Neuregelungen in der Pensionsversicherung

RUDOLFMÜLLER (WIEN/SALZBURG)
Die Schriftleitung hat den Autor aufgrund seiner am 1.1.2013 neu übernommenen Funktion des Vorsitzenden der Kommission zur langfristigen Pensionssicherung iSd § 108d ASVG (idF der Kommission) eingeladen, diesem den Problemen der PV gewidmeten Heft von DRdA Bemerkungen aus dem Blickwinkel der Aufgabenstellung dieser Kommission voranzustellen.* Dabei geht es im Wesentlichen um die Bewertung von Neuregelungen in der Pensionsversicherung, die in vier Schritten erfolgt ist, nämlich durch die Budgetbegleitgesetze 2011 (Art 115 – 75. Novelle zum ASVG – ab 1.11.2011), und 2012 (ab 1.1.2012), durch das 2. Stabilitätsgesetz 2012 (Art 49 – 77. ASVGNovelle – im hier interessierenden Teil in Kraft seit 1.1.2013) und schließlich durch das SRÄG 2012, BGBl I 2013/3 (ab 1.1.2014).
  1. Allgemeines

  2. Altbekanntes

  3. Das Prognoseszenario

  4. Begrenzte Steuerungsmöglichkeiten der Politik

  5. Das Reformkonzept des Gesetzgebers

    1. Rehabilitation vor Pension

    2. Abschaffung der befristeten Invaliditätspension99

    3. Die Härtefallregelung

    4. Änderungen beim Tätigkeitsschutz und den vorzeitigen Alterspensionen

  6. Versuch einer Bewertung der Neuregelungen

  7. Ausblick

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Allgemeines

Zunächst sei daran erinnert, dass die Kommission zur langfristigen Pensionssicherung neben den jährlich fällig werdenden Aufgaben der Berechnung des Richtwertes nach § 108f Abs 2 ASVG für das jeweils folgende Kalenderjahr (§ 108e Abs 9 Z 1 ASVG) und der Erstattung eines Gutachtens für die voraussichtliche Gebarung der gesetzlichen PV für die folgenden fünf Jahre (§ 108e Abs 9 Z 2 ASVG), auch alle drei Jahre (so auch 2013) einen Bericht über die langfristige Entwicklung und Finanzierbarkeit der gesetzlichen PV bis zum Jahre 2050 (sogenannte Langfristgutachten) zu erstatten hat. Daneben hat die Kommission im Rahmen eines Monitoring Abweichungen von den im Langfristgutachten angenommenen durchschnittlichen Annahmen über die durchschnittliche Lebenserwartung zum Alter 65 zu ermitteln und bei Abweichungen von mehr als durchschnittlich 3 % hat die Kommission den Mehraufwand zu ermitteln und Vorschläge zu erstatten, wie dieser Mehraufwand – unter Bedachtnahme auf die jeweils zeitlich unterschiedliche Wirkungsweise – auf die Parameter Beitragssatz, Kontoprozentsatz, Anfallsalter, Pensionsanpassung und Bundesbeitrag aufgeteilt werden kann (§ 108e Abs 9 Z 4 ASVG). Dasselbe gilt im Wesentlichen für Abweichungen von den sonstigen demographischen und wirtschaftlichen Annahmen. Ausgangspunkt der Prüfung sind jeweils die gesetzlichen Referenzannahmen, die in Anlage 12 und 13 des ASVG enthalten sind.

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Altbekanntes

Zunächst die Erinnerung an Altbekanntes: Die Zahl der PensionistInnen steigt, die Dauer des Pensionsbezuges verlängert sich mit Zunahme der Lebenserwartung (2011 für einen 60-jährigen Mann weitere 21,7 Jahre, für eine 60-jährige Frau 25,6 Jahre*), ab 2015 gehen voraussichtlich erstmals mehr Menschen in Pension als in den Arbeitsmarkt eintreten* und 2030 wird jeder vierte Österreicher über 65 Jahre alt sein.* Das durchschnittliche Fertilitätsalter (2001: 28,4, 2011: 30 Jahre*) steigt, die Fertilitätsrate stagniert bei 1,43 (2001 1,33; derzeit EU-Schnitt 1,61). Der jährliche Wanderungssaldo, der die niedrige Geburtenrate ausgleichen soll, betrug 1990 noch rund 58.500, 2011 35.600 und könnte – so die Prognosen – 2030 auf 28.736 sinken.* Das Verhältnis der erwerbstätigen Bevölkerung (15–64 Jahre) zur Anzahl der über 65-Jährigen, der 2005 5,4 Mio zu rund 1,3 Mio (also rund 4 : 1) betragen hat und für 2011 mit 5,6 Mio zu 1,4 Mio (ebenso 4 : 1) angenommen wurde, wird sich bis 2050 nach den Referenzprognosen in Anlage 12 zum ASVG auf 4,7 Mio zu 2,4 Mio (also etwa 2 : 1) verschlechtern. Die aktuellen Zahlen weisen aber schon für 2011 ein tatsächliches Verhältnis von 5,21 Mio zu 1,6 Mio (oder 3,25 : 1) aus. Ein Grünbuch der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2010 hebt das Problem hervor, dass das Vollzeiterwerbsleben aufgrund längerer Ausbildungszeiten später und der Ruhestand wegen der vorherrschenden Arbeitsmarktpolitik und dem Umgang mit Alter früher beginnt. Die meisten Menschen – und speziell Frauen – verlassen den Arbeitsmarkt deutlich vor dem Regelpensionsalter. Im Hinblick auf die Prognosen der Bevölkerungsentwicklung hängt für die Finanzierbarkeit der Pensionen also viel davon ab, wie sich in den nächsten 15 Jahren das BIP und – vor allem – wie sich die Beschäftigtenzahl und die Verweildauer der Beschäftigten im Arbeitsmarkt entwickeln werden.

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Das Prognoseszenario

Wir haben es in Bezug auf die Finanzierung der gesetzlichen PV für die nächsten Jahre also mit einem Prognose-Szenario zu tun, bei dem einige harte Fakten und einige weiche Annahmen zusammenspielen: Die demographische Entwicklung und in diesem Zusammenhang auch die Lebenserwartung der über 65-Jährigen werden wohl so eintreten wie vorausberechnet, sofern uns nicht Seuchen, Kriege und andere Katastrophen heimsuchen (die freilich die Finanzlage der PV nicht gerade verbessern würden), wobei die Lebenserwartung angesichts der Dynamik des medizinischen Fortschritts wahrscheinlicher eher höher sein wird. Alle anderen Faktoren, wie die Fertilität bzw der Migrationssaldo für den erforderlichen „Nachschub“ an Versicherten, ferner die Entwicklung des Arbeitsmarktes hinsichtlich der Beschäftigtenzahl, der diesen „Nachschub“ aufnehmen und zu BeitragszahlerInnen machen soll, sowie die allgemeine Wirtschaftsentwicklung, die den Arbeitsmarkt entsprechend voranbringen sollte und davon abhängig die Entwicklung des BIP, aus dem die Steuermittel für den Bundeszuschuss zur Pensionsfinanzierung kommen sollen, sind eher weich und hängen von zahlreichen Imponderabilien ab.

Am ehesten steuerbar ist noch der Migrationssaldo, der freilich eine planvolle Einwanderungspolitik voraussetzen würde, die es in Österreich im Wesentlichen nicht gibt. Vorausgesetzt wäre freilich, dass der Migrationssaldo nicht etwa die Zahl der Arbeitslosen, sondern die der Beschäftigten erhöhen bzw einen wachsenden Bedarf an Arbeitskräften decken sollte. Man hat aber demgegenüber den Eindruck, dass sich die Einwanderung in Österreich – soweit sie100 nicht Angehörige eines Mitgliedstaates der EU betrifft, die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen – eher zufällig aus Personen, die politisches Asyl erhalten, aus Personen mit Langzeitaufenthalten im Zusammenhang mit schleppenden Asylverfahren, die wegen des verfassungsrechtlichen Schutzes des Privat- und Familienlebens gem Art 8 EMRK Anspruch darauf erworben haben, hier bleiben zu dürfen, und aus Personen zusammensetzt, die zwar kein Asyl erhalten, aber in Österreich subsidiären Schutz vor der Ausweisung in ihr Heimatland wegen der dort bestehenden Gefahr einer Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung genießen. Nicht zu vergessen sind die im Rahmen der Familienzusammenführung nachrückenden oder mitgewanderten Familienangehörigen. Sich gut und schnell integrierende ausländische Nicht-EU-BürgerInnen, die keine der genannten Voraussetzungen erfüllen, aber -wie sie zum Teil faktisch schon unter Beweis stellen – gute Chancen am Arbeitsmarkt hätten, haben demgegenüber wenig Chancen. Mit der Rot-Weiß-Rot-Card kann sich aufgrund ihrer restriktiven Voraussetzungen nicht einmal ein/e AusländerIn mit durchschnittlich guter Ausbildung hier niederlassen.

Die Sozialversicherungsverwaltung scheint optimistisch anzunehmen, dass die Geburtenhäufigkeit und die Migrationsbewegungen die tatsächliche demographische Entwicklung dämpfen werden, dass das bestehende Potential zur Entwicklung der Erwerbsbeteiligung noch nicht ausgeschöpft ist und dass die gesamtwirtschaftliche Entwicklung (Wachstum, Arbeitsproduktivität, Beschäftigungsentwicklung) den sozialpolitischen Finanzierungsspielraum mittelfristig erhalten wird.* Dafür spricht aber nur die bisherige Entwicklung. Die Pensionsbelastungsquote in den letzten zehn Jahren ist aufgrund einer parallel verlaufenden steten Zunahme der Beschäftigtenzahl offenbar nicht gestiegen: auf 1.000 Versicherte entfallen relativ konstant 620 PensionsbezieherInnen (2001: 621), obwohl die Zahl der Pensionen bei der Alterspension im selben Zeitraum von rund 1,3 Mio auf 1,52 Mio gestiegen ist und die Pensionen aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit von 145.000 auf 211.144. Der Bundesbeitrag zur PV pendelt seit 2001 (1,9 % des BIP) um die 2 % des BIP (2011: 2,2).* Die demographisch induzierte Herausforderung der nächsten Jahrzehnte wird aber mit der bisherigen Entwicklung nicht vergleichbar sein.

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Begrenzte Steuerungsmöglichkeiten der Politik

Es liegt auf der Hand, dass die Nachhaltigkeit der demographischen Entwicklung während der nächsten 30 Jahre ein Drehen an den Parametern mit direkter Hebelwirkung erfordern würde, also im Ergebnis eine wiederholte Beitragserhöhung, eine Verminderung des Bemessungssatzes und damit der Pensionen, oder eine Erhöhung des Bundeszuschusses. Jede dieser drei Maßnahmen ist – abgesehen von gesamtwirtschaftlichen Einwänden – wenig populär und wird von den verschiedenen Interessenverbänden der DG und der DN aus unterschiedlichen, mitunter aber auch guten Gründen abgelehnt und dürfte daher – sieht man von kleineren Korrekturen ab – kaum mehrheitsfähig sein. Ebenso wenig mehrheitsfähig dürften derzeit die jüngst verstärkt propagierten Ideen einer gänzlichen Systemumstellung sein, die auf beitragsorientierten versicherungsmathematischen Modellen, wenngleich unter Beibehaltung des Umlageverfahrens, basieren und im Kern vorsehen, dass der konkrete Pensionsanspruch von der Summe einer (virtuell verzinsten) Beitragsleistung einerseits und der aktuellen Lebenserwartung im Zeitpunkt des Pensionsantrittes andererseits abhängen und so die Pensionshöhe in Abhängigkeit von der Lebenserwartung gleichsam automatisch regulieren soll.

Was den Parameter Pensionsanpassung betrifft, ist man offenbar zu Eingriffen bereit, da eine Auslieferung der Pensionshöhe an die „Kürzung durch Preisentwicklung“, also an die Inflation, innerhalb gewisser Grenzen eher „staatsfern“ wirkt und im Zweifel anderen zugerechnet wird, sofern nur am unteren Rand der Pensionsskala ausreichend Armutsbekämpfung betrieben wird. Also erhöht man die niedrigeren Pensionen, vor allem die Ausgleichszulagen, stärker als die höheren Pensionen. Was auch den Charme hat, dass damit eine Zunahme der Spreizung zwischen niedrigen und hohen Pensionen vermieden wird und man noch dazu die gute alte Grenznutzentheorie für sich reklamieren kann. Damit allein werden zwar die Pensionen auf Dauer nicht zu sichern sein, immerhin führte aber diese Vorgangsweise dazu, dass die Pensionsanpassung zwischen 1992 und 2012 um knapp 10 Prozentpunkte hinter dem Verbraucherpreisindex zurückgeblieben ist, während die Ausgleichszulage gegenüber diesem Index im selben Zeitraum um 22 Prozentpunkte zulegte.* Das 2. Stabilitätsgesetz 2012 reduziert den Anpassungsfaktor für die Pensionen für 2013 um einen Prozentpunkt und für 2014 um 0,8 Prozentpunkte (§ 666 Abs 3 ASVG).

Somit bleibt als eine der wichtigsten „Schrauben“, an denen nach der Auffassung fast aller Verantwortlichen zur Sicherung der Pensionen gedreht werden soll und kann, das Pensionsantrittsalter, bei dem wir Vorletzte vor Luxemburg in der Statistik der EU sind, aber immerhin mit eher knappem und daher nicht unaufholbarem Rückstand auf einige vor uns liegende Länder.* Das durchschnittliche Pensionsantrittsalter lag 1975 noch bei 61,8, sank dann ab bis auf den Rekordtiefstwert von 58,2 im Jahre 1998 und lag zuletzt 2011 bei 58,3.* Bei Invaliditätspensionen sind die Zahlen deutlich dramatischer: Das Pen sionsantritts alter in dieser Kategorie beträgt 2011 bei Männern nur 53,7, bei Frauen gar nur 50,1 Jahre (Tiefststand 1996/97 mit rund 49 bzw 48).* Frühpensionierungen sind allenfalls bei den Betroffenen, nicht aber beim Rest der Bevölkerung populär. Die mittel-101fristige deutliche Anhebung des Pensionsantrittsalters in Richtung des 62. Lebensjahres gilt daher als der Königsweg zur langfristigen Sicherung der Pensionen. Nur: Das Problem dabei ist, dass das faktische Pensionsantrittsalter ua von einer Allianz der Beschäftigten und der BeschäftigerInnen beim Ausscheiden aus der Erwerbsarbeit entscheidend beeinflusst zu werden scheint und sich insoweit nur beschränkt gesetzlich steuern lässt, außer durch eine Verschärfung der Grenzziehungen bei der Zugänglichkeit zu den einzelnen Pensionsarten.

Die Zahlen über das Pensionsantrittsalter bei den Invaliditätspensionen und die Bedeutung der Verweildauer der versicherten Personen im Arbeitsmarkt für die Finanzierung der PV legten es nahe, dass sich der Gesetzgeber in erster Linie eine Reform der Invaliditätspensionen zum Ziel gesetzt hat. Was bedeutet nun die Reform der gesetzlichen PV seit dem Budgetbegleitgesetz 2011 vor diesem Hintergrund?*

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Das Reformkonzept des Gesetzgebers*
5.1
Rehabilitation vor Pension

Beginnend mit dem Budgetbegleitgesetz 2010 erfolgte zunächst insofern ein Paradigmenwechsel, als der Grundsatz „Rehabilitation vor Pension“ von einer Leitlinie für den Vollzug zu einem Vorrang der Rehabilitation vor der Invaliditätspension (IP) auch in rechtlicher Hinsicht mutierte. Gem § 253e Abs 1 erster Satz ASVG (bzw § 270a ASVG) idF dieser Novelle haben versicherte Personen Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation (§ 303), wenn sie infolge ihres Gesundheitszustandes die Voraussetzungen für die IP (§ 254 Abs 1) erfüllen, wahrscheinlich erfüllen oder in absehbarer Zeit erfüllen werden. Gleichzeitig wurde in § 254 Abs 1 Z 1 und 2 ASVG der Anspruch auf eine IP – abgesehen von sonstigen Voraussetzungen – davon abhängig gemacht, dass kein Anspruch auf berufliche Rehabilitation nach § 253e Abs 1 und 2 besteht oder die Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nach § 253e Abs 3 nicht zweckmäßig oder nach § 253e Abs 4 nicht zumutbar sind und die Invalidität voraussichtlich sechs Monate andauert oder andauern würde.

5.2
Abschaffung der befristeten Invaliditätspension

Mit dem SRÄG 2012 wird ab 1.1.2014 insofern ein weiterer Schritt gesetzt, als es künftig keine befristete IP mehr geben wird. An deren Stelle tritt bei vorübergehender Invalidität von zumindest sechs Monaten und wenn Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht zweckmäßig oder nicht zumutbar sind, ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld (im Ausmaß des Krankengeldes – Näheres § 143a Abs 2 ASVG) aus der KV, das gleichwohl vom Pensionsversicherungsträger dem Grunde nach zuerkannt und entzogen wird (§ 143a Abs 1 letzter Satz ASVG) und die Bereitschaft der versicherten Person zur Mitwirkung bei der medizinischen Rehabilitation voraussetzt (§ 143a Abs 4 ASVG). Personen, für die festgestellt worden ist, dass vorübergehende Invalidität im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegen wird, haben künftig Anspruch auf medizinische Rehabilitation, wenn dies zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit notwendig und infolge des Gesundheitszustandes zweckmäßig ist (§ 253 f Abs 1 ASVG).

Ein dauernder Invaliditätspensionsanspruch besteht ab 1.1.2014 nur mehr dann, wenn die Invalidität bleibend vorliegt (dh auch durch Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation nicht mehr zu beseitigen ist) und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nicht zweckmäßig oder nicht zumutbar sind. Keinen Anspruch auf IP gibt es daher, wenn entweder die Invalidität von vornherein nicht besteht, oder zwar besteht, aber durch Maßnahmen medizinischer Rehabilitation (dann ist sie keine dauernde, sondern ein Fall für Rehabilitationsgeld) oder durch eine adäquate berufliche Umschulung (§ 303 Abs 4 ASVG – keine wesentliche Unterschreitung des Qualifikationsniveaus ohne Zustimmung der versicherten Person – Anspruch auf Umschulungsgeld gem § 39b AlVG) verhindert oder beseitigt werden kann. Nach den Materialien* sind davon rund 7.000 Invaliditätspensionen betroffen, die bisher im Durchschnitt jährlich zuerkannt wurden, und man rechnet mit einer Rehabilitationsquote von 80 %.

Diese Änderungen im Invaliditätspensionsrecht durch das SRÄG 2012 gelten für alle Personen, die am 1.1.2014 das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, also jene, die am 1.1.1964 oder später geboren sind (§ 669 Abs 1 Z 2 ASVG). Für die am 1.1.2014 zumindest 50-Jährigen (also für die vor dem 1.1.1964 Geborenen) gilt das bisherige Recht idF vor dem SRÄG 2012 (also Anspruch auf berufliche Rehabilitation vor Pension, befristete Invaliditätspensionen aber weiterhin möglich) weiter (§ 669 Abs 5 ASVG). Personen, die am 31.12.2013 im Bezug einer befristeten IP standen, bleibt diese bis zum Ablauf der Befristung erhalten (§ 669 Abs 6 ASVG).

5.3
Die Härtefallregelung

Für Versicherte ohne besondere Berufsausbildung, die älter als 50 Jahre alt sind, 30 Versicherungsjahre, davon 20 Jahre der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit erworben haben und zuletzt mindestens zwölf Monate arbeitslos gemeldet gewesen sind (aber noch nicht in den Tätigkeitsschutz des § 255 Abs 4 fallen, der derzeit erst mit dem 57. Lebensjahr einsetzt), wurde eine Härteregelung geschaffen, die eine Verweisung auf andere Berufe (wie Portier oder MuseumsdienerIn) ausschließt, wenn nur mehr Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil, die auf dem102 Arbeitsmarkt noch bewertet sind, ausgeübt werden können und zu erwarten ist, dass ein Arbeitsplatz in einer der physischen und psychischen Beeinträchtigung entsprechenden Entfernung von ihrem Wohnort innerhalb eines Jahres nicht erlangt werden kann. Tätigkeiten „mit geringstem Anforderungsprofil“ sind gesetzlich definiert (§ 255 Abs 3b ASVG) als leichte körperliche Tätigkeiten, die bei durchschnittlichem Zeitdruck und vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden „und/oder“ mehrmals täglich einen Haltungswechsel ermöglichen.

Was mit dem eher undeutlichen „und/oder ... ermöglichen“ im Gesetzestext gemeint ist, ist unklar: Die beiden Fallgruppen haben gemeinsam, dass die Arbeitsfähigkeit der versicherten Person schon so weit herabgesetzt ist, dass sie nur mehr vorwiegend (dh zu mindestens zwei Drittel der Arbeitszeit*) im Sitzen arbeiten kann. Die Voraussetzung, dass diese Tätigkeit (arg „und“) zusätzlich wechselnde Körperhaltungen ermöglicht, wäre nach dem Wortlaut für eine/n unbefangene/n LeserIn eher so zu verstehen, dass im Rest (einem Drittel) der Arbeitszeit auch andere Körperhaltungen vorkommen können, aber nicht müssen. Wenn also zur Gänze nur mehr im Sitzen gearbeitet werden kann und ein Wechsel zu anderen Körperhaltungen nicht möglich, aber auch nicht erforderlich ist, dann würde bei dieser Auslegung die Härtefallregelung greifen, da eine solche Person – wenn auch auf andere Weise – gesundheitlich stärker eingeschränkt sein wird als eine Person, die (nur) vorwiegend im Sitzen, daneben aber auch noch in anderen Körperhaltungen, arbeiten kann. Ivansits/Weißensteiner* sehen das anders und verstehen die Definition des Abs 3b nicht als bloße Beschreibung der in Betracht kommenden Tätigkeiten, sondern gleichsam als Spiegel der gesundheitlichen Einschränkungen beim „Härtefall“. Als eine Tätigkeit vorwiegend im Sitzen ist nach ihrer Auffassung nur eine solche Einschränkung zu verstehen, die Arbeit im Sitzen nicht am Stück ermöglicht, sondern zusätzlich einen Wechsel der Körperhaltung erfordert. Das „und“ meint nach dieser Auffassung, dass ein Haltungswechsel während der Tätigkeit möglich ist und das „oder“ meint, dass es der Arbeitsablauf zwar nicht ermöglicht, die Tätigkeit in anderer Haltung auszuüben, wohl aber sie zugunsten eines Haltungswechsels zu unterbrechen.*

Es sind also nicht etwa Tätigkeiten gesucht, die diesen Einschränkungen entsprechen, sondern gemeint ist, dass bei dieser Art von Einschränkungen eine Verweisung nicht mehr in Frage kommt, sondern Invalidität vorliegt. Ob eine Näherin (die als Beispiel angeführt wird) eine Unterbrechung der Tätigkeit zwecks Haltungswechsel durch mindestens ein Drittel der Arbeitszeit ohne besondere Nachsicht des/der DG vornehmen kann, darf allerdings bezweifelt werden.* Mit Nachsicht des/der DG wäre sie allerdings bei einer erforderlichen Unterbrechung der Arbeitstätigkeit im Ausmaß von jeweils einem Drittel der Arbeitszeit auch ohne Härteregelung invalid iSd Gesetzes. Näher läge es daher, wenn die Fallgruppe 1 („und“) die Einschränkung „überwiegend im Sitzen“ auch am Stück genügen lässt, während bei der Fallgruppe II („oder“) hingegen zwar auch vorwiegend nur mehr im Sitzen gearbeitet werden kann, dies jedoch im Gegensatz zur ersten Fallgruppe nur über die Arbeitszeit verteilt, wobei die Sitzhaltung durch andere Körperhaltungen regelmäßig unterbrochen werden muss.

Der OGH scheint zwar in einigen Teilen der Begründungen seiner Rsp der Literaturmeinung vorerst nicht zu folgen, denn er erwähnt als Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil leichte Tätigkeiten vorwiegend in sitzender Haltung und bei durchschnittlichem Zeitdruck, wobei ein Haltungswechsel möglich sein muss und setzt dann fort, dass die Regelung für Versicherte gilt, „die ein sehr stark medizinisch eingeschränktes Leistungskalkül haben (das heißt nur mehr leichte Tätigkeiten im Sitzen oder in einem nichtkontinuierlichen Arbeitsablauf ausüben können)*. Der OGH scheint also zunächst eine Einschränkung auf leichte Tätigkeiten im Sitzen auch ohne Haltungswechsel genügen zu lassen, er schließt sich aber im weiteren Verlauf der Begründung bei Auslegung der Wendung „und/oder“ letztlich der Auffassung von Ivansits/Weißensteiner „bei unklarer Gesetzeslage“ an.* Die dadurch auf ganz wenige Fälle beschränkte Härtefallregelung gefährdet jedenfalls nicht den Erfolg der Reform.

5.4
Änderungen beim Tätigkeitsschutz und den vorzeitigen Alterspensionen

Mit dem 2. Stabilitätsgesetz BGBl I 2012/35 wurde schließlich mit 1.1.2013 (§ 666 Abs 1 Z 2 ASVG) an direkten Stellschrauben für das Pensionsantrittsalter gedreht: Es wird das Mindestalter für den Tätigkeitsschutz iSd § 255 Abs 4 ASVG (also für den leichtesten Zugang zur IP) vom 57. auf das 60. Lebensjahr im Jahre 2017 etappenweise angehoben. Andererseits wurden die besonderen Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension und die bis zum Jahr 2017 auslaufende (und insb für weibliche103 Versicherte relevante) vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer geändert: Die erforderliche Anzahl der Versicherungsmonate wird schrittweise von 2013 bis 2017 bei der Korridorpension von 450 auf 480 Versicherungsmonate erhöht (§ 25 Abs 2 APG); dies ebenso bei der Langzeitversichertenpension, und zwar für Männer von 450 auf 480 und für Frauen von 420 auf 450 Versicherungsmonate. Durch diese Verschärfungen der Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension sowie für die vorzeitige Alterspension für Langzeitversicherte wird bei den davon betroffenen Gruppen ein späterer Pensionsantritt sichergestellt, soweit nicht in ein Ausweichen in die IP möglich ist.

6
Versuch einer Bewertung der Neuregelungen

Die Neuregelungen bei der IP sind insgesamt insofern innovativ, als der „Vorrang der Rehabilitation vor Pension“ nicht länger eine bloße Zielvorgabe für die Verwaltung ist (wie seit dem Strukturanpassungsgesetz 1996), sondern die Rehabilitation nunmehr absoluten Vorrang genießt. Sie ist keine Wahlleistung, sondern eine vorrangige Pflichtleistung statt der IP, und tritt in bestimmten Konstellationen (wenngleich verbunden mit Geldleistungen aus der KV bzw aus der AlV) gänzlich an deren Stelle. Der reaktiv versorgende wird gewissermaßen zum aktiv vorsorgenden Sozialstaat. Gewiss ein Paradigmenwechsel,* wenngleich aus der Not eines zu frühen durchschnittlichen Pensionsantrittsalters am Vorabend dramatischer demographischer Veränderungen geboren.

Eine gewisse Schwäche des Systems mag darin liegen, dass bei Versicherten nach dem ASVG der Pensionsversicherungsträger zwar das Monopol auf die medizinische Begutachtung hat und zur Entscheidung über die zu treffenden Maßnahmen zuständig ist, diese Maßnahmen aber (ab 1.1.2014 für die davon betroffenen Jahrgänge der unter 50-Jährigen) vom Träger der KV (medizinische Rehabilitation) bzw vom AMS (berufliche Rehabilitation) durchgeführt werden. Auf die sich in diesem Zusammenhang ergebenden Probleme wird an anderer Stelle in diesem Heft hingewiesen. *

Voraussetzung für eine IP ist also nunmehr, dass Invalidität bzw Berufsunfähigkeit aufgrund des körperlichen oder geistigen Zustandes voraussichtlich dauerhaft (und nicht bloß vorübergehend) vorliegt und überdies berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nicht zweckmäßig oder nicht mehr zumutbar sind. Die erwähnten neuen Geldleistungen werden dementsprechend dann gewährt, wenn Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation erfolgversprechend bzw jene zur beruflichen Wiedereingliederung zweckmäßig und zumutbar sind. Die aktive Mitwirkung der Betroffenen ist gesetzlich angeordnet (§ 366 Abs 4 ASVG). Die Begutachtungen erfolgen über einheitliche Kompetenzzentren (eines für den Bereich des ASVG und ein ebensolches für den Bereich des GSVG und des BSVG).

Man kann die Neuregelung von zwei Seiten betrachten. Zuerst die finanzielle: Soweit die IP abgeschafft wird, sollen nach den Gesetzesmaterialien Mehrkosten in der KV und in der AlV (plus 87 Mio € bis 2018) anfallen. Der Gesetzgeber erwartet auf der anderen Seite über die nächsten fünf Jahre Einsparungen im Rahmen der PV bis zu 120 Mio € im Jahre 2018 und aus dem längeren Verbleib medizinisch und beruflich rehabilitierter Personen im Arbeitsmarkt im Ausmaß zwischen 1.800 (2015) und 8.400 (2018) zunehmende Mehreinnahmen an Steuern und Beiträgen in der jährlichen Höhe von 22 Mio € jährlich im Jahre 2015, ansteigend bis 2018 auf 105 Mio €.* Die Gesamteinsparungen sollen 210 Mio € im Jahre 2018 erreichen.

Diese Entwicklung hängt freilich vom Eintreffen der prognostizierten Mengengerüste ab, insb von der Zahl der erfolgreich von der Invaliditätsnähe in den Arbeitsmarkt zurückrehabilitierten Versicherten. Ob diese Annahmen zutreffen, hängt auch vom Antragsund Rehabilitationsverhalten der Versicherten ab, deren Willigkeit erfahrungsgemäß mit zunehmender Nähe zum Pensionsalter abnimmt. Die Zahlen der über 50-Jährigen, die 2011 in Umschulung begriffen waren, betrugen nur 1/6tel bzw 1/5tel im Verhältnis zu den 20- bis 30-Jährigen bzw zu den 31- bis 40-Jährigen. Das Jahr 2011 wird zwar für die Wirksamkeit des ersten Schrittes mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 noch nicht wirklich signifikant sein, die Zuerkennungsquote bei Invaliditätspensionen ging aber immerhin in die richtige Richtung, nämlich um rund einen Prozentpunkt auf durchschnittlich 38,1 % (Männer 40,5, Frauen 34,6) gegenüber 2010 zurück.* Unabhängig davon sollten diese Maßnahmen, die einem Teil der Versicherten den Weg in die IP verschließen, schon deshalb jedenfalls in der Tendenz geeignet sein, das faktische Pensionsantrittsalter anzuheben.

7
Ausblick

In welchem Ausmaß das Ziel der Reform erreicht wird, bleibt abzuwarten. Wir haben es nämlich mit einer Reform zu tun, die – siehe die oben erwähnten Maßnahmen des 2. Stabilitätsgesetzes 2012 (Art 49 – 77. ASVG-Novelle) in Bezug auf den Tätigkeitsschutz und die Änderung bei den Anforderungen an die „Hacklerpension“ – einerseits an den direkt wirksamen Hebeln der vorzeitigen Alterspensionen rührt, und überdies vorerst die Invaliditätspensionen (und zwar jedenfalls die befristete IP und die IP bei Tätigkeitsschutz ab 57) schrittweise zurückdrängt. Diese Maßnahmen werden zwangsläufig einen positiven Effekt auf das Pensionsantrittsalter haben. Inwieweit sie im Hinblick auf die neu geschaffenen Leistungen auch in die richtige Richtung budgetwirksam sein werden, muss man abwarten. Zwischen den Hebeln des Gesetzes und den erwarteten Auswirkungen sind aber auch „Schlottergelenke“ enthalten, die zumin-104dest befürchten lassen, dass die für die Rehabilitation und andere Maßnahmen aufgewendete Energie nicht Effekte im Ausmaß 1:1 (bzw nach der Absicht des Gesetzgebers von 80 % in den Arbeitsmarkt zurückrehabilitierten Personen) haben wird.

Trotzdem sollte man dieser Reform grundsätzlich die Chance geben, sich zu bewähren, ehe man an weitere, allenfalls auch dramatischere Schritte denkt. Mehr ist in einem Wahljahr im Übrigen ohnehin nicht zu erwarten. Nachteilig ist freilich, dass die Effekte der Reform der IP zum Teil erst nach Ablauf des Jahres 2014, wahrscheinlich aber noch später einigermaßen überblickbar sein werden. Sowohl die kommende als auch die darauf folgende Langfristprognose der Kommission, die schon 2014 zu erstatten sein wird, wird sich da noch weitgehend im Ungefähren bewegen (nach der Novellierung des § 108e Abs 9 Z 3 durch das SRÄG 2013 mit 1.1.2014 ist die Langfristprognose künftig im Gleichschritt mit dem einschlägigen Bericht der EU – weiterhin – im Dreijahresrhythmus beginnend mit 2014 zu erstatten*). Erst für die Langfristprognose 2017 wird man wissen, ob und in welchem Ausmaß die bisherigen Maßnahmen das effektive Pensionsantrittsalter tatsächlich angehoben haben.

Darüber hinaus könnten weitere, gerade in der Pipeline befindliche Maßnahmen (RV zum Entwurf eines BG über Maßnahmen zur Förderung der Weiterbildung) zum längeren Verbleib von Beschäftigten in der Erwerbsarbeit beitragen, wobei als Zielvorstellung aus meiner Sicht die Maßnahmen zur Förderung von Schulung, Umschulung und Weiterbildung bestmöglich auf jene Parameter fokussiert werden sollten, die Gefährdungen in Richtung Frühinvalidisierung befürchten lassen.

Was es darüber hinaus aber braucht, ist eine Änderung des öffentlichen Klimas in diesem Bereich: Länger im Erwerbsleben bleiben, um dann mit 65 eine ansehnliche Ersatzrate des Einkommens als Pension zu beziehen, sollte der Normalfall sein. Maßstäbe für ein solches Klima, die uU auch eine gewisse psychologische Wirkung auf das Antragsverhalten entfalten können, vermag durchaus der Gesetzgeber vorzugeben: Auch insofern scheint mir die Reform der IP in die richtige Richtung zu gehen. Dazu braucht es aber auch DG, welche die Erfahrung älterer AN schätzen, und DN mit hoher Arbeitsplatzzufriedenheit, die wieder die Einhaltung der Grundsätze der Arbeitsergonomie, aber auch Arbeitsbedingungen erfordert, in denen man sich nicht durch Personalkürzungen und entsprechender Arbeitsvermehrung ständig von Überforderung bedroht sieht. Dazu sollte es aber auch Mittel und Anreize geben, die spätestens um das 50. Lebensjahr (oder früher) einsetzen und die Versicherten unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und ihrer Neigungen durch Schulung, Umschulung oder Nachschulung für die letzten 15 Jahre des Berufslebens geistig und körperlich fit halten.105