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Unionsrechtskonforme Anrechnung von Vordienstzeiten unabhängig vom Eintrittsdatum des/der AN

SUSANNEMAYER (SALZBURG)
RL 2000/78/EG; § 13 Abs 1 Z 2 B-GlBG; § 29 KollV für die DN des AMS
  1. Der unionsrechtliche Diskriminierungsschutz umfasst das Arbeitsentgelt, nicht aber die Festsetzung eines bestimmten Vorrückungsstichtags, dessen Festlegung nur eine Folge der vorzunehmenden Neuberechnung von Vordienstzeiten ist.

  2. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Altersdiskriminierung in Bezug auf das Arbeitsentgelt vorliegt, ist bei richtlinienkonformer Auslegung des § 13 Abs 1 Z 2 B-GlBG nicht allein auf die erst- oder einmalige Festsetzung des Entgelts der betroffenen AN und damit auch nicht allein auf die erstmalige Festsetzung eines Vorrückungsstichtags abzustellen.

  3. Für Entgeltperioden, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, sind Vordienstzeiten in unionsrechtskonformer Weise zu berechnen, auch wenn das Arbeitsverhältnis schon vor diesem Zeitpunkt begründet worden ist.

Am 1.7.1995 trat für die AN des AMS der KollV für die DN des AMS [...] in Kraft. Die wesentlichen Bestimmungen des KollV [...] lauten auszugsweise wie folgt:

[...] § 27 Gehalt(1) Das Gehalt wird durch die Gehaltsgruppe und innerhalb dieser durch die Gehaltsstufe bestimmt. [...§ 28 Vorrückung(1) Der/Die DienstnehmerIn rückt nach jeweils zwei Jahren in die nächsthöhere Gehaltsstufe vor. [...]§ 29 Vorrückungsstichtag(1) Der Vorrückungsstichtag ist dadurch zu ermitteln, dass [Fassung bis 31.12.2009] dem Tag der Anstellung zur Gänze vorangesetzt werden:
  1. sämtliche Dienst- oder Ausbildungszeiten im Bereich des BMWA, BMAS oder Fonds der AMV/AMS,

  2. sonstige einschlägige Beschäftigungszeiten im Ausmaß von maximal 15 Jahren,

  3. die Zeit der Ableistung des Präsenz-, Zivil- oder Ausbildungsdienstes jeweils im gesetzlich vorgesehenen Mindestausmaß sowie die Zeit als Fachkraft für Entwicklungshilfe,

  4. Zeiten einer Karenz nach dem MSchG oder VKG [...].“

Die Streichung der Wortfolge „unter Ausschluss der vor Vollendung des 18. Lebensjahres liegenden Zeiten“ in § 29 Abs 1 KollV erfolgte [...] mit Wirksamkeit vom 1.1.2010 infolge des Erk des EuGH in der Rs Hütter (EuGH 18.6.2009, Rs C-88/08).

Die Bekl differenziert zwischen jenen AN, die nach dem 2.12.2003, dem Stichtag für die Umsetzung der RL 2000/78/EG [...] in ein Arbeitsverhältnis zu ihr neu aufgenommen wurden (und deren Vorrückungsstichtag somit erstmalig nach diesem Stichtag festgesetzt wurde), und jenen AN, die bereits vor dem 2.12.2003 in einem Arbeitsverhältnis zu ihr standen. Bei den AN, die nach dem 2.12.2003 [...] neu aufgenommen wurden, korrigierte die Bekl den Vorrückungsstichtag rückwirkend per 1.1.2007.321

Der Kl begehrt die Feststellung, dass sämtliche AN [...], die Vordienstzeiten gem § 29 Abs 1 KollV aufweisen, die vor Vollendung des 18. Lebensjahres liegen [...], Anspruch auf Verbesserung ihres Vorrückungsstichtags unter Berücksichtigung der genannten Zeiten, dies rückwirkend ab 1.1.2007, haben [...]. Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt [...]. Das Berufungsgericht gab der von der Bekl [...] erhobenen Berufung nicht Folge. [...] Die Revision ist [...] zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin wiederholt [...] ihr Vorbringen, dass die Festsetzung des Vorrückungsstichtags bei [...] vor dem 2.12.2003 begründeten Arbeitsverhältnissen nach der damals geltenden Rechtslage zu Recht erfolgt sei. Es handle sich dabei um einen abgeschlossenen Sachverhalt, der infolge des im Gemeinschaftsrecht und in § 5 ABGB enthaltenen Rückwirkungsverbots ausschließlich nach der alten Rechtslage zu beurteilen sei. Die Rsp anerkenne den Vertrauensschutz [...] für Sachverhalte, die vor dem Inkrafttreten neuer Regelungen abgeschlossen worden seien. Bloße Auswirkungen von nach der Rechtsordnung nicht mehr maßgeblichen Umständen seien für die Anwendung der neuen Rechtslage nicht ausreichend.

Dem ist entgegenzuhalten:

1. Das – mittlerweile auch in Art 21 Abs 1 GRC verankerte – Verbot der Diskriminierung wegen des Alters gilt nach stRsp des EuGH als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts (C-555/07 Rn 21; C-144/04 Rn 75). Dieser Grundsatz wird durch die GleichbehandlungsrahmenRL 2000/78/EG konkretisiert [...].

Das Verbot der Altersdiskriminierung gilt für Sachverhalte, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen (C-555/07 Rn 23). Dieser ist eröffnet, wenn die diskriminierende Behandlung einen unionsrechtlichen Bezug aufweist. Eine solche Konstellation ist ua dann verwirklicht, wenn eine Diskriminierung einen von einer RL geregelten Bereich betrifft und die Frist für die Umsetzung der RL bereits abgelaufen ist (C-427/06 Rn 17; Obwexer, Unionsrechtliche Rechtsfolgen und Sanktionen bei Verstößen gegen das Verbot der Altersdiskriminierung in

Wachter
, Jahrbuch Altersdiskriminierung 2010, 38). Im Anwendungsbereich des Unionsrechts entfaltet das Grundrecht auf Nichtdiskriminierung wegen des Alters unmittelbare Wirkung, sodass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten einerseits direkt darauf stützen kann und andererseits nationale Gerichte verpflichtet sind, dieses Grundrecht direkt anzuwenden. Das bekl AMS ist [...] eine staatliche Einrichtung iSd Rsp des EuGH, sodass ihm gegenüber die RL 2000/78/EG auch unmittelbar anwendbar ist (C-188/89 Rn 20).

2. Die Umsetzung der RL 2000/78/EG erfolgte in Österreich ua durch die Bestimmung des § 13 B-GlBG, der gem § 54 Abs 6 AMSG für die AN der Bekl gilt. Gem § 13 Abs 1 Z 2 B-GlBG darf ua kein AN der Bekl aufgrund des Alters bei der Festsetzung des Entgelts [...] diskriminiert werden. § 13 Abs 1 Z 2 B-GlBG trat in der geltenden Fassung [...] allerdings erst am 1.7.2004 in Kraft. Vor diesem Zeitpunkt enthielt das B-GlBG keine die Umsetzung der RL 2000/78/EG regelnden Bestimmungen. Es ist im Verfahren nicht strittig, dass die Festsetzung des Vorrückungsstichtags für die vor dem 2.12.2003 eingetretenen Beschäftigten der Bekl entsprechend der damals geltenden Rechtslage erfolgte.

3. Die Auslegung des § 13 Abs 1 Z 2 B-GlBG hat sich so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der RL 2000/78/EG auszurichten [...] (C-237/07 Rn 36; C-555/07 Rn 48, 53). [...] Schon vor dem Hintergrund des Wortlauts des Art 3 Abs 1 lit c RL 2000/78/EG ergibt sich daher, dass der Begriff der „Festsetzung des Entgelts“ iSd § 13 Abs 1 Z 2 B-GlBG weit zu verstehen ist (ebenso Rebhahn, GlGB § 3 Rz 91 zu § 3 Z 2 GlBG vor dem Hintergrund des Art 141 EGV [nunmehr: Art 157 AEUV]). Für die Beurteilung der Frage, ob eine Altersdiskriminierung in Bezug auf das Arbeitsentgelt verwirklicht ist, kommt es daher bei richtlinienkonformer Auslegung des § 13 Abs 1 Z 2 B-GlBG nicht allein auf eine erst- oder einmalige Festsetzung des Entgelts der betroffenen AN und damit auch nicht allein auf die erstmalige Festsetzung eines Vorrückungsstichtags an.

4. [...] Es trifft zwar zu, dass weder die RL 2000/78/EG, noch das B-GlBG (ebenso wenig wie das GlBG) spezielle Rückwirkungsbestimmungen kennen (9 ObA 38/07i). Von der Rsp wurde jedoch in Anwendung des Art 141 EG (nunmehr Art 157 AEUV) anerkannt, dass geschlechtsspezifische Einkommensdifferenzen auch bei vor dem 1.1.1994 eingegangenen Arbeitsverhältnissen diskriminierend sind, wenn solche Einkommensansprüche betroffen sind, die nach dem 1.1.1994 entstanden sind (RIS-Justiz RS0117073; RS0117672). Diese Grundsätze lassen sich auf den vorliegenden Fall übertragen. Das vom AG dem AN geschuldete laufende Entgelt steht mit der Arbeitszeit und nicht dem Quantum der konkreten Arbeitsverrichtungen in einem synallagmatischen Zusammenhang (RIS-Justiz RS0021299 ua). Der Anspruch auf laufendes Entgelt entsteht demnach mit dem Erfüllen der Arbeitspflicht (Rebhahn in ZellKomm2 § 1152 ABGB Rz 70). Ausgehend davon hat die Prüfung der Frage, ob eine Diskriminierung der vom Verfahren betroffenen AN wegen des Alters im Zusammenhang mit den Entgeltbedingungen verwirklicht ist, nicht allein auf den Zeitpunkt der erstmaligen „Festsetzung“ des Entgelts bei Abschluss des Arbeitsvertrags abzustellen, sondern vielmehr auf die vom Klagebegehren betroffenen Entgeltperioden, die nach dem 1.1.2007 – und somit jedenfalls im Anwendungsbereich der RL 2000/78/EG – liegen.

Damit fällt aber der hier zu beurteilende Sachverhalt [...] in den Anwendungsbereich des Unionsrechts [...].

5. Die sich hier stellende Frage, ob eine Korrektur des Vorrückungsstichtags auch für Arbeitsverhältnisse zu erfolgen hat, die vor Ablauf der Umsetzungsfrist für die RL 2000/78/EG am 3.12.2003 abgeschlossen wurden, wenn andernfalls eine unmittelbare Diskriminierung der AN wegen des Alters in Bezug auf das Entgelt die Folge wäre, wird in der Lehre weit überwiegend bejaht:

So führt Gerhartl (Auswirkungen der Altersdiskriminierung durch Ausschluss von Vordienstzeiten, RdW 2010/447, 406; Zeitlicher Geltungsbereich des Verbots der Altersdiskriminierung, ASoK 2011, 68) aus, dass die Auswirkungen eines diskriminierenden Vorrückungsstichtags während des gesamten Arbeitsverhältnisses andauern [...]. Das Diskriminierungsverbot sei daher auch für Arbeitsverhältnisse, die vor dem Stichtag (3.12.2003) eingegangen worden seien und am Stichtag noch bestünden, zu beachten [...].

Fellner (Auswirkungen der Altersdiskriminierung durch Ausschluss von Vordienstzeiten, RdW 2010/597, 585)322 gelangt unter Berufung auf die Schlussanträge der Generalanwältin in der Rs C-268/06, Impact, Rn 141, 142, zu demselben Ergebnis [...].

Rebhahn (Anm zu 9 ObA 83/09k, DRdA 2011/29, 346) hält fest, dass eine Diskriminierung jedenfalls für die Zukunft nicht aufrechterhalten werden dürfe. Dies sei aufgrund des Unionsrechts „natürlich“ auch für AN gültig, deren Arbeitsverhältnis vor 2003 begonnen habe.

Schließlich vertritt auch Wachter erkennbar die Ansicht, dass infolge der E des EuGH in der Rs Hütter der Vorrückungsstichtag gem § 26 VBG rückwirkend ab dem 2.12.2003 neu zu berechnen ist und die vorhandenen Dienstverträge entsprechend anzupassen seien [...]. (Vordienstzeitenanrechnung im österreichischen Vertragsbedienstetenrecht nach dem Urteil des EuGH in der Rs David Hütter in: Jahrbuch Altersdiskriminierung 2010, 109.)

6. Auch der erkennende Senat ist in seiner E 9 ObA 175/01b (vgl auch 9 ObA 41/06d) davon ausgegangen, dass gemeinschaftsrechtswidrige Bestimmungen des VBG, die die Anrechenbarkeit von Vordienstzeiten beschränken, infolge des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht anzuwenden waren, was auch die Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags zur Folge hatte. Dies gilt auch für den hier zu beurteilenden Sachverhalt: Der Vorrückungsstichtag ist lediglich eine unter mehreren Voraussetzungen für die Bestimmung der für das Gehalt maßgeblichen Einstufung von AN der Bekl (§§ 1 Abs 2 Z 8, 26 ff KollV). Dass er keine unveränderbare Größe ist, hat die Bekl [...] für die nach dem 2.12.2003 eingetretenen AN ohnedies zugestanden.

Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob eine unionsrechtskonforme Anrechnung von Vordienstzeiten ab dem Ablauf der Umsetzungsfrist für die RL 2000/78/EG, oder bereits ab dem Zeitpunkt der Erlassung dieser RL zu erfolgen hat, kann hier im Hinblick auf das Klagebegehren, nach dem die Korrektur des Vorrückungsstichtags erst für Zeiten ab dem 1.1.2007 gefordert wird, dahingestellt bleiben. Der unionsrechtliche Diskriminierungsschutz umfasst das Arbeitsentgelt, nicht aber die Festsetzung eines bestimmten Vorrückungsstichtags, dessen Festlegung nur eine Folge der vorzunehmenden Neuberechnung von Vordienstzeiten gem § 29 KollV ist. Diese sind aber jedenfalls für die hier in Rede stehenden Entgeltperioden ab 1.1.2007 in unionsrechtskonformer Weise zu berechnen, auch wenn das Arbeitsverhältnis schon vor diesem Zeitpunkt begründet worden ist. So hat der EuGH bereits ausgesprochen, dass etwa auch Vordienstzeiten für die Bemessung des Vorrückungsstichtags zeitlich unbegrenzt zu berücksichtigen sind, die noch vor dem EU-Beitritt Österreichs bei [...] vergleichbaren Einrichtungen in anderen Mitgliedstaaten erworben wurden (C-195/98 Rn 56). Auch aus dieser E ergibt sich, dass die – durch die unionsrechtskonforme Anrechnung von Vordienstzeiten bewirkte – diskriminierungsfreie Festsetzung des die gegenwärtige Rechtsstellung des AN betreffenden Entgelts maßgeblich ist (C-195/98 Rn 54), nicht aber die Festsetzung eines Vorrückungsstichtags (vgl auch 9 ObA 56/00a). Zutreffend hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass auch der österreichische Gesetzgeber in der aus Anlass der E des EuGH in der Rs Hütter erfolgten Novellierung des VBG der Frage, wann ein Vertragsbedienstetenverhältnis abgeschlossen wurde, keine Bedeutung beimaß (§ 26, 83 VBG idF BGBl I 2010/82BGBl I 2010/82; 781 BlgNR 24. GP) [...].

Schließlich ist auch die von der Bekl ins Treffen geführte E 8 ObA 63/10b auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar. In jenem Verfahren war zu prüfen, ob der Ablauf einer vor dem EU-Beitritt vereinbarten Befristung eines Arbeitsvertrags als „Entlassungsbedingung“ am Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu messen sei. Der maßgebliche Tatbestand für die Annahme einer Befristung lag damals jedoch in der vertraglichen Vereinbarung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, der Ablauf der Befristung war lediglich eine Auswirkung, während die Verpflichtung zur Entgeltzahlung wie ausgeführt fortlaufend neu entsteht [...].

Anmerkung
1
Allgemeines

Seit der E des EuGH in der Rs Hütter (EuGH 18.6.2009, C-88/08, Slg 2009, I-5325) ist (jedenfalls solange keine in den Augen des EuGH plausible Rechtfertigung vorgebracht wird) klargestellt, dass der Ausschluss oder die nur teilweise Anrechnung vor dem 18. Lebensjahr erworbener Vordienstzeiten im Zuge der Gehaltseinstufung wegen Verstoßes gegen das ua in der RL 2000/78/EG positivierte Verbot der Altersdiskriminierung unzulässig ist. In der gegenständlichen E hatte sich der OGH nun – soweit ersichtlich erstmals – mit der Frage auseinanderzusetzen, ob im Lichte dieses Urteils auch ein vor Ablauf der Umsetzungsfrist für die RL 2000/78 (= 2.12.2003) festgesetzter Vorrückungsstichtag nachträglich zu korrigieren ist. Die Argumentation des bekl AMS ging dabei dahin, dass weder das nationale Recht (vgl § 5 ABGB) noch das Unionsrecht eine Rückwirkung des Diskriminierungsverbots auf einen Zeitpunkt geböten, der vor dessen Inkrafttreten liege.

2
Grundsätzliches zur „Rückwirkung“ des Verbots der Altersdiskriminierung

In der Tat finden die Diskriminierungsverbote auch nach der Rsp des EuGH nur auf Sachverhalte Anwendung, die in ihren zeitlichen Geltungsbereich fallen (idS etwa EuGH 10.5.2011, C-147/08, Römer, Slg 2011, I-00000; EuGH 19.1.2010, C-555/07, Kücükdeveci, Slg 2010, I-365; EuGH 23.9.2008, C-427/06, Bartsch, Slg 2008, I-7245). Der EuGH geht dabei in stRsp davon aus, dass sich Einzelne nach Ablauf der Umsetzungsfrist für eine RL (jedenfalls) auch gegenüber einer Einrichtung, die „unabhängig von ihrer Rechtsform kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hat und die hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über das hinausgehen, was für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt“, auf inhaltlich unbedingte und hinreichend genaue Richtlinienbestimmungen berufen können (vgl EuGH 14.9.2000, C-343/98, Collino, Rn 23; EuGH 12.7.1990, C-188/89, Foster, Rn 20). Da das AMS unzweifelhaft eine solche Einrichtung ist, konnten sich einzelne AN diesem gegenüber also ungeachtet der erst mit 1.7.2004 erfolgten Umsetzung323 im B-GlBG grundsätzlich ab 3.12.2003 auf das Verbot der Altersdiskriminierung berufen.

Nachdem der EuGH die Unanwendbarkeit altersdiskriminierender Bestimmungen – selbst zwischen Privaten (!) – allerdings (auch) aufgrund eines durch die Vorgaben der RL 2000/78 (nur) konkretisierten „allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts“ bejaht hat (vgl erstmals EuGH 22.11.2005, C-144/04, Mangold, Slg 2005, I-9981, Rn 78; so auch Rs Kücükdeveci, Rn 50 f), könnte man erwägen, ob als Stichtag für das Inkrafttreten des Verbots der Altersdiskriminierung in Österreich nicht ein vor Ablauf der Umsetzungsfrist der RL 2000/78 liegender Zeitpunkt anzusetzen ist. Dagegen spricht jedoch, dass der EuGH eine Berufung auf den „allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts“ ausdrücklich nur „im Anwendungsbereich des Unionsrechts“ bejaht und diesbezüglich wiederum auf den Ablauf der Umsetzungsfrist für die RL abgestellt hat (vgl nur Rs Kücükdeveci, Rn 23 f; idS auch Rebhahn, Korrektur einer Diskriminierung im Arbeitsleben für die Vergangenheit, 2. Teil, wbl 2012, 552 f).

Die E in der Rs Mangold (EuGH 22.11.2005, C-144/04, Slg 2005, I-9981) steht einem Abstellen auf den Ablauf der Umsetzungsfrist ebenfalls nur auf den ersten Blick entgegen: Dort hat der EuGH zwar unter Berufung auf einen „allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts“ das Verbot der Altersdiskriminierung auch auf einen Sachverhalt angewandt, der sich vor Ablauf der (in Deutschland längeren) Frist für die Umsetzung der RL 2000/78 ereignet hatte. Dem Urteil lag jedoch die Besonderheit zugrunde, dass die streitgegenständliche diskriminierende Bestimmung zum einen erst nach Erlassung der RL 2000/78 und zum anderen in Umsetzung der RL 1999/70 über befristete Arbeitsverhältnisse geschaffen worden war, sodass nach Ansicht des EuGH der Anwendungsbereich des Unionsrechts eröffnet war (idS der EuGH etwa auch explizit in der Rs Bartsch).

Als Stichtag für die Geltung des Verbots der Altersdiskriminierung ist demnach mit der hL (zB Gerhartl, Auswirkungen der Altersdiskriminierung durch Ausschluss von Vordienstzeiten, RdW 2010/447, 405 f; ders, Zeitlicher Geltungsbereich des Verbots der Altersdiskriminierung, ASoK 2011, 68 f; Wachter, Vordienstzeitenanrechnung im österreichischen Vertragsbedienstetenrecht nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache David Hütter, in

Wachter
, Jahrbuch Altersdiskriminierung [2010] 108) der Ablauf der Umsetzungsfrist für die RL 2000/78 anzunehmen.

Selbst wenn man hier jedoch (in bestimmten Fällen) einen Zeitpunkt vor dem 2.12.2003 annehmen wollte (idS insb Fellner, Auswirkungen der Altersdiskriminierung durch Ausschluss von Vordienstzeiten, RdW 2010/447, 405; offen lassend Rebhahn, Altersdiskriminierung bei Nichtanrechnung der Lehrzeit vor Vollendung des 18. Lebensjahres, DRdA 2011/29, 36), hätte dies für die E im vorliegenden Fall keine Auswirkungen:

Nicht nur ist nach einhelliger Ansicht (vgl nur Kletecka/Schauer [Hrsg], ABGB-ON 1.00 § 5 Rz 9; Bydlinski in

Rummel
[Hrsg], ABGB3 § 5 Rz 1) bei Dauerrechtsverhältnissen, die vor Beginn des zeitlichen Geltungsbereichs einer bestimmten (gesetzlichen) Regelung begonnen haben und während ihres zeitlichen Geltungsbereichs andauern, die neue Regelung – ungeachtet des in § 5 ABGB normierten Rückwirkungsverbots – hinsichtlich all jener Zeitabschnitte anzuwenden, die auf den Zeitraum nach dem Beginn des zeitlichen Geltungsbereichs entfallen. Vielmehr geht der EuGH ebenfalls davon aus, dass eine neue unionsrechtliche Vorschrift grundsätzlich unmittelbar auf die „künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts“ anzuwenden ist, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden ist (vgl nur EuGH 10.6.2010, C-395/08, C-396/08, INPS, Slg 2010, I-5119, Rn 53 mwN). Nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fallen damit offenkundig nur solche Sachverhalte, deren relevante Aspekte bzw „Auswirkungen“ sich (nach Ansicht des EuGH) in ihrer Gesamtheit vor dem maßgeblichen Stichtag, hier für die Geltung des Verbots der Altersdiskriminierung, ereignet haben (idS insb EuGH Rs Bartsch; vgl auch EuGH 15.6.1999, C-321/97, Andersson und Wakeras-Andersson, Slg 1999, I-3551, Rn 41 ff, zur ZahlungsunfähigkeitsRL).

Primär entscheidend war damit, ob der für die Frage einer Entgeltdiskriminierung maßgebliche Sachverhalt in der (erstmaligen) Festsetzung des Vorrückungsstichtags zu erblicken ist (der bezüglich der strittigen Arbeitsverhältnisse dann in seiner Gesamtheit vor Ablauf der Umsetzungsfrist gelegen wäre) oder aber diesbezüglich auf die konkrete Entgeltzahlung (bzw den dieser zugrunde liegenden Beschäftigungszeitraum, dazu sogleich nochmals unten) abzustellen ist. Da der OGH zu Recht von zweitgenanntem ausgeht (näher unten 3.) und auch das Klagebegehren – wohl wegen der darüber hinaus eingetretenen Verjährung – nur bis 1.1.2007 zurückreichte, erübrigte sich die Erörterung der Frage, ob das Verbot der Altersdiskriminierung uU (als „allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts“) auch schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist für die RL 2000/78 zu beachten war.

3
Entgeltdiskriminierung als „fortlaufende“ Diskriminierung

Zutreffend hält der OGH fest, dass der in § 13 Abs 1 Z 2 B-GlBG (ebenso wie im GlBG) verwendete Begriff der „Festsetzung des Entgelts“ schon im Lichte des Wortlauts des Art 3 Abs 1 lit c RL 2000/78 (wonach die RL ua in Bezug auf die „Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts“ gilt) weit zu verstehen ist (vgl auch Rebhahn in

Rebhahn
[Hrsg], GlGB [2006] § 3 Rz 91 unter Hinweis auf Ex-Art 141 EGV). Hinsichtlich der Beurteilung des Vorliegens einer (in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallenden) Diskriminierung ist daher nicht (nur) auf die erstmalige Festsetzung des Entgelts in Abhängigkeit vom berechneten Vorrückungsstichtag abzustellen. Maßgeblich ist vielmehr die jeweilige Entgeltzahlungsperiode.

Unabhängig davon, ob man den „relevanten Sachverhalt“ (mE richtigerweise) in der dem Entgeltanspruch zugrunde liegenden Beschäftigung oder aber in der konkreten Entgeltzahlung erblicken will (wozu der EuGH zumindest teilweise zu tendieren scheint), stellt damit jede auf den unter Ausschluss von Vordienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr festgesetzten Vorrückungsstichtag abstellende Entgeltzahlung jedenfalls für Beschäftigungszeiten ab Ablauf der Umsetzungsfrist für die RL 2000/78 eine Diskriminierung dar. Der Zeitpunkt der Begründung des Dienstverhältnisses (und damit der324 erstmaligen Festsetzung des Vorrückungsstichtags) ist in diesem Zusammenhang irrelevant. Entscheidend ist nur, dass die Entgelt(nach)zahlung – die in Fällen wie dem vorliegenden idR eine Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags voraussetzen wird – für einen in den Geltungsbereich des Unionsrechts fallenden Zeitraum begehrt wird. Das wird in aktuellen Verfahren schon angesichts der dreijährigen Verjährungsfrist (vgl § 20 Abs 1a B-GlBG iVm § 1486 ABGB; ebenso § 29 Abs 1 Satz 2 GlBG) idR der Fall sein.

Liegen die konkrete Entgeltzahlung bzw die dieser zugrunde liegenden Beschäftigungszeiten aber im zeitlichen Geltungsbereich des Verbots der Altersdiskriminierung, sind – was die Bekl dem Grunde nach auch gar nicht bestritt – auch vor Geltung des Diskriminierungsverbots erworbene Vordienstzeiten für die Bemessung des Entgelts zu berücksichtigen. Andernfalls würden betroffene AN auch für Beschäftigungszeiten nach Geltung des Diskriminierungsverbots weiterhin ein geringeres Entgelt erhalten als vergleichbare nichtdiskriminierte AN.

Dies entspricht nicht nur der hA in der Literatur (vgl dazu die im Urteil zitierten Literaturfundstellen; idS grundsätzlich auch Rebhahn, wbl 2012, 552 [555 f], der sich allerdings letztlich nicht endgültig festlegt), sondern auch der bisherigen Rsp sowohl des EuGH als auch des OGH. So hat ersterer insb in der ebenfalls die Vordienstzeitenanrechnung betreffenden Rs ÖGB gegen Österreich (EuGH 30.11.2000, C-195/98, Slg 2000, I-10497) explizit ausgesprochen, dass auch die vor dem EU-Beitritt Österreichs – und damit vor Geltung des Verbots der Diskriminierung von Wander-AN – bei vergleichbaren Einrichtungen in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Vordienstzeiten für die Bemessung des Vorrückungsstichtags zeitlich unbegrenzt zu berücksichtigen seien (Rn 56). Dabei betonte er, dass das Ausgangsverfahren „nicht die Anerkennung von Rechten aus Gemeinschaftsrecht, die angeblich vor dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union erworben wurden, sondern die Diskriminierung von Wanderarbeitnehmern in Bezug auf ihre gegenwärtige Rechtsstellung“ betreffe (Rn 54). Auch in der – den „Auslöser“ für den gegenständlichen Rechtsstreit bildenden – Rs Hütter bejahte der EuGH eine Diskriminierung, obwohl die betroffenen AN die strittigen Vordienstzeiten (teilweise) vor dem 3.12.2003 erworben hatten. Eine spezifische Begründung hielt er diesbezüglich offenbar nicht für erforderlich.

Der OGH hat ebenfalls etwa schon in 9 ObA 56/00a (Arb 12.098) ausgesprochen, die Nichtanrechnung von vor dem EU-Beitritt Österreichs in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Wehrdienstzeiten würde eine Diskriminierung eines in Österreich beschäftigten Wander-AN in Bezug auf seine „nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union liegende Rechtsstellung“ bewirken. Dem Einwand der Revisionswerberin, dass bei Begründung des gegenständlichen Dienstverhältnisses die europarechtlichen Normen zur Freizügigkeit der AN in Österreich noch nicht anzuwenden gewesen seien, erteilte der OGH schon damals ausdrücklich eine Absage. Ebenso wurde in OGH9 ObA 41/06d (DRdA 2008/47, 510 [Ziehensack]) die unterlassene „Vollzeitenanrechnung“ im Jahr 1983 erworbener Vordienstzeiten in Teilzeitbeschäftigung als seit dem EU-Beitritt diskriminierend beurteilt. Der Vorrückungsstichtag war auch damals schon 1983 – also lange vor dem EU-Beitritt – festgesetzt worden.

Zu Recht weist der OGH abschließend auf die mangelnde Übertragbarkeit der E vom 25.10.2011, 8 ObA 63/10p (im Urteil fälschlich 8 ObA 63/10b) auf den vorliegenden Fall hin. Im dortigen Verfahren wurde der Beschluss gefasst, dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob der Ablauf einer vor dem EU-Beitritt vereinbarten Befristung eines Arbeitsvertrags als „Entlassungsbedingung“ am Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu messen ist. Alternativ wies der OGH auf die Möglichkeit hin, eine solche Diskriminierung (insb mit der Konsequenz, dass Betroffenen auch im Falle der Bejahung einer Diskriminierung nur ein Schadenersatz-, nicht aber ein Erfüllungsanspruch zusteht) nur im Zusammenhang mit der Ablehnung eines Antrags auf Vertragsverlängerung als „Einstellungsbedingung“ zu prüfen. Selbst wenn der EuGH nun im diesbezüglichen Verfahren zum Ergebnis gelangen sollte, dass der Ablauf einer vor Geltung des jeweiligen Diskriminierungsverbots abgeschlossenen Befristung nicht (als „Entlassungsbedingung“) an diesem zu messen ist (was mE durchaus zweifelhaft ist), würde dies nicht den Schluss zulassen, dass auch das Entgelt nicht anzupassen ist, nur weil der Vorrückungsstichtag ursprünglich rechtmäßig festgesetzt wurde. Auch wenn man mit dem OGH davon ausgehen wollte, dass der maßgebliche „Tatbestand“ für die Annahme einer Befristung (nur) in der vertraglichen Vereinbarung bei Vertragsabschluss läge, könnte diese Argumentation (ebenso wie jene in OGH 25.6.2007, 9 ObA 48/06h, bezüglich der Festlegung eines Höchsteintrittsalters für die Gewährung der Unkündbarkeit) nicht auf eine partielle Anpassung des Entgelts (nur) für nach Inkrafttreten des Diskriminierungsverbots liegende Zeiträume übertragen werden.

4
Fazit

Der E des OGH ist in Ergebnis und Begründung zuzustimmen. Wenngleich die erstmalige Festsetzung des Vorrückungsstichtags unter Außerachtlassung der vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegten Vordienstzeiten vor dem 3.12.2003 im Einklang mit der damaligen innerstaatlichen und wohl auch unionsrechtlichen Rechtslage erfolgt ist, muss die Entgelthöhe für Zeiträume nach Geltungsbeginn des Verbots der Altersdiskriminierung diskriminierungsfrei festgesetzt werden. Vordienstzeiten sind daher ab diesem Zeitpunkt unabhängig davon, wann das Arbeitsverhältnis begründet wurde, in unionsrechtskonformer Weise anzurechnen. Abgemildert werden diese Folgen freilich zum einen durch die – auch unionsrechtlich zulässige (vgl zB EuGH 28.9.1994, C-128/93, Fisscher, Slg 1994, I-4583, Rn 39) – Anwendbarkeit nationaler Verjährungsfristen, konkret jener des § 1486 ABGB. Zum anderen besteht (in den Grenzen des nationalen Verfassungsrechts) jedenfalls für die Zukunft die Möglichkeit, eine bestehende Diskriminierung auch „nach unten“ zu korrigieren, also insb (bestimmte) Vordienstzeiten generell nicht mehr bzw nur mehr eingeschränkt anzurechnen.325