Schwarze (Hrsg)EU-Kommentar

3. Auflage, Nomos Verlag, Baden-Baden 2012, 3020 Seiten, gebunden, € 225,–

RUDOLFMOSLER (SALZBURG)

Der von Schwarze herausgegebene EU-Kommentar enthält eine Kommentierung des EUV, des AEUV und der GRC sowie einige wichtige unkommentierte Dokumente im Anhang. Die starke „Österreicherfraktion“ unter den KommentatorInnen (so Resch in seiner Besprechung der 2. Auflage, DRdA 2009, 195) hat noch einmal Zuwachs erhalten. Neben Hattenberger, Holoubek, Lienbacher, Potacs, Rebhahn, Reiner und Stadler ist nun auch Kröll dabei.

Für den Arbeits- und Sozialrechtler sind natürlich vor allem die Kommentierung zur AN-Freizügigkeit (Art 45 ff AEUV von Schneider/Wunderlich), die Sozialpolitik (Art 151 ff AEUV von Rebhahn/Reiner bzw Rebhahn), aber auch das Diskriminierungsverbot (Art 18 f von Holoubek) und die Dienstleistungsfreiheit (Art 56 ff von Holoubek) sowie die kollektiven Rechte der AN nach Art 27 f GRC (ebenso von Holoubek) von besonderem Interesse. Gerade diese Beiträge kann man als vorzüglich gelungen bezeichnen. Sie sind materialreich, originell, anspruchsvoll und doch überwiegend gut lesbar.

Dies gilt etwa für die Kommentierung von Rebhahn zu Art 157 AEUV (Gleichstellung von Mann und Frau im Erwerbsleben). Sowohl inhaltlich überzeugend als auch (in der richtigen Dosierung) materialreich wird etwa der (weite) Begriff des Entgelts dargestellt (Art 157 AEUV Rz 11 f). Bei der umstrittenen Frage, ob bei unmittelbarer Diskriminierung überhaupt die Möglichkeit der Rechtfertigung besteht, zeigt Rebhahn auf, dass der EuGH idR die Rechtfertigung nicht zulässt, gelegentlich aber über die Annahme einer nicht vergleichbaren Lage „ausweicht“. Ein starres „Rechtfertigungsverbot“ kann man tatsächlich nicht befürworten. Der von Rebhahn aufgezeigte Weg, bei unmittelbaren Benachteiligungen höhere Anforderungen an die Rechtfertigung zu stellen als bei mittelbarer Benachteiligung (Art 157 AEUV Rz 22), würde zwar am Ergebnis meist wenig ändern, wäre aber der ehrlichere und überprüfbarere Weg.

Überzeugen kann auch die Kommentierung von Holoubek zu Art 28 GRC. Zu Recht kritisiert er – wenn auch vorsichtig – den EuGH und betont die Gleichrangigkeit von Grundfreiheiten und Grundrechten, weshalb die in den Entscheidungen Viking und Laval vorgenommene Prüfung, ob die Beschränkung der Grundfreiheit durch eine Grundrechtsausübung verhältnismäßig ist, keineswegs als zwingend angesehen werden kann, sondern durchaus auch die umgekehrte Perspektive in Betracht kommt. Dies gelte umso mehr, als in vielen Mitgliedstaaten eine Verhältnismäßigkeitskontrolle im Zusammenhang mit Streikmaßnahmen überhaupt abgelehnt wird (Art 28 GRC Rz 24). Im Hinblick auf die generelle kartellrechtliche Ausnahme von Tarifverträgen (Rs Albany) wäre es sE auch argumentierbar gewesen, für Streiks eine generelle Bereichsausnahme von den Grundrechten vorzusehen, weil mit Streiks – sofern sie einen Binnenmarktbezug aufweisen – typischerweise auch eine Beschränkung der Grundfreiheit einhergeht. Es gebe ferner gute Gründe, dass ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit nur bei Streiks vorliege, die gezielt durch eine Beeinträchtigung des Warenverkehrs Druck ausüben wollen, nicht aber, wenn als unbeabsichtigter Nebeneffekt temporäre Beschränkungen des Warenverkehrs auftreten (Art 28 Rz 25).

Der Kommentar schafft die Gratwanderung zwischen hoher wissenschaftlicher Qualität und Praktikabilität vor allem für die in der Rechtsanwendung Tätigen überwiegend sehr gut. Dass manche Kommentierungen eher zur Ausführlichkeit und andere wieder zu knapper Darstellung neigen, lässt sich bei so einem Kommentarprojekt auch bei genauen Vorgaben nicht vermeiden. Insgesamt handelt es sich jedenfalls um einen unverzichtbaren Behelf für alle Angehörigen juristischer Berufe, die sich mit dem Primärrecht der Union beschäftigen müssen. Es wird nicht mehr viele JuristInnen geben, bei denen das nicht – zumindest hin und wieder – der Fall ist.203