Transportleistungen in der Sozialversicherung*
Transportleistungen in der Sozialversicherung*
Zum rechtlichen Rahmen für Transportleistungen
Länder- und Gemeindekompetenzen
Landesgesetzliche Regelungen – Beispiel: Wien
Rettungs- und Krankentransportdienst
Privater Rettungs- bzw Krankentransportdienst: Entgeltpflicht
Öffentlicher Rettungsdienst: Gebührenpflicht
Zur Übernahme der Transportkosten durch die Sozialversicherungsträger
Zentrale Regelungen
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt
Geeignetes Transportmittel
Verweigerte Rettungsfahrten
Zur Organisation der Transportleistungen
Gesamt-)Vertragliche Vereinbarungen
Hinweise auf vergaberechtliche Vorgaben
Resümee
Nach Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG obliegt dem Bund die Gesetzgebung und Vollziehung in den Bereichen „Gesundheitswesen mit Ausnahme des Leichen- und Bestattungswesens sowie des Gemeindesanitätsdienstes und Rettungswesens, hinsichtlich der Heil- und Pflegeanstalten, des Kurortewesens und der natürlichen Heilvorkommen jedoch nur die sanitäre Aufsicht“. Die Angelegenheiten des Hilfs- und Rettungsdienstes, die nach Rsp des VfGH die Regelung der Organisation von Erster Hilfe und Krankentransporten, ihre Finanzierung und die Anerkennung von Organisationen als Träger dieser Aufgaben beinhalten, sind hingegen nach Art 15 Abs 1 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung Landessache.* Die behördlichen Aufgaben in Angelegenheiten der örtlichen Gesundheitspolizei, insb auch auf dem Gebiet des Hilfs- und Rettungswesens, sind übrigens den Gemeinden zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich gewährleistet.*217
Die landesgesetzlichen Regelungen des rechtlichen Rahmens für die Erbringung der in Rede stehenden Transportleistungen sind sehr unterschiedlich. Beispielhaft soll nur auf die Regelung in Wien eingegangen werden.*
Hier wird zwischen Rettungs- und Krankentransportdienst unterschieden. Ersterer hat insb die Aufgabe, Personen, die eine erhebliche Gesundheitsstörung oder erhebliche Verletzung erlitten haben, erste Hilfe zu leisten, sie transportfähig zu machen und sie erforderlichenfalls unter sachgerechter Betreuung mit geeigneten Transportmitteln in eine Krankenanstalt zu befördern oder ärztlicher Hilfe zuzuführen. Ihm obliegt auch der Transport von Personen, bei denen lebenswichtige Funktionen ständig überwacht oder aufrechterhalten werden müssen. Aufgabe eines Krankentransportdienstes ist es dagegen, Personen, bei denen während des Transports eine Betreuung durch SanitäterInnen medizinisch notwendig ist und die aus medizinischen Gründen kein gewöhnliches Verkehrsmittel benützen können, unter sachgerechter Betreuung mit geeigneten Transportmitteln zu befördern. Welche Transportmittel jeweils angemessen sind, wird im Gesetz nicht näher umschrieben.
Die Stadt Wien ist zur Sicherstellung des Rettungsdienstes für das Gemeindegebiet verpflichtet und betreibt zur Erfüllung dieser Aufgabe einen eigenen (öffentlichen) Rettungsdienst,* bedient sich aber auch privater Rettungsdienste. Den Krankentransportdienst sollen grundsätzlich private Einrichtungen durchführen; reicht das private Versorgungsangebot jedoch nicht aus, so hat der Rettungsdienst auch die Aufgabe eines Krankentransportdienstes zu erfüllen, um den Bedarf der Allgemeinheit an Krankentransporten zu decken.*
Für die Inanspruchnahme eines privaten Rettungs- oder Krankentransportdienstes, insb für die Betreuung (Hilfeleistung, Transport), ist ein Entgelt zu entrichten, wenn es zur Ausfahrt eines Einsatzfahrzeuges kommt. Die Forderung dieses Entgelts richtet sich gem § 31 Abs 2 WRKG nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts.
Ansprüche von Rettungsunternehmen gegen PatientInnen könnten dabei auf einer idR konkludent begründeten vertraglichen (Beförderungs-)Vereinbarung beruhen oder sich aus einer (notwendigen) Geschäftsführung ohne Auftrag ergeben (§§ 1036 f ABGB). Problematisch könnte dabei im ersten Fall im Hinblick auf § 863 ABGB sein, dass dem Verhalten der PatientInnen oft kein unzweifelhafter Erklärungswert zu entnehmen ist und sie manchmal auch gar nicht im Stande sind, Willenserklärungen abzugeben. Die Geschäftsführung ohne Auftrag setzt hingegen zum einen die Absicht voraus, für den Verletzten – und nicht für den Sozialversicherungsträger – zu handeln, und müsste man zum anderen das Fehlen der (zumutbaren) Möglichkeit, die Zustimmung des Geschäftsherren einzuholen, prüfen.*
Für die Inanspruchnahme des öffentlichen Rettungsdienstes, insb für die Betreuung (Hilfeleistung, Transport), ist eine Gebühr (2013: € 598,–) zu entrichten, wenn es zur Ausfahrt eines Einsatzfahrzeuges kommt, wobei in berücksichtigungswürdigen Fällen von der Einhebung ganz oder teilweise abgesehen werden kann.* Gebührenschuldner ist derjenige, für den der öffentliche Rettungsdienst in Anspruch genommen wurde, und zwar auch dann, wenn die Hilfeleistung oder der Transport wegen des Verhaltens oder der Änderung des Zustandes des Gebührenschuldners unterblieb. Die Gebühr ist auch dann zu entrichten, wenn der öffentliche Rettungsdienst zu Personen gerufen wird, ohne dass die gesetzlich geforderten Voraussetzungen gegeben waren, sofern das Vorliegen dieser Voraussetzungen auf Grund des Zustandsbildes mit gutem Grund angenommen werden konnte.*
Mit Zustimmung der Stadt Wien können gem § 30 WRKG die hierfür in Betracht kommenden Sozialversicherungsträger oder mit deren Einvernehmen der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger sowie Krankenfürsorgeanstalten öffentlich Bediensteter durch schriftliche Erklärung an Stelle von Gebührenpflichtigen als Gebührenschuldner eintreten. Nach Abgabe dieser Erklärung sind diese allein die Gebührenpflichtigen (-schuldner). Wenn sie aber im Einzelfall angeben, dass ihre Eintrittserklärung mangels eines ihnen gegenüber bestehenden Anspruchs auf Kostenübernahme keine Anwendung findet, ist die Gebühr dem eigentlichen Schuldner vorzuschreiben. Damit stellt sich die Frage, wann Transportkosten vom Krankenversicherungsträger zu tragen bzw zu übernehmen sind.
Krankentransportkosten sind nach hA Teil der ärztlichen Hilfe bzw Anstaltspflege; der Transport ist eine akzessorische Leistung zur Krankenbehand218lung.* Nach § 135 Abs 4 ASVG kann im Falle der Notwendigkeit der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe der Ersatz der Reise- bzw Fahrtkosten nach Maßgabe der Satzung gewährt werden, wobei es sich dabei um eine sogenannte satzungsmäßige Pflichtleistung handelt. Hierbei spielt es keine Rolle, ob es um die Inanspruchnahme vertrags- oder wahlärztlicher Hilfe geht. Eine Einschränkung auf erstere in der Satzung wäre gesetzwidrig, zumal ärztliche Hilfe, von der im Gesetz die Rede ist, auch durch WahlärztInnen erbracht wird. Es spricht jedoch nichts dagegen, die zu ersetzenden Transportkosten mit jenem Betrag zu begrenzen, der bei Inanspruchnahme des nächstgelegenen geeigneten Vertragsarztes zu ersetzen wäre.*
Nach § 135 Abs 5 ASVG bestimmt die Satzung außerdem unter Bedachtnahme auf die erwähnte Bestimmung, unter welchen Voraussetzungen für gehunfähig erkrankte Versicherte der Transport mit einem Krankentransportwagen zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe sowie der Ersatz für die Inanspruchnahme eines Lohnfuhrwerkes bzw privaten Kfz gewährt werden kann. Die medizinische Notwendigkeit eines solchen Transportes muss ärztlich bescheinigt sein. Nach § 144 Abs 5 ASVG sind überdies auch die notwendigen Kosten einer Beförderung zur Inanspruchnahme der Anstaltspflege – ebenfalls unter Bedachtnahme auf § 135 Abs 4 leg cit – zu übernehmen, sofern der körperliche Zustand des Erkrankten oder die Entfernung seines Wohnsitzes seine Beförderung in die oder aus der Anstalt erfordert.
Bei der Frage nach der Kostentragung für den Transport zur Unterbringung eines Patienten nach dem UbG ist (schlicht) auf dessen Behandlungsbedürftigkeit abzustellen; ein Anspruch auf Krankenbehandlung in Form der Anstaltspflege und auf Übernahme der Transportkosten als akzessorische Leistung setzt voraus, dass nicht bloß ein Asylierungsfall iSd § 144 Abs 3 ASVG vorliegt, weswegen zu fragen ist, ob der Transport (auch) dazu diente, die stationäre Behandlung der beim Versicherten vorgelegenen psychischen Erkrankung zu ermöglichen.*
Ergänzend wird der Krankenversicherungsträger in § 131 Abs 3 ASVG zur Leistung ua des in der jeweiligen Satzung festgelegten Ersatzes der Transportkosten bei im Inland eingetretenen Unfällen, plötzlichen Erkrankungen und ähnlichen Ereignissen verpflichtet. Hier stellt der Gesetzgeber – um angesichts der Dringlichkeit in solchen Fällen jedweden Zweifel zu nehmen – klar, dass der nächsterreichbare Arzt, erforderlichenfalls auch die nächsterreichbare Krankenanstalt, in Anspruch genommen werden kann, falls ein Vertragsarzt eine Vertragskrankenanstalt oder eine eigene Einrichtung des Versicherungsträgers für die ärztliche Hilfe (Anstaltspflege) nicht rechtzeitig die notwendige Hilfe leisten kann.
Bei (Freizeit-)Unfällen in Ausübung von Sport und Touristik wird der Krankenversicherungsträger in Abs 4 leg cit allerdings von der Ersatzpflicht für Bergungskos ten und für die Kosten der Beförderung bis ins Tal wieder befreit. Nicht von dieser Ausnahme erfasst sind aber Arbeitsunfälle (bzw Unfälle, die sich auf Schulskikursen und Schullandwochen ereignen).* Ebenfalls nicht vom Leistungsausschluss erfasst sind plötzliche Erkrankungen, die mitunter nur schwer von Freizeitunfällen abgegrenzt werden können; im Zweifel ist – angelehnt an das Unfallversicherungsrecht – nach der „wesentlichen“ Ursache für die Behandlungs- und Transportbedürftigkeit zu fragen.* Ob die wesentliche Ursache dem nicht geschützten oder dem geschützten Bereich zuzuordnen ist, ist eine Wertungsfrage (mit rechtspolitischen Entscheidungsspielraum).* Flugtransporte nach einem Unfall in Ausübung von Sport und Touristik am Berg sind nach § 44 Abs 7 Z 3 der Mustersatzung 2011 jedenfalls ersatzfähig, wenn der Flugtransport auch dann erforderlich wäre, wenn sich der Unfall im Tal ereignet hätte. Die Höhe der zu übernehmenden Kosten richtet sich grundsätzlich nach dem von der Kasse mit der Flugrettungsorganisation vereinbarten Tarif.
Da die Beförderungskosten nur im Falle der Notwendigkeit der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe bzw der Anstaltspflege ersetzt werden und insofern medizinisch indiziert sein müssen, ist zu klären, wann eine Krankheit iSd § 120 Z 1 ASVG als eingetreten zu gelten hat und zu welchem Zeitpunkt die Notwendigkeit einer Krankenbehandlung zu beurteilen ist.
Der Zeitpunkt, den der Gesetzgeber als zentralen Anknüpfungspunkt für das Leistungsrecht der KV gewählt hat, ist durch zwei Elemente gekennzeichnet: Durch einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand des Versicherten und durch die Notwenigkeit der Krankenbehandlung.* Die Regelwidrigkeit eines Zustandes ist allerdings nicht losgelöst von der Frage nach seiner Behandlungsbedürftigkeit zu sehen. Es ist vielmehr unter Bedachtnahme auf die Ziele der Krankenbehandlung ein einheitliches Werturteil über das Krank- oder das Gesundsein eines Menschen zu fällen. * Letztlich sind es zwar gesellschaftliche Auffassungen über den gesunden (oder anders gewendet: den kranken) Menschen, die das Werturteil prägen.219 Diesem sind aber stets in Fachkreisen anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse der Medizin zugrunde zu legen.
Die Beurteilung, ob ein Zustand nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft überhaupt gebessert oder vor Verschlimmerung bewahrt werden kann, erfordert idR bereits die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe. Es muss daher vorausgesetzt werden, dass die Klärung des Krankheitsverdachts schon Teil der Krankenbehandlung ist. Dies gilt freilich nicht für sogenannte Trostbesuche beim Arzt; der Versicherte muss das Vorliegen einer Krankheit aufgrund der wahrgenommenen Symptome ernsthaft für möglich gehalten haben und die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe muss durch eine objektiv nachvollziehbare Befürchtung gerechtfertigt sein, er könnte tatsächlich erkrankt sein. Der Maßstab, nach dem der Eintritt des Versicherungsfalles – ausgehend von der jeweiligen persönlichen Einschätzung des Betroffenen – zu beurteilen ist, kann vor dem ersten diagnostischen Tätigwerden weder derselbe noch ein strengerer als danach sein, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Rettung oftmals von dritten Personen gerufen wird, die verpflichtet sind, bei drohender erheblicher Gefahr für die Gesundheit eines anderen, den Rettungsdienst zu verständigen.* Der subjektiven Selbsteinschätzung muss davor objektiv betrachtet folglich etwas größeres Gewicht zukommen.*
Die Notwendigkeit der Krankenbehandlung ist – im Einklang mit der stRsp* – unabhängig vom Erfolg und davon, ob sich im Nachhinein das Gegenteil herausstellt, stets ex ante zu beurteilen. Allenfalls kann der zuständige Träger darüber hinaus in seiner Satzung (als einer auf Art 18 Abs 2 B-VG gestützten Durchführungs-VO*) den gesetzlichen Anspruch dahingehend präzisieren, dass der Krankenversicherungsträger im Einzelfall auch dann zur Kostentragung verpflichtet ist, wenn die Krankenbehandlung zwar ex ante betrachtet nicht notwendig schien, diese Einschätzung sich aber im Nachhinein als falsch erweist; das spielt dann eine Rolle, wenn zB bei einem Lawinenabgang unklar ist, ob und welche Personen betroffen sind und ob diese tatsächlich einen Rettungsflug benötigen (bloße Verdachtsfälle). *
Sofern die Notwendigkeit einer Krankenbehandlung ex ante zu bejahen ist, ist zu prüfen, ob der Transport mit einem bestimmten Transportmittel erforderlich ist; dabei darf das Maß des Notwendigen nicht überschritten werden. Für den Krankentransport als Annex zur ärztlichen Hilfe oder Anstaltspflege müssen die gleichen Grundsätze gelten wie für die eigentliche Krankenbehandlung. Es ist daher auch hier eine Ex-ante-Betrachtung der Notwendigkeit des Transportes an sich und der Erforderlichkeit eines bestimmten Transportmittels im Speziellen geboten. Dabei ist in Betracht zu ziehen, wer das Transportmittel jeweils anfordert und wie weit dessen medizinische Kenntnisse reichen (müssen).
§ 44 Abs 6 der Mustersatzung 2011, der besagt, dass die Kosten der Beförderung mit einem Luftfahrzeug in die nächstgelegene geeignete Krankenanstalt übernommen werden, wenn wegen des Zustands des Erkrankten oder der Dringlichkeit des Falles eine Beförderung auf dem Landweg nicht zu verantworten wäre, und die medizinische Notwendigkeit des Lufttransports durch eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesen und diese Notwendigkeit von der Kasse „anerkannt“ worden ist, darf – in gesetzeskonformer Auslegung – nicht als eine Einschränkung des gesetzlichen Anspruchs gedeutet werden, die es im Wege der Ex-post-Betrachtung erlauben würde, die Kostenerstattung dort zu verweigern, wo ex ante betrachtet eine Beförderung auf dem Landweg nicht zu verantworten gewesen wäre.
Der Flugrettungstransport ist übrigens auch zu gewähren, „wenn zwar die Art der Krankheit einen bodengebundenen Transport zuließe, ein bodengebundener Transport aber nicht möglich ist.
“*
Der OGH hatte sich kürzlich mit der Frage zu befassen, ob der Krankenversicherungsträger einem Versicherten die Kosten eines Rettungseinsatzes auch dann zu ersetzen hat, wenn dieser die Beförderung mit dem von einem Dritten angeforderten Krankentransportwagen ablehnt, obwohl der Krankheitsverdacht nicht (zur Gänze) ausgeräumt ist.* Das Höchstgericht bejahte das, weil die Anforderung der Rettung ex ante betrachtet notwendig war und die Umstände, die zur vorzeitigen Beendigung des Transportes geführt haben, der Betroffenen aufgrund ihres Geisteszustandes nicht zugerechnet werden konnten. Der Geisteszustand des Versicherten kann jedoch keine Rolle spielen. War der Transport ex ante betrachtet notwendig, sind die dafür angefallenen Kosten nach Maßgabe der Satzung auch dann vom Krankenversicherungsträger zu erstatten, wenn der Versicherte seine Durch- oder Zuendeführung ablehnt.
Eine etwaige Behandlungsunwilligkeit ändert nichts an einem bestehenden Behandlungsanspruch. § 361 Abs 1 Z 1 ASVG spricht nicht davon, dass Leistungen nur auf Antrag zu gewähren sind, sondern lediglich davon, dass Leistungsansprüche auf Antrag festzustellen sind. Liegen die materiellen Leistungsvoraussetzungen beim Versicherten vor und erhält er die entsprechenden Leistungen auf irgendeine Weise, auch ohne sie in Anspruch nehmen zu wollen, kann er nicht mit deren Kosten belastet werden.220
Zuweilen kann die Beseitigung eines regelwidrigen Zustandes nach erfolgter Krankenbehandlung ebenso wenig mit Sicherheit festgestellt werden wie die Behandlungsbedürftigkeit. Solche Feststellungen können sich hin und wieder im Nachhinein als verfehlt erweisen. Man könnte daher auch wie folgt argumentieren: Die Notwendigkeit der Krankenbehandlung ist stets losgelöst vom Erfolg ex ante zu beurteilen. Das kann nicht nur für die Prüfung des Eintritts des Versicherungsfalles, sondern muss auch für dessen Fortdauer und Wegfall gelten. Für die Krankenbeförderung wären damit ebenso wie für den Krankheitsverlauf „Phasen“ zu bilden: Erste Phase wäre die Einschätzung der Notwendigkeit eines Krankentransports durch den Versicherten selbst oder einen Dritten. Die zweite Phase würde mit dem Eintreffen der (Rettungs-)SanitäterInnen einsetzen, die eine erneute, medizinisch fundiertere Beurteilung der Transportnotwendigkeit vorzunehmen hätten. In beiden Phasen wäre jeweils eine eigene Ex-ante-Betrachtung der Behandlungsbedürftigkeit geboten, die durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. War sie in der ersten Phase positiv, hätte der Krankenversicherungsträger nach Maßgabe der Satzung jedenfalls jene notwendigen Kosten zu ersetzen, die bis zur „Phase zwei“ entstanden sind; dies ungeachtet dessen, ob die Voraussetzungen für den Kostenersatz in der zweiten Phase erfüllt wären.
Die Beziehungen der Träger der SV (des Hauptverbandes) zu den freiberuflich tätigen ÄrztInnen, ZahnärztInnen, DentistInnen, Hebammen, ApothekerInnen, freiberuflich tätigen klinischen PsychologInnen, PsychotherapeutInnen und HeilmasseurInnen, Pflegepersonen, die medizinische Hauskrankenpflege erbringen, und anderen Vertragspartnern werden nach § 338 Abs 1 ASVG durch schriftliche privatrechtliche Verträge geregelt. Rettungsorganisationen sind „andere Vertragspartner“ in diesem Sinne.
Nach § 349 Abs 3 ASVG können die Beziehungen zwischen den Sozialversicherungsträgern und anderen Vertragspartnern durch Gesamtverträge geregelt werden. Hierbei finden die Bestimmungen des § 341 mit der Maßgabe sinngemäß Anwendung, dass an die Stelle der Ärztekammer die zuständige gesetzliche berufliche Vertretung tritt. Sieht ein solcher Gesamtvertrag vor, dass ohne Abschluss von Einzelverträgen die dort angeführten Verbandsangehörigen die Sachleistungen für Rechnung der Krankenversicherungsträger zu erbringen haben, dann regelt der Gesamtvertrag selbst mit verbindlicher Wirkung die Beziehungen zwischen den Verbandsangehörigen und den Versicherungsträgern.
Das Risiko einer nicht ausreichenden Honorierung auf Grundlage einer zwischen einer Rettungsorganisation und einem Sozialversicherungsträger vereinbarten Kostenersatzregelung trägt immer dann die Rettungsorganisation, wenn sie sich gegenüber der SV nicht eigens zur Erbringung von Krankentransporten verpflichtet hat.* Besteht eine solche vertragliche Verpflichtung, muss aber auch hier bedacht werden, dass der Sozialversicherungsträger nur die satzungsmäßig vorgesehenen Leistungen zu erbringen hat, weswegen die Rettungsorganisation keinen Anspruch auf angemessenen Kostenersatz hat, solange sich dieser im gesetzlichen Rahmen bewegt (der Vertrag kann insoweit also nicht gegen § 879 Abs 1 ABGB verstoßen).*
Sind die Voraussetzungen für die Einordnung einer Vereinbarung als solche iSd § 338 ASVG nicht erfüllt, weil die Schriftform nicht eingehalten wird, können sie womöglich als Verrechnungsvereinbarungen gedeutet werden, die eine Grundlage für die Tilgung einer fremden Schuld, nämlich jener der Versicherten, darstellen, sofern es um Leistungen geht, auf die der Versicherte gegenüber der SV Anspruch hat.*
Zuletzt soll noch auf die Relevanz vergaberechtlicher Bestimmungen und der sich daraus ergebenen Verpflichtungen für öffentliche Auftraggeber hingewiesen werden;* solche sind nicht nur die Gebietskörperschaften, sondern auch die Sozialversicherungsträger als Einrichtungen iSd § 3 Abs 1 Z 2 BVergG. Die Erbringung von Rettungsdienstleistungen ist nicht derart eng mit der Ausübung hoheitlicher Tätigkeit verbunden, dass eine Bereichsausnahme (ex-Art 45 und 55 EGV, nunmehr Art 51 und 62 AEUV) greift; auch der Umstand, dass es sich dabei um Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (iSd ex-Art 86 Abs 2 EGV, nunmehr Art 106 Abs 2 AEUV) handelt, rechtfertigt nach Auffassung des EuGH keine Ausnahme von europarechtlichen Vorgaben zum Vergabeverfahren, * (weil ihre Anwendung die Erfüllung der Aufgaben der Rettungsorganisationen nicht verhindert).
Für nicht-prioritäre Dienstleistungen gilt ein sogenanntes verdünntes Vergaberegime.* Ob von prio221ritären* oder nicht-prioritären* Rettungsdienstleistungen auszugehen ist, hängt davon ab, ob diese in finanzieller Hinsicht hauptsächlich den Personentransport oder die medizinische (Notfall-)Versorgung betreffen. * Überwiegt also die Transportleistung, handelt es sich um einen prioritären Dienstleistungsauftrag.* Wird der einschlägige Schwellenwert überschritten, sind Krankentransportleistungen folglich EU-weit auszuschreiben. * Ob der verstärkte Wettbewerb ohne Qualitätseinbußen zur Kostensenkung beitragen wird, wird sich zeigen.
Werden jedoch nur Dienstleistungskonzessionsverträge vergeben,* sind diese unter Beachtung der unionsrechtlichen Grundfreiheiten sowie des Diskriminierungsverbotes und, soweit dies auf Grund des Wertes und des Gegenstandes des Vertrages erforderlich erscheint, grundsätzlich in einem Verfahren mit mehreren UnternehmerInnen, durch das ein angemessener Grad von Öffentlichkeit gewährleistet ist und das den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbes entspricht, zu vergeben.* Dienstleistungskonzessionsverträge sind nach § 8 BVergG Verträge, deren Vertragsgegenstand von Dienstleistungsaufträgen nur insoweit abweicht, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht. Nach den Schlussanträgen* des Generalanwalts Mazak zur Rs C-274/09, Privater Rettungsdienst und Krankentransport Stadler, sei das Fehlen einer unmittelbaren Vergütung des Dienstleistungserbringers durch den Auftraggeber ein hinreichendes Kriterium für die Qualifizierung eines Vertrages als Dienstleistungskonzession. Weniger bedeutend sei hingegen „erstens, wer die aufgrund der erbrachten Dienstleistung geschuldete Vergütung leistet, vorausgesetzt, es handle sich um eine von der öffentlichen Stelle, die die fragliche Dienstleistung vergeben hat, hinreichend verschiedene und unabhängige Einrichtung, zweitens, nach welchen Modalitäten sich die Vergütung richtet, und drittens, ob das mit der fraglichen Dienstleistung verbundene Betriebsrisiko von vornherein beschränkt ist
“.*
Hervorzuheben ist zuletzt noch, dass bloße Direktverrechnungsverträge der Sozialversicherungsträger mit Krankentransportunternehmen, die nur die Abwicklung des dem Versicherten gegenüber dem Krankenversicherungsträger zustehenden Kostenersatzes betreffen, nicht den vergaberechtlichen Regelungen über die entgeltliche Erbringung von Dienstleis tungen unterliegen.* Allerdings sollte man – um von solchen sprechen zu können – darin sicherheitshalber keine Verpflichtung der Transportorganisationen begründen, gegenüber dem Sozialversicherungsträger Transporte durchführen zu müssen, dh man sollte keine direkte Leistungsverpflichtung ihnen gegenüber festschreiben.
Die Organisation und Finanzierung der Kranken- und Rettungstransporte werfen zahlreiche Fragen auf, die sowohl öffentlich-rechtlicher als auch privatrechtlicher Natur sind. Zu ihrer Beantwortung bedarf es einer disziplinübergreifenden Denkweise, die mit einer gut durchdachten Risiko- und Streitfallvorsorge bei und für die künftige Rechtsgestaltung einhergeht: Eine Herausforderung für RechtsdogmatikerInnen und PraktikerInnen gleichermaßen.222