ASVG Rechtsprechung im Jahre 2011

MONIKAWEISSENSTEINER (WIEN)
In DRdA werden jährlich Zusammenfassungen der ASVG-Rsp veröffentlicht. Diese Zusammenfassungen sollen den mit der Anwendung sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen befassten Personen einen Überblick über die Rsp vermitteln, den sie sich selbst angesichts der großen Zahl von ASVG-Veröffentlichungen zu Lehre und Praxis nur in mühevoller Kleinarbeit verschaffen können. Grundlage sind die bereits in den verschiedensten einschlägigen Publikationen veröffentlichten Rechtssätze.Zusätzlich werden Entscheidungen über das Pflegegeld aufgenommen, das zwar nicht im ASVG geregelt, aber auch von ASVG-Versicherungsträgern zu administrieren ist. Aufgenommen wurden auch Entscheidungen zum Kinderbetreuungsgeld. Weiters werden Entscheidungen zur Versicherungspflicht als sogenannter neuer Selbständiger miteinbezogen.Bei der Auswahl der Rechtssätze musste auf den gegebenen Rahmen Rücksicht genommen werden. Die Zitierung konnte aus Raumgründen nur in jenem Umfang vorgenommen werden, der für das Verständnis unbedingt erforderlich ist. Die gegenständliche Zusammenstellung richtet sich nach dem Entscheidungsdatum und berücksichtigt jene Entscheidungen, die im Jahre 2011 gefällt wurden.
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Umfang der Versicherung

Eine Entsendebestätigung E 101 bindet den anderen Mitgliedstaat, so lange sie nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt wurde; bei Zweifeln über die Richtigkeit kann die „Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer“ um Vermittlung angerufen werden. Führt dies nicht zum Erfolg, kann ein Vertragsverletzungsverfahren angestrengt werden (VwGH2010/08/0231infas 2011 S 23 = DRdA 2011, 462 = ARD 6177/6/2011).

Ein Versicherungsvertreter, der zur Betreuung von Bestandskunden gegen Provision auf unbestimmte Zeit verpflichtet ist und den Kundenstock zur Verfügung gestellt erhält, ist kein Werkvertragsnehmer sondern ein freier DN (VwGH2007/08/0153infas 2011 S 24 = DRdA 2011, 462 = ARD 6162/5/2011).

Eine Tätigkeit als Vortragender kann in einem Dienstverhältnis oder freien Dienstverhältnis ausgeübt werden (hier: Ausbildung neuer Mitarbeiter zu Flughafensicherheitskontrollorganen); ist der Vortragende nicht in die Betriebsorganisation eingebunden und fand auch keine Kontrolle statt, wie er das Wissen an die KursteilnehmerInnen vermittelte, liegt ein freier Dienstvertrag nach § 4 Abs 4 ASVG vor (VwGH2662009/08/0123infas 2011 S 42 = DRdA 2012, 60 = ARD 6162/4/2011).

Konnten sich die Choristen der Sommerfestspiele nicht nur wegen Krankheit und Unfällen durch andere Kollegen oder einstudierte außenstehende Personen vertreten lassen, liegt ein generelles Vertretungsrecht und somit keine persönliche Abhängigkeit vor (VwGH2010/08/0025ARD 6179/5/2011).

Eine die persönliche Leistungspflicht ausschließende generelle Vertretungsbefugnis liegt nicht vor, wenn eine Vertretungsmöglichkeit nur bei Krankheit oder Urlaub bzw nur im Kollegenkreis möglich ist. Ist ein Redakteur persönlich leistungspflichtig, dient der Betriebssitz als Arbeitsplatz, werden Schreibtisch, PC, Telefon und Internet zur Verfügung gestellt und besteht eine Verpflichtung an täglichen Ressortbesprechungen teilzunehmen, liegt ein Dienstvertrag gem § 4 Abs 2 ASVG vor (VwGH2008/08/0152infas 2012 S 11 = DRdA 2012, 356 = ARD 6204/9/2012).

2
Beiträge

Für die Vorschreibung eines Beitragszuschlags sind vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln nicht Voraussetzung (VwGH2010/08/0255infas 2011 S 16).

Eine Beitragsprüfung unterbricht die Verjährungsfrist zur Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen (VwGH2008/08/0029infas 2011 S 25 = DRdA 2011, 462).

3
Entziehung

Die Voraussetzungen für die Entziehung einer Rentenleistung liegen auch dann vor, wenn sich zuvor am Zustands-, Verletzungs- und Beschwerdebild nichts Wesentliches verändert hat, aber infolge Anpassung und Gewöhnung an den Leidenszustand die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) unter den Wert von 20 vH gesunken ist (OGH10 ObS 15/11wSSV-NF 25/27 = infas 2011 S 32 = DRdA 2011, 568 = ARD 6160/8/2011).

4
Rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes – Rückforderung – Aufrechnung

Anträge auf rückwirkende Zustellung des gesetzlichen Zustandes nach § 101 ASVG sind nicht beim Sozialgericht, sondern beim Sozialversicherungsträger einzubringen. Auch im Sozialrechtsverfahren ist eine Durchbrechung der Rechtskraft im Wege der Wiederaufnahmsklage nur aus den in den §§ 503 f ZPO genannten Wiederaufnahmsgründen möglich (OGH10 ObS 6/11xSSV-NF 25/17).

Ist durch den rechtskräftigen Widerruf des Arbeitslosengeldes oder Notstandshilfebezugs durch das AMS die Pflichtversicherung in der KV nachträglich weggefallen, ist der Kl bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 107 ASVG auch zur Rückzahlung des aufgrund der Pflichtversicherung seinerzeit bezogenen Krankengeldes verpflichtet. Hat ein Zahlungsempfänger einen im Gesetz vorgesehenen Rückforderungstatbestand verwirklicht, kann er sich nicht mehr mit Erfolg auf gutgläubigen Verbrauch berufen (OGH10 ObS 12/11dSSV-NF 25/20).

Der Tatbestand des Erkennenmüssens der Ungebührlichkeit einer Leistung ist erfüllt, wenn bei einer nach den Umständen des Einzelfalls zumutbaren Aufmerksamkeit auffallen musste, dass die Leistung nicht gebührt. Ohne besondere Belehrung kann von einem juristischen Laien nicht erwartet werden, dass er die (nach Rechtsansicht der GKK) bestehende Ungebührlichkeit eines Krankengeldbezugs bei gleichzeitiger Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung erkennt (OGH10 ObS 90/11zinfas 2012 S 6 = DRdA 2012, 357 = ARD 6201/5/2012).

Eine Strafhaft beendet die Selbstversicherung in der KV nicht, es ruhen nur die Leistungsansprüche. Eine Rückforderung der Beiträge gem § 69 ASVG kommt nicht in Frage (VwGH2008/08/0255infas 2012 S 14 = DRdA 2012, 357 = ARD 6198/15/2012).

5
Leistungen der Krankenversicherung

Fällt der Beginn der Mutterschutzfrist auf einen Zeitpunkt, in dem die Versicherte nach vorangegangenem Arbeitslosengeldbezug nur mehr Notstandshilfe bezieht, ist das Wochengeld im Rahmen einer Vergleichsberechnung nach § 41 AlVG iVm § 162 Abs 3 ASVG durch Gegenüberstellung der um 80 % erhöhten Notstandshilfe und des einfachen – nicht ebenfalls um 80 % erhöhten – Arbeitslosengeldes zu ermitteln (OGH10 ObS 179/10mSSV-NF 25/4).

Will sich ein Versicherter einer Krankenbehandlung in einem anderen EU-Mitgliedstaat unterziehen (hier: geschlechtsumwandelnde Operation von Frau zu Mann in Deutschland), und wird die dabei angewandte Operationsmethode auch in Österreich angeboten, besteht kein Anspruch auf Kostenerstattung durch den österreichischen Krankenversicherungsträger. Bekämpft ein Versicherter einen Bescheid, mit dem sein Antrag auf Zustimmung zur Krankenbehandlung im Ausland abgewiesen wurde, mit Feststellungsklage, so steht dann, wenn er mit dieser Klage obsiegt, für einen allfälligen Nachfolgeprozess wegen Kostenerstattung bindend fest, dass diese Voraussetzungen für eine Krankenbehandlung im Ausland vorlagen (OGH10 ObS 166/10zSSV-NF 25/12 = infas 2011 S 40 = DRdA 2011, 568 = ARD 6157/3/2011).

Hat eine Versicherte in dem für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Höhe des Wochengeldes maßgeblichen Zeitraum vom AG gewährte „stock options“ ausgeübt, ist der daraus resultierende Vorteil nicht in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen, weil sie diese Vorteile – unabhängig vom Beschäftigungsverbot – ohnedies lukriert hat (OGH10 ObS 33/11tSSV-NF 25/38 = infas 2011 S 31 = DRdA 2011, 567 = ARD 614/7/2011).

Wird ein nicht notwendiger festsitzender Zahnersatz (Implantat) erbracht, besteht kein Anspruch auf Leistung zumindest jenes Betrags, der bei einer notwendigen („fiktiven“) Inanspruchnahme des abnehmbaren Zahnersatzes vom Krankenversicherungsträger zu leisten gewesen wäre (keine „Mischverrechnung“) (OGH10 ObS 38/11bSSV-NF 25/44 = ARD 6174/8/2011).

Ist der Versicherte zu keiner geregelten (durchgehenden) Arbeitsleistung in der Lage, bewirken gelegentliche Tätigkeiten, die seinen Gesundungsprozess nicht267 verzögern, sondern im Rahmen eines therapeutischen Konzepts mit dem Ziel einer Wiedereingliederung in das Berufsleben sogar fördern, weder ein automatisches Erlöschen noch ein Ruhen oder eine Versagung des Krankengeldanspruchs gem § 100 Abs 1 lit a bzw § 142 f ASVG (OGH10 ObS 64/11aSSV-NF 25/58 = DRdA 2012, 61 = ARD 6165/8/2011).

Die Übernahme von Transportkosten als sukzessorische Leistung der KV setzt voraus, dass eine Behandlungsbedürftigkeit der (hier: psychischen) Erkrankung gegeben ist und kein „Asylierungsfall“ iS einer Unterbringung aus rein öffentlichem Interesse gegeben ist (OGH10 ObS 50/11sinfas 2012 S 2 = ARD 6201/4/2012).

Der Leistungsausschluss des § 131 Abs 4 ASVG besteht nur bei („Freizeit“-)Unfällen in Ausübung von Sport und Touristik, nicht aber bei den in § 131 Abs 3 genannten plötzlichen Erkrankungen und ähnlichen Ereignissen (OGH10 ObS 67/11tinfas 2012 S 5 = DRdA 2012, 357 = ARD 6188/14/2011).

Auch Bezieherinnen einer Leistung nach dem KBGG steht bei Vorliegen eines entsprechenden ärztlichen Freistellungszeugnisses nach § 3 Abs 3 MSchG ein vorgezogenes Wochengeld zu (OGH10 ObS 77/11pinfas 2012 S 7 = DRdA 2012, 357 = ARD 6202/6/2012).

Ein Rollstuhl kann ein Heilbehelf oder ein Heilmittel sein, je nachdem ob eine Krankheit oder ein Gebrechen vorliegt (OGH10 ObS 70/11hinfas 2012 S 15 = DRdA 2012, 357 = ARD 6195/13/2011).

6
Leistungen der Unfallversicherung
6.1
Arbeitsunfall – Berufskrankheit

Der Weg, den ein Notstandshilfebezieher unternimmt, um mit einem potentiellen Geschäftspartner eine beabsichtigte Unternehmensgründung zu besprechen, steht nicht unter dem Versicherungsschutz nach § 176 Abs 1 Z 8 ASVG (OGH10 ObS 25/11sSSV-NF 25/31 = DRdA 2011, 568 und DRdA 2012, 422 = ARD 6149/9/2011).

Der Anspruch auf eine Leistung aus der gesetzlichen UV ist nur dann zu verneinen, wenn die Alkoholisierung die rechtlich erhebliche Ursache für den Eintritt des Versicherungsfalls war (OGH10 ObS 2/11hinfas 2011 S 46 = DRdA 2012, 61 = ARD 6176/6/2011).

Ein Unfallversicherungsschutz beim Duschen während einer Dienstreise kommt nur dann in Betracht, wenn die Versicherte durch die Dienstreise einer besonderen Gefährdung ausgesetzt ist (OGH10 ObS 63/11dinfas 2011 S 45 = DRdA 2012, 61 = ARD 6176/5/2011).

Die Aktualisierung einer bestehenden posttraumatischen Belastungsstörung, die zu einer MdE von 30 % führt, durch einen weiteren dramatischen Vorfall (hier Beinahe-Zusammenstoß eines Lokführers), kann ein Arbeitsunfall sein (OGH10 ObS 96/11ginfas 2012 S 8 = DRdA 2012, 357 = ARD 6192/8/2011).

Eine dissoziative Störung (als Folge eines Arbeitsunfalls) muss von Fällen der Aggravation und Simulation klar unterschieden werden. Es ist eine eindeutige abgegrenzte Beweisantwort – vornehmlich von den ärztlichen Sachverständigen – zu verlangen und bei der Beweiswürdigung ein strenger Maßstab anzulegen (OGH10 ObS 78/11kinfas 2012 S 16 = DRdA 2012, 357 = ARD 6229/5/2012).

6.2
Leistungen

Allen Tabellen und sonstigen Grundsätzen zur Beurteilung der MdE ist gemeinsam, dass die angegebenen Werte dem medizinischen Sachverständigen lediglich Anhaltspunkte für die erste summarische Schätzung der individuellen MdE bieten sollen; sie entheben ihn nicht von der nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls vorzunehmenden Bewertung der unfallbedingten MdE. Das dreistufige Verfahren zur Ermittlung der MdE ist nur in Ausnahmefällen dann notwendig, wenn mangels eines schon durch längere Zeit erprobten Bewertungsschemas eine Nachprüfung der medizinischen Einschätzung in Bezug auf die Auswirkungen der konkret bei einem Versicherten gegebenen MdE auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht gewährleistet wäre (OGH10 ObS 8/11sSSV-NF 25/26 = infas 2011 S 26 = DRdA 2011, 462 = ARD 6160/9/2011).

Auch die Adoptiveltern eines bei einem Autounfall tödlich verunglückten Versicherten gehören zum anspruchsberechtigten Personenkreis des § 219 Abs 1 ASVG (OGH10 ObS 51/11iSSV-NF 25/55 = ARD 6168/5/2011).

Die erstmalige Bemessung einer Gesamtrente aus mehreren Unfallereignissen ist ohne die Einschränkung des § 183 ASVG vorzunehmen (OGH10 ObS 85/11iDRdA 2012, 357 = ARD 6192/9/2011).

7
Leistungen der Pensionsversicherung
7.1
Versicherungszeiten

Als Beitragszeiten sind gem § 225 Abs 1 Z 7 ASVG ua Zeiten, für die ein Anrechnungsbetrag gem § 13 des BundesbezügeG geleistet worden ist, anzusehen. Die Zahlung eines Anrechnungsbetrags nach § 12 Salzburger BezügeG 1998 setzt das Ausscheiden des Organs (hier: Bürgermeister) aus seiner Funktion voraus (OGH10 ObS 5/11zSSV-NF 25/16).

Gem Art 45 Abs 1 VO (EWG) 1408/71 sind die Träger der Mitgliedstaaten verpflichtet, bei der Prüfung der Voraussetzungen des Pensionsanspruchs eine Zusammenrechnung der nach den gesetzlichen Pensionsversicherungsvorschriften anderer Mitgliedstaaten zurückgelegter Versichertenzeiten und Wohnsitzzeiten mit den innerstaatlichen Zeiten vorzunehmen, soweit keine zeitliche Überschneidung vorliegt. Maßgebend dafür, ob und in welchem Umfang mitgliedstaatliche Zeiten berücksichtigt werden, ist das Pensionsrecht jenes Mitgliedstaates, unter dessen Geltung die Zeiten zurückgelegt wurden (OGH10 ObS 158/10ySSV-NF 25/24).

Das mit der neuen Bundesrepublik Jugoslawien am 5.6.1998 abgeschlossene, am 1.5.2002 in Kraft getretene Abkommen über soziale Sicherheit (BGBl III 2002/100) ist im Verhältnis zu Serbien weiterhin gültig. Ist die Wartezeit durch die in Österreich erworbenen Versicherungsmonate erfüllt, besteht nach dem Abkommen der Leistungsanspruch (auf Invaliditäts268pension) schon aufgrund der österreichischen Rechtsvorschriften; die Berücksichtigung auch serbischer Zeiten bei Berechnung der Pension kommt in diesem Fall nicht in Betracht (OGH10 ObS 26/11pSSV-NF 25/32 = infas 2011 S 41 = ARD 6161/11/2011).

Dass ein Häftling, der während des Strafvollzugs in den Arbeitsprozess eingegliedert ist, aus dieser Beschäftigung nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegt, verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz (OGH10 ObS 46/11dSSV-NF 25/54).

Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung, dass Beiträge zur freiwilligen Versicherung der PV neben einer Erwerbstätigkeit (hier: Pflege eines nahen Angehörigen gem § 18b ASVG) bei der Bemessung der Pensionshöhe als besonderen Steigerungsbetrag berücksichtigt werden (OGH10 ObS 65/11hARD 6198/14/2012).

7.2
Leistungen – allgemein

Ruht die Pension während der Strafhaft, hat die geschiedene Gattin des Versicherten keinen Anspruch auf eine Pension in Höhe der halben ruhenden Pension, auch wenn ihr der Versicherte nach der Scheidung Unterhalt gewährt hat. Die geschiedene Ehegattin gilt nicht als Angehörige iSd § 89 Abs 5 ASVG. Gegen dieses Ergebnis bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (OGH10 ObS 22/11zSSV-NF 25/52 = infas 2011 S 44 = DRdA 2012, 61 = ARD 6164/9/2011).

Die Regelungen zur Schwerarbeitspension sind nicht verfassungswidrig (VfGHG 20/11, V 13/11 ua = DRdA 2012, 62 und DRdA 2012, 477 = ARD 6183/6/2011).

7.3
Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit

Die Berücksichtigung der Dauer von unbedingt notwendigen Kuraufenthalten im Rahmen der Prüfung der Invalidität kommt nur insoweit in Betracht, als diese mit einer gewissen Regelmäßigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind; Zeiten von einmaligen längeren Krankenständen in der Vergangenheit bleiben dabei außer Betracht (OGH10 ObS 21/11bSSV-NF 25/29 = infas 2011 S 28).

Für die Frage, ob ein Beruf iSd § 255 Abs 1 ASVG im Ausland erlernt wurde, ist bei Fehlen einer entsprechenden Gleichstellung in einem Staatsvertrag oder durch VO entscheidend, ob ein rechtsgestaltender Gleichstellungsbescheid (§ 27a Abs 2 BAG) vorliegt; ein Bescheid, mit dem das Vorliegen der Voraussetzungen des § 27a Abs 3 (nF) BAG ausgesprochen wird, reicht nicht aus (OGH10 ObS 23/11xSSV-NF 25/30 = ARD 6163/11/2011).

Als erstmalige Aufnahme einer die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung iSd § 255 Abs 7 ASVG ist auch der Eintritt in das Lehrverhältnis zu sehen. Die Anwendung des § 255 Abs 7 ASVG kommt nur dann in Betracht, wenn der Versicherte nicht in der Lage ist, eine ihm zumutbare Verweisungstätigkeit auszuüben (OGH10 ObS 27/11kSSV-NF 25/33 = ARD 6163/10/2011).

Eine Kindergartenpädagogin mit Zusatzausbildungen im Sonderkindergarten und Frühförderungsbereich, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, Kindergruppen regelmäßig selbst zu führen, kann auf die Tätigkeit einer Leiterin eines Kindergartens oder eines Kinderheims verwiesen werden (OGH10 ObS 32/11wSSV-NF 25/36 = infas 2011 S 34 = ARD 6163/9/2011).

Auch dann, wenn nur ein einziger Verweisungsberuf möglich ist, in dem österreichweit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen zur Verfügung steht, besteht kein Anspruch auf Invaliditätspension. Ein Versicherter, der Berufsschutz als Kellner genießt, dem aber keine Arbeiten möglich sind, die im Nahbereich von Alkoholproduktion oder -ausschank zu verrichten sind, kann auf die Tätigkeit eines Frühstückkellners in der gehobenen Gastronomie verwiesen werden (OGH10 ObS 41/11vSSV-NF 25/40).

Eine Verweisung eines bisher im Controlling und in der Kostenverrechnung tätig gewesenen Angestellten auf Arbeiten im Einkauf, in der Fakturierung und in der Sachbearbeitung gem § 273 Abs 2 ASVG ist nicht unzumutbar (OGH10 ObS 39/11zSSV-NF 25/45 = ARD 6163/8/2011).

Ein Versicherter, der Berufsschutz als Maurer genießt, kann auf die Tätigkeit eines Bauproduktefachberaters in Kombi-Märkten verwiesen werden (OGH10 ObS 101/10sSSV-NF 25/51 = DRdA 2011, 568 und DRdA 2011, 555 = ARD 6172/8/2011).

Ein Versicherter ist bei sonstigem Verlust seiner Ansprüche verpflichtet, eine notwendige Krankenbehandlung durchzuführen, die zu einer Heilung und Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit führen würde, sofern die Behandlung für ihn nicht mit unzumutbaren Gefahren verbunden ist. Die grundsätzliche Regel, dass die schuldhafte Verletzung der Mitwirkungspflicht vom Versicherungsträger zu behaupten und zu beweisen ist, findet dort eine Einschränkung, wo die Möglichkeit der Geringhaltung des Schadens nahe liegt und es sich um Umstände handelt, die allein in der Sphäre des Geschädigten liegen und daher nur ihm bekannt und auch nur von ihm beweisbar sind. Sprechen die festgestellten Umstände prima-facie für eine kalkülsrelevante Besserungsmöglichkeit, so trifft die Behauptungs- und Beweislast, dass auch die von ihm unterlassene Behandlung zu keiner relevanten Besserung des Gesundheitszustands geführt hätte, den Versicherten (OGH10 ObS 58/11vSSV-NF 25/57 = DRdA 2012, 586 = ARD 6165/7/2011).

Die Befristung einer Invaliditätspension mit weniger als 24 Monaten ist vom Versicherungsträger zu beweisen. Es muss mit hoher Wahrscheinlichkeit feststehen, dass sich der Zustand schon früher zum Besseren wenden und die bestehende Invalidität zum festgesetzten Endtermin behoben sein wird (OGH10 ObS 42/11sinfas 2012 S 1 = ARD 6190/6/2011).

Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil iSd § 255 Abs 3b ASVG sind einerseits leichte körperliche Tätigkeiten, die bei durchschnittlichem Zeitdruck und vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden und (= während der Ausübung der Tätigkeit) mehrmals täglich einen Haltungswechsel erlauben (erste Fallgruppe) und andererseits leichte körperliche Tätigkeiten, die bei durchschnittlichem Zeitdruck vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden oder (= nicht während der Ausübung der Tätigkeit) mehrmals täglich einen269 Haltungswechsel ermöglichen (OGH10 ObS 167/11y, ebenso OGH10 ObS 105/11finfas 2012 S 10 = DRdA 2012, 358 = ARD 6216/7/2012).

Die Rsp lässt eine „Stichtagsverschiebung“ auf einen vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz gelegenen Zeitpunkt zwar grundsätzlich zu, sofern – etwa durch eine Rechtsänderung zum Vorteil des Versicherten – dann die Anspruchsvoraussetzungen auf eine Versicherungsleistung gegeben sind. Bei einem Verfahren über die Weitergewährung einer befristet zuerkannten Invaliditätspension handelt es sich um einen letztlich einheitlichen Versicherungsfall, dessen Voraussetzungen durch den für die befristete Leistung maßgeblichen Stichtag bestimmt wurden (OGH10 ObS 156/11finfas 2012 S 18 = ARD 6216/6/2012).

Beim Beruf des Fuhrparkdisponenten handelt es sich um eine qualifizierte, den Berufsschutz als Berufskraftfahrer erhaltende Teiltätigkeit, auch wenn dem Lenken von Kraftfahrzeugen keine oder nur mehr eine geringe Rolle zukommt. Die Notwendigkeit einer betriebsinternen Einschulung in spezielle EDV-Kenntnisse stellt kein Verweisungshindernis dar (OGH10 ObS 98/11aARD 6193/9/2011).

Ist ein Versicherter in der Lage, eine Verweisungstätigkeit ohne jede Einschränkung auszuüben, ist davon auszugehen, dass er in der Lage ist, ein Einkommen in der Höhe des Kollektivvertragslohns oder -gehalts zu erzielen (OGH10 ObS 148/11dARD 6211/8/2012).

7.4
Witwen(er)pension

Leistungen des ehemaligen AG in Form von Betriebspensionen und Abfertigungen unterliegen nicht dem Einkommensbegriff des § 264 Abs 5 ASVG. Eine „Abfindung“ des früheren AG, die vom AN angespart und in der Folge zumindest teilweise zur Bestreitung der Lebenshaltungskosten verwendet wurde, wird nicht in die Berechnungsgrundlage einbezogen (OGH10 ObS 182/10bSSV-NF 25/25 = infas 2011 S 36 = DRdA 2011, 568 = ARD 6154/8/2011).

Der grundsätzlich zweijährige Bemessungszeitraum ist nur dann auf vier Jahre zu verlängern, wenn sich das Einkommen in den letzten beiden Jahren vor dem Tod vermindert hat (OGH10 ObS 56/11zinfas 2011 S 47 = DRdA 2012, 61 = ARD 6203/5/2012).

7.5
Ausgleichszulage

Grundsätzlich sind Einkünfte bei der Ermittlung des Anspruchs auf Ausgleichszulage frühestens zu berücksichtigen, wenn sie schon zugeflossen sind; darüber hinaus muss eine gewisse zeitliche Kongruenz zwischen den Tatsachen, auf welche die Einkünfte zurückgehen, und den Pensionszahlungen bestehen. Ein allfälliger Anspruch eines Fremden auf Ausgleichszulage war bei der Prüfung der Frage, ob iSd § 10 Abs 2 Z 1 FrG 1997 sein Unterhalt gesichert ist, zu berücksichtigen. Verpflichtet sich der Sohn, um für seine Mutter die Niederlassungsbewilligung zu erhalten, gegenüber der Bezirkshauptmannschaft, seiner Mutter laufende Unterhaltsleistungen zu erbringen, ohne dass diese Leistungen in der Folge tatsächlich erbracht werden, so ist diese Verpflichtung bei der Ermittlung der Ausgleichszulage für die Mutter nicht zu berücksichtigen (OGH10 ObS 28/11gSSV-NF 25/53 = DRdA 2012, 497).

Zu einer Pension aus einem EU-Mitgliedstaat besteht – bei Erfüllung der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen – Anspruch auf Ausgleichszulage. Der Bezug einer Ausgleichszulage ist erst für Erstanträge ab 1.1.2011 „aufenthaltsschädlich“ gem §§ 11 und 51 NAG (OGH10 ObS 172/10ginfas 2011 S 48 = DRdA 2012, 61 und DRdA 2012, 497 = ARD 6220/5/2012).

Enthält ein zwischenstaatliches Sozialversicherungsabkommen keine Bestimmung betreffend die Gleichstellung, besteht bei einem rein drittstaatlichen Pensionsbezug kein Anspruch auf Ausgleichszulage (OGH10 ObS 115/11ainfas 2012 S 19 = ARD 6207/6/2012).

8
Kinderbetreuungsgeld

Bei der Ermittlung der Gesamtbeträge der Einkünfte iSd § 8 Abs 1 Z 2 KBGG sind auch im Ausland erzielte Einkünfte zu berücksichtigen, auch wenn sie im Inland nicht steuerpflichtig sind (OGH10 ObS 173/10dSSV-NF 25/2 = ARD 6151/9/2011).

Die Gattin eines IAEO-Angestellten, die weder österreichische Staatsangehörige noch Staatenlose mit Wohnsitz in Österreich ist, hat keinen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld (OGH10 ObS 11/11gSSV-NF 25/19).

Verlegt eine österreichische Versicherte während des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld ihren Wohnsitz in die Schweiz, wo ihr Ehegatte einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgeht, steht ihr die Leistung dennoch weiterhin zu, weil in der Schweiz eine dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld vergleichbare Leistung nicht existiert (OGH10 ObS 35/11mSSV-NF 25/39 = ARD 6166/3/2011).

Gegen die Zuverdienstgrenzen beim Kinderbetreuungsgeld bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (OGH10 ObS 74/11xARD 6219/9/2012).

9
Pflegegeld

Bei der Beurteilung des Pflegebedarfs von Kinder und Jugendlichen ist nur jenes Ausmaß an Pflege zu berücksichtigen, das über das erforderliche Ausmaß von gleichaltrigen nicht behinderten Kindern und Jugendlichen hinausgeht. Die Rechtsansicht, bei einer 15- bis 17-jährigen Kl sei ein pflegegeldrelevanter Mehraufwand von 15 Stunden monatlich für die Zubereitung von Mahlzeiten anzusetzen, ist jedenfalls vertretbar (OGH10 ObS 30/11aSSV-NF 25/34 = infas 2011 S 38).

Ist es dem Versicherten nach Ausheilung einer Knöchelfraktur wieder uneingeschränkt möglich, zwei bis drei Minuten frei zu stehen und mit Anhalten zehn Minuten lang zu stehen sowie zehn Minuten lang zu gehen und Gegenstände bis ca 5 kg zu heben, ist ihm die Zubereitung von Mahlzeiten wieder zur Gänze ohne fremde Hilfe möglich (OGH10 ObS 43/11pSSV-NF 25/46 = ARD 6175/8/2011).

Die mit dem BudgetbegleitG 2011 erfolgte Verschärfung der Zugangskriterien für die Pflegegeldstufen 1 und 2 ist nicht verfassungswidrig (VfGHG 7/11ARD 6175/6/2011).270

Nur wenn eine Therapiemaßnahme außer Haus stattfindet, können die Fahrzeiten, die Wartezeit und die Therapiezeit als Mobilitätshilfe iwS berücksichtigt werden (hier: Frühförderung eines Kindes) (OGH10 ObS 48/11yinfas 2012 S 4 = ARD 6184/9/2011).

Ist ein Pflegebedürftiger in der Lage, vorgeschnittenes Brot selbständig zum Mund zu führen und mit beiden Händen nach einem Handtuch, das auf seinem Brustkorb liegt zu greifen und sich (nach dem Rasieren) Seifenreste aus dem Gesicht zu wischen, sind zielgerichtete Bewegungen der oberen Extremitäten möglich. Dass er auf das Weiteressen vergisst, ist nach § 4 Abs 1 der EinstV (Anleitung und Beaufsichtigung) zu beurteilen (OGH10 ObS 108/11xARD 6212/8/2012).

10
Verfahren in Sozialrechtssachen

Im Fall einer trägerübergreifenden Aufrechnung kann der Versicherungsträger, zu dessen Gunsten die Aufrechnung erfolgt, dem Verfahren als Nebenintervenient beitreten (OGH10 ObS 183/10zSSV-NF 25/5).

Der Tätigkeitsinhalt und die Anforderungen des Portierberufs sind allgemein bekannt und daher offenkundig iSd § 269 ZPO; die Richtigkeit von Tatsachenfeststellungen kann im Revisionsverfahren auch nicht deshalb bekämpft werden, weil diese (vom Berufungsgericht übernommenen) Feststellungen vom Erstgericht unter Anwendung des § 269 ZPO getroffen wurden (OGH10 ObS 184/10xSSV-NF 25/6).

Es ist dem Berufungsgericht ohne vorherige Erörterung mit den Parteien nicht gestattet, Tatsachen allein mit dem Hinweis auf Offenkundigkeit ohne Beweisaufnahme ergänzend seiner Entscheidung zugrunde zu legen, sofern die Tatsache nicht völlig unzweifelhaft ist (OGH10 ObS 180/10hSSV-NF 25/14 = infas 2011 S 29 = DRdA 2011, 462).

Wird in einem Verfahren über einen vom Versicherungsträger abgewiesenen Leistungsanspruch die Klage vom Versicherten zurückgezogen, so hat der Versicherungsträger keinen Wiederholungsbescheid (Abweisung des Leistungsantrags) zu erlassen; ein dennoch erlassener derartiger Bescheid entfaltet keine Rechtswirkungen. Erhebt der Versicherte eine Leistungsklage gegen einen Bescheid, mit dem bestimmte Gesundheitsstörungen als Folge eines Arbeitsunfalls festgestellt, Rentenansprüche jedoch abgewiesen wurden, so tritt der Bescheid auch im Umfang der Feststellung außer Kraft; zieht der Versicherte die Klage zurück, so hat der Versicherungsträger nur hinsichtlich der Feststellung einen Wiederholungsbescheid zu erlassen (OGH10 ObS 10/11kSSV-NF 25/18 = DRdA 2011, 568).

Gegen einen Bescheid eines Versicherungsträgers, mit dem die Gewährung der von einem Arzt verordneten Heilbehelfe/Heilmittel in natura abgelehnt wurde, kann keine auf Erstattung der für die Anschaffung der Mittel entstandenen Auslagen gerichtete Klage erhoben werden (OGH10 ObS 165/10bSSV-NF 25/37 = ARD 6157/4/2011).

In einem Verfahren auf Zuerkennung einer Invaliditätspension besteht für die Arbeits- und Sozialgerichte bei Beurteilung der verbliebenen Leistungsfähigkeit eines Versicherten – sowie der Frage, welche Tätigkeiten er noch vorrichten kann –, keine Bindung an ein vom AMS eingeholtes Gutachten (OGH10 ObS 104/11hARD 6215/5/2012).