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Zur Kostenerstattung bei geplanten ausländischen Operationen

FranzMarhold (WIEN)
  1. Um die Tatbestände nach Art 22 Abs 1 lit a und lit c der VO 1408/71 voneinander abgrenzen zu können, muss auf den Zweck des Auslandsaufenthalts Bedacht genommen werden.

  2. Art 49 EGV berechtigt alle Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, die Erstattung der in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen Kosten ärztlicher Behandlung nach den Tarifen des Versicherungsstaats zu verlangen, auch wenn sie nicht über eine Genehmigung verfügen.

Der Kl erhob im Jahr 2007 beim LG Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht zu 33 Cgs 235/07x das Klagebegehren, die Bekl sei schuldig, ihm die Genehmigung zu erteilen, sich in die Praxisklinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie, München, Goethestraße 4, zu begeben, um sich dort auf Kosten der Bekl einer geschlechtsanpassenden Operation „Frau zu Mann“ zu unterziehen und ihm binnen 14 Tagen das vollständig verfasste Formblatt E 112 auszufolgen; weiters erhob er das Eventualbegehren auf Feststellung der Verpflichtung der Bekl zur Übernahme „der Kosten der geschlechtsanpassenden Operation (Frau zu Mann) bei Dr. S in München“. Sowohl das auf Übernahme der Kosten gerichtete Klagebegehren als auch das Feststellungsbegehren wurde rechtskräftig abgewiesen (Zurückweisung der außerordentlichen Revision durch den OGH10 ObS 166/10z). Als Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, in Österreich stünden entsprechende, ausreichende und zweckmäßige Behandlungsmöglichkeiten ohne feststellbar erhöhtes Risiko und in angemessener Zeit zur Verfügung.

Noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz in diesem Verfahren begab sich der Kl in das Rotkreuzklinikum in München, wo er sich im Rahmen von stationären Aufenthalten mehreren Operationen zur Phalloplastik sowie zur Beherrschung zweier aufgetretener Komplikationen unterzog. Einer dieser Krankenhausaufenthalte währte vom 8.4.2008 bis 24.5.2008. Für diesen Aufenthalt wurden dem Kl von der Rotkreuzklinikum GmbH pro Tag 630 € in Rechnung gestellt, insgesamt 29.648,92 €.

Die Bekl gewährte mit Bescheid vom 28.4.2011 einen Pflegekostenzuschuss von insgesamt 9.128,06 €; davon entfielen auf den stationären Aufenthalt vom 8.4.2008 bis 24.5.2008 7.580,16 €; das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Als Begründung wird ausgeführt, im Hinblick auf das Nichtvorliegen der Bewilligung der Krankenbehandlung im Ausland bestehe lediglich Anspruch auf Pflegekostenzuschuss gem § 38 der Satzung. Dessen Höhe betrage für den 47-tägigen stationären Aufenthalt vom 8.4.2008 bis zum 24.5.2008 pro Tag 161,28 €, somit 7.580,16 €.

In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Klage bringt der Kl unter Berufung auf Art 22 Abs 1 lit a der VO 1408/71 vor, der stationäre Aufenthalt hätte planmäßig ab 8.4.2008 nur drei Wochen dauern sollen. Am 30.4.2008 sei es aber zu einer Nekrektomie gekommen, welche einen sofortigen, noch am selben Tag vorgenommenen, akuten operativen Eingriff erfordert habe. Dieser Eingriff habe nur in Deutschland erfolgen können. Davor sei keine Zeit mehr verblieben, sich für eine Behandlung nach Österreich zu begeben. [...]

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. [...] Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, nach Art 22 Abs 1 lit c der VO (EWG) 1408/71 idF der VO (EG) 631/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 bestehe für einen AN oder Selbstständigen ein Anspruch auf Sachleistungen dann, wenn er vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten habe, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten. Da der Kl die nach Art 22 Abs 1 lit c der VO erforderliche Genehmigung für die Geschlechtsanpassungsoperation nicht erlangt habe, sei zu prüfen, ob Art 22 Abs 1 lit a der VO zur Anwendung gelange. [...] In den Anwendungsbereich dieses Artikels fielen ausschließlich solche medizinische Notfälle, die nicht im Zuge einer geplanten medizinischen Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat auftreten. Der Krankenhausaufenthalt des Kl stelle aber eine geplante, einheitliche und zwischenzeitig nicht unterbrochene Gesamtbehandlung dar. Die währenddessen aufgetretenen Komplikationen fielen deshalb in den Risikobereich der geplanten Operation. Selbst wenn der Eingriff vom 30.4.2008 einen „Notfall“ darstellen sollte, sei Art 22 Abs 1 lit a der VO nicht anwendbar.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine Rsp zur Frage bestehe, ob der Sozialversicherungsträger nach Art 22 Abs 1 lit a der VO 1408/71 zur Übernahme jener Kosten verpflichtet sei, die dadurch entstehen, dass im Zuge einer geplanten Krankenbehandlung in einem anderen Mitgliedstaat Komplikationen auftreten, die eine sofortige Heilbehandlung („Notoperation“) erforderlich machen. [...] Die Rechtsansicht des Erstgerichts, Art 22 Abs 1 lit a der VO 1408/71 sei dann nicht anwendbar, wenn sich ein Versicherter ohne Genehmigung des zustän299digen Trägers zu einer geplanten Operation in einen anderen Mitgliedstaat begebe, sei zutreffend. [...]

Gegen diese E richtet sich die Revision des Kl, mit dem Antrag auf Abänderung iS einer Klagestattgebung, eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt. [...]

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist aber nicht berechtigt. [...]

2. Zur hier anzuwendenden Rechtslage ist auszuführen, dass die VO (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit am 1.5.2010 in Geltung getreten ist und die VO (EWG) 1408/71 („WanderarbeitnehmerVO“) abgelöst hat. Für den Zeitraum vor dem Beginn ihrer Anwendung begründet die VO 883/2004 keine Ansprüche (Art 87 Abs 1). Nicht erfasst sind somit solche in der Vergangenheit liegenden Ereignisse, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts bereits abgeschlossen sind (Bokeloh in ZESAR, Die Übergangsregelungen in den Verordnungen [EG] Nr 883/04 und 987/09, 1/11, 18 ff). Dies trifft auf die noch vor dem 1.5.2010 am Kl vorgenommene Operation zu, sodass die VO 1408/71 weiterhin anzuwenden ist (siehe auch 10 ObS 166/10z).

3.1. Im Hinblick auf die Revisionsausführungen ist vorerst klarzustellen, dass es sich bei der Sachleistungsaushilfe (Kostenübernahme) und der Kostenerstattung um Leistungsansprüche verschiedener Art handelt (RIS-Justiz RS0124349):

3.1.1. Nach Art 22 Abs 1 lit c der VO (EWG) 1408/71 idF der VO (EG) 631/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 (im Folgenden: VO 1408/71) hat ein Versicherter, der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, Anspruch auf Sachleistungen, die der Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers gewährt. [...]

3.1.2. Aus Art 22 Abs 1 lit c VO 1408/71 ergibt sich, dass der zuständige Träger später dem Träger des Aufenthaltsorts unter den in Art 36 VO 1408/71 vorgesehenen Voraussetzungen dessen Aufwendungen in voller Höhe zu ersetzen hat (Art 36 Abs 1 VO 1408/71). [...]

3.2. Von der Sachleistungsaushilfe nach Art 22 Abs 1 VO 1408/71 zu unterscheiden ist das System der schlichten Kostenerstattung einer Behandlung im Ausland wegen fehlender Vertragsbeziehungen im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit (10 ObS 119/08k zu Art 49 EGV, nunmehr Art 56 AEUV). So berechtigt Art 49 EGV alle Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten aufgrund der Tatsache, dass sie in der Gemeinschaft niedergelassen sind, die Erstattung der in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen Kosten ärztlicher Behandlung nach den Tarifen des Versicherungsstaats zu verlangen, auch wenn sie nicht über eine Genehmigung verfügen.

3.3. Es können daher die Versicherten wählen, ob sie auf das in Art 22 Abs 1 lit c VO 1408/71 geregelte Verfahren zurückgreifen oder sich innerhalb der durch die Rsp des EuGH gesetzten Grenzen auf Art 49 EGV berufen (vgl Schlussanträge des Generalanwalts Colomer, C-56/01, Inizan, Rn 31).

3.4. Der Kl, dessen Klage auf Genehmigung der Krankenbehandlung im Ausland im Wege der sogenannten aushelfenden Sachleistungserbringung (siehe oben Pkt 3.1.1. und 3.1.2.) bereits rechtskräftig abgewiesen wurde, richtet sein vorliegendes Klagebegehren nunmehr auf Kostenerstattung. Er will aber nicht nur die Erstattung der in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen Kosten ärztlicher Behandlung nach den Tarifen des Versicherungsstaats erlangen („beschränkte Kostenerstattung“), sondern er möchte sämtliche Kosten der Anstaltspflege erstattet erhalten, die ihm durch die ab 30.4.2008 im Rotkreuzklinikum München erfolgte Behandlung der Thrombose entstanden sind; Gegenstand seines Klagebegehrens ist demnach die Differenz zwischen dem von der Bekl nach § 38 ihrer Satzung bereits geleisteten Pflegekostenzuschuss und den von ihm getragenen höheren Kosten der Anstaltspflege im Rotkreuzklinikum in München („volle Kostenerstattung“). Dieses Klagebegehren stützt der Kl ausdrücklich auf Art 22 Abs 1 lit a der VO 1408/71.

4. Nach Art 22 Abs 1 lit a der VO 1408/71 hat ein AN oder Selbstständiger, der die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staats für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Art 18 erfüllt, und bei dessen Zustand sich Sachleistungen während eines Aufenthalts im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats unter Berücksichtigung der Art der Leistungen und der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer als medizinisch notwendig erwiesen, Anspruch auf Sachleistungen nach den für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem versichert wäre. Während also in Art 22 Abs 1 lit c der VO 1408/71 die Sachleistungsgewährung von der Genehmigung des zuständigen Trägers abhängig gemacht wird, wird sie in Art 22 Abs 1 lit a bei vorübergehenden Auslandsaufenthalten auf die medizinisch notwendigen Leistungen eingeschränkt, die bis zur Rückkehr nicht aufgeschoben werden können (Bieback in

Fuchs
, Europäisches Sozialrecht4, Art 22 Rz 8 mwN). [...] Art 22 Abs 1 lit a der VO 1408/71 ist unter dem Blickwinkel der Freizügigkeit zu betrachten, weil diese nur dann gewährleistet ist, wenn der AN damit rechnen kann, dass er im Fall einer im Ausland eintretenden Krankheit auch eine seinem Zustand entsprechende ausreichende Behandlung erfährt; demgegenüber beruht Art 22 Abs 1 lit c der VO 1408/71 in erster Linie auf dem Prinzip der Dienstleistungsfreiheit (Windisch-Graetz, Europäisches Krankenversicherungsrecht 232).

5. Um die Tatbestände nach Art 22 Abs 1 lit a und lit c der VO 1408/71 voneinander abgrenzen zu können, muss auf den Zweck des Auslandsaufenthalts Bedacht genommen werden. Liegt dessen Zweck in der Inanspruchnahme von Krankenbehandlung, sind die Erfordernisse der lit c zu erfüllen, dh der Versicherte muss beim zuständigen Versicherungsträger um Genehmigung der Krankenbehandlung angesucht haben. Liegt ein anderer Aufenthaltszweck vor, als jener der Inanspruchnahme von Krankenbehandlung, hat der Träger des Aufenthaltsorts lediglich zu prüfen,300 ob Leistungen der Krankenbehandlung unter Berücksichtigung der Art der Leistungen und der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer medizinisch notwendig sind und bejahendenfalls diese zu gewähren (Windisch-Graetz, aaO 238 f). Art 22 Abs 1 lit c der VO 1408/71 regelt somit den Anspruch auf Sachleistungen von Versicherten, die in einem Mitgliedstaat wohnen und beim zuständigen Träger die Genehmigung beantragen, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, um dort eine ihrem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, während Art 22 Abs 1 lit a den Anspruch auf Sachleistungen regelt, wenn diese während eines Aufenthalts in einem Mitgliedstaat, der nicht der Staat des Wohnorts ist, erforderlich werden (siehe EuGHC-326/00, IKA, Rn 26 betreffend die Abgrenzung zu Art 31 VO 1408/71). Demnach ist in jedem Einzelfall der wahre Zweck des Aufenthalts zu ergründen. Ob jeweils Art 22 Abs 1 lit a oder lit c einschlägig ist, haben die nationalen Gerichte auf der Basis ihrer tatsächlichen Ermittlungen zu entscheiden (EuGHC-326/00, IKA, Rn 28 ff; C-156/01, van der Duin, Rn 34 ff).

5.1. Ein Anwendungsfall des Art 22 Abs 1 lit a VO 1408/71 liegt – wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben – nicht vor. Der Kl hat sich nach den Feststellungen nach München begeben, um sich dort im Rahmen seines geplanten stationären Aufenthalts mehreren Operationen zu unterziehen. Diese geplante Behandlung war wesentlich kausal für seinen Aufenthalt. Hat sich der Kl somit (nur) zu Behandlungszwecken in einen anderen Mitgliedstaat begeben, ist ein Anwendungsfall des Art 22 Abs 1 lit c VO 1408/71, nicht aber ein solcher nach Art 22 Abs 1 lit a gegeben. Art 22 Abs 1 lit a VO 1408/71 darf nicht dazu dienen, die Notwendigkeit der Genehmigung nach Art 22 Abs 1 lit c VO 1408/71 zu umgehen. Es kann dabei auch keine Rolle spielen, ob bei dieser geplanten Behandlung eine schicksalhaft bedingte oder eine durch einen Behandlungsfehler verursachte Komplikation aufgetreten ist und dadurch der Aufenthalt verlängert wurde. Liegt somit ein Anwendungsfall des Art 22 Abs 1 lit a VO 1408/71 nicht vor, kommt auch ein auf diese Bestimmung gestützter Kostenerstattungsanspruch nicht in Betracht.

6. Erstmals in seiner Revision hat sich der Kl auch auf Art 49 EGV als Anspruchsgrundlage berufen. Nach stRsp des EuGH fallen Gesundheitsleistungen, die Gegenstand sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche sind, unter die Dienstleistungsfreiheit der Art 49 ff EGV, ohne dass danach zu unterscheiden wäre, ob die Versorgung in einer Krankenanstalt oder außerhalb davon erbracht wird (10 ObS 119/08k, SSV-NF 22/67 mwN). [...]

6.1. Das Gemeinschaftsrecht lässt zwar die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt; gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Gemeinschaftsrecht beachten (vgl EuGHC-157/99, Smits und Peerbooms, Rn 44 bis 46 sowie C-385/99, Müller-Faure und van Riet, Rn 100). In der Rs C-56/01, Inizan, hielt der EuGH aber das Genehmigungserfordernis in Art 22 Abs 1 lit c VO 1408/71 mit den sich aus Art 49 und 50 EGV ergebenden Grundfreiheiten für vereinbar (vgl Bieback, aaO Art 22 Rz 43 ff und 60 mwN). Da für Krankenhäuser langfristige und kostspielige Investitionen getätigt werden müssen, ist eine besondere Genehmigung der Behandlung in Krankenhäusern, mit denen kein Versorgungsvertrag besteht, für die Vermeidung von Verschwendung und Beherrschung der Kosten notwendig (EuGHC-157/99, Smits und Peerbooms, Rn 76–80; C-385/99, Müller-Faure und C-384/99, van Riet, Rn 72 ff, 76 ff).

6.2. Art 49 EGV berechtigt somit alle Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten aufgrund der Tatsache, dass sie in der Gemeinschaft niedergelassen sind, die Erstattung der in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen Kosten ärztlicher Behandlung nach den Tarifen des Versicherungsstaats zu verlangen, auch wenn sie nicht über eine Genehmigung verfügen. Sie müssen die Behandlung bezahlen und können beanspruchen, dass ihr Träger ihnen maximal den Betrag bezahlt, den sie erhalten hätten, wenn sie die Leistungen im Vertragsstaat empfangen hätten (vgl dazu die Ausführungen des Generalanwalts Colomer in seinen Schlussanträgen in der Rs C-56/01, Inizan, Rn 30 f).

Begibt sich ein Versicherter ohne vorherige Genehmigung zur ärztlichen Versorgung in einen anderen Mitgliedstaat, kann er die Übernahme der Kosten für seine Versorgung aber nur insoweit verlangen, als das Krankenversicherungssystem des Mitgliedstaats der Versicherungszugehörigkeit eine Deckung garantiert. Findet Art 49 EGV Anwendung, bestimmen also die Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats die Höhe der Erstattung. Dies bedeutet, dass der Versicherte einen Anspruch nur in Höhe des Betrags hat, der ihm erstattet würde, wenn die Behandlung in dem zuständigen Mitgliedstaat erbracht worden wäre. Im vorliegenden Fall erhält der Kl also die Erstattung in gleicher Höhe, wie wenn er eine gleichwertige Behandlung im Inland in einer Krankenanstalt in Anspruch genommen hätte, die nicht über Landesfonds finanziert wird und mit der keine vertragliche Regelung besteht. Im Falle der Anstaltspflege sind die Kostenerstattungsgrundsätze des § 150 ASVG maßgebend, nach denen sich der Ersatz nach den für die entsprechende inländische Leistungserbringung maßgebenden Tarifen bestimmt. Nach § 38 der Satzung der Bekl erbringt die Kasse dem Versicherten, der notwendige Anstaltspflege in einer Krankenanstalt in Anspruch genommen hat, die nicht über Landesfonds finanziert wird und mit der keine vertragliche Regelung besteht, einen Pflegekostenzuschuss in Höhe eines (vom Kl nicht bestrittenen) Pauschalbetrags pro Tag der Anstaltspflege, jedoch nicht mehr als die tatsächlichen Kosten. Gem § 38 Abs 2 der Satzung gilt dies für die Anstaltspflege in einer ausländischen Krankenanstalt entsprechend. Den sich aus § 38 der Satzung ergebenden Pflegekostenzuschuss in Höhe des Pauschalbetrags hat der Kl aber bereits erhalten. [...]

Anmerkung
1.
Die nationale Vorfrage

Der OGH hatte mit der hier zu besprechenden E nicht über die Kostenerstattung der geschlechtsanpassenden Operation des Kl nach nationalem Recht301 zu entscheiden. Die bekl Vorarlberger Gebietskrankenkasse hatte bereits mit Bescheid einen Pflegekostenzuschuss gem § 38 ihrer Satzung gewährt. Über diesen war nicht mehr zu entscheiden. Dennoch verdient auch die nationale Rechtslage bei internationaler Krankenbehandlung Beachtung. Der Anspruch des Versicherten auf Kostenerstattung bei Anstaltspflege im Ausland beruht letztlich auf einer Änderung des § 89 Abs 1 Z 2 ASVG durch die 34. ASVG-Novelle. Bis zum 1.1.1980 hatte § 39 Abs 1 Z 2 ASVG vorgesehen, dass Leistungsansprüche bei Auslandsaufenthalt generell ruhen. Diese seit der Stammfassung des ASVG bis zum 1.1.1980 geltende Rechtslage beruhte auf Argumenten, die auch im Zusammenhang mit der europarechtlichen Dimension der Inanspruchnahme ausländischer Gesundheitsdienstleister immer ins Treffen geführt werden. Der inländische Versicherungsträger habe – so schon in der RV zur Stammfassung des ASVG – faktisch keine Möglichkeit, dem Versicherten die Sachleistungen der Versicherung durch eigene oder Vertragseinrichtungen der Krankenbehandlung zur Verfügung zu stellen, eine Erfassung und Kontrolle der erkrankten Versicherten im Ausland durch den inländischen Versicherungsträger sei nicht möglich und letztlich hielt die RV zur Stammfassung des ASVG diesen Befund noch für den Ausdruck des in der SV geltenden Territorialitätsprinzips (dazu Marhold, Der Behandlungsanspruch des sozialversicherten Patienten, in

Schrammel
[Hrsg], Rechtsfragen der ärztlichen Behandlung [1992] 14 f). Mit der 34. Novelle zum ASVG wurden die Ruhensbestimmungen bei Auslandsaufenthalt so umgestaltet, dass nur Geldleistungen in der KV, UV und PV ruhen sollten, solange sich der Anspruchsberechtigte im Ausland aufhält. Für Sachleistungen sollte das Ruhen ausdrücklich nicht eintreten. Bemerkenswert an dieser Rechtslage war, dass die §§ 35 Abs 1 B-KUVG, 58 GSVG und 54 BSVG schon zum damaligen Zeitpunkt vorgesehen hatten, dass für den Fall eines Auslandsaufenthaltes die Leistungsansprüche aus der KV nicht ruhen sollten. Damit entstand eine Divergenz zwischen BeamtInnen, Gewerbetreibenden, Bäuerinnen und Bauern einerseits und AN andererseits. Diese Schlechterstellung der ASVG-Versicherten wurde mit der 34. ASVG-Novelle aufgehoben und damit ein Kostenerstattungsanspruch nach den §§ 131 Abs 1 bzw 150 Abs 2 ASVG eröffnet (92 BlgNR 15. GP). Damit entsprach das österreichische Krankenversicherungsrecht schon vor den berühmt gewordenen Entscheidungen des EuGH in den Rs Kohll und Decker den europarechtlichen Vorgaben (EuGH 28.4.1998, C-158/96, Kohll, Slg 1998, I-01931; EuGHC-120/95, Decker, Slg 1998, I-01831).

2.
Die europarechtliche Dimension

Im Anlassfall hat sich der Kl ins Ausland begeben, um sich dort im Rahmen seines geplanten stationären Aufenthalts mehreren Operationen zu unterziehen. Es liegt daher ein Anwendungsfall des Art 22 Abs 1 lit a der VO 1408/71 nicht vor. Zutreffend begründet der OGH, dass die VO 1408/71 auf den vorliegenden Fall noch anwendbar war. In diesem Punkt ergibt sich kein Unterschied zur VO 883/04. Einschlägig für die Lösung des vorliegenden Falles, und das sieht der OGH ganz zutreffend, ist Art 22 Abs 1 lit c VO 1408/71. Die danach erforderliche Genehmigung (jetzt Art 20 Abs 2 VO 883/04) hatte der Kl nicht eingeholt. Seit der Rs Inzian (EuGH

23
10
2003
, C-56/01, Slg 2003, I-12403) ist aber klargestellt, dass das Genehmigungserfordernis mit den Grundfreiheiten nach Art 49 und 50 EGV vereinbar ist (dazu Bieback in
Fuchs
[Hrsg], Europäisches Sozialrecht6 Rz 9 zu Art 20 VO 883/04). Der Rückgriff auf Art 49 EGV erfährt durch die Regeln des koordinierenden Krankenversicherungsrechts insofern eine Einschränkung, als das Genehmigungserfordernis zur Vermeidung von Verschwendung und Beherrschung der Kosten notwendig und damit verhältnismäßig ist (so der OGH zutreffend unter Pkt 6.1. der Entscheidungsbegründung). Diese Rechtslage ist in der PatientenRL ausdrücklich übernommen worden. Deren Art 6 Z 2 legt fest, dass die Kosten für die Gesundheitsversorgung in einem anderen Mitgliedstaat vom Versicherungsmitgliedstaat nach Maßgabe dieser Richtlinie bis zu der Höhe erstattet werden, die abgedeckt wäre, wenn die gleichen oder ähnliche Gesundheitsdienstleistungen im Versicherungsmitgliedstaat erbracht worden wären (Marhold, Neuerungen europäischer Sozialrechtskoordinierung bei Krankheit, in
Eichenhofer
[Hrsg], 50 Jahre nach ihrem Beginn – Neue Regeln für die Koordinierung sozialer Sicherheit [2009] 204 f). Dabei dürfen die tatsächlichen Kosten der Gesundheitsdienstleistungen durch die Rückerstattung nicht überschritten werden. Auch dieser Begründungsteil der E des OGH überzeugt daher. Sie steht auch mit der jüngeren Rsp des EuGH im Einklang, der in der Rs C-173/09 (Elchinov, ZESAR 2011, 482) festgehalten hat, dass ein Anspruch auf Kostenerstattung nicht verweigert werden kann, wenn an sich die Voraussetzungen des Art 20 VO 883/04 vorgelegen hätten. Festgeschrieben ist das nunmehr auch durch Art 26 Abs 7 der DurchführungsVO (DVO EG 987/2009).

3.
Ergebnis

Die E des OGH verdient ungeteilte Zustimmung. Ihre Begründung befindet sich auf höchstem Niveau und eignet sich ganz hervorragend für Ausbildungszwecke im europäischen koordinierenden Sozialversicherungsrecht. Sämtliche einschlägige Entscheidungen des EuGH und die maßgebliche Literatur sind verarbeitet, sodass die E und ihre Begründung als best practice für den akademischen Unterricht herangezogen werden kann. Dort wird dann darauf hinzuweisen sein, dass zur VO 1408/71 in der auf den Fall anwendbaren Fassung bereits die 5. Auflage des Kommentars von Fuchs zum Europäischen Sozialrecht (und nicht die 4. Auflage) zu zitieren gewesen wäre.302