GratzlGrundrechte als Grenzen der Marktfreiheiten

Facultas/wuv Verlag, Wien 2011, 312 Seiten, broschiert, € 56,–

ELIASFELTEN (SALZBURG)

Die vorliegende Arbeit stellt die publizierte Fassung einer an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien approbierten Dissertation dar. Vordergründig behandelt sie ein rein rechtstheoretisches Thema: Das Verhältnis zwischen den europäischen Grundrechten und Grundfreiheiten – der Autor nennt diese zur besseren Unterscheidbarkeit „Marktfreiheiten“ (28). Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine Fragestellung von enormer praktischer Bedeutung und hoher Aktualität. Denn seit langem ist nicht mehr so grundlegend darüber diskutiert worden, in welche Richtung sich die Union in Zukunft entwickeln soll. Die einen wollen die Union auf ihre wirtschaftliche Grundlage, den gemeinsamen Binnenmarkt, beschränken. Die anderen erachten es für notwendig, die Union zu einer politischen und sozialen Union auszubauen. Schauplatz dieser Diskussion ist zwar primär (noch) die politische Arena. Sie lässt sich jedoch auch auf die juristische Ebene verlagern. Soll sich die Union stärker an den Marktfreiheiten oder an den Grundrechten ausrichten? Die Beantwortung dieser Frage setzt eine Aufarbeitung der rechtlichen Grundlagen voraus. Hierzu leistet die vorliegende Arbeit einen wichtigen Beitrag.

Die Kapitel 1 und 2 widmen sich jeweils gesondert den Marktfreiheiten und Grundrechten. Ziel dieses Abschnittes ist es, die beiden Kategorien von Rechten voneinander abzugrenzen. Aus diesem Grund widmet sich der Autor auch eingehend der Frage, ob die Marktfreiheiten als Grundrechte zu qualifizieren sind (30). Dies wird letztlich anhand einer Gegenüberstellung der strukturellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede verneint. Freilich ist diese Position nicht frei von Widersprüchen. So muss der Autor selbst an anderer Stelle zugestehen, dass die Marktfreiheiten mit grundrechtlichen Positionen angereichert sind (282). Insb stellt sich aber die Frage, was daraus für das Verhältnis von Marktfreiheiten und Grundrechten zu gewinnen ist. Denn der Wortlaut des EUV ist eindeutig. Marktfreiheiten und Grundrechte genießen denselben Rang. Die Diskussion um die Rechtsqualität der Marktfreiheiten offenbart vielmehr ein viel grundlegenderes Problem. Das Unionsrecht lässt sich nur schwer in national geprägte Rechtskategorien zwängen. Unternimmt man trotzdem diesen Versuch, so birgt das die Gefahr, dass mit einer Einordnung auch eine gewisse Erwartungshaltung verbunden ist.

Das zeigt sich, wenn der Autor in den Kapiteln 3 und 4 Marktfreiheiten und Grundrechte zu einander in Beziehung setzt. Hier wird deutlich, dass der EuGH den Grundrechten ursprünglich ein gänzlich anderes Verständnis entgegenbrachte. Durch eine akribische Analyse der einschlägigen Judikatur weist der Autor nach, dass die Verankerung von Grundrechten auf Unionsebene durch den EuGH ihren Ausgangspunkt in dem Ziel hatte, den Marktfreiheiten gegenüber nationalen Beschränkungen zum Durchbruch zu verhelfen. Erst später wurden die Grundrechte auch zur Beschränkung der Marktfreiheiten in Position gebracht und erhielten somit einen abwehrrechtlichen Charakter. Diese Entwicklung wird anhand der Besprechung wichtiger Entscheidungen des EuGH nachgezeichnet.

Aus arbeitsrechtlicher Sicht interessiert dabei insb die Auseinandersetzung mit der E des EuGH in der Rs ITF (auch unter dem Namen „Viking“ bekannt). Positiv hervorzuheben ist gerade hier, dass sich der Autor nicht nur darauf beschränkt, die Meinung des Gerichtshofes wiederzugeben, sondern diese auch kritisch hinterfragt. So zB wenn er mit beachtlichen Argumenten die Begründung einer unmittelbaren Drittwirkung der Niederlassungsfreiheit für Gewerkschaften durch den EuGH in Frage stellt (251). Das ist leider nicht bei allen Entscheidungsbesprechungen der Fall.

Letztlich gelingt es dem Autor aber in überzeugender Weise, die Eck- und Wendepunkte in der EuGH-Judikatur aufzuzeigen. Freilich ließen sich aus einer solchen Gegen295überstellung auch strukturelle Rückschlüsse ziehen, zB für eine Konkretisierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Abwägung von Marktfreiheiten und Grundrechten. In diesem Zusammenhang wird in Zukunft wohl auch das Verhältnis zur EMRK und der Rsp des EGMR eine wichtige Rolle spielen. Hier bleibt die Arbeit eher an der Oberfläche. Dies vermag jedoch den durchwegs positiven Gesamteindruck dieser Arbeit nicht zu trüben. Wer sich mit der einschlägigen Judikatur des EuGH zu diesem Thema auseinandersetzen will, wird sie mit großem Erkenntnisgewinn lesen.