23Schadenersatzpflicht des früheren Arbeitgebers bei Vereitelung einer neuen Beschäftigung
Schadenersatzpflicht des früheren Arbeitgebers bei Vereitelung einer neuen Beschäftigung
Die Fürsorgepflicht des AG wirkt nach, und auch nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist der AG verpflichtet, dafür zu sorgen, dass dem AN keine Nachteile entstehen.
Diese Verpflichtung gilt gerade im Zusammenhang mit Auskünften gegenüber potentiellen neuen AG und ist mit schützenswerten Interessen dieser potentiellen neuen AG abzuwägen.
Der frühere AG ist nicht berechtigt, ohne sachlichen Grund Geschäftsbeziehungen mit einem potentiellen neuen AG mit der Begründung abzulehnen, dass dieser einen früheren AN, mit dem er einen Rechtsstreit führte, beschäftige. Der AN hat Anspruch auf Unterlassung derartiger nachteiliger Verhaltensweisen.
Wenn der neue AG das Arbeitsverhältnis mit dem AN letztlich nicht eingeht, steht dem AN Schadenersatz für die entgangene Erwerbsgelegenheit zu. Dieser Schaden ist in dem Nachteil zu sehen, der sich sonst in der künftigen Entwicklung nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge ohne das rechtswidrige Verhalten ergeben hätte. Schadenersatz ist für jenes Entgelt zu leisten, welches bis zum Ablauf einer Befristung oder zur erstmaligen Kündigungsmöglichkeit zustünde.
Die seit 1991 bei der erstbekl Versicherungsmaklerin zuletzt als Leiterin des Strategic Account [...] beschäftigte Kl kündigte ihr Dienstverhältnis [...] zum 31.12.2003 auf. [...] Die Kl trat in weiterer Folge nach einer entsprechenden Androhung wegen Vorenthaltens restlicher Überstundenentgelte am 16.12.2003 aus. Sie klagte neben den Überstundenentgelten vor allem Kündigungsentschädigung und Abfertigung ein. In diesem Verfahren obsiegte sie letztlich im April 2006, da das Gericht davon ausging, dass eine Vereinbarung über die Abgeltung der Überstunden mit der Dienstfreistellung nicht getroffen worden sei.
Nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zur Erstbekl arbeitete die Kl im Büro eines Versicherungsmaklers und begann dann eine Ausbildung zum Wirtschaftsberater. Als die Kl schließlich im Oktober 2006 kontaktiert wurde, ob sie nicht bei einer Versicherung die Position eines Gruppenabteilungsleiters für den Bereich Feuerversicherung, All-Risk-Versicherung und Betriebsunterbrechungsversicherung übernehmen wollte, bat sie sich zuerst eine Überlegungszeit aus, fragte jedoch im Dezember 2006 nach, ob die Position noch zu besetzen sei, was bejaht wurde. Mit Mail vom 22.12.2006 wurde ihr beginnend mit 11.1.2007 die Stelle eines „Chief Underwriter Property“ im internationalen Geschäft mit einem Gehaltsrahmen von 70.000 € (65.000 € fix zuzüglich Bonus) angeboten. Die Kl nahm dieses Angebot an.
Als Anfang Jänner 2007 ein Mitarbeiter der Versicherung beim Zweitbekl, einem früheren Vorstandsdirektor der Versicherung und nunmehrigen Geschäftsführer der erstbekl Versicherungsmaklerin anrief und diesem Neujahrswünsche übermittelte, erzählte er dem Zweitbekl auch von der neuen Position der Kl bei der Versicherung. Der Zweitbekl beriet sich in weiterer Folge mit seinem Geschäftsführerkollegen. Sie kamen zum Ergebnis, dass die erstbekl Versicherungsmaklerin eine unmittelbare Zusammenarbeit mit der Kl wegen der Ereignisse im Zusammenhang mit dem Ausscheiden der Kl und dem darauffolgenden Gerichtsverfahren und der dadurch erfolgten Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses zur Kl nicht für gut befinden würde. Der Geschäftsführer der Bekl verfasste ein internes Mail an alle Mitarbeiter der Bekl, in dem er zum Ausdruck brachte, dass die Erstbekl allen Mitarbeitern jeglichen geschäftlichen Kontakt mit der Kl untersage und auch nicht wünsche, dass die Kl die Geschäftsräumlichkeiten der Bekl betrete.
Als der Personalverantwortliche der Versicherung beim Zweitbekl anrief, sagte dieser, dass die bekl Versicherungsmaklerin eine Zusammenarbeit mit der Kl nicht wünsche, weil das Vertrauensverhältnis zu dieser dauerhaft untergraben sei. Es werde der Kl zwar kein unredliches oder unehrenhaftes Verhalten unterstellt, man wolle aber aufgrund der Ereignisse mit der Kl nicht mehr zusammenarbeiten, was allerdings nicht bedeute, dass mit der Versicherung überhaupt kein Geschäft mehr gemacht werde.
Die Auseinandersetzungen mit der Erstbekl hatte die Kl gegenüber dem Personalverantwortlichen der Versicherung bereits davor offen gelegt. Das Vorhaben der Bekl, in keinem Fall mit der Kl zusammen arbeiten zu wollen, bedeutete, dass die Kl für die Leitungsposition nicht mehr in Frage kam, weil bei der sehr kleinen Abteilung eine dauernde Vertretung nicht möglich war und es daher keinen Sinn machte, die Kl auf die vorgesehene Stelle aufzunehmen.
Da der Zweitbekl selbst früher als Vorstand bei der Versicherung tätig gewesen war, war ihm bewusst, dass seine Äußerung bedeute, dass die Kl die von ihr angestrebte Stelle bei der Versicherung nicht bekleiden könne.
[...] Im Dienstvertrag waren ein Probemonat und eine Befristung von drei Monaten vorgesehen. Mangels gegenteiliger Erklärung sollte sich dann das Dienstverhältnis auf unbefristete Zeit verlängern. In weiterer Folge versuchte die Kl, eine Anstellung bei einer Handelsfirma oder in der Kundenbetreuung zu finden, was jedoch ebenso wie die Vermittlung über das AMS als Projektmanager zu keinem Ergebnis führte. Seit 1.5.2008 ist die Kl als Lebens- und Sozialberaterin im Trainings- und Coachingbereich selbständig tätig. Bis zum 15.7.2008 bezog sie Arbeitslosenunterstützung und Notstandshilfe. [...]
Mit ihrer Klage begehrte die Kl zuletzt 86.716,46 € sA an Entgeltansprüchen, die sie bei der Versicherung für den Zeitraum von Jänner 2007 bis Mai 2008 gehabt hätte. Ferner begehrte sie die Feststellung, dass die Bekl der Kl zur ungeteilten Hand246 für alle der Kl zukünftig entstehenden Schäden aus der Auflösung des Dienstverhältnisses zur Versicherung haften und es zu unterlassen haben, auf einen potentiellen DG der Kl mit dem Ziel einzuwirken, die Begründung eines Dienstverhältnisses zu unterlassen oder dieses aufzulösen bzw ihren AN jeglichen geschäftlichen Kontakt zur Kl zu untersagen.
Die Kl stützte dies zusammengefasst darauf, dass sich die Interventionen der Erstbekl bzw des Zweitbekl gegen das Dienstverhältnis der Kl zur Versicherung als rechtswidrig darstellten. [...] Die Erstbekl hafte sowohl ex contractu aufgrund der Verletzungen der nachwirkenden Fürsorgepflichten als auch ex delictu wegen Bruchs des Datengeheimnisses gem § 15 DSG und Datenverwendung in Schädigungsabsicht iSd § 51 DSG. Dies gelte auch für den Zweitbekl. Auch hafteten beide Parteien nach § 1295 Abs 2 ABGB.
Die Bekl beantragten die Abweisung des Klagebegehrens [...]. Sie hätten nicht gegen Fürsorgepflichten verstoßen, ebenso wenig gegen den Datenschutz, da die Daten der Versicherung ohnehin bekannt gewesen seien.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es bejahte einen Verstoß gegen die Fürsorgepflicht. Die Erstbekl hafte wegen des ihr zurechenbaren Verhaltens des Zweitbekl und dieser nach § 1295 Abs 2 ABGB. Eine deliktische Haftung nach den §§ 15, 51 DSG verneinte das Erstgericht, da die Versicherung von den Auseinandersetzungen bereits davor Kenntnis gehabt habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl teilweise Folge. Es wies das Feststellungsbegehren ab, bestätigte das Unterlassungsbegehren und hob die Rechtssache hinsichtlich des Leistungsbegehrens zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung durch das Erstgericht auf.
Auch das Berufungsgericht bejahte eine Verletzung der Fürsorgepflicht der Erstbekl. [...] Es sei noch nachvollziehbar, dass die Bekl es im Rahmen ihrer Privatautonomie abgelehnt hätten, rechtsgeschäftlichen Kontakt mit der Kl selbst aufzunehmen und etwa ein neuerliches Dienstverhältnis abzuschließen oder diese als Kundin zu akzeptieren. Das Verhalten der Bekl sei jedoch darüber hinausgegangen, weil es gar nicht die Kl unmittelbar, sondern deren neuen potentiellen AG betroffen habe. Nachvollziehbare schützenswerte Interessen von Seiten der Bekl dafür seien nicht nachgewiesen worden. Durch das Verhalten der Bekl sei die Auflösung des Dienstverhältnisses adäquat verursacht worden, auch wenn sie auf einem Willensentschluss der Vertragsparteien beruht habe. Auch der Rechtswidrigkeitszusammenhang sei zu bejahen. Den Bekl sei bewusst gewesen, dass das Verhalten bedeute, dass die Kl ihre angestrebte Stelle nicht bekleiden werde können.
Allerdings sei bei der Bemessung der Schadenshöhe auch die Befristung des Dienstvertrags zu berücksichtigen. [...]
Zum Unterlassungsbegehren verwies das Berufungsgericht darauf, dass die Bekl den Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht nachgewiesen hätten. Die Haftung des Zweitbekl bejahte das Berufungsgericht nach § 1295 Abs 2 ABGB. Auch wenn man den Grundsatz der Privatautonomie beachte, sei kein rechtlich geschütztes Interesse zu sehen, das den ausgesprochenen Boykott der Kl rechtfertigen würde. [...]
Rechtliche Beurteilung
[...]
I. [...] Es kann als gesichert angesehen werden, dass die Fürsorgepflicht des AG nachwirkt und er auch nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet ist, dafür zu sorgen, dass dem AN keine Nachteile entstehen (RIS-Justiz RS0021412 mwN zuletzt etwa 9 ObA 104/07w = ZAS 2009/6 [Wolfsgruber] = DRdA 2009/50 [Maier]; grundlegend auch schon 9 ObA 151/89; Marhold im AngG-Komm § 18 Rz 11 sowie 22; Mosler in ZellKomm, § 18 AngG Rz 13; Rebhahn/Ettmayer in ABGB-ON § 1157 Rz 9Zöllner, Die vorvertragliche und nachwirkende Treue- und Fürsorgepflicht im Arbeitsverhältnis, in
Diese grundsätzliche Verpflichtung wird gerade im Zusammenhang mit Auskünften gegenüber potentiellen neuen AG bejaht und mit schützenswerten Interessen dieser potentiellen neuen AG sowie des früheren AG abgewogen (9 ObA 104/07w; ferner auch Gahleitner in
Es ist nun grundsätzlich zutreffend, dass die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie gerade auch die Privatautonomie, insb das Recht frei darüber zu entscheiden, ob ein privatrechtlicher Vertrag abgeschlossen wird oder nicht, umfasst (RIS-Justiz RS0108004; VfSlg 12.227; VfSlg 15.697 uva). Ebenso eindeutig ist aber auch, dass dieses Recht durch verschiedene Verpflichtungen, die sich gerade auch aus anderen Verträgen ergeben können, eingeschränkt sein kann (vgl dazu etwa RIS-Justiz RS0048312; RS0038110 aber auch VfSlg 15.697 oder 17.071 ua). Dementsprechend können es nachwirkende Fürsorgepflichten aus dem Arbeitsvertrag verbieten, den Vertragsabschluss mit einem anderen Vertragspartner mit der Begründung abzulehnen, dass dieser einen nicht genehmen früheren Angestellten beschäftigt. Naturgemäß kann diese Weigerung durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein. Solche wurden aber von den Bekl nicht nachgewiesen. Die Vorinstanzen sind daher zutreffend davon ausgegangen, dass die Ankündigung der Bekl, die Geschäftsbeziehung mit der Versicherung dann einschränken zu wollen, wenn die frühere Angestellte für ihre Betreuung zuständig sein sollte, gegen die nachwirkende Fürsorgepflicht verstößt.
Grundsätzlich Gewicht zuzumessen ist dem Argument der Bekl, dass mit zunehmender zeitlicher Entfernung der Auflösung des früheren Arbeitsverhältnisses auch die Fürsorgepflicht an Bedeutung verliert. Auch hier ist jedoch eine Gesamtbetrachtung anzustellen, die nicht alleine die zeitliche Komponente ins Zentrum rückt, sondern die Betrachtung der Gesamtsituation miteinschließt. Dabei fällt hier – so wie bereits in der E247 zu 9 ObA 104/07w – ins Gewicht, dass sich die Ablehnung der Bekl im Wesentlichen darauf gründet, dass sie in einem Arbeitsgerichtsprozess der Kl unterlegen sind, der erst im Jahr 2006 endete. Damit kommt aber die ganz klare Wertung des § 105 Abs 1 Z 1 lit i ArbVG zum Tragen, wonach Benachteiligungen des – früheren – AN die darauf fußen, dass dieser seine Ansprüche gegenüber dem – früheren – AG geltend macht, verpönt sind. Insgesamt können daher die Bekl auch mit diesem Argument nicht durchdringen, sodass die Haftung zu bejahen ist. Auf die mangelnde Stellung des Zweitbekl als AG ist im Hinblick auf die insoweit nicht erfolgte Ausführung des Rechtsmittels nicht einzugehen. [...]
Es trifft zu, dass materiell-rechtliche Voraussetzung für die Erhebung einer Unterlassungsklage auch die Wiederholungsgefahr ist (RIS-Justiz RS0012064; RS0037660 jeweils mwN). Dabei wird regelmäßig unterschieden zwischen Fällen, in denen bereits einmal zuwidergehandelt wurde und jenen, in denen sich die Bekl bisher rechtmäßig verhalten hat. Im Fall der Zuwiderhandlung – wie hier – wird die Wiederholungsgefahr vermutet und es ist daher Sache des Bekl, Umstände zu behaupten und zu beweisen, die wichtige Anhaltspunkte dafür enthalten, dass der Verletzer ernstlich gewillt ist, von zukünftigen Störungen Abstand zu nehmen (RIS-Justiz RS0037661; zur Behauptungs- und Bescheinigungslast RIS-Justiz RS0005402). Davon kann aber gerade dann, wenn – wie hier – der Bekl im Prozess seine Unterlassungspflicht noch immer bestreitet und auch sonst keine Gewähr dafür besteht, dass er einen künftigen Eingriff unterlässt (RIS-Justiz RS0012055), nicht ausgegangen werden. Die Vorinstanzen haben also zutreffend den Unterlassungsanspruch bejaht.
II. Zur Revision und zum Rekurs der Kl.
Im Wesentlichen geht es um die Frage der Beurteilung des durch das rechtswidrige Verhalten der Bekl hervorgerufenen Schadens. [...]
In ihrer Rechtsrüge macht die Kl im Wesentlichen geltend, dass nach dem festgestellten Inhalt des Arbeitsvertrags zwar eine Befristung vorliege, die Parteien aber von einer Verlängerung ausgegangen seien. Im Ergebnis stellt sich damit die Frage, welcher Schaden aus dem rechtswidrigen Verhalten der Bekl eingetreten ist bzw inwieweit dieser noch zurechenbar ist.
§ 1293 ABGB sieht allgemein vor, dass als „Schade“ jeder Nachteil beurteilt wird, welcher jemandem am Vermögen, Rechten oder seiner Person zugefügt worden ist. Davon unterschieden wird der Entgang des Gewinns, den jemand nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwarten hatte.
Hier geht es nun darum, dass die neue AG im Rahmen der ihr zustehenden rechtlichen Möglichkeiten aufgrund der negativen Intervention der Bekl das Arbeitsverhältnis mit der Kl letztlich nicht eingegangen ist. Die neue AG wurde nicht zu einem „Vertragsbruch“ verleitet (vgl in diesem Zusammenhang etwa Reischauer in
Auch von den Verdienstentgangsansprüchen nach Körperverletzungen iSd § 1325 ABGB unterscheidet sich der hier zu beurteilende Schadenersatzanspruch schon im Ansatz, weil § 1325 ABGB auf die Körperverletzung, die zu dem Verdienstentgang führt, abstellt, während hier die körperliche Erwerbsfähigkeit völlig unbeeinträchtigt ist. Konkret entgangen ist hier der Kl eine Erwerbsgelegenheit. [...]
Der aus dem schuldhaften und rechtswidrigen Verhalten der Bekl resultierende Schaden ist von der Kl zu behaupten und zu beweisen. Der Schaden ist in dem Nachteil zu sehen, der sich sonst in der künftigen Entwicklung nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge ohne das rechtswidrige Verhalten ergeben hätte (RIS-Justiz RS0030138; vgl zur Problematik der Erfassung entgangener Chancen im Allgemeinen etwa Harrer in
Zum GlbG wurde ein Ansatz entwickelt, wonach bei nachweislich diskriminierender Nichtbegründung eines Arbeitsverhältnisses der daraus zu ersetzende Schaden in dem Verdienstentgang bis zum nächsten regulären Kündigungstermin liegt (Kletecka in
Gerade der vorliegende Fall, in dem die Kl vorweg die Stelle gar nicht annehmen wollte und auch selbst ihr letztes Arbeitsverhältnis von sich aus beendet hat, zeigt, dass in einem auf die persönliche Arbeitspflicht ausgerichteten Rechtsverhältnis mit all den sich daraus ergebenden Unwägbarkeiten wohl selten nachweisbar ist, wie dieses weiter verlaufen wäre. Ausgehend davon bildet die von den Vertragsparteien in ihrer Befristung bzw der Wahl der Kündigungstermine für eine rechtskonforme Auflösung vorgenommene Einschätzung durchaus eine geeignete Orientierung für den „gewöhnlichen Verlauf der Dinge“ als Vergleichsmaßstab für die Feststellung des Schadens aus dem Verlust der bloßen Erwerbsgelegenheit.
Soweit sich die Kl darauf stützt, dass eine vorsätzliche Schädigung iSd § 1324 ABGB vorliege und dementsprechend nach § 1331 ABGB volle Genugtuung zu leisten wäre, ist darauf zu verweisen, dass ein dahingehendes Vorbringen im erstgerichtlichen Verfahren nicht erstattet wurde (RIS-Justiz RS0030499). [...]248
Wiewohl § 18 AngG und § 1157 ABGB nur generalklauselartig Fürsorgepflichten des AG im aufrechten Arbeitsverhältnis regeln, geht die Judikatur zu Recht davon aus, dass die Fürsorgepflicht auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus nachwirkt. Die Grundlage der gesetzlichen Anordnung einer Fürsorgepflicht des AG liegt in der persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit des AN vom AG und der daraus resultierenden besonderen Schutzbedürftigkeit. Die Fürsorgepflicht ist sohin im Kern die Pflicht zur Wahrnehmung bestimmter besonders gefährdeter persönlicher Interessen des AN (vgl Spielbüchler, Arbeitsrecht I4 [1998] 330). Auch im Zusammenhang mit Mobbing hat der OGH zuletzt die Fürsorgepflicht verstärkt für Schadenersatzansprüche gegen den AG herangezogen (vgl etwa OGH9 ObA 131/11xARD 6289/10/2013).
Die „Nachwirkung“ der Fürsorgepflicht wurde wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit der AN vor allem im Hinblick auf die Regelungen über die Pflicht zur Ausstellung eines Dienstzeugnisses, aber auch im Zusammenhang mit Auskunftserteilungen an Dritte entwickelt (vgl etwa OGH8 ObA 217/00wDRdA 2002/15 [Eichinger]). Solche nachvertraglichen Pflichten gelten im Übrigen nicht nur im Arbeitsverhältnis (vgl Karner in
Im Zusammenhang mit der Verpflichtung, ein Dienstzeugnis auszustellen, hat der OGH bereits vertreten, dass der AG das Dienstzeugnis so ausstellen muss, dass dieses dem AN die Erlangung einer neuen Arbeitsstelle nicht erschwert (vgl OGH8 ObA 217/00wDRdA 2002/15 [Eichinger]). Auch ist nach der Judikatur und der hM ein Hinweis auf die Art der Auflösung des Dienstverhältnisses zu unterlassen, ebenso ein allfälliger Hinweis auf Aktivitäten in Gewerkschaften oder als Betriebsratsmitglied (vgl Löschnigg, Arbeitsrecht10 [2003] 600; OGH9 ObA 27/93ARD 4464/18/93 und OGH8 ObA 217/00wDRdA 2002/15 [Eichinger]). Mit der vorliegenden E verdeutlicht der OGH, dass der AG auch darüber hinaus verpflichtet bleibt, nachteilige Äußerungen über den AN zu unterlassen: Der OGH betont, dass Hinweise auf die Klagsfreudigkeit des AN oder auf mit diesem geführte Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche, die der AN aus dem Arbeitsverhältnis geltend gemacht hat, jedenfalls rechtswidrig und daher zu unterlassen sind. Generalisierend leitet der OGH zutreffend aus der klaren Wertung des § 105 Abs 1 Z 1 lit i ArbVG ab, dass Benachteiligungen des AN, die darauf zurückzuführen sind, dass dieser einen Anspruch gegenüber dem AG geltend macht, vom Gesetzgeber verpönt werden und diese Wertung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus „nachwirkt“. Der AG muss die Interessen des AN auch über des Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus insoweit wahren, als er keine nachteiligen Äußerungen über den AN, insb über eine allfällige klagsweise Geltendmachung von Ansprüchen durch den AN, tätigt.
In der Praxis sind AN häufig damit konfrontiert, dass schon allein die Geltendmachung von Ansprüchen etwa über Arbeiterkammer oder Gewerkschaft, noch bevor überhaupt eine Klage eingebracht wird, zu massiven Nachteilen am Arbeitsplatz (sofern das Arbeitsverhältnis noch aufrecht ist) bzw bei der Arbeitssuche führt. Insb Angestellte in höheren Verwendungen haben größte Sorge, dass die Geltendmachung eines Anspruches gegenüber ihrem ehemaligen AG auch einem potentiellen neuen AG bekannt werden könnte und damit eine neue Anstellung verunmöglicht bzw massiv erschwert wird. Die vorliegende E ist daher ein wesentlicher Beitrag iS einer Klarstellung, dass derartige negative Auskünfte über die Geltendmachung von Ansprüchen oder Klagen von AN von der Rechtsordnung als rechtswidrig qualifiziert werden und eine entsprechende Schadenersatzpflicht nach sich ziehen. Als Wermutstropfen bleibt im vorliegenden Zusammenhang nur, dass häufig der Nachweis, dass ein solches Verhalten vom früheren AG gesetzt wurde, dem AN kaum gelingt, da nur wenige AG so offenkundig – frei von jedem Unrechtsbewusstsein wie im vorliegenden Fall – Nachweise für ihre negativen Aussagen und Verhaltensweisen liefern.
Bedeutend ist, dass die Verletzung der nachvertraglichen Fürsorgepflicht nicht nur einen Unterlassungsanspruch begründet, sondern den früheren AG auch schadenersatzpflichtig macht.
Für die Schadensbemessung geht der OGH vom Grundsatz aus, dass aufgrund des rechtswidrigen Verhaltens des früheren AG das neue Arbeitsverhältnis der AN nicht zustande gekommen ist, und sieht den Nachteil im Verlust der bloßen Erwerbsgelegenheit. Die vom OGH vorgenommene Abgrenzung zu Fällen, in denen der neue AG zu einem Vertragsbruch verleitet wird, vermag nicht zu überzeugen: Letztlich ist der vorliegende Fall einem solchen Vertragsbruch durchaus gleichzuhalten. Der AG tritt schon vor Beginn des Arbeitsvertrages von diesem zurück, weil er vom früheren AG mit Nachteilen bedroht wird. Der Vertrag ist – dies jedenfalls nach dem aus der E entnehmbaren Sachverhalt – zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen, und es kommt zum Rücktritt, dies ausschließlich aufgrund des rechtswidrigen Verhaltens des früheren AG. Auch die Differenzierung, die der OGH zum Anspruch auf Kündigungsentschädigung anführt, wo es um Schadenersatz für die rechtswidrige Auflösung eines Vertrages geht, wird nicht mit überzeugenden Argumenten belegt. Dass es im vorliegenden Fall249 schon vor Vertragsbeginn zur „Auflösung“ durch Rücktritt kam, macht die Situationen nicht unvergleichbar: Durch ein rechtswidriges Verhalten verliert ein AN seine arbeitsvertraglichen Ansprüche. Auch der OGH sieht im Verlust der Erwerbschance einen positiven Schaden und nicht bloß entgangenen Gewinn. Bei der Schadensberechnung durch den OGH ist nicht leicht nachvollziehbar, ob er den Schaden nur objektivabstrakt oder subjektiv-konkret errechnet.
Der OGH führt aus, dass der Schaden „in dem Nachteil zu sehen ist, der sich sonst in der künftigen Entwicklung nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge ohne das rechtswidrige Verhalten ergeben hätte
“. Man müsste sich an dieser Stelle also wohl vorstellen, dass die AN ihre Arbeit angetreten hätte und für den neuen AG unbelastet tätig werden hätte können. Freilich ist es nun schwierig, den wahrscheinlichen Verlauf eines Dienstverhältnisses samt der allfälligen Beendigung oder Fortführung des Dienstverhältnisses fiktiv mit einer bestimmten Dauer anzusetzen. Der OGH geht davon aus, dass die AN beweispflichtig dafür gewesen wäre, dass das Arbeitsverhältnis über die Befristung hinaus fortgeführt worden wäre, und spricht der AN Schadenersatz nur für die Dauer der Befristung zu. Dies sei ein angemessener Schadenersatz für den „Verlust der bloßen Erwerbsgelegenheit“. Diese beiden Gedanken scheinen jedoch nur schwer in Übereinstimmung zu bringen zu sein:
Die Annahme des OGH setzt letztlich voraus, dass immer dann, wenn die Arbeitsvertragsparteien eine Befristung vereinbaren, nach einem gewöhnlichen fiktiven Ablauf solcher Arbeitsverhältnisse diese mit Ablauf der Befristung auch beendet werden. Dies trifft aber in der Praxis nicht zu: Die Befristung wird zwar häufig zur Erprobung der DN vereinbart, der AG kann aber auch bei einem unbefristeten Dienstverhältnis – gerade in den ersten sechs Monaten – ohne besonderes Risiko eine Kündigung aussprechen und es erscheint hinterfragenswert, ob tatsächlich bei Vereinbarung einer Befristung nach dem gewöhnlichen Verlauf objektiv damit zu rechnen ist, dass das Dienstverhältnis jedenfalls durch den Ablauf der Befristung endet. Die Tatsache, dass bei Ausmaß und Bewertung der Schadenshöhe konkrete Befristungsdauer bzw konkretes Ausmaß der Kündigungsfrist herangezogen wurde, mag auch daran liegen, dass ein anderweitiges Vorbringen unter Umständen von den Parteien nicht erstattet wurde.
Wenn der Schaden im Verlust der Erwerbsgelegenheit liegt, dann kann es mE keinen Unterschied machen, ob ein Arbeitsverhältnis konkret befristet wurde oder ob es kündbar gewesen wäre. Es käme sonst zu unsachlichen Differenzierungen in der Höhe des Schadenersatzes, je nachdem, ob eine Befristung vereinbart war oder nicht, und je nachdem, ob in einem bestimmten Arbeitsverhältnis längere oder kürzere Kündigungsfristen gelten: Warum soll die Vernichtung einer Erwerbschance bei einem Bäcker, für dessen Kündigung keine Kündigungsfristen einzuhalten sind, keinerlei Schadenersatz nach sich ziehen, während im Falle einer befristeten Karenzvertretung vielleicht ein oder zwei Jahresentgelte zustehen würden. Diese Schadensbemessung scheint im Hinblick auf unterschiedliche Fallkonstellationen zu sehr divergierenden Ergebnissen zu führen. Es erschiene sachlicher, den Verlust der Erwerbsgelegenheit durch Verhinderung einer Anstellung etwa mit dem Entgelt für die zu erwartende Suchdauer für das Auffinden einer neuen, gleichwertigen Beschäftigung zu bewerten. Ähnlich wie dies im Verfahren nach § 105 ArbVG zur Frage der wesentlichen Interessenbeeinträchtigung des AN durch eine Kündigung bereits jetzt durch Sachverständige geprüft wird, könnte auch in solchen Fällen ein Sachverständigengutachten eingeholt werden, in dem ein/e ArbeitsmarktexpertIn jene Zeitdauer einschätzt, die für die Suche eines adäquaten Ersatzarbeitsplatzes benötigt wird. Eine solche Schadensberechnung würde die kaum zu bewältigende Aufgabe, eine fiktive Beurteilung vorzunehmen, wie lange ein konkretes Arbeitsverhältnis „nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge“ gedauert hätte, obsolet machen.
Ein zweiter alternativer Ansatz, der allenfalls auch denkbar wäre, könnte in der Heranziehung von statistischen Daten über die durchschnittliche Dauer von Dienstverhältnissen in Österreich liegen. Der vom OGH gewählte Zugang, dass der gewöhnliche Verlauf der Dinge hinsichtlich der Dauer von Arbeitsverhältnissen daran festzumachen sei, welche Kündigungsfristen konkret vereinbart sind oder ob eine Befristung vereinbart wurde, scheint bei unterschiedlichen Fallkonstellationen zu problematischen Ergebnissen zu führen.
Auch ist zu hinterfragen, ob im vorliegenden Fall nicht zumindest grobe Fahrlässigkeit des früheren AG vorgelegen ist und der Schaden daher ohnedies subjektiv-konkret zu berechnen gewesen wäre.
Dennoch ist die vorliegende E des OGH äußerst positiv zu bewerten und stellt einen wichtigen Meilenstein in der Konkretisierung der Fürsorgepflicht des AG gegenüber seinen AN dar.250