„Sippenhaftung“ im Arbeitsverhältnis?

BARBARASALASCH (WIEN)

Ausgehend von einem konkreten Sachverhalt befasst sich der vorliegende Artikel mit der Fragestellung, inwiefern ein AN im Rahmen des Arbeitsverhältnisses auch für das Verhalten von Familienmitgliedern im direkten Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis einzustehen hat. Neben einer allgemeinen Betrachtung der Entlassungsgründe in Bezug auf die Frage nach einer möglichen „Sippenhaftung“ im Arbeitsverhältnis werden im Speziellen die Entlassungsgründe der Gewerbeordnung 1859 (GewO) unter diesem Aspekt näher untersucht.

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Entlassung als Ausgangsfall

Die nachfolgenden Überlegungen knüpfen an folgende Fallkonstellation an:

Ein Arbeiter ist als LKW-Fahrer beschäftigt und beliefert für den AG Supermarktfilialen eines Kunden des AG. Der AN nimmt einmal – mit Zustimmung des AG – seinen Sohn bei der Ausliefertätigkeit im LKW mit. Während der LKW bei einer Filiale entladen wird, bemerkt der AN nicht, dass sein Sohn in der Zwischenzeit das Fahrzeug verlässt und in den Supermarkt geht. Der Sohn begeht dort einen Diebstahl, wobei er entdeckt wird. Als Folge dieses Vorfalls spricht der AG die Entlassung aus.

Somit stellt sich die Frage, ob in diesem Fall ein Entlassungsgrund vorliegt oder ob die Entlassung als unberechtigt zu qualifizieren ist. Bei der nachfolgenden Darstellung wird der Schwerpunkt auf die Entlassungstatbestände nach der GewO gelegt. Es soll aber auch ein kurzer Blick auf die Entlassung nach § 27 AngG vorgenommen werden, um Unterschiede zu beleuchten, die sich ergeben könnten, wenn sich ein ähnlicher Sachverhalt im Zusammenhang mit einem Angestelltendienstverhältnis ereignet.

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Rechtliche Grundlagen der Entlassung

§ 1162 ABGB* regelt ganz allgemein, dass ein Dienstverhältnis bei Vorliegen eines wichtigen Grundes von jedem Teil vorzeitig gelöst werden kann. Für die Auslegung dieser Generalklausel ist von Relevanz, ob für den betreffenden Vertragspartner angesichts der vorliegenden Umstände eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist oder bei befristeten Verträgen für die restliche vereinbarte Zeit unzumutbar ist.* Diese Wertung liegt ebenfalls den Entlassungsgründen nach § 82 GewO und § 27 AngG zu Grunde. Eine vorzeitige Auflösung kann nur dann berechtigt erfolgen, wenn die vorliegenden Gründe von derart schwerwiegender Natur sind, dass die weitere Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses nicht einmal für die Dauer der Kündigungsfrist zumutbar ist, wobei die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung als begriffsimmanentes Merkmal zu sehen ist.* Eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund soll gewissermaßen die ultima ratio sein.*

Der OGH hält ebenfalls in stRsp fest, dass es entscheidend ist, ob das Verhalten des AN nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise – also nicht nach dem subjektiven Empfinden des einzelnen AG, sondern nach objektiven Grundsätzen – als so schwerwiegend angesehen werden müsse, dass175 das Vertrauen des AG derart heftig erschüttert werde, dass ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden könne.*

2.1
Entlassungsgründe nach § 82 GewO 1859

Die Entlassung im Arbeiterverhältnis richtet sich nach § 82 GewO, welcher nach hA* und stRsp* eine taxative* Auflistung der Entlassungsgründe enthält. Wenn auch in der Judikatur die Tatbestände des § 82 GewO durchaus in einer funktionalen und zeitgemäßen Weise ausgelegt werden, so ist dennoch die Grenze des äußerst möglichen Wortsinns zu beachten.

Der OGH hat dazu Folgendes festgehalten:

„Auch wenn gelegentlich formuliert wurde, eine ‚ausdehnende Anwendung‘ auf einen nach Beschaffenheit und Bedeutung gleichwertigen Tatbestand sei zulässig, kommt lediglich eine an die Grenzen des Wortsinns heranreichende (weite) Auslegung unter Berücksichtigung des erkennbaren Gesetzeszweckes in Betracht, nicht aber eine sinngemäße Anwendung auf ähnlich gelagerte, vom Wortsinn der Norm jedoch nicht erfasste Sachverhalte.“*
2.2
Entlassungsgründe nach § 27 AngG

Der die Entlassungsgründe betreffend Angestellte näher konkretisierende § 27 AngG stellt eine demonstrative* Aufzählung dar. Somit kann selbst ein dort nicht genannter Grund insofern ebenfalls zur Entlassung berechtigen, als er sich in seiner objektiven Betrachtung als den ausdrücklich angeführten gleichwertig bewerten lässt. Bei der Frage nach der Gleichwertigkeit kommt die zuvor genannte Generalklausel der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zum Tragen.*

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„Arbeitsrechtliche Haftung“ für Verhalten von Familienmitgliedern?

Wieder auf den Ausgangsfall zurückkommend ist festzuhalten, dass im vorliegenden Fall ein Arbeiterdienstverhältnis vorliegt, sodass die Frage nach einer rechtmäßig ausgesprochenen Entlassung nach § 82 GewO zu beurteilen ist. Im Gegensatz zu der auf Angestellte anzuwendenden Rechtslage (vgl § 27 Z 1 dritter Fall AngG) kennt die GewO keinen allgemeinen Entlassungsgrund des Vertrauensverlustes bzw der Vertrauensunwürdigkeit.* Infolge der taxativen Systematik und des Fehlens eines allgemeinen Entlassungsgrundes der Vertrauensunwürdigkeit kann daher allenfalls eine Entlassung nach § 82 Abs 1 lit d oder lit f zweiter Fall GewO in Betracht kommen.

3.1
Tatbestand strafbare Handlung

Selbst bei der zuvor angeführten ausdehnenden Anwendung auf einen nach Beschaffenheit und Bedeutung gleichwertigen Tatbestand ist die Auslegungsgrenze des äußerst möglichen Wortsinns zu wahren, sodass die aktive Formulierung* eindeutig nur einen vom AN selbst begangenen Diebstahl bzw eine sonstige ihn des Vertrauens unwürdig machende strafbare Handlung, die der Arbeiter selbst begangen hat, erfasst. Eine auf § 82 Abs 1 lit d GewO gestützte Entlassung könnte somit nur zum Tragen kommen, wenn der AN etwa den Sohn zum Diebstahl angestiftet hat und daher Beitragstäter ist oder einen vom Sohn angekündigten schweren oder gewerbsmäßigen Diebstahl nicht zu verhindern versucht, da in diesem Fall eine Strafbarkeit seinerseits nach § 286 StGB (Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung) in Frage kommt. Während ursprünglich beim Tatbestand des Diebstahls die Vertrauensunwürdigkeit als begriffsimmanent vorausgesetzt galt und man diese nur bei anderen Straftatbeständen extra prüfen musste, wird mittlerweile auch beim Diebstahl differenziert und vermehrt auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt.* Das bedeutet, dass zunehmend auch bei einem Diebstahl die Vertrauensunwürdigkeit und somit die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zu prüfen ist.* Dies ändert jedoch auch nichts an der Beurteilung, dass eine Entlassung nach dieser Bestimmung nicht in Frage kommt, sofern der AN nicht selbst einen Straftatbestand gesetzt hat. Ein allgemeines Einstehenmüssen für strafrechtliche Handlungen von Familienmitgliedern lässt sich somit nicht mit § 82 Abs 1 lit d GewO begründen.

3.2
Beharrliche Pflichtenvernachlässigung

Nach § 82 Abs 1 lit f zweiter Fall GewO kann ein Arbeiter entlassen werden, wenn er beharrlich seine Pflichten vernachlässigt. Darunter ist jede Nichterfüllung oder nicht gehörige Erfüllung jener mit der Erbringung der Arbeitsleistung verbundenen und zumutbaren Pflichten, die den AN aus dem Arbeitsvertrag, der BV, dem KollV oder dem Gesetz treffen,* zu verste176hen, wobei ein pflichtwidriges und schuldhaftes Verhalten des AN erforderlich ist.* Darüber hinaus muss Beharrlichkeit vorliegen. Nach der Rsp ist Beharrlichkeit dann gegeben, wenn die Pflichtverletzung wiederholt begangen wurde oder wenn die Weigerung als dauernde und endgültige Entscheidung aufgefasst werden muss.*

Im gegenständlichen Fall ist die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten unter dem Aspekt der beharrlichen Pflichtenvernachlässigung zu beurteilen. Aus der allgemeinen Treuepflicht* als arbeitsvertragliche Nebenpflicht auf Seiten des AN lässt sich dessen Verpflichtung ableiten, die Arbeitsleistung unter sorgfältigem Bemühen so zu erbringen, dass für den AN erkennbare Gefahrenquellen betreffend dem AG drohende Schädigungen nach Möglichkeit hintangehalten werden.

Konkret bedeutet dies uU eine erhöhte Aufsichtspflicht des AN gegenüber bei der Arbeit anwesenden Kindern. Dabei wird jedoch einerseits zwischen minderjährigen und volljährigen Kindern zu unterscheiden sein. Andererseits besteht wohl auch dann eine gesteigerte Aufsichtspflicht, wenn es etwa bereits zuvor Diebstahlsvorfälle – gemeint sind solche außerhalb des Ausgangsfalls bzw unabhängig von einer Begleitung des Vaters bei der Arbeit – gegeben hat. Wenn also der AN wusste, dass der Sohn in der Vergangenheit schon einmal einen Diebstahl begangen hat oder einschlägige Vorstrafen hat, so könnte es als zumindest fahrlässiges Verhalten zu qualifizieren sein, ihn unbeaufsichtigt zu lassen bzw überhaupt zur Arbeit mitzunehmen.

Die Verletzung der Aufsichtspflicht alleine reicht jedoch nicht aus, da zur Erfüllung des Tatbestands nach § 82 Abs 1 lit f zweiter Fall GewO noch das Tatbestandsmerkmal der Beharrlichkeit hinzutreten muss. Beachtet man diese Vorgaben, so mangelt es im Ausgangsfall auch an der Tatbestandsmäßigkeit iS dieser Bestimmung, da beim erstmaligen Vorliegen einer Aufsichtspflichtverletzung bzw dem einmaligen Fall kein beharrliches Verhalten vorliegt. Es müsste nach einer Ermahnung durch den AG ein Wiederholungsfall eintreten. Daher wäre ein auf § 82 Abs 1 lit f zweiter Fall GewO gestützter Entlassungsausspruch nicht rechtmäßig.

3.3
Weitere Überlegungen

Es zeigt sich somit, dass ein allgemeiner Entlassungsgrund, der aus einer Art „Sippenhaftung“ für das Verhalten von Familienmitgliedern resultieren könnte, im Rahmen der GewO nicht besteht. Die taxative Aufzählung des § 82 GewO unterbindet eine Erweiterung der Tatbestände. Die aktive, auf ein Verhalten des Arbeiters abstellende Formulierung des § 82 GewO steht weiters in einem logischen Zusammenhang mit einem Grundmerkmal aus der Charakteristik und dem Wesen eines Arbeitsvertrages bzw Arbeitsverhältnisses, nämlich der höchstpersönlichen Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung.* Da der AN die Arbeitserbringung persönlich schuldet und sich nicht vertreten lassen kann, soll logischerweise auch die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich an seinem persönlichen Verhalten gemessen werden.

Bei diesen Ausführungen darf nicht übersehen werden, dass sehr wohl eine sondergesetzliche Bestimmung existiert, welche einen auf das Verhalten von dem AN nahe stehenden Personen abzielenden Entlassungstatbestand kennt, und zwar § 20 Z 2 HausbesorgerG.* Dies erfährt seine Begründung bzw Rechtfertigung jedoch aus den Besonderheiten des Hausbesorgerdienstverhältnisses, welches mit einer Dienstwohnung und daher der Einheit von Wohnort und Arbeitsort einhergeht. Eine analoge Übertragung dieser Wertungen auf die Entlassungsgründe nach § 82 GewO ist ausgeschlossen.* Selbst § 20 Z 2 HausbesorgerG ermöglicht aber eine Entlassung nur unter der Voraussetzung, dass der Hauseigentümer zuvor den Hausbesorger aufgefordert hat, die mögliche Abhilfe zu schaffen. Eine berechtigte Entlassung für Verhalten von Mitbewohnern ist also selbst hier nur denkbar, wenn eine objektive Sorgfaltswidrigkeit des AN selbst hinzutritt, dh der Hausbesorger es unterlässt, mögliche Gegenmaßnahmen zu setzen, sodass das Verhalten der Mitbewohner* per se nicht automatisch zur Entlassung des Hausbesorgers führen kann.

Betrachtet man die Auflistung der Entlassungsgründe in § 82 GewO, fällt weiters auf, dass mit Ausnahme des Tatbestands der Arbeitsunfähigkeit gem § 82 Abs 1 lit b und der abschreckenden Krankheit nach lit h ein Verschulden auf Seiten des AN vorzuliegen hat. Außer in diesen Fällen liegen den Tatbeständen des § 82 GewO jeweils Verhaltensweisen – sei es Handlungen, sei es Unterlassungen – zu Grunde, die dem AN vorwerfbar sind. Ausgehend von dieser allgemeinen Systematik und losgelöst vom Ausgangsfall scheint es mE nicht gerechtfertigt, eine Entlassung auf ein Verhalten weiterer Personen, die dem AN im weitesten Sinn zuzurechnen sind, zu stützen, sofern dem AN nicht selbst eine Sorgfaltswidrigkeit subjektiv vorwerfbar ist.

Außerdem ist zu beachten, dass ein Entlassungsgrund stets von einem derartigen Gewicht sein muss,177 dass es dem AG nicht mehr zumutbar ist, das Dienstverhältnis auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist fortzusetzen.* Unabhängig von der Tatsache, dass das Vorliegen eines Entlassungsgrundes im Ausgangsfall infolge der obigen Ausführungen bereits zu verneinen ist, zeigt auch dieser allgemeine Maßstab für die Schwere einer Vertrauensstörung, dass der AG lediglich die Weisung zu erteilen braucht, dass der AN ab sofort niemanden mehr bei der Arbeit mitnehmen dürfe, um weitere derartige Vorfälle auszuschließen.

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Exkurs: Haftung eines Angestellten für Familienmitglieder?

Diese Wertung kann im Wesentlichen auch auf das Entlassungsrecht im Zusammenhang mit einem Angestelltenverhältnis übertragen werden. Hier ist die Beurteilung zwar insofern nochmals differenzierter, als einerseits die Aufzählung der Entlassungsgründe eine demonstrative ist und anderseits – im Gegensatz zum Entlassungsrecht betreffend Arbeiter – ein allgemeiner Vertrauensunwürdigkeitstatbestand existiert. Als kurzer Denkanstoß ist aber anzumerken, dass auch hier Folgendes gilt: Der Vorfall bzw das Ereignis, mit dem die Entlassung begründet wird, muss von einer solchen Schwere sein, dass dem AG die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann. Bei der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 AngG wird wohl auch bei Diebstahlssachverhalten von Angehörigen davon auszugehen sein, dass keine schwere Vertrauensstörung zwischen AG und AN vorliegt, wenn zB der Angestellte weder zur strafbaren Handlung angestiftet hat noch von vergleichbaren Vorfällen seines Familienmitglieds wusste und auch sonst keine Anhaltspunkte für eine erhöhte Aufsichtspflicht gegeben sind. Es kann somit an die bereits zuvor erfolgten Ausführungen angeknüpft werden.

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Fazit

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im Entlassungsrecht der Arbeiter kein allgemeiner Entlassungstatbestand iS einer unmittelbaren Haftung des AN für das Verhalten seiner Angehörigen besteht. Da § 82 Abs 1 GewO eine taxative Aufzählung der Entlassungsgründe beinhaltet, muss für eine gerechtfertigte Entlassung der Arbeiter direkt ein dort genanntes entsprechendes Verhalten setzen oder die angeführte Eigenschaft (Fälle der Dienstunfähigkeit und der abschreckenden Krankheit) aufweisen. Ein Verhalten von Familienangehörigen in der Sphäre des AG allein kann keine berechtigte Entlassung begründen.