48. Wissenschaftliche Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsrecht und Sozialrecht

BIRGITSCHRATTBAUER (SALZBURG)

Mehr als 460 TeilnehmerInnen aus Wissenschaft und Praxis sind der Einladung der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsrecht und Sozialrecht zur diesjährigen Tagung am 21. und 22.3.2013 im Ferry Porsche Congress Center in Zell am See gefolgt. Die heuer bereits zum 48. Mal stattfindende Tagung war dem Andenken des Anfang 2012 verstorbenen em. o.Univ.-Prof. Dr. Karl Spielbüchler gewidmet, der die Österreichische Gesellschaft für Arbeitsrecht und Sozialrecht – darunter viele Jahre in der Rolle des Präsidenten – maßgeblich mitgeprägt hat. A.Univ.-Prof. Dr. Rudolf Mosler, derzeitiger Präsident der Gesellschaft, war es deshalb eine besondere Ehre, unter den TagungsteilnehmerInnen auch die Witwe sowie die beiden Töchter Spielbüchlers begrüßen zu dürfen.

Mit einer pointierten Äußerung Spielbüchlers eröffnete Univ.-Prof. Dr. Magdalena Pöschl (Universität Wien) den ersten Vortrag des Tages zum Thema „Antidiskriminierung, Gleichheit und Gleichbehandlung“: „Wer wirklich diskriminiert wird, das sind die Dummen und die Hässlichen – wer schützt eigentlich die?“ soll dieser in einem Interview gefragt haben. Dass diese Frage zwar irritierend, nicht aber völlig absurd ist, ergibt sich schon aus der von Pöschl konstatierten Tendenz von Gleichheitsforderungen sich auszudehnen. Im Arbeitsrecht treffen mit dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz, dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und den unionsrechtlichen Diskriminierungsverboten drei unterschiedliche Gleichheitskonzepte aufeinander. In ihrem Vortrag ging die Referentin primär der Frage nach dem Verhältnis dieser drei Konzepte zueinander nach. Dabei stellte sie insofern eine Annäherung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes an den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz fest, als der OGH in seiner jüngeren Judikatur zunehmend auch dort nach der sachlichen Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung frage. Dieser Trend, Gleichheitsgebote nicht auf einen Minderheitenschutz zu begrenzen, wird nach Pöschl durch den unionsrechtlichen Diskriminierungsschutz noch verstärkt. Vorbildhaft für die mögliche Weiterentwicklung der nationalen Gleichheitsgebote erscheint der Referentin ua der vergleichsweise weitere persönliche Geltungsbereich des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes. Die Defizite im unionsrechtlichen Diskriminierungsschutz, die sich durch die Beschränkung auf taxativ aufgezählte Differenzierungsmerkmale ergeben, könnten andererseits durch die nationalen Gleichheitsgebote ausgeglichen werden.

In der anschließenden, von o.Univ.-Prof. Dr. Robert Rebhahn moderierten Diskussion wurde ua die Frage der rechtsdogmatischen Grundlage einer Verschiebung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes in Richtung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes erörtert. Da in der neueren Lehre im Zusammenhang mit der Grundrechtsbindung des Staates auch Gewährleistungspflichten diskutiert werden, die die Wahrung der Grundrechte im Verhältnis der Bürger untereinander sicherstellen sollen, könnte eine so verstandene Drittwirkung der Grundrechte im Arbeitsrecht nach Pöschl möglicherweise eine taugliche Grundlage abgeben. Breiten Raum in der Diskussion nahmen auch der expansive Charakter des Antidiskriminierungsrechts und die daraus resultierenden Folgen ein: Kontroversiell fiel etwa die Einschätzung aus, ob auch die politisch-ideologische Anschauung als Anwendungsfall des verpönten Differenzierungsmerkmals der Weltanschauung von den unionsrechtlichen Diskriminierungsverboten erfasst sei. Hingewiesen wurde auf die Kehrseite des Gleichbehandlungsrechts, das zunehmend zu einem extensiven System der Rechtfertigung zwinge; würden etwa auch Verhaltensweisen und Entscheidungen des BR dem Gleichbehandlungsgebot unterworfen, so habe das eine extreme Einschränkung der kollektiven und politischen Handlungsspielräume zur Folge.

Der zweite arbeitsrechtliche Vortrag, den RA Dr. Ernst Eypeltauer (Linz) bestritt, drehte sich um Fragen von „Verfall und Verjährung im Arbeitsrecht“. Kritisch bewertete Eypeltauer die Rechtsansicht des OGH, wonach die dreijährige gesetzliche Verjährungsfrist selbst im Zusammenhang mit zwingenden AN-Ansprüchen durch Vereinbarung einer einzel- oder kollektivvertraglichen Verfallsfrist bis hin zur Grenze der Sittenwidrigkeit verkürzt werden dürfe. Der Verhinderung von Beweisschwierigkeiten für den/die AG diene schon die Verkürzung der allgemeinen Verjährungsfrist auf drei Jahre, sodass dieses Argument nicht zusätzlich zur Rechtfertigung noch kürzerer Verfallsfristen herangezogen werden könne. Entgegen der Ansicht des OGH, der diesbezüglich zwischen Geltendmachung des Anspruchs und dem Anspruch selbst differenziert, stehe einer Fristverkürzung die Unverzichtbarkeit zwingender AN-Ansprüche entgegen, sowohl kollektivvertragliche als auch einzelvertraglich vereinbarte Verfallsklauseln hinsichtlich zwingender AN-Ansprüche seien deshalb als unzulässig anzusehen. Im Falle nicht-zwingender Ansprüche hält Eypeltauer eine Verkürzung der dreijährigen Verjährungsfrist zwar für prinzipiell zulässig, allerdings sei hier analog zur entsprechenden Frist betreffend der Geltendmachung einer Kündigungsentschädigung eine Untergrenze von sechs Monaten zu wahren. Für den Fall der bewussten Nichtzahlung von AN-Ansprüchen sei schließlich aufgrund der bestehenden Drucksituation sowie der mangelnden Schutzwürdigkeit des/der AG zu überlegen, ob hier nicht schon de lege lata eine Ablaufhemmung der gesetzlichen Verjährungsfrist bis sechs280 Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu gelten habe. Abschließend legte Eypeltauer konkrete Vorschläge de lege ferenda dar, so etwa die gesetzliche Festlegung des Beginns des Fristenlaufes für die gesetzliche Verjährungsfrist erst ab Kenntnis des/der AN von seinem/ihrem Anspruch.

In der Diskussion wurde die praktische Bedeutung dieser Fragen für die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen unterstrichen. Eine Geltendmachung von Ansprüchen im aufrechten Arbeitsverhältnis komme de facto nicht vor, die Akzeptanz kurzer Verfallsfristen führe damit im Ergebnis häufig zum Verlust an sich bestehender Ansprüche. In Frage gestellt wurde die Analogiefähigkeit der Sechsmonatsfrist betreffend Kündigungsentschädigungen für die Geltendmachung nicht-zwingender AN-Ansprüche; ersatzweise wurde angeregt, zwischen Ansprüchen aus aufrechtem bzw aus beendetem Arbeitsverhältnis zu unterscheiden und eine derartige Analogie nur für Ansprüche aus einem bereits beendeten Arbeitsverhältnis vorzusehen. Umfassend diskutiert wurde ferner die Frage der Reichweite der Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien im Zusammenhang mit Verfallsfristen. Dem Hinweis, dass jedenfalls hinsichtlich eines vom KollV selbst geschaffenen und mit zwingender Wirkung ausgestatteten Anspruchs auch die Festlegung einer verkürzten Verfallsfrist zulässig sein müsse, stimmte auch Eypeltauer zu. Interessant erschien ein Kompromissvorschlag, wonach nur unklare oder zu Recht umstrittene Ansprüche, nicht aber eindeutige Ansprüche, einer bestehenden Verfallsfrist unterliegen sollten.

Im traditionell am Abend des ersten Veranstaltungstages stattfindenden Seminar wurde dieses Jahr von Univ.-Ass. Dr. Susanne Mayer (Universität Salzburg) die Rsp des OGH zum Betriebspensionsrecht aufbereitet und zur Diskussion gestellt. An den Beginn stellte Mayer einen allgemeinen Überblick über die rechtlichen Grundlagen des geltenden Betriebspensionsrechts, um dann anhand ausgewählter Fälle die Schwerpunkte der oberstgerichtlichen Rsp anschaulich herauszuarbeiten. Der erste Themenkomplex, den Mayer zur Diskussion stellte, betraf die Zulässigkeit von Abänderungen von Pensionszusagen durch den/die AG. Im Vordergrund standen dabei Fragen, die das Dreiecksverhältnis zwischen AN, BR und AG betreffen. Diskutiert wurden anhand der seitens der Referentin zur Verfügung gestellten, umfangreichen Entscheidungssammlung ua Fragen der Auswirkung von in freien Betriebsvereinbarungen enthaltenen Änderungsmöglichkeiten im Einvernehmen zwischen AG und BR. Nach wie vor aktuell sind diese Fragen im Hinblick auf die nach hM fehlende Regelungsbefugnis der Betriebsvereinbarungsparteien für bereits ausgeschiedene AN. Thematisiert wurden andererseits die verfassungsrechtlichen Grenzen einer Verschlechterung der Pensionszusage durch die Betriebsvereinbarungsparteien, wobei hier Fragen nach den konkreten Auswirkungen des Sachlichkeitsgebots sowie des Vertrauensschutzes der Anwartschaftsberechtigten im Vordergrund standen. Der zweite im Seminar dargestellte Themenkomplex betraf das Verhältnis des Betriebspensionsrechts zum unionsrechtlichen Diskriminierungsschutz, wobei Mayer hier zum einen Fragen der Rückwirkung der Diskriminierungsverbote, zum anderen die möglichen Auswirkungen des Urteils Test-Achats für die betriebliche Alterssicherung in den Mittelpunkt stellte.

Die Vorträge des zweiten Veranstaltungstages (Moderation: Mitglied des VfGH RA Dr. Sieglinde Gahleitner) waren wie jedes Jahr sozialrechtlichen Themen gewidmet. Univ.-Prof. Dr. Walter J. Pfeil behandelte in seinem Referat „Systemfragen der geminderten Arbeitsfähigkeit“. Erwartungsgemäß setzte er sich in diesem Zusammenhang intensiv mit den im kommenden Jahr in Kraft tretenden Neuerungen in der gesetzlichen PV auseinander, die eine Abschaffung der Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit für unter 50-Jährige im Falle bloß vorübergehender Arbeitsunfähigkeit und stattdessen einen Anspruch auf berufliche bzw medizinische Rehabilitation vorsehen. Der damit verbundenen Verlagerung von Kompetenzen und Aufgaben von der PV zur KV bzw zur AlV bescheinigte Pfeil zwar wichtige psychologische Wirkungen, allerdings greife die Verschiebung in die anderen Systeme teilweise zu kurz. Breiten Raum widmete Pfeil vor allem dem geplanten Anspruch auf berufliche Rehabilitation und wies hier gewohnt kritisch auf Systembrüche in der Umsetzung hin. Die bestehenden Unterschiede im Hinblick auf den Berufsschutz bleiben zwar im neuen Recht aufrecht; allerdings ortet Pfeil die Gefahr einer schleichenden Auflösung des Berufsschutzes, indem im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen nicht auf diesen, sondern auf den nicht näher definierten Begriff des „Berufsfeldes“ abgestellt wird, der eine weitere Verweisungsmöglichkeit nahelege. An der Benachteiligung unqualifizierter AN-Gruppen habe sich wenig geändert: Für diese blieben nach wie vor nur die Alternativen der Zuerkennung einer unbefristeten Invaliditätspension bei dauerhafter Arbeitsunfähigkeit oder die unbegrenzte Verweisungsmöglichkeit auf den gesamten Arbeitsmarkt. Besonders kritisch und nur mit statistischen Argumenten erklärbar bewertete Pfeil die sukzessive Einschränkung des Tätigkeitsschutzes des § 255 Abs 4 ASVG, der im Grundansatz fairer als der nur bestimmten AN-Gruppen zustehende Berufsschutz sei und deshalb seiner Ansicht nach sogar ausgebaut werden sollte.

In der anschließenden Diskussion wurde ua die Frage aufgeworfen, inwiefern der Grundsatz „Rehabilitation vor Pension“ ohne arbeitsrechtliche Begleitmaßnahmen überhaupt durchsetzbar sei. Auch Pfeil sieht die Notwendigkeit, flankierend die Bereitschaft der AG zur Beschäftigung älterer AN zu erhöhen bzw die Beendigung entsprechender Arbeitsverhältnisse zu erschweren. Zu hinterfragen ist nach Pfeil die Tatsache, dass die nun vorgesehenen beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen erst über einen Pensionsantrag ins Spiel kommen; überlegenswert sei in dieser Hinsicht, diese Maßnahmen – evtl unter Kofinanzierung durch die PV bzw unter Heranziehung des Kompetenzzentrums Begutachtung – schon bei längerer Dauer der Arbeitslosigkeit vorzusehen. Breit diskutiert wurde schließlich auch die Effektivität der von Pfeil als wenig gelungen kritisierten Härtefallregelung des § 255 Abs 3a und 3b ASVG.

Den letzten Vortrag der Tagung bestritt Priv-Doz Dr. Harun Pacic (Universität Wien) zu Fragen betref281fend „Transportleistungen in der SV“, wobei naturgemäß Fragen der Kostentragung im Vordergrund standen. Pacic umriss in seinem Referat zunächst in übersichtlicher Weise die in dieser Hinsicht maßgeblichen Rechtsgrundlagen und legte dann das Augenmerk auf Fragen der Beurteilung der für die Kostenübernahme erforderlichen Behandlungsbedürftigkeit. Die Notwendigkeit der Krankenbehandlung sei immer ex ante zu beurteilen. Der Maßstab für die Beurteilung der Notwendigkeit des Transports bzw der Notwendigkeit eines bestimmten Transportmittels, der an den/die Versicherte/n oder einen Dritten vor dem ersten diagnostischen Tätigwerden gestellt wird, dürfe dabei nicht zu hoch gegriffen werden; es müsse hier die objektiv nachvollziehbare Befürchtung, ernsthaft erkrankt zu sein, reichen. Ähnlich seien die Kosten in den Problemfällen einer verweigerten Rettungsfahrt dann zu ersetzen, wenn für die den Rettungseinsatz anfordernde Person ein bei objektiver Betrachtung ausreichender Krankheitsverdacht bestand. Abschließend ging Pacic auf einige organisationsrechtliche Fragen ein, wobei er hier zum einen die nach § 338 Abs 1 ASVG für „andere Vertragspartner“ bestehende Möglichkeit zum Abschluss von Gesamtverträgen sowie deren Folgen, zum anderen vergaberechtliche Fragestellungen in den Mittelpunkt stellte.

Dominantes Thema in der nachfolgenden Diskussion war das Problem einer sich ex post herausstellenden fehlenden Notwendigkeit eines Rettungstransportes und die daran anschließende Frage, wer in diesem Fall die Kosten zu tragen habe. Seitens der DiskutantInnen wurde einerseits eine sinkende Hemmschwelle auf Seiten der Versicherten konstatiert, im Zweifelsfall sofort einen Rettungstransport anzufordern, wodurch das Abstellen auf die subjektive Einschätzung bei der Beurteilung der Behandlungsbedürftigkeit zum Problem werden könne. Überwiegend wurde aber die ex ante-Beurteilung – ua auch vor dem Hintergrund möglicher haftungsrechtlicher Ansprüche – als alternativlos angesehen; die Gefahr von Fehleinschätzungen müsse man dabei in Kauf nehmen, diese könne aber durch eine Plausibilitätskontrolle ex post eingeschränkt werden.

In seinen Schlussworten wies Mosler zum einen auf den Termin für die nächste Zeller Tagung hin, die von 26. bis 28. März 2014 stattfinden wird. Zum anderen kündigte er an, dass das heuer erstmals am Vortag zur Zeller Tagung veranstaltete Nachwuchsforum aufgrund des großen Erfolges auch nächstes Jahr stattfinden soll (diesjährige Präsentationen: Mag. Elisabeth Kohlbacher: „Das österreichische Arbeitskampfrecht nach dem Vertrag von Lissabon; Mag. Martin Meißnitzer: „Lohndumping Revisited“; MMag. Sebastian Scholz: „Verknappung und Verteilung von Marktzugangsrechten im Gesundheitswesen“; Mag. Felix Schörghofer: „Atypische Arbeitskräfteüberlassung“; MMag. Birgit Schrattbauer: „Arbeitskräfteüberlassung: Chance oder Risiko für Problemgruppen des Arbeitsmarktes?“). Zweck dieses neuen Formats ist es, NachwuchswissenschafterInnen die Gelegenheit zu bieten, ihre wissenschaftlichen Arbeiten einem breiten Fachpublikum zu präsentieren und gleichzeitig der Fachwelt einen Einblick in aktuelle Forschungsthemen zu geben.

Schriftliche Ausfertigungen der Beiträge finden Sie in dieser und den nächsten Ausgaben von DRdA.