„Gleichbehandlungsnovelle 2012“ – an Levelling up gescheitert?

DORISWAKOLBINGER (LINZ)

Im Juli 2012 wurde ein Entwurf für eine Novelle zum Gleichbehandlungsrecht übermittelt.* Als deren Ziele wurden die Erhöhung des Schutzniveaus gegen Diskriminierung beim Zugang zu Gütern und Dienstleis tungen, die Umsetzung der Selbständigen-Gleichbehandlungs-RL, die Verbesserung des Instrumentariums zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und die Harmonisierung des Schutzniveaus zwischen GlBG und Behindertengleichstellungsrecht genannt.* Im November 2012 konnte man den Medien ein Scheitern dieses Entwurfes entnehmen, der es nicht wie geplant auf die Tagesordnung des Gleichbehandlungsausschusses am 21.11. geschafft hatte. Der folgende Beitrag stellt die bedeutendsten Eckpunkte dieser Novelle vor und sucht mögliche Gründe für deren Scheitern.

1
Änderungen, die auf einer Umsetzungspflicht beruhen
1.1
Umsetzung der Selbständigen-Gleichbehandlungsrichtlinie

Die Selbständigen-GleichbehandlungsRL,* die bereits bis 5.8.2012 umzusetzen war, verbietet in Art 4 Abs 1 jede „unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im öffentlichen oder privaten Sektor, etwa in Verbindung mit der Gründung, Einrichtung oder Erweiterung eines Unternehmens bzw der Aufnahme oder mit der Ausweitung jeglicher anderen Art von selbständiger Tätigkeit“. Das GlBG und BEinstG umfassen derzeit nur den Zugang zu selbständiger Erwerbstätigkeit und entsprechen daher nicht den weiteren Vorgaben der Selbständigen-GleichbehandlungsRL, die über den bloßen Zugang hinaus geht. Dementsprechend sah die geplante Neuregelung eine Ausdehnung des Diskriminierungsschutzes vom bloßen Zugang zur selbständigen Erwerbstätigkeit auf die Bedingungen für die Erweiterung einer selbständigen Erwerbstätigkeit vor.

1.2
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention

Der Entwurf sah neben Änderungen im GlBG auch Neuerungen im BGStG vor, die auf der bereits in Oktober 2008 in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention* beruhen. Zentrales Ziel dieser Konvention ist die gleichberechtigte Teilnahme von Menschen mit Behinderung an allen Lebensbereichen der Gesellschaft. Nach Art 4 Abs 3 dieser Konvention haben die Vertragsstaaten bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und politischen Konzepten zur Durchführung dieses Übereinkommens und bei anderen Entscheidungsprozessen in Fragen, die Menschen mit Behinderung betreffen, mit den Menschen und Kindern mit Behinderung über die sie vertretenden Organisationen enge Konsultation zu führen und diese aktiv einzubeziehen. Dementsprechend sah der Entwurf in § 8 einen neuen Abs 4 vor, wonach die/der BundesministerIn für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz mindestens einmal pro Jahr einen Dialog mit Nichtregierungsorganisationen führt, deren Ziel es ist, Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu bekämpfen und die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung zu fördern.

2
Sonstige Änderungen

Die gescheiterte Novelle enthielt eine Vielzahl von weiteren Änderungen, die zwar nicht unmittelbar auf Umsetzungsverpflichtungen beruhen, aber mE sozialpolitisch durchaus geboten erscheinen. Der Entwurf greift dabei zum Teil Erfahrungen aus der Praxis auf, um festgestellte Defizite zu beseitigen und dadurch den Diskriminierungsschutz – auch außerhalb der Arbeitswelt – weiter zu verbessern.287

2.1
Verpflichtung zur Angabe des Mindestentgelts in Stelleninseraten

Derzeit müssen in Stellenausschreibungen Angaben zum kollektivvertraglichen, gesetzlichen oder durch andere Normen der kollektiven Rechtsgestaltung festgelegten Mindestentgelt enthalten sein (§§ 9 Abs 2, 23 Abs 2, 49 Abs 4). Die Bereiche, in denen keine lohngestaltenden Regelungen zur Anwendung kommen, werden von dieser Verpflichtung hingegen nicht erfasst. So bestehen beispielsweise für die ebenfalls unter den Geltungsbereich des GlBG fallenden arbeitnehmerähnlichen Personen keine durch KollV, Gesetz oder anderes kollektivvertragliches Gestaltungsmittel festgesetzten Mindestentgelte.* Begrüßenswerter Hintergrund für die Einführung der derzeit geltenden Informationspflicht waren Maßnahmen zur Verbesserung der Einkommenstransparenz, die zur Verringerung der anhaltenden Entlohnungsnachteile von Frauen gegenüber Männern am Arbeitsmarkt beitragen sollen. Einen Faktor für die unterschiedliche Entlohnung stellte die fehlende Information über das ortsübliche Entgelt dar. Es gestaltete sich in der Praxis oft schwierig, das gebührende kollektivvertragliche Entgelt festzustellen, so die Materialien zur Novelle 2011.* Dieses Argument muss mE für jene Bereiche, in denen keine lohngestaltenden Regelungen existieren, in doppelter Hinsicht gelten. Daher sah der gescheiterte Entwurf eine Ausdehnung der Verpflichtung zur Angabe des Mindestentgelts inklusive Strafbestimmungen auf alle AG vor, auch wenn im konkreten Fall kein KollV, Gesetz oder eine sonstige Norm der kollektiven Rechtsgestaltung Mindestentgelte vorsieht. So halten die Erläuterungen folgerichtig fest, dass es gerade in diesen Bereichen für BewerberInnen besonders schwer ist, an Informationen zum branchenüblichen Entgelt zu gelangen – daher erscheinen Entgeltangaben gerade hier als sehr wichtig, um für die BewerberInnen eine Ausgangsbasis für das Bewerbungsgespräch zur Verfügung zu stellen. Eine nachvollziehbare Gehaltsfindung kann Gleichbehandlung fördern, wobei es dem Gesetzgeber dabei nicht um Regulierung und Bürokratisierung, sondern um Fairness und Überschaubarkeit geht.*

2.2
Ausdehnung des Schutzes auf alle Phasen der Ausbildung

Mit der geplanten Novelle sollte eine Klarstellung erfolgen, wonach sich der Diskriminierungsschutz nicht nur auf den Zugang zur Berufsberatung, Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung und Umschulung einschließlich praktischer Berufserfahrung erstreckt, sondern auch auf alle Phasen der Ausbildung.

2.3
Erweiterung auf das Merkmal Personenstand

Im GlBG ist derzeit Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insb unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, verboten. Der Entwurf sah eine Erweiterung des Schutzes um das Merkmal des Personenstands vor. Dadurch sollte klargestellt werden, dass eingetragene Partnerschaften gemäß dem EPG* ebenfalls umfasst sind.* Diese Klarstellung wäre mE angesichts der Vielfalt der Beziehungsformen in der heutigen Gesellschaft und der immer noch bestehenden gesetzlichen Privilegierung der Ehe ein konsequenter Beitrag zur Verbesserung des Diskriminierungsschutzes.

2.4
Ausdehnung der Verjährungsfrist bei sexueller Belästigung

Zahlreiche Opfer von sexueller Belästigung müssen das geschehene Unrecht erst verarbeiten, um sich danach zur Geltendmachung ihrer Ansprüche in einem Verfahren zu entschließen; dies belegen – so die Erläuterungen zum Entwurf – Erfahrungen in der Praxis und wissenschaftliche Untersuchungen. Dafür scheint die derzeit geltende Verjährungsfrist von einem Jahr zu kurz bemessen, sodass der Entwurf folgerichtig eine Ausdehnung auf drei Jahre vorsah.*

2.5
Definition der Belästigung im Behindertengleichstellungsrecht

Die Definitionen des Tatbestandes der Belästigung im BEinstG und BGStG bleiben in ihren aktuellen Fassungen hinter jener des GlBG zurück. Durch den Entwurf sollte die Terminologie des GlBG übernommen und dadurch das Schutzniveau vereinheitlicht werden, was insb im Falle einer Mehrfachdiskriminierung von erheblicher Bedeutung ist.*

2.6
Änderungen im GBK/GAW-Gesetz

Die wesentlichen Eckpunkte zur geplanten Änderung des GBK/GAW-Gesetzes finden ihre Begründung in der Verfahrensökonomie und dem Schutz der beteiligten Personen. Vorgesehen war eine Verkleinerung der Senate der Gleichbehandlungskommission (GBK). Einerseits aufgrund der Ressourcenknappheit der entsendenden Organisationen, anderseits haben die Erfahrungen gezeigt, dass die am Verfahren beteiligten Personen erschreckt bzw ablehnend reagieren, wenn sie ihre Aussage vor einem 10- bis 12-köpfigen Gremium tätigen müssen. Überdies hätte diese Maßnahme die Dauer der Verfahren verkürzt.*

2.7
Levelling up

Zentrales – und wohlgemerkt auch positives – Element und damit die grundlegende Zielsetzung des Entwurfs war eine Vereinheitlichung des Schutzniveaus in Bezug auf alle durch das GlBG geschützten Merkmale – das sogenannte Levelling up. Das GlBG normiert in den Bereichen außerhalb der Arbeitswelt* den Schutz288 vor Diskriminierung lediglich aufgrund der geschützten Merkmale Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit, wobei der Diskriminierungsschutz für das Merkmal der ethnischen Zugehörigkeit am weitreichendsten ist und auch Sozialschutz, soziale Vergünstigungen und Bildung umfasst. Demgegenüber werden die geschützten Merkmale Alter, sexuelle Orientierung, Religion oder Weltanschauung lediglich im Bereich der Arbeitswelt erfasst.* Die Novelle sah die Ausdehnung des Diskriminierungsschutzes beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, inklusive Wohnraum auf alle Diskriminierungsmerkmale des GlBG vor. Bereits die letzte Novelle 2011 sah eine solche Ausdehnung vor. Aufgrund der Annahme eines Abänderungsantrags im Gleichbehandlungsausschuss des Nationalrates unterblieb jedoch die geplante Erweiterung.*

Das Levelling up basiert auf einem Richtlinienentwurf* aus dem Jahre 2008, der mittlerweile seit 2011, wo die letzten beiden Erörterungen im Rat stattfanden, im Entwurfsstadium verharrt.* Ungeachtet dessen hat jedoch bereits eine Vielzahl der EU-Mitgliedstaaten die Vorgaben des Entwurfs umgesetzt. Auch aus diesem Grund erscheint es mehr als bedenklich, dass das Levelling up in Österreich bereits zum zweiten Mal scheiterte. So wird auch in den Concluding Observations des Human Rights Committee in Bezug auf den periodischen Bericht Österreichs gefordert, keine Hierarchisierung zwischen den Diskriminierungsgründen zuzulassen und ein „levelling up and ensuring equal substantive and procedural protection against discrimination with regard to all prohibited grounds of discrimination“ durchzuführen. Dabei bezieht sich das Human Rights Committee ausdrücklich auf das GlBG und dessen unterschiedliches Schutzniveau.* Auch das Committee on the Elimination of Discrimination against Women weist in seinen Empfehlungen auf das Ungleichgewicht in Hinblick auf die anderen in der Konvention genannten Bereiche außerhalb der Arbeitswelt hin, insb da das Schutzniveau bei Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit im GlBG viel höher ist und mehr Bereiche umfasst.*

3
Abschließende Anmerkungen

Den gescheiterten Neuregelungen ist insgesamt ein großer Mehrwert aus der Sicht des Diskriminierungsschutzes zu konstatieren, allem voran natürlich dem Levelling up. Doch warum scheiterte diese Novelle? Da das Levelling up die weitreichendste Änderung innerhalb des Entwurfs darstellt, wird der Grund für die Ablehnung mE darin zu suchen sein, insb auch, weil nun bereits der zweite legistische Anlauf fehlschlug.

Das Begutachtungsverfahren fand zwischen 27.7. und 24.9.2012 statt. In diesem Zeitraum wurden insgesamt 36 Stellungnahmen eingebracht. 16 davon begrüßen das Levelling up ausdrücklich* – viele kritisieren sogar, dass die Chance für ein umfassendes Levelling up nicht genutzt wurde und dadurch der Diskriminierungsschutz für die ethnische Zugehörigkeit nach wie vor weiter reicht als für die anderen geschützten Merkmale. * Insgesamt 15 Stellungnahmen* befassen sich mit anderen Regelungen des Entwurfs und vier erheben keine Einwendungen gegen den Gesamtentwurf.

Lediglich eine – wohlgemerkt sogar zweite und damit verspätete – Stellungnahme der Österreichischen Bischofskonferenz vom 6.11.2012, mit der die erste Stellungnahme vom 24.9.2012 ersetzt wurde, kritisiert den geplanten einheitlichen Diskriminierungsschutz auf das schärfste und fordert den Entwurf ersatzlos zu streichen. Darin heißt es ua: „Der Gesamtansatz des vorgeschlagenen Gesetzesentwurfs ... scheint im Hinblick auf die Freiheit der Gesellschaft äußert problematisch. Durch das vorgeschlagene Gesetz würde ein umfassender Kontrahierungszwang begründet, der Privatpersonen beinahe im selben Ausmaß treffen würde wie den Staat. Dies wäre ein massiver Eingriff in die Vertragsfreiheit, bzw. – da der Abschluss von Verträgen eine der wichtigsten Formen der sozialen Interaktion darstellt – ein massiver Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, die Bürger in diesem Land genießen.

Am 21.11.2012 äußerten Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek und Sozialminister Rudolf Hundstorfer in einer Aussendung des SPÖ-Pressedienstes ihr Bedauern über das Scheitern der Novelle. „Es [sei] ein Armutszeugnis für unser Land und ein Kniefall vor den beharrenden Kräften in der katholischen Kirche, die sich massiv gegen mehr Schutz vor Diskriminierung stark machen“, so die Frauenministerin.*

Ausgehend von der beachtlichen Akzeptanz im Begutachtungsverfahren, der offensichtlich großen Bereitschaft des Gesetzgebers zur Umsetzung – auch gekennzeichnet durch den nunmehr zweiten Anlauf – ist das erneute Scheitern mE aus rechtsstaatlicher und demokratiepolitischer Sicht durchaus besorgniserregend. Der Grundsatz „Argumenta non sunt numeranda, sed ponderanda“ kam hier wohl verstärkt zum Einsatz, denn wie kann es sein, dass einer einzelnen Gegenmeinung ein derart hohes Gewicht beigemessen wird. So bleibt es trotz evidenter Defizite bei der gegenwärtigen Rechtslage.289