen vorgenommen.

Die Novelle hat zum Ziel, dass durch die konkrete Evaluierung psychischer Belastungen die notwendigen Änderungen im Arbeitsprozess herbeigeführt werden, um so die Weiterentwicklung der Prävention zur Eindämmung psychischer Arbeitsbelastungen voran zu treiben. Durch verstärkte Prävention von psychischen Belastungen und Gefährdungen am Arbeitsplatz soll der Zunahme von arbeitsbedingten Erkrankungen und Invaliditätspensionen aufgrund psychischer Erkrankungen entgegengesteuert werden.

Dabei ist entscheidend, dass die Evaluierung psychischer Arbeitsbelastungen eindeutig und klar als AG-Pflicht formuliert ist. Als geeignete Fachleute für die Evaluierung psychischer Belastungen kommen ArbeitsmedizinerInnen genauso in Betracht wie Arbeits- und OrganisationspsychologInnen. Die für die79 jeweilige Arbeitsstätte passende Methodenauswahl und Planung der Evaluierung sowie die Bewertung und Implementierung von Präventionsmaßnahmen soll jedoch durch Arbeits- und OrganisationspsychologInnen vorgenommen werden, weil sie hierfür am besten qualifiziert sind.

2.1
Zur stärkeren Betonung der Prävention von psychischen Belastungen und Gefährdungen am Arbeitsplatz

In den Erläuterungen sind die Ursachen zur stärkeren Betonung der Prävention von psychischen Be las tungen und Gefährdungen am Arbeitsplatz ausgeführt:

„Die Ursachen psychischer Belastungen sind häufig:
  • Zunehmender Leistungs- und Konkurrenzdruck,

  • Arbeitsverdichtung, unangemessener Zeit- und Termindruck,

  • unangemessene Wiederholung immer gleicher Arbeitsvorgänge,

  • Informationsmangel oder Informationsüberflutung,

  • knappe Personalbemessung,

  • Verwischen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit,

  • häufige Umstrukturierungen, Angst vor Arbeitsplatzverlust,

  • fehlende Handlungsspielräume und mangelnde Beteiligungsmöglichkeiten,

  • isoliertes Arbeiten ohne Möglichkeit zu sozialen Kontakten.“

Psychische Arbeitsbelastungen wurden in der betrieblichen Praxis bisher nicht oder selten qualitativ evaluiert. Arbeits- und OrganisationspsychologInnen sind mit ihren Erhebungsinstrumenten und Analyseverfahren am besten qualifiziert, die Evaluierung psychischer Arbeitsbelastungen in den Betrieben durchzuführen. Die Ausweitung der Evaluierungsverpflichtung im ASchG auf die Ermittlung und Beurteilung psychischer Arbeitsbelastungen samt der Festlegung von Maßnahmen iS einer ganzheitlichen Evaluierung ist zweifelsohne ein Fortschritt. Davon ist zu erwarten, dass Arbeits- und OrganisationspsychologInnen vermehrt herangezogen werden.

Seit dem AN-Schutz-ReformG (ANS-RG) (BGBl I 2001/159) hat der/die AG neben der Sicherheitsfachkraft und dem/der ArbeitsmedizinerIn, je nach der in der Arbeitsstätte gegebenen Gefährdungs- und Belastungssituation, sonstige geeignete Fachleute, insb jedoch ArbeitspsychologInnen, zu beschäftigen (vgl § 82a Abs 5). Diese Regelung wird aufgrund einer entsprechenden Einigung der Interessenvertretungen der AG und der AN dadurch ergänzt, dass zum einen an mehreren Stellen im ASchG die Prävention arbeitsbedingter psychischer Belastungen stärker betont wird und zum anderen die Arbeits- und OrganisationspsychologInnen als bei der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren beizuziehende Fachleute ausdrücklich genannt werden.

IVm der Evaluierungspflicht psychischer Arbeitsbelastungen bekommt § 82 a Abs 5 eine neue Qualität, weil womöglich in vielen Fällen tatsächlich psychische Problemlagen dokumentiert werden und geeignete Maßnahmen zu treffen sind. § 82a Abs 5 zweiter Satz lautet: „Zumindest im Ausmaß der restlichen 25 vH der jährlichen Präventionszeit hat der Arbeitgeber je nach Gefährdungs- und Belastungssituation ... sonstige geeignete Fachleute, wie Chemiker, Toxikologen, Ergonomen, insbesondere jedoch Arbeitspsychologen ... zu beschäftigen“. Demzufolge ist bei Vorliegen einer psychischen Gefährdungs- und Belastungssituation der/die AG verpflichtet, ArbeitspsychologInnen zumindest im Ausmaß von 25 vH der jährlichen Präventionszeit zu beschäftigen.

Das Tätigkeitsgebiet der Arbeits- und Organisationspsychologie befasst sich mit den psychologischen Faktoren arbeitender Menschen in Organisationen. Die Arbeits- und Organisationspsychologie beobachtet und analysiert Arbeitsbedingungen und Arbeitsaufgaben und die Ressourcen der arbeitenden Menschen. Die Arbeits- und OrganisationspsychologInnen sind daher nicht etwa für individuelle psychologische Betreuungsleistungen (Therapie oder Coaching) von Einzelpersonen heranzuziehen, sondern primär zur Mitwirkung an der Ermittlung und Beurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz, bei der Festlegung der Maßnahmen zur Verhütung dieser Gefährdungen sowie bei der Aktualisierung dieser Evaluierung.

Bei der Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz sind zudem folgende Grundsatznormen zu beachten:

  • ÖNORM EN ISO 10075 Teil 1: „Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung – Teil 1: Allgemeines und Begriffe (ISO 10075:1991)“ (Ausgabe 2000 11 01). Der Teil 1 definiert Begriffe im Bereich der psychischen Arbeitsbelastung und -beanspruchung und zeigt Beziehungen zwischen den dazugehörigen Begriffen auf. Sie gilt für die Gestaltung von Arbeitsbedingungen in Hinblick auf psychische Arbeitsbelastung und soll einen einheitlichen Sprachgebrauch zwischen Fachleuten und PraktikerInnen fördern.

  • ÖNORM EN ISO 10075 Teil 2: „Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung – Teil 2: Gestaltungsgrundsätze (ISO 10075-2:1996)“ (Ausgabe 2000 06 01). Dieser Teil enthält Leitsätze zur Gestaltung von Arbeitssystemen, einschließlich der Gestaltung der Aufgaben, der Arbeitsmittel, des Arbeitsplatzes und der Arbeitsbedingungen, unter besonderer Berücksichtigung der psychischen Arbeitsbelastung und -beanspruchung und ihrer Folgen. Er dient der angemessenen Gestaltung der Arbeit und Nutzung menschlicher Fähigkeiten. Ziel ist es, optimale Arbeitsbedingungen im Hinblick auf Gesundheit und Sicherheit, Wohlbefinden, Leistung und Effektivität zu schaffen, sowie Über- wie Unterforderung vorzubeugen, um beeinträchtigende Folgen zu vermeiden. Psychische Arbeitsbelastung und -beanspruchung ist die Folge einer komplexen Wechselwirkung individueller, technischer, organisatorischer und sozialer Faktoren. Deshalb müssen bei der Gestaltung von Arbeitssystemen personelle, technische und organisatorische Faktoren und die Folgen ihrer Wechselwirkungen berücksichtigt werden.80

  • ÖNORM EN ISO 10075 Teil 3 „Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung – Teil 3: Grundsätze und Anforderungen an Verfahren zur Messung und Erfassung psychischer Arbeitsbelastung (ISO 10075-3:2004)“ (Ausgabe 2004 11 01). Dieser Teil der Norm stellt Grundsätze und Anforderungen für die Messung und Erfassung der psychischen Arbeitsbelastung auf und legt die Anforderungen an Messverfahren fest. Zudem werden Informationen zur Auswahl geeigneter Verfahren zur Verfügung gestellt und Informationen zu Gesichtspunkten der Erfassung und Messung der psychischen Arbeitsbelastung gegeben, um damit zur Verbesserung der Kommunikation zwischen den beteiligten Seiten beizutragen.

  • Nach den arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen wurden Grundsätze der Ergonomie normiert, die generell Maßstab bei Bewertung der Evaluierung und bei der Festlegung geeigneter Maßnahmen sind. Die ÖNORM EN ISO 6385 „Grundsätze der Ergonomie für die Gestaltung von Arbeitssystemen (ISO 6385:2004)“ (Ausgabe 2004 06 01) legt Grundsätze der Ergonomie in Form von grundlegenden Leitlinien zur Gestaltung von Arbeitssystemen fest und definiert die relevanten Begriffe.

In § 2 Begriffsbestimmungen werden die Begriffe „Gefahren“ und „Gesundheit“ neu definiert, wonach unter Gefahren auch arbeitsbedingte physische und psychische Belastungen zu verstehen sind, die zu Fehlbeanspruchungen führen. Unter Gesundheit ist physische und psychische Gesundheit zu verstehen. Künftig sind, wo immer im ASchG eines der Wörter „Gefahr(en)“ oder „Gesundheit“ angeführt ist, neben körperlichen Gefährdungen und Arbeitsunfallgefährdungen auch psychische Belastungen zu berücksichtigen. Schließlich soll der überholte Ausdruck „Sittlichkeit“ durch „Integrität und Würde“ ersetzt werden (§§ 3 Abs 1 und 15 Abs 1 sowie §§ 3 Abs 1 Z 1 und § 10 Abs 1 ArbIG 1993).

2.2
Zum Anpassungsbedarf bei den Regelungen über Arbeitsstoffe an die CLP-VO (EG) 1272/2008

Nach dem geltenden Recht (§ 41 Abs 2) müssen AG die Eigenschaften der von ihnen verwendeten Arbeitsstoffe ermitteln und gefährliche Arbeitsstoffe nach ihren Eigenschaften gem § 40 ASchG einstufen. Diese Eigenschaften orientieren sich am Chemikalienrecht (§ 3 Abs 1 ChemG 1996). § 5 ChemG 1996 ordnet seit der ChemG-Novelle 2009 an, dass eine Einstufung nach der CLP-VO die Einstufung nach ChemG ersetzt. Eine ähnliche Regelung muss daher auch im AN-Schutzrecht getroffen werden.

Die CLP-VO (EG) 1272/2008 ist am 20.1.2009 in Kraft getreten. Sie kann seit dem 20.1.2009 bereits ergänzend angewendet werden, verpflichtend ist CLP für Stoffe ab dem 1.12.2010 und für Gemische ab dem 1.6.2015 anzuwenden. Das bisherige Recht zu Einstufung und Kennzeichnung bleibt daher bis 1.6.2015 in Geltung. Die Einstufung nach der CLP-VO erfolgt nicht mehr nach den in § 40 ASchG genannten gefährlichen Eigenschaften, sondern in insgesamt 26 Gefahrenklassen, die ihrerseits wiederum in Gefahrenkategorien untergliedert sind.

Da die AN-Schutzvorschriften jedoch (noch) an die Stoffeigenschaften (§ 40) anknüpfen, muss klargestellt werden, welche dieser Schutzbestimmungen für die nach der CLP-VO eingestuften Arbeitsstoffe jeweils zu gelten haben.

2.3
Zum Erfordernis redaktioneller Bereinigungen und Aktualisierungen

Da seit dem ANS-RG 2001 keine größere Novellierung des ASchG und auch keine redaktionelle Bereinigung mehr erfolgt ist, hat sich in den letzten zehn Jahren einiger Aktualisierungsbedarf angesammelt. Mit dem Begutachtungsentwurf sollen diese notwendigen Aktualisierungen, Klarstellungen und redaktionellen Anpassungen vorgenommen werden, so vor allem die formelle Aufhebung von bereits außer Kraft getretenen Übergangsbestimmungen. Überdies sollen die seit 1995 unveränderten Geldstrafen erhöht werden.

Wie in den Erläuterungen der RV zu § 130 (Strafbestimmungen) nachzulesen, sind die Strafrahmen seit der Stammfassung 1995 unverändert. Im Zeitraum 1995 bis 2010 stieg der Verbraucherpreisindex inflationsbedingt um 29,3 %. Obwohl die bisherigen Mindeststrafen für Verwaltungsübertretungen durch den AG (Abs 1, 2, 3, 5 und 6) mit € 145,– äußerst niedrig sind, ist lediglich eine „moderate“ Erhöhung aller Strafrahmen um die Hälfte der bisher angelaufenen Inflationsrate geplant. Mit der bloß „moderaten“ Erhöhung wird nicht nur verabsäumt, einen Strafrahmen festzulegen, dem ein generalpräventiver Charakter zukommt, sondern der Gesetzgeber bringt offensichtlich auch zum Ausdruck, dass Verstöße gegen AN-Schutzbestimmungen künftig ein geringeres Übel darstellen, als dies 1995 der Fall war.

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Zentrale weiterführende Forderungen

Trotz diesem bedeutenden, sozialpolitisch wichtigen Schritt in Richtung Eindämmung von Erkrankungen und Leiden auf Grund psychischer Arbeitsbelastungen, bleiben Gewerkschaften und Arbeiterkammern beharrlich bei der Auffassung, dass zwingend noch weiterführende gesetzliche Maßnahmen zu treffen wären, wenn psychische Belastungen am Arbeitsplatz wirksam und dauerhaft vermieden werden sollen.

Die wichtigsten Forderungen in diesem Zusammenhang sind

  • die gesetzliche Verankerung von Arbeits- und OrganisationspsychologInnen im ASchG als gleichberechtigte Präventivfachkraft samt Festlegung ihrer Aufgabenfelder und Mindestpräventionszeiten,

  • die gesetzliche Verankerung der arbeits- und organisationspsychologischen Betreuung in Arbeitsstätten mit bis zu 50 AN nach dem Modell „AUVA-sicher“ und

  • weitere wirksame Maßnahmen gegen krankmachende psychische Arbeitsbelastungen, wie die Eindämmung von unfreiwilligen und übermäßigen Überstundenleistungen.

Die gesetzliche Verankerung von Arbeits- und OrganisationspsychologInnen als dritte Säule der81 betrieblichen Prävention bleibt weiterhin notwendig. Arbeits- und OrganisationspsychologInnen sind die ExpertInnen für die psychische Gesundheit. Gemeinsam mit Sicherheitsfachkräften und ArbeitsmedizinerInnen könnte so erstmals ein ganzheitlicher Präventionsansatz betrieben werden. AG brauchen diese fachliche Unterstützung, nicht nur um die dramatisch zunehmenden psychischen Belastungen in der Arbeitswelt einzudämmen, sondern, weil psychischen Erkrankungen samt Minderung der Arbeits- und Leistungsfähigkeit, Störungen in der Arbeitsorganisation und die dadurch entstehenden betriebs- und gesamtwirtschaftlichen Kosten zum Wettbewerbsfaktor geworden sind.

Die Ausbildung zum/zur Arbeits- und OrganisationspsychologIn ist derzeit ungeregelt. Hier wäre eine, mit der VO über die arbeitsmedizinische Ausbildung von Ärzten vergleichbare VO über die arbeits- und organisationspsychologische Ausbildung von PsychologInnen zu schaffen, die es den Berufsverbänden GKPP (Berufsverband kritischer PsychologInnen) und BÖP (Berufsverband Österreichischer PsychologInnen) ermöglichen, analog den Ausbildungsstätten für Arbeitsmedizin, staatlich anerkannte Arbeits- und OrganisationspsychologInnen auszubilden. Für diese Fachausbildung zum/zur Arbeits- und OrganisationspsychologIn kann auf die derzeit freiwilligen „Qualifikationskriterien für ArbeitspsychologInnen – Zertifizierung im Sinne der Berufsverbände GKPP und BÖP“ zurückgegriffen werden. Mit Stand November 2011 sind rund 300 zertifizierte ArbeitspsychologInnen in die Liste eingetragen. Über das Online-Informationssystem für psychologische Dienstleistungen können unter www.psychnet.at zertifizierte ArbeitspsychologInnen einfach gefunden und Kontakte hergestellt werden.

Schließlich ist auch völlig ungeklärt, wie AG von Arbeitsstätten mit bis zu 50 AN die arbeits- und organisationspsychologische Betreuung organisieren und welche Unterstützung ihnen beispielsweise von „AUVA-sicher“ angeboten wird. Für die arbeits- und organisationspsychologische Betreuung von AN in Arbeitsstätten mit bis zu 50 Beschäftigten wären verstärkt Arbeits- und OrganisationspsychologInnen nach dem Modell „AUVA-sicher“ einzusetzen. Qualifizierte Unterstützung und Hilfestellung könnte, realistisch betrachtet, durch „AUVA-sicher“ effizient und effektiv organisiert werden.

Zum Zeitpunkt des Verfassens lag die RV (1983 BlgNR) mit geplantem Inkrafttreten am 1.1.2013 vor.