DarányiDie Bordbetriebsverfassung nach § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG unter Berücksichtigung europa- und verfassungsrechtlicher Vorgaben

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2013, 270 Seiten, € 76,90

ANDREASMAIR (INNSBRUCK)

Darányi macht in seiner Dissertation auf eine Besonderheit des deutschen Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) aufmerksam. § 117 Abs 2 Satz 1 BetrVG nimmt AN, die im Flugbetrieb eines Luftfahrtunternehmens beschäftigt sind, vom Geltungsbereich des BetrVG aus, ermöglicht es aber gleichzeitig den Tarifvertragsparteien, für diese spezielle Gruppe von AN durch Tarifvertrag (TV) eigene Vertretungsstrukturen und Mitbestimmungsmöglichkeiten zu etablieren. Die Herausnahme von PilotInnen, FlugbegleiterInnen, FlugingenieurInnen, FluglehrerInnen und Pursern aus dem Schutzbereich der gesetzlichen Betriebsverfassung wirft aber eine Reihe schwerwiegender Fragen auf, die Darányi im vorliegenden Werk kompetent und instruktiv behandelt.

Den Fokus legt Darányi naturgemäß auf die Erörterung der europa- und verfassungsrechtlichen Problematik von § 117 Abs 2 Satz 1 BetrVG. Darányi qualifiziert dabei die von § 117 Abs 2 Satz 1 BetrVG statuierte Bereichsausnahme als Verstoß gegen die RL zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der AN (RL 2002/14/EG) und sieht darin ebenso eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 GG) gegeben. Dadurch, dass das BetrVG die im Flugbetrieb tätigen AN auf den tarifvertraglichen Verhandlungsprozess verweist, während alle übrigen AN und dabei insb das Bodenpersonal von Luftfahrtunternehmen von vornherein in den Genuss gesetzlicher Schutzvorkehrungen kommen, begründe das BetrVG eine Ungleichbehandlung des fliegenden Personals gegenüber allen relevanten Vergleichsgruppen. Dieser Befund veranlasst Darányi dazu, einen Versuch zur Rettung der Regelung von § 117 Abs 2 Satz 1 BetrVG zu wagen. Die Hürden dafür sind aber beträchtlich. Nicht nur muss für die Ungleichbehandlung dieser AN ein Rechtfertigungsgrund gefunden und dabei in weiterer Folge den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entsprochen werden. Auch die Tatsache, dass qua TV iVm § 3 Abs 2 Tarifvertragsgesetz (TVG) auch die nicht- und andersorganisierten AN in eine koalitiv verhandelte betriebsverfassungsrechtliche Ordnung einbezogen werden, löst vor dem Hintergrund des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips erhöhten Legitimationsbedarf aus.

Methodisch bewältigt Darányi seinen Rettungsversuch in der Weise, dass über eine verfassungskonforme Auslegung von § 117 Abs 2 Satz 1 BetrVG dem Interesse an der Erhaltung dieser Norm Rechnung getragen werden soll. Darányi plädiert in diesem Zusammenhang dafür, die den Tarifvertragsparteien von § 117 Abs 2 Satz 1 BetrVG eröffnete Regelungskompetenz an die Vorgaben des BetrVG zu binden. Die Tarifvertragsparteien seien verpflichtet, eine betriebliche Vertretung für das fliegende Personal zu errichten, die sich an den Grundsätzen der gesetzlichen Betriebsverfassung orientiere. Davon abzuweichen sei den Tarifvertragsparteien nur insoweit gestattet, als die tarifvertraglichen Modifikationen der betriebsverfassungsrechtlichen Grundordnung durch die „Besonderheiten des Flugbetriebs“ gerechtfertigt seien. Die tarifliche Betriebsverfassung müsse im Ergebnis im Wesentlichen mit der gesetzlich vorgegebenen systemkongruent sein. Das aus der grundsätzlichen Anerkennung der Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien resultierende Folgeproblem, inwieweit nicht- und andersorganisierte AN dann dieser tarifvertraglich gestalteten Bordbetriebsverfassung verfassungskonform unterworfen werden können, möchte Darányi ebenfalls durch seinen Vorschlag einer Bindung der Tarifvertragsparteien an das Regelungskonzept des BetrVG bewältigen. Da das Bundesverfassungsgericht verlange, dass der Inhalt einer tarifvertraglichen Regelung, auf die von staatlichen Rechtsnormen verwiesen werde, im Wesentlichen feststehen müsse, werde diesem aus demokratie- und rechtsstaatlichen Erfordernissen abgeleiteten Bestimmtheitsgebot gegenüber dem nicht- und andersorganisierten fliegenden460 Personal nur dann entsprochen, wenn die Tarifvertragsparteien bei der Ausgestaltung der Bordbetriebsverfassung strikt an die Grundwertungen des Gesetzgebers, die in den Regelungen des BetrVG vorgegeben sind, gebunden werden. Nur durch die Anlehnung der tarifvertraglichen Regelungsermächtigung an die gesetzliche Betriebsverfassung – so Darányi – könne den Anforderungen des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips Genüge getan werden.

Diese zentrale These von Darányi wirft aber die Frage auf, warum nicht gleich der Gesetzgeber selbst die Verantwortung für eine dem Demokratie- und Rechtsstaatsgebot entsprechende Ausgestaltung der Bordbetriebsverfassung übernimmt. Dass der Gesetzgeber nicht in der Lage wäre, die Besonderheiten des Arbeitsumfelds, die Rückwirkungen auf die Ausformung betrieblicher Vertretungs- und Mitbestimmungsstrukturen haben könnten, bei betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen sachgerecht zu berücksichtigen, wird durch die Existenz der §§ 114 ff BetrVG (Regelungen für die Seeschifffahrt) widerlegt, zumal die besondere Sachkunde der Tarifvertragsparteien nach Darányi im Wesentlichen nur dazu gebraucht wird, um getrennte Vertretungen für das Cockpit- und das Kabinenpersonal vorzusehen. Insofern wäre es überzeugender gewesen, hätte sich Darányi bereits de lege lata für eine staatliche Rahmenregelung der Bordbetriebsverfassung entschieden, die über Öffnungsklauseln eine tarifvertragliche Anpassung derselben an die Besonderheiten des Flugbetriebs erlaubt (eine solche staatliche Rahmenregelung entwirft Darányi im Anhang seines Buchs als Vorschlag de lege ferenda). Ungeachtet dessen handelt es sich bei dem vorliegenden Werk um eine sehr instruktive Studie, die zu Recht auf ein legislatorisches Defizit der deutschen Betriebsverfassung hinweist.