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Obliegenheit des Arbeitgebers zur Auskunftserteilung an abgelehnte BewerberInnen

MATTHIASBALLA (WIEN)
Art 8 Abs 1 RL 2000/43/EG; Art 10 Abs 1 RL 2000/78/EG; Art 19 Abs 1 RL 2006/54/EG
EuGH 19.4.2012 C-415/10Meister/Speech Design Carrier Systems GmbH
  1. Art 8 Abs 1 der RL 2000/43, Art 10 Abs 1 der RL 2000/78 und Art 19 Abs 1 der RL 2006/54 sind dahin gehend auszulegen, dass sie für einen AN, der schlüssig darlegt, dass er die in einer Stellenausschreibung genannten Voraussetzungen erfüllt, und dessen Bewerbung nicht berücksichtigt wurde, keinen Anspruch auf Auskunft darüber vorsehen, ob der AG am Ende des Einstellungsverfahrens einen anderen Bewerber eingestellt hat.

  2. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Verweigerung jedes Zugangs zu Informationen durch einen Bekl ein Gesichtspunkt sein kann, der im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, heranzuziehen ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall ist.

(26) Frau Meister wurde am 7.9.1961 geboren und ist russischer Herkunft. Sie ist Inhaberin eines russischen Diploms als Systemtechnik-Ingenieurin, dessen Gleichwertigkeit mit einem von einer Fachhochschule erteilten deutschen Diplom in Deutschland anerkannt wurde.

(27) Speech Design veröffentlichte in der Presse eine Stellenanzeige für „eine/n erfahrene/n Softwareentwickler/-in“, auf die sich Frau Meister am 5.10.2006 bewarb. Mit Schreiben vom 11.10.2006 lehnte Speech Design ihre Bewerbung ab, ohne sie zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Kurz danach erschien im Internet eine zweite Stellenanzeige von Speech Design, deren Inhalt dem der ersten Anzeige entsprach. Am 19.10.2006 bewarb sich Frau Meister erneut um die Stelle, doch lehnte Speech Design ihre Bewerbung wiederum ab, ohne sie zu einem Gespräch einzuladen und ohne Gründe für diese Ablehnung anzugeben.

(28) Aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass Speech Design geltend machte, die Qualifikation von Frau Meister entspreche nicht den Anforderungen für die zu besetzende Stelle.

(29) Frau Meister war der Ansicht, dass sie die Anforderungen für die betreffende Stelle erfülle und wegen ihres Geschlechts, ihres Alters und ihrer ethnischen Herkunft ungünstiger behandelt worden sei als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Sie erhob daher beim Arbeitsgericht Klage gegen Speech Design und beantragte, diese erstens zur Zahlung von Schadensersatz wegen Diskriminierung bei der Beschäftigung und zweitens zur Vorlage der Bewerbungsunterlagen des eingestellten Bewerbers zu verurteilen, um ihr den Nachweis zu ermöglichen, dass sie besser qualifiziert sei als Letzterer.

(30) Gegen das Urteil, mit dem ihre Klage in erster Instanz abgewiesen wurde, legte Frau Meister beim Landesarbeitsgericht Berufung ein, die ebenfalls erfolglos blieb. Daraufhin legte Frau Meister Revision zum Bundesarbeitsgericht ein. Dieses Gericht fragt sich, ob Frau Meister auf der Grundlage der Richtlinien 2000/43, 2000/78 und 2006/54 einen Auskunftsanspruch geltend machen kann und, wenn ja, welche Folgen eine Auskunftsverweigerung durch Speech Design haben würde.

(31) Unter diesen Umständen hat das Bundesarbeitsgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

  1. Sind Art 19 Abs 1 der RL 2006/54, Art 8 Abs 1 der RL 2000/43 und Art 10 Abs 1 der RL 2000/78 dahingehend auszulegen, dass einem AN, der darlegt, dass er die Voraussetzungen für eine von einem AG ausgeschriebene Stelle erfüllt, im Falle seiner Nichtberücksichtigung ein Anspruch gegen den AG auf Auskunft eingeräumt werden muss, ob dieser einen anderen Bewerber eingestellt hat und, wenn ja, aufgrund welcher Kriterien diese Einstellung erfolgt ist?

  2. Falls die erste Frage bejaht wird: Ist der Umstand, dass der AG die geforderte Auskunft nicht erteilt, eine Tatsache, welche das Vorliegen der vom AN behaupteten Diskriminierung vermuten lässt? [...]

(33) Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich aus Art 3 Abs 1 Buchst a der RL 2000/43, Art 3 Abs 1 Buchst a der RL 2000/78 sowie Art 1 Abs 2 Buchst a und Art 14 Abs 1 Buchst a der RL 2006/54 ergibt, dass diese Richtlinien für eine Person gelten, die eine Beschäftigung sucht, und zwar auch in Bezug auf die Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen für diese Beschäftigung.

(34) Ferner sehen Art 8 Abs 1 der RL 2000/43, Art 10 Abs 1 der RL 2000/78 und Art 19 Abs 1 der RL 2006/54 im Wesentlichen vor, dass die Mitgliedstaaten im Einklang mit ihrem nationalen Gerichtswesen die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um zu gewährleisten, dass immer dann, wenn Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für verletzt halten und bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Bekl obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung dieses Grundsatzes vorgelegen hat.

(35) Die genannten Bestimmungen sind nahezu wortgleich mit Art 4 Abs 1 der RL 97/80/EG des Rates vom 15.12.1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (ABl 1998, L 14, S 6), mit dessen Auslegung sich der Gerichtshof ua in seinem Urteil vom 21.7.2011, Kelly (C-104/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), befasst hat. Art 4 Abs 1, der wie die gesamte RL 97/80 durch die RL 2006/54 mit Wirkung zum 15.8.2009 aufgehoben wurde, sah für Fälle der Diskriminierung aufgrund des145 Geschlechts dieselbe Beweislastregelung vor wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Richtlinien.

(36) Zur Auslegung von Art 4 Abs 1 der RL 97/80 hat der Gerichtshof in Rn 30 des Urteils Kelly entschieden, dass es der Person obliegt, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, zunächst Tatsachen glaubhaft zu machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen. Nur wenn diese Person solche Tatsachen glaubhaft macht, hat der Bekl sodann nachzuweisen, dass keine Verletzung des Diskriminierungsverbots vorliegt.

(37) Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass es dem einzelstaatlichen Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle obliegt, die Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, im Einklang mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten zu bewerten (Urteil Kelly, Rn 31), wie es der 15. Erwägungsgrund der Richtlinien 2000/43 und 2000/78 sowie der 30. Erwägungsgrund der RL 2006/54 vorsehen.

(38) Der Gerichtshof hat darüber hinaus klargestellt, dass mit der RL 97/80 nach ihrem Art 1 eine wirksamere Durchführung der Maßnahmen gewährleistet werden sollte, die von den Mitgliedstaaten in Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes getroffen werden, damit jeder, der sich wegen Nichtanwendung dieses Grundsatzes auf ihn für beschwert hält, seine Rechte nach etwaiger Befassung anderer zuständiger Stellen gerichtlich geltend machen kann (Urteil Kelly, Rn 33). In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass auch Art 7 Abs 1 der RL 2000/43, Art 9 Abs 1 der RL 2000/78 und Art 17 Abs 1 der RL 2006/54 auf diesen Grundsatz Bezug nehmen.

(39) Der Gerichtshof ist daher in Rn 34 des Urteils Kelly zu dem Ergebnis gekommen, dass Art 4 Abs 1 der RL 97/80 zwar keinen spezifischen Anspruch einer Person, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, auf Einsichtnahme in Informationen vorsieht, um sie in die Lage zu versetzen, „Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen“, gemäß dieser Bestimmung glaubhaft zu machen, dass jedoch nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Verweigerung von Informationen durch den Bekl im Rahmen des Nachweises solcher Tatsachen die Verwirklichung des mit dieser RL verfolgten Ziels beeinträchtigen und insb der genannten Bestimmung ihre praktische Wirksamkeit nehmen kann.

(40) Wie bereits in Rn 35 des vorliegenden Urteils ausgeführt, wurde die RL 97/80 durch die RL 2006/54 aufgehoben und ersetzt. Im Hinblick auf den Wortlaut und die Systematik der Artikel, die Gegenstand des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens sind, gibt es jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Unionsgesetzgeber durch den Erlass der Richtlinien 2000/43, 2000/78 und 2006/54 die durch Art 4 Abs 1 der RL 97/80 eingeführte Beweislastregelung ändern wollte. Infolgedessen ist im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, sicherzustellen, dass eine Verweigerung von Informationen durch den Bekl nicht die Verwirklichung der mit den Richtlinien 2000/43, 2000/78 und 2006/54 verfolgten Ziele zu beeinträchtigen droht.

(41) In Art 4 Abs 3 Unterabs 2 und 3 EUV heißt es, dass die Mitgliedstaaten ua „alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen [ergreifen], die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben“, und „alle Maßnahmen [unterlassen], die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten“; dazu gehören auch die mit den Richtlinien verfolgten Ziele (vgl Urteil vom 28.4.2011, El Dridi, C-61/11 PPU, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn 56, und Urteil Kelly, Rn 36).

(42) Daher hat das vorlegende Gericht darüber zu wachen, dass die Auskunftsverweigerung durch Speech Design im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung zum Nachteil von Frau Meister vermuten lassen, nicht die Verwirklichung der mit den Richtlinien 2000/43, 2000/78 und 2006/54 verfolgten Ziele zu beeinträchtigen droht. Es hat insb bei der Klärung der Frage, ob es genügend Indizien gibt, um die Tatsachen, die das Vorliegen einer solchen Diskriminierung vermuten lassen, als nachgewiesen ansehen zu können, alle Umstände des Ausgangsrechtsstreits zu berücksichtigen.

(43) In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach dem 15. Erwägungsgrund der Richtlinien 2000/43 und 2000/78 sowie dem 30. Erwägungsgrund der RL 2006/54 nationale Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten insb vorsehen können, dass eine mittelbare Diskriminierung mit allen Mitteln, einschließlich statistischer Beweise, festzustellen ist.

(44) Zu den Gesichtspunkten, die in Betracht gezogen werden können, gehört insb der Umstand, dass, anders als in der Rs, in der das Urteil Kelly ergangen ist, der AG, um den es im Ausgangsverfahren geht, Frau Meister jeden Zugang zu den Informationen verweigert zu haben scheint, deren Übermittlung sie begehrt.

(45) Darüber hinaus können, wie der Generalanwalt in den Nrn 35 bis 37 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, insb auch die Tatsache herangezogen werden, dass Speech Design nicht bestreitet, dass die Qualifikation von Frau Meister den Anforderungen in der Stellenanzeige entspricht, sowie die beiden Umstände, dass der AG sie gleichwohl nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat und dass sie auch im Rahmen des neuen Verfahrens zur Auswahl unter den Bewerbern um die Besetzung der betreffenden Stelle nicht eingeladen wurde.

(46) Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art 8 Abs 1 der Richtlinien 2000/43, Art 10 Abs 1 der RL 2000/78 und Art 19 Abs 1 der RL 2006/54 dahin gehend auszulegen sind, dass sie für einen AN, der schlüssig darlegt, dass er die in einer Stellenausschreibung genannten Voraussetzungen erfüllt, und dessen Bewerbung nicht berücksichtigt wurde, keinen Anspruch auf Auskunft darüber vorsehen, ob der AG am Ende des Einstellungsverfahrens einen anderen Bewerber eingestellt hat.

(47) Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Verweigerung jedes Zugangs zu Infor-146mationen durch einen Bekl ein Gesichtspunkt sein kann, der im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, heranzuziehen ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall ist. [...]

Anmerkung
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Problemstellung

Der Nachweis einer Diskriminierung gilt als besonders schwierig. Diese Feststellung trifft im verstärkten Ausmaß auf die Diskriminierung von AN bei der Bewerbung um ein Beschäftigungsverhältnis zu (Schlussanträge GA Mengozzi zu EuGH 19.4.2012, C-415/10, Meister, Slg 2012, I-00000, Rn 1). Gerade bei der Einstellung ist das Informationsgefälle zwischen EinstellungswerberIn und dem/der AG besonders stark.

Weil diskriminierende Haltungen am besten dort gedeihen, wo sie sich unreflektiert und kritiklos ausbreiten können, birgt die im Bewerbungsverfahren bestehende Intransparenz zugunsten des/der AG für den/die abgelehnte/n StellenbewerberIn nicht selten den Verdacht, dass der/die AG sich bei der Auswahl von nicht nur unsachlichen, sondern sogar von diskriminierenden Werthaltungen leiten ließ.

Zum Mangel an Information tritt hinzu, dass die eine Diskriminierung behauptende, klagende Partei vor Gericht sich nicht selten dem generellen Misstrauen ausgesetzt sieht, ihre Wahrnehmung wäre gefärbt durch den Umstand der persönlichen Enttäuschung über die erlittene Zurücksetzung. Die Weckung dieses Generalverdachts gilt geradezu als rhetorische Einleitungsfloskel jeder Klagebeantwortung. Das im Bewerbungsverfahren bestehende Informationsgefälle wirkt sich somit mehrfach zu Lasten einer potentiell diskriminierten Person aus.

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Beweiserleichterung

Das Wissen um die Schwierigkeiten eines Nachweises der Diskriminierung durch die belastete Partei bewog den Unionsgesetzgeber bereits 1997 zur Erlassung einer RL, mit Hilfe welcher eine wirksamere Durchsetzung der Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vor den nationalen Gerichten gewährleistet werden sollte (RL 97/80 EG).

Die Regeln der Beweislastverteilung wurden dahingehend geändert, dass nunmehr bereits der glaubhaft gemachte Anschein durch den/die Kl ausreicht, um dem/der bekl AG die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass sein/ihr Verhalten im Rahmen des Bewerbungsverfahrens nicht diskriminierend gewesen sei. Diese Regelung der Beleislastverteilung wurde nahezu wortgleich in Art 8 Abs 1 der RL 2000/43, Art 10 Abs 1 der RL 2000/78 und Art 14 Abs 1 Buchst a der RL 2006/54 übernommen.

Die vollzogene Absenkung des Beweismaßes auf das Erfordernis der bloßen Glaubhaftmachung des Vorliegens der anspruchsbegründenden Tatsachen ist ein Umstand, der unzweifelhaft die Geltendmachung der Ansprüche für die/den Kl erleichtert.

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Klage auf Verdacht

Reicht aber die Absenkung des Beweiserfordernisses bereits aus, um dem/der Kl die Wahrnehmung des Rechts auf Gleichbehandlung zu ermöglichen? Reicht sie – in der Diktion des EuGH – aus, um „eine wirksame Durchführung der Maßnahmen zu gewährleisten, die von den Mitgliedstaaten in Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes getroffen werden“?

Die missliche Lage, in der sich ein/e als diskriminiert erachtende/r Kl befindet, besteht ja nicht alleine darin, dass er/sie einen subjektiv-logischen Geschehensablauf vermutet und vor Augen hat, für dessen Nachweis lediglich die notwendigen Zeugen oder Urkunden fehlen. Vielmehr ist der/die BewerberIn mit fragwürdigen Umständen einer Ablehnung konfrontiert, für die vorerst jegliche sachlichen Erklärungsmuster fehlen, die die Entscheidung des/der AG nachvollziehbar machen würden.

Im vorliegenden Fall lag der Verdacht der Kl dadurch begründet, dass sie, obwohl sie über die in der Stellungsausschreibung geforderten Ausbildungsabschlüsse verfügte und sie sich auf die mehrfach ausgeschriebene Stelle wiederholt bewarb, mehrmals abgelehnt wurde. Die Ablehnung erfolgte von der AG ohne dass die Kl zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wurde und ohne Angabe von Gründen.

Nicht das Vorliegen von als unsachlich empfundenen Entscheidungskriterien, sondern – im Gegenteil – das Fehlen einer sachlichen Nachvollziehbarkeit der Ablehnung nährt den Verdacht der Betroffenen. Da jede Diskriminierung das Licht der Öffentlichkeit scheut, ist es geradezu ein charakteristischer Umstand, dass der/die Betroffene über die maßgeblichen Umstände der Ablehnung seiner/ihrer Bewerbung von dem/der AG bewusst und so weit wie möglich im Unklaren gelassen wird.

Aus dieser Unklarheit folgte auch im vorliegenden Entscheidungsfall, dass die Kl gezwungen war, ihre Klage zur Vorsicht auf jeden denkbar in Frage kommenden Diskriminierungsvorwurf zu stützen, sei er in ihrem Alter, ihrem Geschlecht, ihrer Religion oder ihrer ethnischen Herkunft begründet. Um ein Ausufern des Prozesses zu vermeiden, war es daher nicht überraschend, dass die Kl ihre Klage mit dem Antrag auf Herausgabe der Entscheidungsgrundlagen bzw auf Auskunft über die der Entscheidung der AG zugrunde liegenden Einstellungskriterien verband.

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Anspruch auf Auskunft?

Die Frage nach einem allfälligen Auskunftsrechts des/der AN, die das nationale Gericht schließlich dem Gerichtshof vorlegte, wurde nicht zum ersten Mal an den EuGH herangetragen. Bereits in der Rs Kelly wurde einem Bewerber der Zugang zu einem Ausbildungsplatz an einer Hochschule verwehrt (21.7.2011, C-104/10, Patrick Kelly/National University of Ireland, Slg 2011, I-00000).147

Der EuGH verwies bereits hier darauf, dass es zunächst Sache der Kl ist, die Tatsachen, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen, glaubhaft zu machen. Die RL 97/89 solle zwar eine wirksame Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzung des Gleichbehandlungsanspruches gewährleisten, die Bestimmungen enthielten aber keinen spezifischen Anspruch auf Einsichtnahme in Informationen des Bekl (Rs Patrick Kelly/National University of Ireland, Rn 34).

Der Gerichtshof hatte die negative Feststellung des Nichtbestehens eines Informationsrechts jedoch mit relativierenden Einschränkungen verbunden. Er hielt bereits damals ausdrücklich fest, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Verweigerung von Informationen durch den bekl AG die Verwirklichung des mit der RL 97/80 (Beweislast bei Diskriminierung des Geschlechts) verfolgten Ziels beeinträchtigen kann (Rs Patrick Kelly/National University of Ireland).

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Die aktuelle Entscheidung

Auch in der vorliegenden Rs hat der Gerichtshof, die obige Argumentation fortführend, einen grundsätzlichen Anspruch der AN auf Information zwar abgelehnt, in der Folge jedoch auf den potentiell diskriminierenden Gehalt einer generellen Informationsverweigerung des AG verwiesen (siehe oben Rn 46).

Worin liegt nun der rechtsfortbildende Mehrwert der aktuellen E?

In der Rs Kelly umriss der EuGH nur ganz allgemein den rechtsgefährdenden Charakter einer generellen Informationsverweigerung durch den AG. Er wollte nicht ausschließen, dass eine solche Weigerung generell die Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinien beeinträchtigen kann. In der vorliegenden E zieht der Gerichtshof wesentlich konkretere Schlussfolgerungen.

Er verweist darauf, dass der Umstand der Informationsverweigerung des AG (unter Berücksichtigung aller Umstände) ein Gesichtspunkt sein kann, der im Rahmen der Prüfung, ob eine Diskriminierung vorliegt, vom nationalen Gericht heranzuziehen ist (siehe oben Rn 47). Er ermahnt in diesem Zusammenhang auch konkret das nationale Gericht dahingehend, darüber zu wachen, dass die Auskunftsverweigerung durch den Bekl nicht die Verwirklichung der Richtlinienziele zu beeinträchtigen droht (siehe oben Rn 42).

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Obliegenheit zur Auskunftserteilung

Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass es zwar nach wie vor keinerlei generellen Rechtsanspruch auf Information für die sich diskriminiert erachtete Kl gibt, gleichzeitig aber eine generelle Informationsverweigerung sehr wohl unter Berücksichtigung aller übrigen Umstände den Anschein einer Diskriminierung erfüllen kann.

Will daher ein/e AG zukünftig mögliche Rechtsnachteile verhindern, wird er/sie gemäß der Rsp des EuGH gezwungen sein, dem/der BewerberIn über die Entscheidungsgrundlagen seiner Ablehnung Auskunft zu erteilen. Diese Verpflichtung, die nicht in einem Anspruch der Gegenpartei begründet ist, sondern lediglich der Abwehr drohender Rechtsnachteile dient, wird man wohl hinsichtlich ihres allgemeinen rechtlichen Charakters als Obliegenheit einstufen können.

Wie weit reicht nun die Obliegenheit eines/einer AG zur Auskunftserteilung an den/die abgelehnte/n BewerberIn?

ISd vorliegenden E wird eine Grenze jedenfalls dort zu ziehen sein, wo es um eine direkte Einsichtnahme des/der BewerberIn in oder gar um eine Ausfolgung von konkreten Bewerbungsunterlagen geht. Dies würde im Ergebnis die Beweislast vollends auf den/die bekl AG überwälzen. Der EuGH hält ausdrücklich fest, dass die Richtlinien 2000/43, 2000/78 und 2006/54 diesbezüglich keinerlei Hinweis auf eine Änderung der mit der RL 97/80 eingeführten Beweislastregelung geben.

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Kollision mit Geheimhaltungspflicht?

Es besteht allerdings noch eine weitere Grenze der Obliegenheit des/der AG, und zwar die Verpflichtung des/der AG zur Geheimhaltung der persönlichen Daten des/der im Bewerbungsverfahren obsiegenden KonkurrentIn. Auf die Notwendigkeit des Schutzes personenbezogener Daten hatte der EuGH bereits in der Rs Kelly hingewiesen (Rn 55).

Ua hat dieser Umstand in der deutschen Literatur Picker dazu bewogen, einer allfälligen rechtlichen Obliegenheit zur Auskunftserteilung jegliche sachliche Grundlage abzusprechen. Seiner Auffassung nach könne einer Auskunftsverweigerung antidiskriminierungsrechtlich grundsätzlich kein Erklärungswert beigemessen werden (Picker, NZA 12/2012, 643).

ME ist diese Argumentation überzogen. Die Verpflichtung zur Geheimhaltung persönlicher Daten der MitbewerberInnen rechtfertigt nicht jegliche Auskunftsverweigerung. Der pauschale Hinweis auf das Datenschutzgesetz wird allzu oft als rhetorischer Deckmantel missbraucht, um dahinter die Fragwürdigkeit getroffener Entscheidungen zu verbergen. Zur Rechtfertigung der Entscheidung des/der AG bedarf es nicht der Offenlegung des konkreten persönlichen Profils der MitkonkurrentInnen.

Die konkreten Einstellungsgründe können durch Verallgemeinerung der für den Zuschlag relevanten Einstellungsgründe anonymisiert werden. Freilich verdünnt sich dadurch der Informationsgehalt der Auskunft und es bestünde Spielraum für ein „Frisieren“ der anonymisierten Daten.

Der Anreiz für eine solche Täuschung ist allerdings gering. Im Falle einer gerichtlichen Überprüfung wäre der/die AG gezwungen, seine/ihre wahren Beweggründe offen zu legen und würde selbst den Anschein einer Deckungshandlung zu einer vermutlichen Bemäntelung einer Diskriminierung unter Beweis stellen.

Selbst auf die Gefahr hin, von dem/der AG aus datenschutzrechtlichen Gründen lediglich nicht konkreter verifizierbare Informationen zu erhalten, wird dem Anliegen des/der BewerberIn auf sachliche Behandlung im Rahmen der Bewerbung mehr entsprochen als ohne jegliche Rechtfertigung.148

8
Ergebnis

Die vorliegende E soll AG dazu motivieren, sich auch mit abgelehnten BewerberInnen sachgerecht auseinanderzusetzen. Es gibt zwar die weitverbreitete Maxime, aus prozesstaktischen Gründen der anderen Partei lieber keine Stellungnahme zukommen zu lassen als eine Antwort, wofür man sich möglicherweise rechtfertigen müsste. Dieser Erfahrungssatz übersieht aber, dass das Misstrauen eines/einer BewerberIn und der Verdacht auf diskriminierende Behandlung seltener durch die generelle Vermutung genährt wird, belogen zu werden, als durch Erfahrung schlichter Missachtung.

Mit dem rechtspolitisch geschärften Blick auf den potentiell diskriminierenden Gehalt einer generellen Informationsverweigerung im Zuge von Ablehnungen in Bewerbungsverfahren und einer daraus resultierenden Obliegenheit des/der AG zur Auskunftserteilung wird aus Sicht des Autors ein wichtiger Schritt zur Verwirklichung der Ziele der Antidiskriminierungsrichtlinien der EU getan. Es bleibt allerdings der zukünftigen Rsp der nationalen Gerichte anheim gestellt, deren Umsetzung zu gewährleisten.

Wichtiger wäre freilich de lege ferenda die Statuierung einer generellen Informations- bzw Begründungspflicht für AG in Bewerbungsverfahren durch den nationalen und/oder europäischen Gesetzgeber.