GannerGrundzüge des Alten- und Behindertenrechts

Jan Sramek Verlag, Wien 2012, XVIII, 224 Seiten, broschiert, € 39,90

BIRGITSCHRATTBAUER (SALZBURG)

Der demographische Wandel stellt eine der zentralen Herausforderungen an Politik und Gesellschaft dar. Im Zentrum des medialen Interesses steht dabei idR die Frage der Sicherung der Pensionen in einer alternden Gesellschaft; nicht minder brisant ist das Problem der Bewältigung des steigenden Bedarfs an Pflege und Betreuung. Die zunehmende Bedeutung dieser Fragen zeigt sich nicht zuletzt in der verstärkten Aktivität des Gesetzgebers in diesen Bereichen in den letzten 20 Jahren – aus jüngerer Zeit seien hier exemplarisch etwa das HeimvertragsG 2004, das HeimaufenthaltsG 2005 oder das PflegefondsG 2011 genannt. Wenig umfangreich ist allerdings bislang die literarische Aufbereitung dieses Rechtsbereiches; insb umfassende, systematische Darstellungen der durch die Altenpflege und -betreuung berührten Rechtsfragen fehlen.

In diese Lücke stößt nun Michael Ganner, ao. Univ.-Prof. am Institut für Zivilrecht der Universität Innsbruck und Verfasser zahlreicher Publikationen zum Heim-, Pflege- und Sachwalterrecht, vor, der mit dem hier rezensierten Werk einen kompakten Überblick über die für die Alten- und Behindertenbetreuung relevanten Rechtsbereiche geben möchte.

Auf ersten Blick mag es verwundern, dass der Autor bei seiner Aufarbeitung zweier derartig umfangreicher Rechtsgebiete mit etwas mehr als 200 Seiten das Auslangen findet; doch macht bereits ein Blick in das Inhaltsverzeichnis klar, dass das „Behindertenrecht“ nur insoweit Berücksichtigung findet, als es sich an der Schnittstelle zum Recht der Altenbetreuung und -pflege befindet, so etwa im Heimrecht, bei Fragen der Finanzierung von Pflege- und Betreuungsleistungen oder im Sachwalterrecht. Andere, für Menschen mit Behinderung wahrscheinlich nicht minder relevante Aspekte (zB die arbeitsrechtliche Sonderstellung begünstigt Behinderter im BEinstG, das gesamte Antidiskriminierungsrecht, schulrechtliche Fragestellungen etc) bleiben dagegen weitgehend ausgeklammert.

Freilich bleibt dem Autor trotz dieser Einschränkung ein weites Betätigungsfeld, das ihn in unterschiedlichste Rechtsbereiche führt. So legt Ganner ua die kompetenzrechtliche Problematik im Schnittbereich der Kompetenztatbestände Gesundheit und Soziales dar, er gibt einen Überblick über arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Sonderregelungen für pflegende Angehörige, er klärt straf- und zivilrechtliche Haftungsfragen im Zusammenhang mit der Pflege und Betreuung von Menschen, und er umreißt die wesentlichsten berufsrechtlichen Regelungen für Ärzte sowie für Angehörige der Krankenpflege- bzw der Sozialbetreuungsberufe. Die inhaltlichen Schwerpunkte iSe etwas detaillierteren Darstellung setzt Ganner jedoch in den drei Bereichen Finanzierung von Pflege und Betreuung, Sachwalterschaft/Vertretungsbefugnis und Heimrecht.

Im Kapitel „Finanzierung von Pflege und Betreuung“ gibt der Autor einerseits einen kompakten, alle wesentlichen Aspekte berücksichtigenden Überblick über die rechtlichen Regelungen des Pflegegeldes, um sich dann der Finanzierung von Pflege- und Betreuungsleistungen durch Mittel der Sozialhilfe bzw der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zuzuwenden. Den Schwerpunkt der Darstellung legt Ganner hier auf Fragen des Einsatzes der eigenen Mittel bzw des Angehörigenregresses – ein Thema, das ja jüngst durch die Wiedereinführung des Kinderregresses in Kärnten wieder an Aktualität gewonnen hat. Darüber hinaus bietet das Kapitel auch einen Überblick über Förderungen der 24-Stunden-Betreuung, über Zuwendungen zur Finanzierung einer Ersatzpflege im Fall der Verhinderung eines pflegenden Angehörigen sowie über pflege- und behinderungsbedingte Steuererleichterungen.

Ausführlich widmet sich Ganner dem Themenkomplex Sachwalterschaft und Angehörigenvertretung sowie den vergleichsweise jungen Instrumenten der eigenverantwortlichen Vorsorge für den Fall des Verlusts der Geschäfts- bzw Entscheidungsfähigkeit (Vorsorgevollmacht, Sachwalterverfügung, Patientenverfügung). Vergleichsweise viel Raum gibt der Autor hier der geschichtlichen Entwicklung des Sachwalterrechts von der Entmündigungsordnung 1916 über die Neuregelung durch das Sachwaltergesetz 1984 bis hin zur umfangreichen Novellierung des Sachwalterrechts im Jahr 2006. Diese Ausführungen erleichtern jedoch wesentlich das Verständnis des hinter dem derzeit gültigen Sachwalterrecht stehenden Konzepts sowie des Zusammenspiels mit anderen Vertretungsoptionen.

Im quantitativ umfangreichsten Teil des Werkes setzt Ganner sich mit den rechtlichen Grundlagen der stationären Unterbringung und Versorgung auseinander. Das stellt insofern eine teilweise beschwerliche Aufgabe dar, als im Hinblick auf die rechtliche Regelung der Errichtung, der Erhaltung und des Betriebs von Pflegeheimen die Länder zuständig sind, was eine entsprechende Uneinheitlichkeit der Rechtslage zur Folge hat. Ganner beschränkt sich hier auf eine kurze Charakteristik der einzelnen Ländergesetze bzw -verordnungen und überlässt die Mühen des Vergleichs dem/der LeserIn; einer genaueren Betrachtung unterzieht er die ebenfalls in den Heimgesetzen und -verordnungen der Bundesländer verankerten Bewohnerrechte sowie die landesweise unterschiedlichen Formen der Interessenvertretung für HeimbewohnerInnen.

Über eine bloß deskriptive Beschreibung der Rechtsgrundlagen hinaus geht der Autor dagegen im Abschnitt über die in die Bundeskompetenz fallenden heimvertragsrechtlichen Regelungen bzw über die Regelungen zu Freiheitsbeschränkungen im stationären Alten- und Behindertenbereich. Neben einem kompakten Überblick über die wesentlichen Inhalte des Heimvertrags- und des HeimaufenthaltsG bietet Ganner hier eine ausführliche, kritische Analyse der Rsp und gibt damit konkrete Antworten auf im Berufsalltag möglicherweise auftauchende rechtliche Fragestellungen.

ME etwas zu kurz kommt in Ganners Überblicksdarstellung des Rechts der Alten- und Behindertenbetreuung der auf zwei Seiten abgehandelte Bereich der ambulanten Pflege und Betreuung. Gerade im Hinblick auf die zunehmende91 Bedeutung der nicht-stationären Versorgung würde eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit deren rechtlichen Besonderheiten wohl auch den Bedürfnissen der Praxis entsprechen.

Fazit: Ganners „Grundzüge des Alten- und Behindertenrechts“ bietet JuristInnen ua im Bereich der Altenbetreuung tätigen Berufsgruppen eine solide erste Orientierungsmöglichkeit über die einschlägigen rechtlichen Grundlagen und – besonders im Bereich des Heimvertrags- und Heimaufenthaltsrechts – eine gute Übersicht über die Konkretisierung der Rechtsvorschriften durch die Rsp. Wer sich also einen ersten Überblick über diese Rechtsmaterien verschaffen möchte, trifft mit dem Buch eine gute Wahl.