Jabornegg/Kerschner/Riedler (Hrsg)Haftung und Versicherung – FS Reischauer
Verlag Österreich, Wien 2010, 628 Seiten, gebunden, € 96,–
Jabornegg/Kerschner/Riedler (Hrsg)Haftung und Versicherung – FS Reischauer
Die Festschrift für den großen österreichischen Zivilrechtler Rudolf Reischauer wurde aus Anlass seiner Emeritierung im Oktober 2010 herausgegeben. Sie ist einerseits dem Haftungsrecht gewidmet, mit dem sich der Geehrte sein ganzes bisheriges wissenschaftliches Leben besonders intensiv auseinandergesetzt hat, andererseits dem Versicherungsrecht. Schon die Laudatio des mittlerweile leider verstorbenen Karl Spielbüchler ist ein Lesevergnügen der ganz besonderen Art: Faktenreich mit vielen historischen Bezügen, geistreich mit vielen Hinweisen auf das Werk von Reischauer, die scheinbar nur locker eingestreut sind, lobend ohne jemals in peinliche Lobhudelei zu verfallen, mit feiner Ironie, die Sympathie und die nötige wissenschaftlich-kritische Distanz offenbar mühelos verbinden kann. Zur Habilitationsschrift von Reischauer findet man folgende Bemerkung: „Wie in einer Knospe erweist sich im Rückblick Reischauers wissenschaftliches Anliegen in der Habilitationsschrift eingeschlossen. Sie trägt schon den programmatischen Untertitel: ‚Ein Beitrag zum Recht der Leistungsstörung‘. Sehen wir zu, wie diese Knospe sich entfaltet: Der Beginn harmlos, unschuldig, zurückhaltend, kühl, aber man merkt doch den Wolf im Schafspelz: (es folgt ein Zitat)
“ (16).
Von den 28 Abhandlungen, die die Festschrift enthält, können hier nur einige wenige erwähnt werden, vorzugsweise diejenigen, die einen Bezug zum Arbeitsrecht aufweisen. Dieser Bezug ist beim Beitrag von Christian Holzner „Zur Fehlerhäufung in komplexen Rechtssystemen“ (135 ff) zwar nicht unmittelbar gegeben. Beispiele für Fehlerhäufungen lassen sich freilich zwanglos auch im Arbeitsrecht und im besonders komplexen Rechtssystem des Sozialrechts finden. Holzners Beitrag ist vor allem deshalb lesenswert, weil er nicht das übliche (oft platte) Lamento enthält, welche Dummheit der Gesetzgeber wieder angestellt hat. Vielmehr werden anhand von Beispielen (überwiegend aus dem Mietrecht) Fehlertypen dargestellt und Gegenmaßnahmen andiskutiert. Das führt sehr deutlich vor Augen, dass es für Fehler in der Gesetzgebung mit oft schwerwiegenden Folgen ganz unterschiedliche Ursachen gibt. Manchmal sind es tatsächlich schlichte „Denkfehler“, manchmal auch das faktische Delegieren an die Rsp, obwohl eine Regelung dringend erforderlich wäre. Freilich gibt es auch das umgekehrte Problem, dass eine Regulierung bzw eine zu dichte Regulierung mehr Schaden anrichtet als Nutzen stiftet. Beispiele dafür könnte man etwa im arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrecht oder in den Vorschriften über die europäische Betriebsverfassung im ArbVG finden. Beides ist freilich unionsrechtlich verursacht, wogegen nach Holzner (149) „kein Kraut gewachsen (ist), da geht es oft nur noch um Schadensbegrenzung“. Trotzdem fragt man sich, ob bei der Umsetzung des Unionsrechts nicht doch eine bessere Abstimmung mit den Grundstrukturen des österreichischen Rechts erfolgen könnte, wenn man den Rat von Holzner, sich mehr Zeit zu lassen und die Folgen eines Gesetzes – unter Einbeziehung (auch) von WissenschafterInnen in den Gesetzgebungsprozess – vor dem Beschluss durchzudenken, aufgreifen würde.198 Nur zustimmen kann man Holzner, wenn er beklagt, dass auch die Rechtswissenschaft ihren Beitrag zur Fehlerhäufung leistet, indem Grundlagenthemen vernachlässigt werden und mehr Masse als Klasse produziert wird. Gerade die Universitäten haben hier die Verpflichtung, gegen den Strom der reinen Quantifizierung von Wissenschaft zu schwimmen.
Für den Arbeitsrechtler besonders spannend ist der Beitrag von Jabornegg über „Verjährung und Verfall von Arbeitnehmerrechten“ (187 ff). In Anknüpfung an Reischauer kritisiert Jabornegg die Rsp und hM, wonach zwischen Verjährung und Verfall differenziert wird. Er schlägt vor, dass bei den Fristen zur Geltendmachung von Ansprüchen zwischen Klagsfristen und Obliegenheiten zur Anmeldung des Anspruchs beim Verpflichteten unterschieden wird und bei den Klagsfristen immer allgemeines Verjährungsrecht angewendet wird, soweit nicht im Einzelfall Sonderregelungen bestehen. Eine vertragliche oder kollektivvertragliche Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfrist sei zwar – bei Fehlen zwingender Sondervorschriften – nicht ausgeschlossen, bei der Sittenwidrigkeitskontrolle müsse dies aber in Relation zur dreijährigen Verjährungsfrist des § 1486 Z 5 ABGB gesehen werden. Deshalb sei eine vereinbarte Klagsfrist von sechs Monaten schon als unterste Grenze der Verkürzung zu sehen. Anspruchsmeldeobliegenheiten würden hingegen den Anspruch selbst beschränken und könnten daher bei zwingenden Ansprüchen gar nicht wirksam vereinbart werden. Aus Platzgründen kann auf diese Thesen hier nicht näher eingegangen werden. Es ist aber zu hoffen, dass die Diskussion auch von der Rsp aufgegriffen wird. Kurze Verfallsfristen sind nämlich tatsächlich ein großes Problem in der Praxis und führen sehr häufig dazu, dass legitime Ansprüche letztlich an der Durchsetzbarkeit scheitern. Das ist besonders ärgerlich im laufenden Arbeitsverhältnis, wo die Rechtsdurchsetzung für die meisten AN ohnehin schwierig genug ist.
Für das Arbeitsrecht wichtige Themen greifen noch Martin Binder und Reinhard Resch auf. Binders Beitrag „Arbeitnehmerhaftung und Versicherung“ (481 ff) prüft etwa, ob bzw unter welchen Prämissen der/die AG verpflichtet ist, spezifische, den/die AN betreffende Schadensrisiken zu versichern, wenn es keine (ausreichende) gesetzliche Versicherungspflicht gibt. Resch untersucht das „Fehlerkalkül für Pensionskassenvertrag und Pensionskassenbetriebsvereinbarung“ (559 ff). Es geht dabei um die ganz zentrale Frage, wie sich rechtliche Mängel auf den Bestand der Rechtsbeziehung auswirken, dh ob es Korrekturmöglichkeiten gibt (zB Verbesserungsauftrag der Finanzmarktaufsicht) oder ob der Fehler zur Nichtigkeit führt. Beide Beiträge würden sich eine genauere Betrachtung verdienen, die aber hier nicht geleistet werden kann.
Resümierend kann gesagt werden, dass die Festschrift nicht nur den Zweck erfüllt, Rudolf Reischauer eine hochverdiente Ehrung zukommen zu lassen, sondern auch viele lesenswerte Abhandlungen enthält, die in der Rechtsdogmatik des Zivilrechts Spuren hinterlassen.