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Fürsorgepflichtverletzung des ausgegliederten Rechtsträgers – Anwendbarkeit des AHG

STEFANKÜHTEUBL (WIEN)
  1. Ausgegliederte Rechtsträger, die hoheitliche Aufgaben wahrnehmen, dürfen gem § 9 Abs 5 AHG vom Geschädigten nicht direkt geklagt werden.

  2. Die Fürsorgepflicht des ausgegliederten Rechtsträgers (hier: die Wiener Linien GmbH & Co KG) in Bezug auf die ihm zugewiesenen öffentlichrechtlichen Bediensteten (hier: Beamte der Stadt Wien) ist dem Wesen nach keine andere als jene der Gebietskörperschaft als öffentlich-rechtliche DG.

  3. Die Wahrnehmung der Fürsorgepflicht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis ist ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur.

  4. Aus all dem folgt, dass bei einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis eine Verletzung der Fürsorgepflicht auch dann als Amtshaftungsanspruch gegenüber der öffentlich-rechtlichen DG geltend zu machen ist, wenn die Verletzung durch den den Beamten beschäftigenden ausgegliederten Rechtsträger erfolgt ist.

Der Kl war seit 5.3.1986 Beamter der Gemeinde Wien [Anm: Zweitbekl] und als solcher der Erstbekl [Anm: Wiener Linien GmbH & Co KG] dienstzugeteilt. [...]. Der Kl begehrt aufgrund im einzelnen genannter Mobbinghandlungen [...] von den Bekl [...] Schadenersatz sowie die Feststellung ihrer Haftung für sämtliche künftige Schäden aus der Verletzung ihrer Fürsorgepflicht. [...]

Das Erstgericht wies die Klage gegen die Erstbekl zurück, erklärte sich für die Klage gegen die Zweitbekl sachlich unzuständig und überwies – über Antrag des Kl – die Klage gegen die Zweitbekl an das nicht offenbar unzuständige LG für Zivilrechtssachen Wien.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kl hinsichtlich der Erstbekl nicht Folge. Hinsichtlich der Zweitbekl wies es ihn zurück. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rsp zur Frage fehle, ob die Erfüllung der Fürsorgepflicht gegenüber einem zugewiesenen öffentlich-rechtlichen Bediensteten durch die juristische Person, der der Bedienstete zugewiesen sei, ein hoheitliches Handeln darstelle, und Schadenersatzansprüche aus der Verletzung der Fürsorgepflicht vom öffentlich-rechtlich Bediensteten gem § 9 Abs 5 AHG nicht direkt gegen den Beschäftiger im ordentlichen Rechtsweg geltend gemacht werden könnten.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht dargelegten Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Der Kl gesteht zu, dass nach der Rsp des OGH (1 Ob 176/08a, 1 Ob 121/09i, 1 Ob 15/11d) auch juristische Personen des Privatrechts, die für hoheitliches Handeln in die Pflicht genommen oder beliehen sind, gem § 9 Abs 5 AHG vom Geschädigten nicht geklagt werden dürfen. Er meint aber, in den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Fällen sei es nur um die Erfüllung einer „fremden“ Pflicht durch den beliehenen Rechtsträger gegangen, während bei „Sondertatbeständen“ neben Amtshaftungsansprüchen auch Ansprüche nach dem allgemeinen bürgerlichen Recht denkbar seien. Ein derartiger Sondertatbestand liege hier darin, dass die Erstbekl eine eigenständige Fürsorgepflicht als Beschäftiger treffe.

Darin kann ihm nicht gefolgt werden:

Grundsätzlich gilt, dass die Bestimmungen des AHG nicht dadurch umgangen werden können, dass der Kl erklärt, seine Schadenersatzansprüche nicht auf diese Sondernormen zu stützen, sondern aus dem bürgerlichen Recht abzuleiten (RIS-Justiz RS0049976). Zu prüfen ist somit, ob die vorgebrachte Verletzung der Fürsorgepflicht durch die Erstbekl geeignet ist, einen Amtshaftungsanspruch zu begründen, für den ausschließlich die Zweitbekl haftbar ist.

Die Zuweisung des Kl als öffentlich-rechtlich Bediensteten der Gemeinde Wien an die Erstbekl erfolgte nicht durch Vertrag oder Bescheid, sondern von Gesetzes wegen (§ 1 Abs 1 Z 3 des Gesetzes über die Zuweisung von Bediensteten der Wiener Stadtwerke).

Gem § 1 Abs 4 leg cit tritt durch diese Zuweisung in der dienst-, besoldungs- und pensionsrechtlichen Stellung der in einem öffentlich-rechtlichen Dienstver417hältnis Beschäftigten bzw in der dienst- und besoldungsrechtlichen Stellung der in einem durch Vertrag begründeten Dienstverhältnis Beschäftigten keine Änderung ein. Auf diese sind daher nach wie vor die einschlägigen für Bedienstete der Gemeinde Wien geltenden dienstrechtlichen Bestimmungen, insb die der Dienstordnung 1994, LGBl für Wien Nr 56, der Besoldungsordnung 1994, LGBl für Wien Nr 55, der Pensionsordnung 1995, LGBl für Wien Nr 67, des Ruhe- und Versorgungsgenusszulagegesetzes 1995, LGBl für Wien Nr 72, und des Unfallfürsorgegesetzes 1967, LGBl für Wien Nr 8/1969, für Beamte und Beamtinnen bzw die der Vertragsbedienstetenordnung 1995, LGBl für Wien Nr 50, für VB in der jeweiligen geltenden Fassung weiter anzuwenden.

Gem § 3 Abs 1 leg cit obliegt die Wahrnehmung sämtlicher Rechte und Pflichten als Dienstbehörde gegenüber den gem §§ 1 und 2 zugewiesenen Beamten und Beamtinnen bzw die Wahrnehmung sämtlicher Rechte und Pflichten als DG gegenüber den gem §§ 1 und 2 zugewiesenen VB, sofern nicht nach anderen landesgesetzlichen Bestimmungen einem anderen Organ der Gemeinde Wien dienstbehördliche Aufgaben zukommen, dem Magistrat.

Gem § 4 leg cit sind die in § 1 Abs 1 genannten Gesellschaften (darunter die Erstbekl) gegenüber den ihnen jeweils zur Dienstleistung zugewiesenen Bediensteten berechtigt zur

  1. Erteilung von fachlichen Weisungen zur Gestaltung und Abwicklung der laufenden Geschäfte der Gesellschaften und

  2. Fachaufsicht bei der Besorgung der laufenden Geschäfte der Gesellschaften.

Bereits in der E 8 ObA 3/04f wurde, auch unter Hinweis auf 8 ObA 185/01s, festgehalten, dass sich durch die Zuweisung grundsätzlich an der Stellung der Gemeinde Wien als DG und an den aus dem Dienstverhältnis erfließenden Rechten und Pflichten nichts ändert und die landesgesetzlichen Regelungen insoweit eindeutig sind. In den genannten Bestimmungen konnte auch keine Kompetenzwidrigkeit erkannt werden, weil nach Art 21 Abs 1 und 2 B-VG den Ländern die Gesetzgebungskompetenz in den Angelegenheiten des Dienstrechts einschließlich des Dienstvertragsrechts für Gemeindebedienstete obliege. Ausgenommen sei die Kompetenz zur Regelung des AN-Schutzes, soweit diese Bediensteten in „Betrieben“ beschäftigt seien. Der Begriff des AN-Schutzes iSd Art 21 Abs 2 B-VG umfasse spezifische AN-Schutzbestimmungen mit auch öffentlich-rechtlichem Charakter, nicht aber die allgemeine Fürsorgepflicht des DG.

In der Literatur wird die Zuweisung typologisch als Arbeitskräfteüberlassung (Posch, Fürsorgepflicht bei Überlassung im öffentlichen Dienst, JBl 2005, 703) oder zumindest als eine der Arbeitskräfteüberlassung iSd AÜG ähnliche Konstruktion (Goricnik, Zur Entmythologisierung der „Arbeitskräfteüberlassung“ bei Ausgliederungen aus dem öffentlichen Bereich, wbl 2011, 74, FN 9) angesehen. Dies vermag aber nichts daran zu ändern, dass die Überlassung von Arbeitskräften durch den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband explizit vom Geltungsbereich der Abschnitte II bis IV des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes (AÜG) ausgenommen ist (§ 1 Abs 2 Z 1 AÜG), womit die direkte Anwendbarkeit der die Fürsorgepflichten des Beschäftigerbetriebs regelnde Bestimmung des § 6 Abs 3 AÜG ausscheidet.

Dennoch ist nicht zweifelhaft, dass den Beschäftiger gegenüber den ihm zugewiesenen Beamten eine Fürsorgepflicht trifft:

In der bereits genannten E 8 ObA 3/04f wurde ausgeführt, die Fürsorgepflicht sei im Allgemeinen für den jeweiligen AG zu bejahen. Sie werde nicht nur auf den AG erstreckt, sondern zumindest in gewisser Weise auch auf den, in dessen Betrieb der AN in abhängiger Weise eingegliedert sei. Fehle eine landesrechtliche Regelung für die (dort:) VB im Zusammenhang mit der Fürsorgepflicht, könne auf die allgemeinen arbeitsvertragsrechtlichen Grundlagen zurückgegriffen werden (dort zur behaupteten Fürsorgepflichtverletzung der Erstbekl gegenüber einem bei ihr beschäftigten VB der Stadt Wien). Auch nach der E 8 ObA 117/04w ändere die Unanwendbarkeit der Abschnitte II bis IV des AÜG nichts daran, dass zumindest die Beschäftigerin Schutzpflichten treffen. Die Ausnahme des § 1 Abs 2 Z 1 AÜG sei einerseits mit kompetenzrechtlichen Überlegungen, andererseits damit begründet, dass die Einhaltung der Funktionen des AÜG im öffentlichen Bereich ohnedies gewahrt sein müsse (siehe auch 9 ObA 143/07f; RIS-Justiz RS0119354).

Die Entscheidungen gaben allerdings keinen Anlass zur Prüfung, ob die Fürsorgepflicht des Beschäftigers unabhängig von jener des Rechtsträgers zu sehen ist, zu dem ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis des Bediensteten besteht, oder von dieser abzuleiten ist.

Unzweifelhaft steht der Kl in keiner vertraglichen Beziehung zur Erstbekl. Es besteht auch keine vertragliche Beziehung zwischen den Bekl, aus denen gegebenenfalls eine Schutzwirkung für den Kl (vgl 7 Ob 175/06w) ableitbar wäre. Die Dienstzuweisung erfolgte vielmehr von Gesetzes wegen.

Es entspricht der Rsp, dass die im privaten Arbeitsvertragsrecht in § 1157 ABGB und zahlreichen in sondergesetzlichen Vorschriften enthaltenen Normen zugunsten des DN bestehende Fürsorgepflicht auch den öffentlich-rechtlichen DG nicht nur bei einer vertraglichen Gestaltung des Dienstverhältnisses, sondern auch dann trifft, wenn das Dienstverhältnis durch Ernennungsakt begründet wurde (RIS-Justiz RS0021507). Dies hat bereits das Berufungsgericht zutreffend dargelegt. Es kann auch nicht zweifelhaft sein, dass die Wahrnehmung dieser Fürsorgepflicht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstrechtsverhältnis ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur ist. Dementsprechend kann der Beamte, soweit Beamtendienstrecht gilt, gegen den Rechtsträger, der ihn ernannte, Amtshaftungsansprüche stellen, insb wenn die Fürsorgepflicht des DG ihm gegenüber verletzt wurde und die übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs 1 AHG vorliegen (RIS-Justiz RS0021507 [T5; T8]); Schragel, AHG § 1 Rz 92). Das entspricht nur dem Grundsatz, dass alle mit ihrer Erfüllung verbundenen Verhaltensweisen als in Vollziehung der Gesetze erfolgt anzusehen sind, wenn sie nur einen hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit der hoheitlichen Aufgabe aufweisen (RIS-Justiz RS0049948). Eine Verletzung der Fürsorgepflicht durch die Zweitbekl ist danach grundsätzlich geeignet, Amtshaftungsansprüche zu begründen.418

Alleine die gesetzliche Zuweisung eines öffentlich-rechtlich Bediensteten an einen ausgegliederten Rechtsträger vermag aber den öffentlich-rechtlichen Charakter des Dienstverhältnisses des Kl und der daraus resultierenden Pflichtverletzungen nicht zu verändern. Das geht insb aus § 1 Abs 4 leg cit hervor, wonach durch die Zuweisung in der dienstrechtlichen Stellung – zu der auch die Wahrnehmung von Fürsorgepflichten zählt – der in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis Beschäftigten keine Änderung eintreten soll. Infolgedessen obliegt die Wahrnehmung sämtlicher Rechte und Pflichten als Dienstbehörde dem Magistrat (§ 3 Abs 1 leg cit). Ebenso ist gesetzlich festgehalten, dass die Erstbekl gegenüber den ihnen zur Dienstleistung zugewiesenen Bediensteten nur in fachlicher Hinsicht weisungs- und aufsichtsberechtigt ist (§ 4 leg cit). Daraus wird aber ersichtlich, dass die dienstrechtliche Verantwortung aus dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis des Kl gerade nicht in die ausschließliche Kompetenz der Erstbekl übertragen wird. Das Rekursgericht ist daher zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass die Fürsorgepflichten der Erstbekl in Bezug auf die ihr zugewiesenen öffentlich-rechtlich Bediensteten ihrem Wesen nach keine anderen sind als jene der Zweitbekl als öffentlich-rechtliche DG. Entgegen der Ansicht des Kl kann damit nicht davon ausgegangen werden, dass hier ein „Sondertatbestand“ (1 Ob 176/08a) vorliege, der – neben allfälligen Amtshaftungsansprüchen gegenüber der Zweitbekl – einen allgemeinen zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch gegenüber der Erstbekl begründen könnte.

Aus all dem folgt, dass bei einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis eine Verletzung der Fürsorgepflicht auch dann als Amtshaftungsanspruch gegenüber dem DG geltend zu machen ist, wenn die Verletzung durch den den Beamten aufgrund einer gesetzlichen Zuweisung beschäftigenden privaten Rechtsträger erfolgt ist.

Dem Rekurs ist damit im Ergebnis keine Folge zu geben.

Anmerkung
1
Einleitung

Im vorliegenden Fall hatte der OGH zu klären, ob ein der Wiener Linien GmbH & Co KG (Wr Linien) dienstzugewiesener Beamter der Stadt Wien aufgrund behaupteter Mobbinghandlungen im Rahmen seiner Beschäftigung bei den Wr Linien berechtigt ist, unmittelbar gegenüber den Wr Linien Schadenersatzansprüche bzw Ansprüche auf Feststellung der Haftung für künftige Schäden geltend zu machen. Der OGH verneinte dies mit der Begründung, dass die Fürsorgepflicht der Wr Linien als Beschäftiger nicht losgelöst von jener der DG bestehe, sondern von dieser abgeleitet sei. Es handle sich um ein und dieselbe Rechtspflicht, nämlich jene der öffentlich-rechtlichen DG. Daher seien die Wr Linien Organ der Stadt Wien iSd § 1 AHG und Haftungsansprüche aus behaupteten Rechtsverletzungen der Wr Linien gegenüber dem dienstzugewiesenen Beamten nur gegenüber der Stadt Wien im Rahmen des Amtshaftungsrechts geltend zu machen.

Diese E ist über den konkreten Anlassfall hinaus für Ausgliederungen öffentlicher Aufgaben, bei denen Bundes-, Landes- oder Gemeindebeamte ausgegliederten Rechtsträgern zur Dienstleistung zugewiesen werden, von Interesse. Es lohnt sich daher, die E näher zu analysieren. Bei dieser Analyse soll die im vorliegenden Erk bestätigte (nunmehrige ständige) Rsp des OGH, wonach neben den in § 1 Abs 2 AHG ausdrücklich genannten natürlichen Personen auch juristische Personen, soweit sie hoheitlich tätig werden, Organ iSd AHG sind und somit gem § 9 Abs 5 AHG nicht direkt geklagt werden dürfen, unkommentiert bleiben (vgl dazu Rabl, Amtshaftungsimmunität für beliehene juristische Personen!ecolex 2009, 579). In dieser Anmerkung soll vielmehr das Augenmerk auf die Ansicht des OGH gelegt werden, wonach einem ausgegliederten Rechtsträger gegenüber den ihm dienstzugewiesenen Beamten keine eigenständige Fürsorgepflicht trifft und der ausgegliederte Rechtsträger bei einer behaupteten Fürsorgepflichtverletzung nicht direkt geklagt werden darf.

2
Zuweisungsmodell bei Beamten

Beamte werden bei Ausgliederungen aus verfassungsrechtlichen Gründen regelmäßig den ausgegliederten Rechtsträgern (zumeist GmbH bzw juristische Personen des öffentlichen Rechts, wie zB die Universitäten) durch gesetzliche Anordnung zur Dienstleistung zugewiesen. Es erfolgt somit kein DG-Wechsel, die Beamten bleiben unverändert (öffentlich-rechtliche) DN der jeweiligen Gebietskörperschaft. Der ausgegliederte Rechtsträger wird allerdings in den meisten Fällen mit der Fach- und Dienstaufsicht betraut und ist sogar Dienstbehörde. Dies gilt für die ganz überwiegende Anzahl an Bundes-, Landes- und Gemeindeausgliederungen. Wien ist allerdings anders: Hier werden die Beamten zwar ebenfalls zur Dienstleistung zugewiesen, der ausgegliederte Rechtsträger wird allerdings regelmäßig lediglich mit der Ausübung der Fachaufsicht beauftragt, die dienstrechtlichen Befugnisse verbleiben ausschließlich beim DG (vgl §§ 3 Abs 1 und 4 Wr Stadtwerke-ZWG und ferner die Ausgliederungen der Museen der Stadt Wien, des Konservatoriums Wien und des Fonds Soziales Wien, wobei in diesen Fällen die Ausübung der einem Dienststellenleiter in dienstrechtlichen Angelegenheiten zukommenden Befugnisse dem ausgegliederten Rechtsträger zusteht).

3
Fürsorgepflicht des ausgegliederten Rechtsträgers gegenüber dienstzugewiesenen Beamten

Die Ansicht des OGH, wonach die Wr Linien nur eine abgeleitete Fürsorgepflicht trifft und eine Verletzung derselben nur im Wege der Amtshaftung gegenüber der Stadt Wien als öffentlich-rechtlichen DG geltend gemacht werden kann, überzeugt aus folgenden Gründen nicht:

Die vorrangig zu klärende Frage lautet, ob bzw in welchen Fällen einen ausgegliederten Rechtsträger als Beschäftiger eines ihm dienstzugewiesenen Bediensteten eine eigenständige Fürsorgepflicht trifft. Gem § 1157 ABGB bzw § 18 AngG hat der DG die Dienst419leistungen so zu regeln, dass Leben und Gesundheit der DN geschützt werden. Ausfluss dieser von Lehre und Rsp ständig weiter entwickelten Fürsorgepflicht ist insb auch die Verpflichtung, bei Mobbing eines AN Abhilfe zu schaffen. Normadressat der Fürsorgepflicht ist grundsätzlich der DG (Löschnigg, Arbeitsrecht11 [2011] 6/359). Weiters ist anerkannt, dass die sich aus § 1157 ABGB ergebende Fürsorgepflicht auch für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse gilt (RS0021507).

Im konkreten Fall geht es aber nicht um die Einhaltung der Fürsorgepflicht durch den DG, sondern durch einen ausgegliederten Rechtsträger, dem Beamte bloß zur Dienstleistung zugewiesen wurden. Der OGH hat daher richtig erkannt, dass in diesem Fall zu prüfen ist, aufgrund welcher Rechtsgrundlage eine behauptete Fürsorgepflichtverletzung geltend zu machen ist. Nach dem für den öffentlichen Dienst geltenden Legalitätsprinzip hat eine Zuweisung von Beamten an einen ausgegliederten Rechtsträger und eine allenfalls erwünschte Modifizierung des öffentlichrechtlichen Dienstverhältnisses in aller Regel durch eine entsprechende gesetzliche Regelung zu erfolgen (Schrammel, Dienstrecht versus Privatrecht, in

Brodil
[Hrsg], Ausgliederungen [2009] 27). Im ersten Schritt ist daher zu prüfen, ob das jeweilige Zuweisungs- bzw Ausgliederungsgesetz gesonderte Fürsorgepflichten des ausgegliederten Rechtsträgers gegenüber den ihm zugewiesenen Beamten vorsieht. Diese Gesetze sehen in der Regel aber dahingehend keine näheren Bestimmungen vor. So findet sich diesbezüglich auch keine Bestimmung im Wr Stadtwerke-ZWG. Eine andere Zuweisungsnorm des Landes Wien, das Wiener Zuweisungsgesetz (Wr-ZWG), sieht zwar im § 5 Abs 2 Wr-ZWG vor, dass die Fürsorgepflichten des DG für die Dauer der Zuweisung auch dem Beschäftiger obliegen. Dieses Gesetz regelt zudem auch allgemein die Bedingungen für Zuweisungen von Bediensteten der Stadt Wien an „einen von der Gemeinde Wien verschiedenen Rechtsträger“ zur Dienstleistung. Das Wr-ZWG gilt aber ausdrücklich nicht für die Ausgliederung der Wiener Stadtwerke, die gesondert im Wr Stadtwerke-ZWG geregelt ist (vgl den Ausnahmekatalog in § 1 Abs 2 Wr-ZWG).

Es ist daher zu prüfen, ob sich eine Fürsorgepflicht des ausgegliederten Rechtsträgers als Beschäftiger der dienstzugewiesenen Beamten aus einer anderen Rechtsnorm ableiten lässt. Die gesetzliche Zuweisung von Beamten an ausgegliederte Rechtsträger wird in der Lehre als eine Form der Arbeitskräfteüberlassung verstanden. § 6 Abs 3 AÜG sieht nun für vom AÜG erfasste Überlassungen vor, dass für die Dauer der Beschäftigung im Betrieb des Beschäftigers die Fürsorgepflichten des AG auch dem Beschäftiger obliegen. Eine direkte Anwendung des § 6 Abs 3 AÜG ist jedoch für Ausgliederungen nicht zulässig. Gem § 1 Abs 2 Z 1 AÜG ist nämlich die Überlassung von Arbeitskräften durch den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband vom Geltungsbereich der Abschnitte II bis IV des AÜG ausgenommen. § 6 Abs 3 AÜG, der Teil des Abschnittes II ist, ist daher nicht unmittelbar anwendbar (vgl aber Posch, Fürsorgepflicht bei Überlassung im öffentlichen Dienst, JBl 2005, 7, die eine unmittelbare Anwendung des § 6 Abs 3 AÜG im Wege einer teleologischen Reduktion der Ausnahmebestimmung des § 1 AÜG bzw zumindest eine analoge Anwendung dieser Vorschrift befürwortet).

Der Kl hat nach dem veröffentlichten Sachverhalt sein Klagebegehren auf eine eigenständig bestehende Fürsorgepflicht des Beschäftigers hinsichtlich der ihm zugewiesenen DN gestützt, und zwar in Form eines „Sondertatbestandes“. In der Lehre wird immer wieder – wenn auch mit unterschiedlichen Begründungen – darauf verwiesen, dass den Beschäftiger bzw „Entleiher“ eines DN diesem gegenüber eine Fürsorgepflicht trifft. So vertritt die Lehre zu § 1157 ABGB, dass auch Fürsorgepflichten gegenüber Beschäftigten, die im Betrieb eines AG in abhängiger Weise eingegliedert sind, bestehen (Krejci in

Rummel
, ABGB3 § 1157 Rz 6; Pfeil in
Schwimman
, ABGB3 § 1157 Rz 4). Binder/Schindler in
Löschnigg
, AngG § 18 Rz 27 vertreten ebenfalls, dass den Beschäftiger der sich außerhalb des Anwendungsbereichs des AÜG bewegt, eine Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten trifft. Diese Autoren leiten diese Fürsorgepflicht nicht aus der „abhängigen Eingliederung in den Beschäftigerbetrieb“, sondern daraus ab, dass der Dienstverschaffungsvertrag zwischen Überlasser und Beschäftiger als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter anzusehen sei. Diese Ausführungen klingen auf den ersten Blick nachvollziehbar. Sie helfen allerdings dann nicht weiter, wenn – wie im konkreten Fall – die Dienstzuweisung der öffentlich-rechtlichen Bediensteten nicht auf einem Vertrag, sondern auf einer landesgesetzlichen Regelung beruht.

Der OGH hat sich im Erk vom

26
8
2004
, 8 ObA 3/04f, zu den Wr Linien (iZm Mobbing- bzw Belästigungsvorwürfen eines VB) der oben erwähnten Lehre von Krejci und Pfeil angeschlossen (siehe dazu auch Mosler in ZellKomm2 § 1157 Rz 3). Der OGH hat ausdrücklich festgehalten, dass es sich bei der vom Beschäftiger einzuhaltenden Fürsorgepflicht um einen „allgemeinen Grundsatz“ handle. Schon die allgemeine Fürsorgepflicht gebiete es dem DG, dafür zu sorgen, dass die Persönlichkeitssphäre der in seinem Betrieb eingegliederten DN nicht durch unsachliche Belästigung durch andere DN beeinträchtigt wird. Diese Pflicht erstrecke sich auch auf denjenigen, in dessen Betrieb DN in abhängiger Weise eingegliedert sind (idS vgl auch OGH8 ObA 117/04wZAS 2005/47 [Binder]). Der OGH spricht also von einem allgemeinen Grundsatz und begründet die Fürsorgepflicht damit, dass eben jeder, der in seinem Betrieb in abhängiger Weise eingegliederte Personen beschäftigt, diesen gegenüber eine Fürsorgepflicht wahrzunehmen hat. Diese Ausführungen sprechen mE klar dafür, dass der OGH zumindest in diesem Erk von einer eigenständigen Fürsorgepflicht des ausgegliederten Rechtsträgers ausgeht, die gerade nicht vom vertraglichen bzw öffentlichen AG abgeleitet ist, sondern als eigenständige Rechtspflicht aufgrund des Umstandes der Beschäftigung abhängig eingegliederter Personen im eigenen Betrieb besteht.

Wenn man aber davon ausgeht, dass die in Frage stehende Pflichtverletzung auf einer eigenständigen – aus allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen abgeleiteten – Pflicht des Beschäftigers beruht, kommt420 man im nächsten Schritt zum Ergebnis, dass eine direkte Geltendmachung einer behaupteten Pflichtverletzung gegenüber dem Beschäftiger zulässig sein muss. In diesem Fall verletzt nämlich der Beschäftiger eine eigenständige Pflicht, er handelt nicht als Organ des öffentlich-rechtlichen DG, weil er nicht in Vollziehung der Gesetze tätig wird.

Dieser Befund wird durch das Wr Stadtwerke-ZWG bestätigt: Wie der OGH im vorliegenden Erk zurecht betont, ist die Fürsorgepflicht des DG eines Beamten Teil des öffentlichen Dienstrechts und Teil der vom DG wahrzunehmenden Diensthoheit. Eine Übertragung der Diensthoheit ist jedoch nur unter Einhaltung bestimmter verfassungsrechtlicher Vorgaben zulässig (vgl dazu Kühteubl, Ausgliederung [2006] 29 ff). Dazu gehört insb eine klare gesetzliche Regelung und das Vorsehen einer entsprechenden Weisungsbefugnis des öffentlichen DG. Eine solche Regelung liegt im konkreten Fall nicht vor. Bei der Ausgliederung der Wr Stadtwerke hat sich der Wr Landesgesetzgeber nämlich dafür entschieden, die DG-Befugnis weitestgehend bei der Stadt Wien zu belassen und dem ausgegliederten Rechtsträger nur im ganz engen Rahmen Kompetenzen gegenüber den dienstzugewiesenen Beamten zu übertragen, nämlich die bloße Fachaufsicht. Dienstrechtliche Kompetenzen, insb dienstbehördliche Befugnisse sind ausschließlich bei der Stadt Wien verblieben. Der Gesetzgeber hat daher keine Übertragung der (hoheitlichen) Fürsorgepflicht der Stadt Wien auf den ausgegliederten Rechtsträger vorgesehen. Dies spricht klar dafür, eine eigenständige Fürsorgepflicht des ausgegliederten Rechtsträgers anzunehmen, deren Einhaltung auch im ordentlichen Rechtsweg geltend gemacht werden kann (so auch die Anm von Lenzbauer zum vorliegenden Erk, Rechte des „ausgegliederten“ Beamten und Vertragsbediensteten, EvBl 2013/64). Nimmt man keine eigenständige Fürsorgepflicht an, würde die Wr Linien aufgrund der im Wr Stadtwerke-ZWG vorgesehenen weitestgehenden Beibehaltung der DG-Befugnisse bei der Stadt Wien nämlich überhaupt keine Fürsorgepflicht gegenüber den dienstzugewiesenen Beamten treffen, was so vom OGH auch nicht gewollt sein kann.

Andere Zuweisungsgesetze des Landes Wien sehen über das Wr Stadtwerke-ZWG hinausgehend vor, dass dem ausgegliederten Rechtsträger die Ausübung der einem Dienststellenleiter in dienstrechtlichen Angelegenheiten zukommenden Befugnisse gegenüber den zur Dienstleistung zugewiesenen Bediensteten zusteht. Gem § 34 Dienstordnung (DO) obliegt dem Leiter einer Dienststelle neben den Aufgaben eines Vorgesetzten (§ 34 Abs 1 DO) die Pflicht, für ein geordnetes Zusammenwirken der einzelnen ihm unterstehenden Organisationseinheiten zur Sicherstellung einer gesetzmäßigen Vollziehung sowie einer zweckmäßigen wirtschaftlichen und sparsamen Geschäftsgebarung zu sorgen. In der Geschäftsordnung für den Magistrat der Stadt Wien (ABl 2007/28 idF ABl 2011/30) sind in den §§ 12 und 13 die Pflichten und dienstrechtlichen Befugnisse der Dienststellenleiter festgelegt. Dabei handelt es sich um zahlreiche dienstrechtliche Kompetenzen gegenüber Beamten und VB (bis hin zur Kündigung von vertraglichen Dienstverhältnissen nach der VBO 1995 innerhalb der ersten drei Jahre der Beschäftigung). Dieser Befugniskatalog enthält aber keine Anordnung der Wahrnehmung der Fürsorgepflicht des DG gegenüber den zugewiesenen Bediensteten. Auch für diese Ausgliederungen erscheint es daher zweifelhaft, ob die Wahrnehmung der Fürsorgepflicht von der Stadt Wien auf den ausgegliederten Rechtsträger übertragen wurde.

4
Vertragsbedienstete

Im Bereich des Bundes werden bei Ausgliederungen VB regelmäßig DN des ausgegliederten Rechtsträgers, sodass sich die gegenständliche Problematik in diesen Fällen nicht stellt. Im Landes- und Gemeindebereich sehen die jeweiligen Zuweisungsgesetze aber auch hinsichtlich der VB in den meisten Fällen eine bloße Zuweisung zur Dienstleistung vor. Dies hindert allerdings solcherart zugewiesene VB mE nicht daran, bei einer behaupteten Fürsorgepflichtverletzung des ausgegliederten Rechtsträgers direkt gegen den ausgegliederten Rechtsträger Ansprüche außerhalb des Amtshaftungsrechtes geltend zu machen. Das Vertragsbedienstetenverhältnis ist nämlich nicht Teil der Hoheitsverwaltung, sondern Teil der Privatwirtschaftsverwaltung. Selbst wenn man wie der OGH die Fürsorgepflicht des ausgegliederten Rechtsträgers gegenüber zugewiesenen Bediensteten als von jener des DG abgeleitet betrachtet, handelt der ausgegliederte Rechtsträger nicht in Vollziehung der Gesetze, sondern im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung der jeweiligen Gebietskörperschaft. Für eine Anwendung der Amtshaftung besteht in diesen Fällen kein Anlass.

5
Fazit

Der OGH bleibt mit der vorliegenden E seiner Judikaturlinie, wonach das Zuweisungsverhältnis zwischen ausgegliedertem Rechtsträger und Beamten weitestgehend nach öffentlich-rechtlichen Grundsätzen zu betrachten ist, treu. Der OGH vermeidet es tunlichst, eine Aufweichung der öffentlich-rechtlichen Stellung der Beamten durch das Hineinfließen privatrechtlicher Grundsätze zuzulassen. Ein Bestreben freilich, das in der Praxis von den dienstzugewiesenen Beamten, die ja in ihrer täglichen Arbeit vollständig in den Betrieb eines privaten Rechtsträgers integriert sind, aber auch von den ausgegliederten Rechtsträgern selbst oftmals als nachteilig empfunden wird.421