Eine französische Staatsangehörige absolvierte 2001 ihre Schulausbildung, heiratete und zog mit ihrem belgischen Ehemann nach Tournai in Belgien. 2002 meldete sie sich dann arbeitssuchend und beantragte im Juni 2003 Überbrückungsgeld. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass sie nicht vor ihrem Abitur mindestens sechs Ausbildungsjahre an einer Bildungseinrichtung in Belgien zurückgelegt hat. Dies verstößt jedoch, wie der EuGH im Oktober 2012 feststellte, gegen die AN-Freizügigkeit.*
Gegen die AN-Freizügigkeit kann auch ein KollV oder eine BV verstoßen. Dies wurde im Fall Erny festgestellt. * Es ging dabei um einen Altersteilzeitregelung, wonach zusätzlich zur Nettoteilzeitvergütung ein monatlicher Aufstockungsbetrag bezahlt wird, sodass 85 % der pauschalierten Nettovollzeitvergütung erreicht wird. Der Aufstockungsbetrag wird in Deutschland nicht besteuert, in Frankreich jedoch schon. Einem Grenzgänger, der in Deutschland arbeitet, jedoch in Frankreich lebt, verbleiben folglich nicht die pauschal berechneten 85 %, sondern ein um die französische Einkommenssteuer verminderter Betrag. Dies stellt eine unzulässige Diskriminierung von Wander-AN dar.
Ein klassischer Fall einer mittelbaren Diskriminierung auf Grund eines Wohnsitzerfordernisses lag in einem niederländischen Fall vor.* Zugang zu einer Finanzierung ihres Hochschulstudiums in den Niederlanden hatten nach den einschlägigen Vorschriften nämlich grundsätzlich nur niederländische Staatsangehörige oder Personen, die sich in Holland mindestens drei der sechs Jahre, die der Einschreibung für ein Hochschulstudium außerhalb dieses Mitgliedstaats vorangegangen sind, rechtmäßig aufgehalten haben („Drei-von-sechs-Jahren“-Regel).
Als unangemessen und mit Art 45 AEUV nicht vereinbar beurteilte der EuGH auch ein Wohnsitzerfordernis iZm einer Beihilfe zur Einstellung von älteren Arbeitslosen und Langzeitarbeitslosen.* Einem AG mit Sitz in Luxemburg wurde für Frau Schmidt-Krier eine entsprechende Beihilfe mit der Begründung abgelehnt, dass sie nicht seit mindestens einem Monat bei der Arbeitsverwaltung in Luxemburg arbeitssuchend gemeldet sei. Frau Schmidt-Krier war jedoch in Deutschland arbeitssuchend gemeldet. Sie hat stets in Luxemburg gearbeitet und sich nur deshalb in Deutschland arbeitslos gemeldet, weil sie und ihr Mann zwar weiterhin in Luxemburg gearbeitet, ihren Wohnsitz aber nach Deutschland verlegt haben.
Um das Recht auf Daueraufenthalt im Vereinigten Königreich und damit zusammenhängend um Leistungen der Sozialhilfe ging es in einem Verfahren Frau Czop und Frau Punakova betreffend.* Es wurde dabei festgestellt, dass ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht gem Art 16 der RL über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, auch dann besteht, wenn ein Teil der geforderten fünf Jahre Aufenthalt vor dem Beitritt des Herkunftsmitgliedstaats (hier konkret Polen und Tschechien) zur Union zurückgelegt wurde.
Drei Entscheidungen iZm türkischen AN betrafen das Assoziierungsabkommen EWG-Türkei bzw den Beschluss Nr 1/80 des Assoziationsrates. Im Fall Dülger184* ging es um eine thailändische Staatsangehörige, die mehr als drei Jahre mit einem dem regulären Arbeitsmarkt in Deutschland angehörigen türkischen Staatsangehörigen verheiratet war. Später trennte sie sich von diesem und beantragte einen Aufenthaltstitel unter Berufung auf Art 7 des Beschlusses Nr 1/80. Dieser wurde ihr mit der Begründung abgelehnt, dass sich nur türkische Familienangehörige eines türkischen AN auf diese Bestimmung berufen können. Der EuGH lehnte jedoch eine derartige Beschränkung ab, wobei er in der Begründung auch mit dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gem Art 7 der Grundrechtscharta argumentierte. Im Fall Gülbahce* wurde einem türkischen AN rückwirkend seine Aufenthaltserlaubnis entzogen. Diese stütze sich auf die eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen. Wie sich seitens der Behörden Jahre später herausstellte, lebte das Paar jedoch nach etwas mehr als zwei Jahren Ehe getrennt. Die Aufenthaltserlaubnis wurde daher zurückgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war Herr Gülbahce aber bereits seit mehr als einem Jahr bei demselben AG beschäftigt und erfüllte sohin die Voraussetzung gem Art 6 Abs 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr 1/80. Der Entzug der Aufenthaltserlaubnis war daher nicht mehr gerechtfertigt. In der Rs Kahveci und Inan ging es um eine Doppelstaatsbürgerschaft. * Es wurde festgestellt, dass sich die Familienangehörigen eines türkischen AN, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, sich weiterhin auf Art 7 des Beschlusses Nr 1/80 und damit auf das damit zusammenhängende Aufenthaltsrecht berufen können, wenn dieser AN die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaates erhalten hat und gleichzeitig die türkische Staatsangehörigkeit behält.
Die Arbeitsmarktprüfung nach dem österreichischen AuslBG iZm dem Antrag auf eine Beschäftigungsbewilligung für einen bulgarischen Studenten war Gegenstand des Verfahrens Sommer.* Der EuGH kam zum Ergebnis, dass eine nationale Regelung, die vorsieht, dass eine systematische Prüfung des Arbeitsmarktes vorzunehmen ist und dass die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nur zulässig ist, wenn für die vom/von der beantragten AusländerIn zu besetzende offene Stelle weder ein/e InländerIn noch ein/e am Arbeitsmarkt verfügbare/r AusländerIn zur Verfügung steht, der/die bereit und fähig ist, die Beschäftigung auszuüben, mit der RL 2004/14, insb ihrem Art 17, nicht vereinbar ist. Die zitierte RL regelt insb die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zum Studium in der EU und deren Art 17 die Berechtigung zur Erwerbstätigkeit dieser StudentInnen. Der österreichische Gesetzgeber hat auf dieses Verfahren bereits 2011 reagiert.* Ebenfalls auf die österreichische Rechtslage bezog sich ein Vertragsverletzungsverfahren iZm Fahrpreisermäßigungen für Studierende.* Die in einigen Bundesländern vorgesehene Bindung der Fahrpreisermäßigungen an den Bezug österreichische Familienbeihilfen ist mit dem Unionsrecht, insb dem Verbot der Diskriminierung auf Grund der Staatsbürgerschaft, nicht vereinbar.
Für den gemeinsamen Unterricht der Kinder der Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften gibt es seit 1957 besondere Lehranstalten mit der Bezeichnung „Europäische Schule“. Die Vereinbarung über die Satzung dieser Europäischen Schulen aus 1994 ist dahin auszulegen, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass an diese Schulen abgeordnete oder abgestellte LehrerInnen die gleichen Rechte auf Beförderungs- und Ruhegehaltsansprüche genießen wie „nationale“ LehrerInnen.*
Seit der Erweiterung der Union 2004 und der damit im Zusammenhang stehenden zunehmenden Arbeitsmigration gewinnen auch Fragen der Sozialversicherungszuständigkeit an Bedeutung. Ein typisches Beispiel dafür ist die Rs Format Urzadzenia I Montaze Przemyslowe.* Die Firma Format mit Sitz in Warschau ist in mehreren Mitgliedstaaten als Subunternehmerin im Baugewerbe tätig. Es werden AN in Polen eingestellt, um diese je nach Bedarf des Unternehmens und Art der zu verrichtenden Arbeiten zu den in verschiedenen Mitgliedstaaten durchgeführten Bauvorhaben zu entsenden. Ein AN, der zu einer Baustelle entsandt werden soll, erhält eine Anweisung, sich an den Einsatzort zu begeben. Wenn ein Bauvertrag beendet ist und es für diesen AN keine Arbeit mehr gibt, kehrt er nach Polen zurück und erhält unbezahlten Urlaub, oder der Arbeitsvertrag wird aufgelöst. So war es auch im Fall des Herrn Kita. Dieser wurde dreimal auf der Grundlage befristeter Arbeitsverträge beschäftigt. Zuerst 2006 und 2007 ca 1 1/2 Jahre in Frankreich. Danach 2007 ca 1/2 Jahr ebenfalls in Frankreich und zuletzt 2008 einige Monate in Finnland. Nachdem die zuständige polnische Sozialversicherungsanstalt die Ausstellung von E-101 Bescheinigungen* abgelehnt hat, erörterte in weiterer Folge der EuGH den Fall. Er stellte fest, dass die Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts bei der Ausstellung der E-101 Bescheinigung meist auf der Grundlage der voraussichtlichen Beschäftigungssituation des betreffenden AN erfolgt. Neben dem Wortlaut der Vertragsunterlagen kann der Sozialversicherungsträger dabei auch Gesichtspunkte wie die praktische Durchführung von Arbeitsverträgen zwischen dem AG und dem AN in der Vergangenheit, die Umstände beim Abschluss dieser Verträge und ganz allgemein die Merkmale und Modalitäten der von dem betreffenden Unternehmen ausgeübten Tätigkeiten berücksichtigen. Ergibt sich aus anderen relevanten Gesichtspunkten als den Vertragsunterlagen, dass die Situation eines AN tatsächlich von der in diesen Unterlagen beschriebenen abweicht, ist der zuständige Sozialversicherungsträger verpflichtet, seine Feststellungen ungeachtet der Vertragsunterlagen auf die tatsächliche Situation des AN185 zu stützen* und gegebenenfalls die Ausstellung der E-101-Bescheinigung abzulehnen oder zurückzuziehen. In Hinblick auf den Ausgangssachverhalt urteilte er, dass ein AN in einer Situation wie der von Herrn Kita nicht unter den Begriff „Person, die gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten abhängig beschäftigt ist
“ iSd Art 14 Abs 2 Buchstabe b der VO (EWG) 1408/71 fallen kann. Es ist vielmehr der allgemeine Grundsatz der Zuständigkeit des Beschäftigungsortes bzw für die zwischen den Arbeitsverträgen liegenden Zeiträume die Zuständigkeit des Wohnortes anwendbar.* Die Ablehnung der Ausstellung der Entsendebescheinigungen erfolgte daher zu Recht.
Inwieweit kann ein Mitgliedstaat für die Versicherungspflicht nach seinem System der sozialen Sicherheit für Selbstständige den Ort der Ausübung der Tätigkeit der betreffenden Selbstständigen bestimmen? Ausgangspunkt dieser Frage war die unwiderlegbare Vermutung im belgischen Sozialversicherungsrecht, wonach Personen, die als organschaftliche VertreterInnen einer der belgischen Körperschaftssteuer unterliegenden Gesellschaft bestellt sind, in Belgien eine Erwerbtätigkeit als Selbstständige ausüben. Der EuGH anerkannte, dass die gegenständliche Vermutung durchaus geeignet sei, Betrug der sozialen Sicherung zu verhindern, der in der Weise begangen wird, dass sich organschaftliche VertreterInnen von Gesellschaften mit Sitz in Belgien ihre Versicherungspflicht nach dem Sozialstatut der Selbstständigen entziehen, indem sie ihre Tätigkeit künstlich in andere Länder verlegen. Die Unwiderlegbarkeit der Vermutung geht aber über das hinaus, was unbedingt erforderlich ist.*
Herr Salemink, ein niederländischer Staatsangehöriger, war seit 1996 auf einer Gasbohrplattform außerhalb der niederländischen Hoheitsgewässer als Krankenpfleger tätig und als AN pflichtversichert. Im Jahr 2004 verlegte Herr Salemink seinen Wohnsitz von den Niederlanden nach Spanien. Daraufhin wurde er von der Pflichtversicherung ausgeschlossen. Zu Unrecht, denn auf den vorliegenden Fall ist Unionsrecht anwendbar und die einschlägige nationale Regelung ist mit EU-Recht, insb Art 13 Abs 2 Buchstabe a VO (EWG) 1408/71* nicht vereinbar.* Auch Personen, die als AN auf Baggerschiffen beschäftigt sind, welches unter der Flagge eines Mitgliedstaates fährt, fallen grundsätzlich in den Anwendungsbereich der VO (EWG) 1408/71.*
Mit der Berücksichtigung von in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten Kindererziehungszeiten bei Rentenansprüchen setzte sich der EuGH in einem Urteil vom Juli 2012 auseinander.* Frau Reichel-Albert, eine deutsche Staatsangehörige, war bis Ende Juni 1980 in Deutschland erwerbstätig. Danach wohnte sie zusammen mit ihrem Ehemann in Belgien und gebar zwei Kinder in den Jahren 1981 und 1984. Seit Juli 1986 lebt die Familie in Deutschland. Die zuständige deutsche Rentenversicherung lehnte den Antrag auf Anerkennung und Anrechnung von Kindererziehungszeiten, soweit es den Aufenthalt in Belgien betraf, ab. Dies ist aber mit Art 21 AEUV (Freizügigkeit der UnionsbürgerInnen) nicht vereinbar. Die zuständige Einrichtung eines ersten Mitgliedstaates ist verpflichtet, Kindererziehungszeiten, die in einem zweiten Mitgliedstaat von einer Person zurückgelegt werden, welche nur in dem ersten Mitgliedstaat eine berufliche Tätigkeit ausgeübt hat und welche zur Zeit der Geburt ihrer Kinder ihre Berufstätigkeit vorübergehend eingestellt und ihren Wohnsitz aus rein familiären Gründen im Hoheitsgebiet des zweiten Mitgliedstaats begründet hatte, so zu berücksichtigen, als seien diese Kindererziehungszeiten im Inland zurückgelegt worden.
Die Exportierbarkeit der Pflegeleistungen war Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland.* Das deutsche Recht sieht nämlich vor, dass Pflegegeld zeitlich unbegrenzt auch in andere EU-Länder zu zahlen ist. Die Sachleistungen durch Pflegedienste bzw die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln ruhen jedoch bei einem Aufenthalt im Ausland. Die dagegen gerichtete Klage wurde vom EuGH mit der Begründung abgewiesen, dass die Kommission die sich aus der streitigen Regelung ergebende Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nicht hinreichend begründet hat. Er argumentierte auch damit, dass die Regeln des AEUV für den freien Dienstleistungsverkehr einem/einer Versicherten nicht garantieren können, dass ein örtlicher Wechsel in einen anderen Mitgliedstaat ua in Bezug auf Leistungen bei Krankheit oder Pflegebedürftigkeit neutral ist.
Die Ansprüche von Wander-AN auf Familienleistungen geben seit Jahren immer wieder Anlass zu komplexen Fragestellungen. Die Rsp des EuGH im Jahr 2012 war diesbezüglich keine Ausnahme. In den verb Rs Hudzinski und Wawrzyniak* ging es um polnische Staatsangehörige, die in Deutschland als Saison-AN bzw entsandte AN gearbeitet haben. Nachdem sie beantragt hatten, in Deutschland unbeschränkt einkommenssteuerpflichtig behandelt zu werden, stellten sie in Bezug auf ihre Kinder einen Antrag auf Zahlung von Kindergeld für die Dauer der Beschäftigung in Deutschland. Die Anträge wurden jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass nach der VO (EWG) 1408/71 das polnische und nicht das deutsche Sozialversicherungsrecht anwendbar sei. Die Anwendbarkeit des polnischen Sozialversicherungsrechts wurde in weiterer Folge auch vom EuGH bestätigt. Er wies auch ausdrücklich darauf hin, dass das Unionsrecht ua bezweckt, dass die Betroffenen grundsätzlich dem System der sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, sodass die Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben186 können, zu vermeiden sind. Andererseits betont der Gerichtshof die Herstellung größtmöglicher Freizügigkeit der Wander-AN. Die Anwendung einer Antikumulierungsregel des nationalen Rechts, soweit sie zum Ausschluss dieser Leistung und nicht offenbar bloß zu einer Kürzung des Betrags der Leistung um die Höhe des Betrags in einem anderen Staat gewährleisteten vergleichbaren Leistung führt, kann einen erheblichen Nachteil darstellen, der faktisch eine weitaus größere Zahl Wander-AN als sesshafter AN beeinträchtigt. Ein solcher Nachteil scheint umso weniger gerechtfertigt, als die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Leistung aus Steuereinnahmen finanziert wird. Die AN-Freizügigkeit steht in der gegenständlichen Situation einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, soweit diese nicht zu einer Kürzung des Betrags der Leistung um die Höhe des Betrags einer in einem anderen Staat gewährten vergleichbaren Leistung, sondern zum Ausschluss der Leistung führt. Der nicht zuständige Mitgliedstaat kann sohin die Leistungen des zuständigen Mitgliedstaates auf seine Leistung anrechnen, aber die Leistung nicht zur Gänze versagen.
Ob die österreichischen Veranlagungsvorschriften für betriebliche Vorsorgekassen mit der Kapitalverkehrsfreiheit im Einklang stehen, beurteilte der EuGH im Juni 2012.* Er kommt zum Ergebnis, dass Art 63 Abs 1 AEUV Vorschriften entgegensteht, wonach die Veranlagung des Vermögens in Anteilsscheinen eines Kapitalanlagefonds, der in einem anderen Mitgliedstaat errichtet ist, nur gestattet ist, wenn dieser Fonds zum Vertrieb seiner Anteile im Inland zugelassen worden ist.
Bereits 2011 hat sich der EuGH mit der Frage auseinandergesetzt, ob abgelehnte BewerberInnen einen Anspruch auf Information über die Qualifikation der anderen BewerberInnen haben, um eine allfällige Diskriminierung glaubhaft zu machen.* Er hat damals den Informationsanspruch grundsätzlich abgelehnt, aber andererseits kryptisch festgestellt, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Verweigerung von Informationen durch eine/n Bekl im Rahmen des Nachweises solcher Tatsachen den Schutz vor Diskriminierung beeinträchtigen kann. In der Rs Meister hat der EuGH nun Gelegenheit, seine Überlegungen zu präzisieren.* Auch hier kommt er zum Ergebnis, dass das Unionsrecht dahingehend auszulegen ist, dass es für eine/n AN, der/die schlüssig darlegt, dass er/sie die in einer Stellenausschreibung genannten Voraussetzungen erfüllt, und dessen/deren Bewerbung nicht berücksichtigt wurde, keinen Anspruch auf Auskunft darüber vorsieht, ob der/die AG am Ende des Einstellungsverfahrens eine/n andere/n BewerberIn eingestellt hat. Der zweite Teil des Urteilsspruches lautet diesmal „Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Verweigerung jedes Zugangs zu Informationen durch einen Beklagten ein Gesichtspunkt sein kann, der im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, heranzuziehen ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall ist.
“ Im Urteil sind einige Gesichtspunkte angeführt, die im konkreten Fall berücksichtigt werden können, nämlich der Umstand, dass der AG, um den es im Ausgangsverfahren geht, Frau Meister jeden Zugang zu den Informationen verweigert zu haben scheint, deren Übermittlung sie begehrt, dass der AG darüber hinaus nicht bestreitet, dass die Qualifikation von Frau Meister den Anforderungen in der Stellenanzeige entspricht, sowie die beiden Umstände, dass der AG sie gleichwohl nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat und dass sie auch im Rahmen eines neuen Verfahrens zur Auswahl unter den BewerberInnen um die Besetzung der betreffenden Stelle nicht eingeladen wurde.
Wie AG bzw Personalabteilungen mit den sich aus dem Urteil ergebenden Anforderungen unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Vertraulichkeit der Daten umgehen, wird sich erweisen. Empfehlenswert wäre Transparenz und Dokumentation des Bewerbungsverfahrens sowie Aufbewahrung der Unterlagen bzw die Beteiligung des BR oder eines Gleichstellungsbeauftragten am Bewerbungsverfahren.* Denkbar wäre auch, vom/von der erfolgreichen BewerberIn im Rahmen des Aufnahmegesprächs die Zustimmung einzuholen, Daten weiterzugeben, falls und soweit* dies notwendig ist und es sich nicht um sensible Daten handelt.*
In mehreren Entscheidungen befasste sich der EuGH auch 2012 wieder mit dem Thema Altersdiskriminierung. In einem vom OLG Innsbruck vorgelegten Verfahren* ging es um eine Gehaltsregelung im KollV von Tyrolean Airways, wonach nur die als FlugbegleiterInnen bei ebendieser Fluglinie erworbene Berufserfahrung berücksichtigt wird, jedoch nicht die Erfahrung als FlugbegleiterIn bei den anderen Flugunternehmen des Konzerns, konkret also Austrian Airlines und Lauda Air. Der EuGH schließt nicht aus, dass dies im Einzelfall dazu führen kann, dass die Umstufung bei manchen FlugbegleiterInnen in höherem Alter erfolgt als bei anderen. Dies genügt aber nicht. Die Bestimmung beruht auf einem Kriterium, das weder untrennbar mit dem Alter der AN verbunden ist noch mittelbar daran anknüpft. Die streitige Klausel führt daher nicht zu einer187 Ungleichbehandlung wegen des Alters und steht Art 2 Abs 2 Buchstabe b der RL 2000/78 nicht entgegen.
In der Rs Hörnfeldt* stand eine schwedische Regelung auf dem Prüfstand, wonach es AG erlaubt ist, das Arbeitsverhältnis von AN mit 67 Jahren zu beenden.* Der EuGH hat dabei festgestellt, dass das in der RL 2000/78 aufgestellte Verbot der Diskriminierung wegen des Alters im Lichte des in Art 15 Abs 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Rechts, zu arbeiten, zu sehen ist. Daraus folgt, dass auf die Teilnahme älterer AN am Berufsleben, und damit am wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben, besonderes Augenmerk zu richten ist.* Trotzdem und trotz der Tatsache, dass Herr Hörnfeldt aufgrund vorheriger Teilzeitbeschäftigung nur Anspruch auf eine geringe Altersrente hat, hat der EuGH die Altersgrenze grundsätzlich bestätigt.* Auf das Spannungsverhältnis dieser Beurteilung zur E Palacios de la Villa,* wonach der Umstand, dass den Betroffenen am Ende ihrer beruflichen Laufbahn ein finanzieller Ausgleich in Gestalt einer Altersrente zugutekommt, deren Höhe nicht als unangemessen betrachtet werden kann,* ist der EuGH nicht eingegangen.
In einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn* wurde festgestellt, dass die nationale Regelung, wonach RichterInnen, StaatsanwältInnen und NotarInnen bei Erreichen des 62. Lebensjahres aus dem Berufsleben ausscheiden müssen, gegen die einschlägigen europäischen Vorschriften gegen Altersdiskriminierung verstößt. Das Ziel, eine ausgewogene Altersstruktur von jüngeren und älteren BeamtInnen zu schaffen, um die Einstellung und Beförderung jüngerer BeamtInnen zu begünstigen, die Personalplanung zu optimieren und damit etwaigen Rechtsstreitigkeiten über die Fähigkeit des/der Beschäftigten, seine/ihre Tätigkeit über eine bestimmte Altersgrenze hinaus auszuüben, vorzubeugen, unter gleichzeitiger Bereitstellung einer leistungsfähigen Justizverwaltung, kann ein legitimes Ziel der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik darstellen. Durch die plötzliche und erhebliche Senkung der Altersgrenze von 70 auf 62 ohne Übergangsmaßnahmen war jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt.
Im Fall Odar* sah der zwischen dem deutschen Unternehmen Baxter und dessen BR geschlossene Sozialplan vor, dass der Abfindungsbetrag für AN bei betriebsbedingter Kündigung insb von der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit abhängt (Standardberechnungsmethode). Für AN, die älter als 54 Jahre sind, sieht dieser Plan jedoch vor, dass die Abfindung auf der Grundlage ihres frühestmöglichen Rentenbeginns berechnet wird (alternative Methode). Die diesen AN zu zahlende Abfindung ist geringer als die Summe, die sich nach der Standardmethode ergeben würde. Sie muss allerdings mindestens die Hälfte dieser Summe betragen. Nach Ansicht des EuGH erscheint eine derartige Regelung nicht offensichtlich unangemessen. Sie geht auch nicht über das zur Erreichung der Ziele hinaus, nämlich einen Ausgleich für die Zukunft zu gewähren und die jüngeren AN zu schützen sowie ihre berufliche Wiedereingliederung zu unterstützen und zugleich der Notwendigkeit einer gerechten Verteilung der begrenzten Mittel eines Sozialplans Rechnung zu tragen. Der Gerichtshof führt auch aus, dass die gegenständliche Regelung die Frucht einer von AN- und AG-VertreterInnen ausgehandelten Vereinbarung ist, die dabei ihr als Grundrecht anerkanntes Recht auf Kollektivverhandlungen ausgeübt haben. Dass es den SozialpartnerInnen überlassen ist, einen Ausgleich zwischen ihren Interessen festzulegen, bietet eine nicht unerhebliche Flexibilität, da jede der Parteien gegebenenfalls die Vereinbarung kündigen kann. Andererseits aber wird festgestellt, dass das im Unionsrecht vorgesehene Verbot jeder Diskriminierung wegen der Behinderung der gegenständlichen Regelung entgegensteht, soweit bei der Anwendung der alternativen Methode auf die Möglichkeit, eine vorzeitige Altersrente wegen einer Behinderung zu erhalten, abgestellt wird. Eine Regelung, die bei betriebsbedingter Kündigung dazu führt, dass ein schwerbehinderter AN eine geringere Abfindung erhält als ein nicht behinderter AN bewirkt in Anbetracht der spezifischen Bedürfnisse von Schwerbehinderten eine übermäßige Beeinträchtigung der legitimen Interessen dieser AN. Diese Regelung geht über das hinaus, was zur Erreichung der mit ihr verfolgten Ziele erforderlich ist.
Die Ausgangsfälle in den Rs Dittrich ua* betrafen deutsche BundesbeamtInnen, die bei der Bundesrepublik Deutschland erfolglos Beihilfe für die von ihren LebenspartnerInnen iSd Gesetzes über die eingetragene Lebenspartnerschaft aufgewendeten Behandlungskosten beantragten. Es stellte sich dabei die Frage, ob die Beihilfe Entgeltbestandteil iSv Art 157 AEUV ist, mit der Folge, dass sie unter die GleichbehandlungsrahmenRL* fällt, oder ob sie als Leistung des allgemeinen staatlichen Systems der sozialen Sicherheit oder des sozialen Schutzes oder als eine gleichgestellte Leistung anzusehen ist und daher nicht von dieser RL erfasst ist. Laut EuGH ist entscheidend, ob die Finanzierung dem Staat als öffentlichem AG obliegt. Sollte dies der Fall sein, so fällt die Beihilfe in den Geltungsbereich der erwähnten RL. Der Umstand, dass die Beihilfe durch Gesetz geregelt ist und dass sie keine Sozialleistungen ergänzt, die nach den allgemeinen Rechtsvorschriften gewährt werden, ist nicht geeignet, die Qualifizierung einer vom Staat als AG aufgrund eines Dienstverhältnisses gezahlten Leistung als Entgelt in Frage zu stellen.188
Im November 2012 hat der Gerichtshof festgestellt, dass die spanischen Rechtsvorschriften über die beitragsbezogene Altersrente von Teilzeitbeschäftigten diskriminierend sind.* Teilzeitbeschäftigte, bei denen es sich überwiegend um Frauen handelt, müssen nämlich gegenüber Vollzeitbeschäftigten proportional längere Beitragszeiten zurücklegen, um einen Anspruch auf beitragsbezogene Altersrente zu haben, deren Höhe bereits proportional zu ihrer Arbeitszeit herabgesetzt ist. Es kommt daher zu einer (unzulässigen) zweifachen Anwendung des Pro-rata-temporis-Grundsatzes.
Das Thema Jahresurlaub und Krankenstand entwickelt sich zu einem neuen Schwerpunkt des EuGH. Bereits 2009 hat er sich in drei Entscheidungen* und 2011 in zwei Entscheidungen* mit dem Thema auseinandergesetzt. 2012 folgten drei neue. In einem französischen Fall* urteilte der Gerichtshof, dass Art 7 Abs 1 der ArbeitszeitRL* einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von einer effektiven Mindestarbeitszeit von zehn Tagen abhängt. Sollte eine richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts nicht möglich sein, soll das nationale Gericht prüfen, ob sich die betroffene AN unmittelbar auf die RL berufen kann. Dies wäre dann der Fall, wenn der AG eine staatliche Einrichtung ist. Sollte das nationale Gericht keine Möglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung sehen und der AG nicht als staatliche Einrichtung zu qualifizieren sein, dann sieht der Gerichtshof mangels horizontaler Wirkung der RL nur noch die Möglichkeit eines Schadenersatzanspruchs der betroffenen AN gegen den Staat. Mit der ausführlichen Erörterung der Generalanwältin Verica Trstenjak in den Schlussanträgen zur Frage der Drittwirkung der Grundrechte* und mit seiner eigenen einschlägigen Vorjudikatur zu dieser Frage hat sich der Gerichtshof bei diesen Aussagen leider nur höchst unzureichend auseinandergesetzt.*
In der Rs ANGED* geht es um die Frage, ob der Anspruch auf Jahresurlaub beeinträchtigt wird, wenn ein/e AN bereits vor Beginn eines im Voraus festgelegten Urlaubszeitraums oder während dieses Zeitraumes arbeitsunfähig wird. Der Gerichthof weist darauf hin, dass nach stRsp der Anspruch auf Jahresurlaub als ein besonderer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen ist und auch in der Charta der Grundrechte der EU ausdrücklich verankert ist. Der Anspruch darf daher nicht restriktiv ausgelegt werden. Er kommt zum Ergebnis, dass der/die AN berechtigt ist, seinen bezahlten Jahresurlaub, der mit dem Krankheitsurlaub zusammenfällt, zu einer späteren Zeit zu nehmen, unabhängig davon, wann die Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist. Es wäre nämlich vom Zufall abhängig und widerspräche dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, wenn dem/der AN dieses Recht nur unter der Voraussetzung gewährt würde, dass er/sie bereits zu Beginn des bezahlten Jahresurlaubs arbeitsunfähig war.*
Bereits 2009 stellte der EuGH in der Rs Schultz-Hoff und Stringer ua* fest, dass ein/e AN, der während des Bezugszeitraums und/oder eines Übertragungszeitraums wegen krankheitsbedingter Abwesenheit ganz oder teilweise gefehlt hat, Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Vertragsende nicht genommenen Jahresurlaub hat. Im Mai 2012 urteilte er auf gleicher Linie im Fall eines im Beamtenverhältnis zur Stadt Frankfurt am Main tätigen Feuerwehrmannes. * Anders verhält es sich jedoch für den Anspruch auf Urlaub, der über die Mindestdauer von vier Wochen nach Art 7 Abs 1 der ArbeitszeitRL hinaus geht. Diesbezüglich sind die Mitgliedstaaten nicht an derartige europäische Vorgaben gebunden.*
Grundlegend unterschiedlich zur Situation eines/einer AN im Krankenstand ist laut der E Heimann und Toltschin* die Situation eines/einer AN, dessen Arbeitszeit im Rahmen eines Sozialplans verkürzt wird. Konkret ging es um AN, die wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten des AG gekündigt, ihre Verträge aber auf Grund eines Sozialplans förmlich aber um ein Jahr verlängert wurden. Während dieser Zeit brauchten die AN nicht zu arbeiten („Kurzarbeit Null“). Nach Ansicht des AG konnten die AN während der „Kurzarbeit Null“ keinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erwerben. Der Gerichtshof antwortete, dass das Unionsrecht nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten, wie etwa einem Sozialplan, nach denen sich der Anspruch eines/einer AN auf bezahlten Jahresurlaub im Verhältnis zur Arbeitszeitverkürzung (Pro-rata-temporis-Grundsatz) verringert, nicht entgegensteht. Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub kann folglich bei in einem Sozialplan vereinbarter Kurzarbeit entsprechend gekürzt werden.189
Neben dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub war 2012 auch das Thema befristete Arbeitsverhältnisse ein Schwerpunkt des EuGH. Für ausreichend Diskussionsstoff sorgte vor allem die E Kücük.* Frau Kücük war über einen Zeitraum von elf Jahren auf der Grundlage von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen beim Land Nordrhein-Westfalen als Justizangestellte tätig. Alle diese Verträge wurden zur Vertretung unbefristet eingestellter Justizangestellter geschlossen, die sich vorübergehend (beispielsweise im Rahmen der Elternzeit) hatten beurlauben lassen. Vor dem Arbeitsgericht Köln hat Frau Kücük geltend gemacht, ihr letzter Arbeitsvertrag müsse als auf unbestimmte Zeit geschlossen gelten, da kein sachlicher Grund vorliege, der seine Befristung rechtfertige. Bei insgesamt 13 in einem Zeitraum von elf Jahren unmittelbar aneinander anschließenden befristeten Arbeitsverträgen könne nämlich nicht mehr von einem vorübergehenden Bedarf an Vertretungskräften ausgegangen werden. Der EuGH sah dies jedoch differenzierter. Er stellte fest, dass der vorübergehende Bedarf an Vertretungskräften grundsätzlich einen sachlichen Grund iSd Unionsrechts darstellen kann, der sowohl die Befristung der mit den Vertretungskräften geschlossenen Verträge als auch deren Verlängerung rechtfertigt. Aus dem bloßen Umstand, dass ein/e AG gezwungen sein mag, wiederholt oder sogar dauerhaft auf befris tete Vertretungen zurückzugreifen, und dass diese Vertretungen auch durch die Einstellung von AN mit unbefristeten Arbeitsverträgen gedeckt werden könnten, folgt weder automatisch, dass kein solcher sachlicher Grund gegeben ist, noch das Vorliegen eines Missbrauchs. Die Beurteilung, ob die Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrags durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, muss im Einzelfall von den nationalen Gerichten unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben/derselben AG geschlossenen befristeten Verträgen vorgenommen werden.
Um befristete Arbeitsverträge im öffentlichen Sektor ging es auch in der E Valenza ua.* Ein italienisches Gesetz sieht zur Vermeidung von prekären Arbeitsverhältnissen im öffentlichen Dienst die Umwandlung von befristeten Arbeitsverhältnissen in unbefristete vor. Dies erfolgt einerseits, ohne dass die Personen sich einem öffentlichen Auswahlverfahren unterziehen müssen, andererseits aber ohne Anrechnung von Vordienstzeiten. Die Frage war nun, ob diese Nichtanrechnung von Vordienstzeiten mit dem EU-Recht vereinbar ist. Der Gerichtshof anerkannte, dass eine unterschiedliche Behandlung von Personen gerechtfertigt werden kann, je nachdem, ob sie aufgrund eines öffentlichen Auswahlverfahrens eingestellt wurden oder nicht. Ein vollständiger und absoluter Ausschluss der Anrechnung der Vordienstzeiten ist aber grundsätzlich unverhältnismäßig.
Herr Huet* war sechs Jahre ohne Unterbrechung als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einer Universität in Frankreich auf Grund mehrerer befristeter Arbeitsverträge beschäftigt. Als der letzte befristete Arbeitsvertrag auslief, wurde Herrn Huet ein unbefristeter Arbeitsvertrag angeboten, den dieser auch annahm. Die Arbeitsbedingungen dieses unbefristeten Vertrages waren aber schlechter als die auf der Grundlage der befristeten Verträge. Der Antrag des AN auf Änderung seines unbefristeten Arbeitsvertrages mit der Begründung, dieser stufe seine Aufgaben zurück und bringe eine Verringerung der Dienstbezüge mit sich, wurde von der Universität stillschweigend abgelehnt. Der EuGH urteilte, dass die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der RL 1999/70/EG*dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat in derartigen Fällen grundsätzlich nicht verpflichtet ist, vorzuschreiben, dass die wesentlichen Bestimmungen des vorherigen Vertrags unverändert in den unbefristeten Arbeitsvertrag übernommen werden. Der Mitgliedstaat hat jedoch darauf zu achten, dass die Umwandlung befristeter Arbeitsverträge in einen unbefristeten Arbeitsvertrag nicht mit tiefgreifenden Änderungen der Bestimmungen des vorherigen Vertrags einhergeht, die für den Betroffenen insgesamt zu einer Verschlechterung führen, wenn der Gegenstand seiner Tätigkeit und die Art seiner Aufgaben gleich bleiben.
Ist es mit der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vereinbar, wonach Arbeitslose, die bei einer öffentlichen Verwaltung befristet für sozial nützliche und gemeinnützige Arbeiten eingestellt werden und bei derselben öffentlichen Verwaltung für dieselben Tätigkeiten eingestellte AN bei der Vergütung unterschiedlich behandelt werden? „Ja“ laut EuGH in zwei Fällen,* nämlich dann, wenn diese mit sozial nützlichen Arbeiten betrauten AN nicht in den Genuss eines Arbeitsverhältnisses gemäß der gesetzlich, tarifvertraglich oder nach den Gepflogenheiten geltenden Definition kommen oder wenn die Mitgliedstaaten und/oder die SozialpartnerInnen von ihrer Befugnis gem § 2 Nr 2 der Rahmenvereinbarung („Arbeitsverträge und -verhältnisse, die im Rahmen eines besonderen öffentlichen oder von der öffentlichen Hand unterstützten beruflichen Ausbildungs-, Eingliederungs- oder Umschulungsprogramms abgeschlossen wurden
“) Gebrauch gemacht haben.
Der AN-Begriff war auch ein zentraler Punkt in der Rs O‘Brien.* Herr O‘Brien war im Vereinigten Königreich als sogenannter Recorder tätig. Es handelt sich dabei um ein besonderes Teilzeitrichtermodell. RecorderInnen werden auf der Basis von Gebühren pro190 Sitzungstag bzw Arbeitstag bezahlt. Sie haben aber ebenso wie die gehaltsbasiert beschäftigten RichterInnen grundsätzlich Anspruch auf Engeltfortzahlung im Krankheitsfall, Mutterschafts- bzw Vaterschaftsgeld und ähnliche Leistungen. Sie erwerben aber keinen Anspruch auf eine Pension aus dieser Tätigkeit. Das nationale Recht sieht eine Altersversorgung nur für gehaltsempfangende RichterInnen vor.* Herr O‘Brien sah nun darin eine Diskriminierung gegenüber VollzeitrichterInnen. Der EuGH urteilte, dass es grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten ist, den AN-Begriff nach der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der RL 97/81/EG* zu definieren. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass Personen willkürlich von dem Schutz ausgeschlossen werden, der durch die RL gewährt wird. Ein Ausschluss von diesem Schutz kann nur dann zugelassen werden, wenn das zwischen den RichterInnen und dem Ministry of Justice bestehende Rechtsverhältnis seinem Wesen nach erheblich anders ist als dasjenige, das Beschäftigte, die nach dem nationalen Recht zur Kategorie der AN gehören, mit ihren AG verbindet. Die gegenständliche Rahmenvereinbarung ist dahin auszulegen, dass das nationale Recht für die Zwecke des Zugangs zum Altersversorgungssystem nicht zwischen VollzeitrichterInnen und auf der Basis von Tagesgebühren vergüteten TeilzeitrichterInnen unterscheiden darf, es sei denn, dass objektive Gründe eine solche unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Maßgeblich ist für den EuGH der Umstand, ob im Wesentlichen dieselbe Tätigkeit ausgeübt wird. Eine unterschiedliche berufliche Laufbahn und die den RecorderInnen jederzeit offenstehende Möglichkeit, den Beruf des Rechtsanwalts/der Rechtsanwältin auszuüben, ist jedenfalls nicht ausschlaggebend.
Ob die MassenentlassungsRL* auf eine in Großbritannien stationierte amerikanische Militärbasis anwendbar ist, war Gegenstand der Rs Nolan.* Der EuGH verneinte seine Zuständigkeit im Wesentlichen mit der Begründung, dass öffentlicher Verwaltungen oder von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder, in Mitgliedstaaten, die diesen Begriff nicht kennen, von gleichwertigen Stellen vom Geltungsbereich der gegenständlichen RL ausgenommen sind.
Um die gerichtliche Zuständigkeit im Zusammenhang mit Botschaftsangehörigen ging es in der E Mahamdia.* Herr Mahamdia, der die algerische und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, arbeitete für den algerischen Staat als Kraftfahrer bei der algerischen Botschaft in Berlin. Der EuGH entschied, dass die Botschaft eines Drittstaats in einem Mitgliedstaat in einem Rechtsstreit über einen Arbeitsvertrag, den diese Botschaft im Namen des Entsendestaats geschlossen hat, eine „Niederlassung“ iSd VO 44/2001* darstellt, wenn die von dem AN verrichteten Aufgaben nicht unter die Ausübung hoheitlicher Befugnisse fallen. Soweit sich Algerien auf Immunität beruft, stellt der Gerichtshof klar, dass diese Immunität nicht absolut gilt. Sie ist allgemein anerkannt, wenn der Rechtsstreit hoheitliche Handlungen betrifft. Sie kann hingegen ausgeschlossen sein, wenn sich der gerichtliche Rechtsbehelf auf Handlungen bezieht, die nicht unter die hoheitlichen Befugnisse fallen.
Das einschlägige Unionsrecht betreffend Verstöße gegen die Vorschriften über die Verwendung des Fahrtenschreibers im Straßenverkehr* sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Sanktionen festzulegen haben, die wirksam, verhältnismäßig, abschreckend und nicht diskriminierend sind. Damit sind nationale Vorschriften, die bei allen Verstößen gegen die Vorschriften für die Benutzung der Schaublätter, unabhängig von der Schwere des Verstoßes, die Verhängung einer Geldbuße in pauschaler Höhe vorsehen, nicht vereinbar.* Die Mitgliedstaaten haben den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht nur in Bezug auf die Festlegung der Tatbestandsmerkmale eines Verstoßes sowie der Regeln über die Höhe der Geldbußen zu beachten, sondern auch in Bezug auf die Würdigung der Gesichtspunkte, die in die Festsetzung der Geldbuße einfließen können. Den konkreten Umständen des Einzelfalls ist demnach Rechnung zu tragen. Sanktionsregeln, mit der eine objektive Verantwortlichkeit geschaffen wird, und die keine Unterscheidung nach Maßgabe der persönlichen Umstände des Urhebers/der Urheberin des Verstoßes vornehmen, sind jedoch für sich genommen grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar.
Das belgische „Limosa“-System stand im Dezember 2012 auf dem Prüfstand des EuGH. Es handelt sich dabei um ein Informationssystem für Zwecke der Statistik und Kontrolle iZm grenzüberschreitender Erwerbstätigkeit.* Dieses System schafft eine einheitliche elektronische Anlaufstelle für die Vornahme aller im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit in Belgien erforderlichen Schritte. Es sieht eine vorhergehende Meldung bestimmter Daten für entsandte AN und Selbstständige vor. Die Informationen werden in einem zentralen Register aufgenommen und dienen der Statistik und Kontrolle. Obwohl dieses System191 den administrativen Aufwand möglichst klein hält* und von den Stakeholdern als best practice Beispiel angesehen wird,* hat die Kommission trotzdem ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Dieses bezog sich auf die Pflicht von selbstständigen DienstleistungserbringerInnen, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Belgien niedergelassen sind, eine der Ausübung ihrer Tätigkeit im Belgien vorhergehende Meldung nach dem Limosa-System abzugeben. Der EuGH kam zum Ergebnis, dass das Königreich Belgien nicht hinreichend überzeugend gerechtfertigt hat, inwiefern diese laut Ansicht des Gerichtshofs „sehr detaillierten Informationen“ erforderlich sind.* Wie der EuGH zur Beurteilung kommt, dass es sich dabei um „sehr detaillierte Informationen“ handelt, ist schwer nachvollziehbar. Es geht nämlich im Wesentlichen bloß um die Identifizierungsdaten der Beteiligten sowie um Daten über die Art, den Beginn, die voraussichtliche Dauer und den Ort der Arbeitsleistung.
Folgende interessanten Rechtsfragen wurden 2012 beim EuGH anhängig:
Welchen Einfluss hat der Umstieg von einer Vollzeitbeschäftigung zu einer Teilzeitbeschäftigung auf den Anspruch auf Jahresurlaub?* 2010 hat der EuGH bereits iZm dem Dienstrecht der Vertragsbediensteten des Landes Tirol entschieden, dass es mit dem Unionsrecht nicht vereinbar ist, wenn in derartigen Fällen der in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, dessen Ausübung dem/der AN während dieser Zeit nicht möglich war, reduziert wird.* Der nunmehr von einem deutschen Arbeitsgericht vorgelegte Fall unterscheidet sich zum Tiroler Fall dahingehend, dass der Urlaub nicht in Stunden, sondern wie im UrlG, in Wochen ausgedrückt wird.*
Vom gleichen Arbeitsgericht wurden Fragen iZm nationalen bzw tarifvertraglichen Regelungen vorgelegt, die vorsehen, dass in bestimmten Fällen, wie etwa Kurzarbeit oder Arbeitsausfälle, der jährliche Mindesturlaub auf weniger als vier Wochen verringert werden kann.*
Fragen iZm der mangelnden oder nur teilweisen Anrechnung von Vordienstzeiten von AN im Bahntransportsektor werden im Vorlageverfahren des OLG Innsbruck gestellt.* Ähnlich ein Vorlagebeschluss des LG Salzburg, betreffend das Salzburger Landesvertragsbedienstetengesetz, wonach Vordienstzeiten bei anderen öffentlichen oder privaten AG nur teilweise pauschal ab einem bestimmten Lebensalter für die Vorrückung in höhere Entlohnungsstufen berücksichtigt werden.*
Interessante Fragen zum Thema Betriebsübergang stellt ein italienisches Gericht iZm Umstrukturierungen bei der Telecom Italia. Kann es sich um einen Betriebsübergang handeln, wenn der gegenständliche Unternehmensteil keine bereits vor dem Übergang bestehende funktionell selbstständige wirtschaftliche Einheit derart darstellt, dass sie als solche vom/von der VeräußererIn und vom/von der ErwerberIn im Zeitpunkt ihres Übergangs identifiziert werden kann? Kann es sich um einen Betriebsübergang handeln, wenn das veräußernde Unternehmen nach dem „Übergang“ eine starke beherrschende Stellung gegenüber dem/der ErwerberIn einnimmt, die sich durch eine enge Verbindung in Form eines Auftragsverhältnisses und eine Vermengung des Unternehmensrisikos äußert?*
Ein Arbeitsvertrag mit den Poste Italiane ist Ausgangspunkt eines Vorabentscheidungsersuchens iZm mit einer unzulässigen Befristung. Nachdem nämlich das vorlegende Gericht die Befristung für nichtig erklärt und das Bestehen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses festgestellt hat, geht es in weiterer Folge um die Rechtsfolgen. Nach den üblichen Grundsätzen des italienischen Zivilrechts hätte der AG den Lohn für die Dauer des Rechtsstreits nachzahlen müssen. Nach dem Inkrafttreten eines neuen Gesetzes gilt dies jedoch hier nicht mehr. In der Vorlage an den EuGH wird nun vor allem die Frage gestellt, ob die neue Rechtslage mit dem Europäischen Recht und insb mit Art 47 der Europäischen Grundrechtecharta und Art 6 EMRK im Einklang steht.*
Ebenfalls die Poste Italiane und befristete Arbeitsverhältnisse betrifft ein weiteres italienisches Verfahren. * Das nationale Recht sieht keine Grenzen für den erneuerten Abschluss von zeitlich befristeten Verträgen mit Leiharbeitskräften vor. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts verstößt dies gegen die einschlägige Judikatur des EuGH zum Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse.*
Der KollV für Angestellte der Banken und Bankiers sieht bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen die Auszahlung einer Kinderzulage vor. Teilzeitbeschäftigte erhalten diese Kinderzulage jedoch nur aliquot. Ob dies diskriminierend ist oder der Pro-rata-temporis-Grundsatz (als angemessen) anzuwenden ist, wird den EuGH auf Grund eines Vorlagebeschlusses des OGH vom September 2012 beschäftigen.*
In einem französischen Fall geht es um einen Tarifvertrag, der Urlaubstage und Prämien nur Mitarbeitern, die eine Ehe schließen, gewährt. Personen gleichen Geschlechts, die einen zivilen Solidaritätspakt abschließen, ist diese Vergünstigung jedoch versagt. * Der Gerichtshof wird zu prüfen haben, ob sich diese Diskriminierung rechtfertigen lässt.192
Fragen zum Begriff „Mindestlohnsätze“ iSd EntsendeRL stellt das deutsche Bundesarbeitsgericht.* Es geht konkret um tarifvertragliche Regelungen mit dem Ziel der Bildung von Vermögen in AN-Hand. Zu diesem Zweck werden monatliche Leistungen des/der AG für den/die AN langfristig zB als Sparbeitrag, als Beitrag zum Bau oder Erwerb eines Wohngebäudes oder als Beitrag zu einer Kapitallebensversicherung angelegt.
Verschiedene Fragen zum Urlaubsanspruch stellen sich in einem spanischen Rechtsfall das Kaufhaus Carrefour betreffend. Im Mittelpunkt stehen dabei eine BV, die einen festen Urlaubsplan enthält und eine AN, die bereits vor Beginn des zuvor festgelegten Urlaubs vorübergehend arbeitsunfähig geworden ist.*
Inwieweit AN, die im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses beschäftigt werden, bei der Berechnung der Schwellenwerte für die Unterrichtung und Anhörung der AN nach der RL 2002/12/EG zu berücksichtigen sind, wird voraussichtlich vom EuGH in einem französischen Fall geklärt.*
Nationale Rechtsvorschriften, die den gesicherten Zeitraum im Insolvenzfall des/der AG auf die Fälligkeit der Ansprüche in den letzten sechs Monaten beschränken, sind Gegenstand zweier portugiesischer Fälle* In beiden Fällen hatten die Kl ihre offenen Löhne und Gehälter beim Arbeitsgericht erfolgreich eingeklagt. Der Antrag auf Insolvenzentgeltsicherung wurde jedoch abgelehnt, da die gegenständlichen Ansprüche aus den Arbeitsverhältnissen nicht in den letzten sechs Monaten vor Stellung des Insolvenzantrags fällig geworden sind.
Die Frage, wie das Aufenthaltsrecht, das einem/einer „ArbeitnehmerIn“ durch Art 7 der Unionsbürger-RL gewährt wird, auszulegen ist, wurde vom Supreme Court of the United Kingdom vorgelegt.* Erstreckt sich dieses Aufenthaltsrecht nur auf jene Personen, die sich in einem bestehenden Arbeitsverhältnis befinden, unter bestimmten Umständen auch auf Personen, die Arbeit suchen oder ist der Begriff „ArbeitnehmerIn“ noch weiter zu interpretieren?
Der Einfluss von Provisionszahlungen auf das Urlaubsentgelt ist Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens eines britischen Gerichtes.*