Gewerberechtliche Probleme des § 9 ArbVG
Gewerberechtliche Probleme des § 9 ArbVG
§ 9 ArbVG soll spezielle Kollisionsfragen des Kollektivvertragsrechts lösen. Die Notwendigkeit einer solchen Regelung ergibt sich aus dem Umstand, dass auf ein und dasselbe Arbeitsverhältnis immer nur ein KollV Anwendung zu finden hat.* In diesem Zusammenhang legt § 9 Abs 1 ArbVG fest, dass, wenn ein mehrfach-kollektivvertragsangehöriger AG über zwei oder mehrere Betriebe verfügt, auf die AN jeweils der KollV zur Anwendung gelangt, welcher dem Betrieb in fachlicher und örtlicher Beziehung entspricht. Abs 2 sieht eine sinngemäße Anwendung dieser Bestimmung bei Haupt- und Nebenbetrieben oder für den Fall einer organisatorisch und fachlich abgegrenzten Betriebsabteilung vor. Der Gesetzgeber hat somit dem Prinzip der Tarifvielfalt den Vorzug gegeben.* Nur dann, wenn sich eine solche (fachlich) organisatorische Trennung nicht eruieren lässt, folgt er dem Prinzip der Tarifeinheit und es kommt zunächst nach Abs 3 jener KollV zur Anwendung, der für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat.* Ist auch eine solche nicht auszumachen, so findet der KollV jenes fachlichen Wirtschaftsbereiches Anwendung, dessen Geltungsbereich unbeschadet der Verhältnisse im Betrieb die größere Anzahl von AN erfasst.*
Liegt daher auf Unternehmensebene eine klare fachliche und örtliche Trennung iSd § 9 ArbVG vor, so bereitet eine Kollektivvertragszuordnung keine Probleme. Leider zeigt die Praxis aber oftmals Konstellationen, die einer einfachen Lösung nicht zugänglich sind. Wurden in der Vergangenheit bei solchen Fällen die größeren Schwierigkeiten in der organisatorischen Abgrenzung gesehen,* weil sich die fachliche ohnehin zumeist aus den unterschiedlichen Gewerbeberechtigungen des DG ergebe,* so zeitigt eine genauere Betrachtung der gewerberechtlichen Grundlagen und der damit im Zusammenhang stehenden Judikatur,* dass die diesbezüglichen Zuordnungsfragen in ihrer Komplexität durchaus jenen der organisatorischen Grenzziehung ebenbürtig sind.
Die Angehörigkeit eines AG zu einem KollV ergibt sich aus dessen Gewerbeberechtigung. Gem § 2 WKG538 wird durch diese die Mitgliedschaft zur Wirtschaftskammerorganisation erworben.* Eine Zuordnung zu einer Fachgruppe, die schlussendlich für die jeweilige Kollektivvertragsangehörigkeit ausschlaggebend ist, erfolgt gem § 44 Abs 1 WKG von Seiten der Landeskammer durch die Eintragung in das Mitgliederverzeichnis.
Demgemäß können Kollisions- und Abgrenzungsfragen in fachlicher Hinsicht nur dann auftreten, wenn der AG über mehrere Gewerbeberechtigungen verfügt, bzw über mehrere Gewerbeberechtigungen verfügen müsste* und sich daher eine mehrfache Kollektivvertragsangehörigkeit des AG ergibt.
Die Gewerbeordnung unterscheidet zwischen einem Standort* und weiteren Betriebsstätten.* Eine Legaldefinition der beiden Begriffe bleibt die GewO schuldig.
Die Lehre versteht unter einem Standort jenen Ort, von dem aus als Hauptbetriebsstätte das betreffende Gewerbe ausgeübt, Bestellungen entgegengenommen, Arbeiten angenommen und bestellte Arbeitsstücke ausgefolgt werden und in dem sich der Verkehr des Geschäftsunternehmers mit den Kunden abspielt, wo sich ständig die gewerbliche Tätigkeit vollzieht und wo sich, wenn das Gewerbe an verschiedenen Orten ausgeübt wird, der Mittelpunkt des Unternehmens befindet.*
Im Vergleich dazu ist eine weitere Betriebsstätte eine standortgebundene Einrichtung, die zur regelmäßigen Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit außerhalb des Gewerbestandortes dient.* Sie ist ihrem Wesen nach aber ein vom Hauptunternehmen abhängiger Teil und daher ohne dessen Bestand nicht denkbar.*
Meldet nunmehr ein AG an einem Standort ein oder mehrere Gewerbe an,* so kommen für diesen Standort, resultierend aus den Gewerbeberechtigungen, entsprechende Kollektivverträge zur Anwendung. Fraglich ist nun aber, ob ein AG durch die Gründung eines weiteren Standortes* oder einer weiteren Betriebsstätte iSd GewO die Kollektivvertragsunterworfenheit der dortigen AN dadurch beeinflussen kann, dass er für den anderen Standort gewisse Gewerbe nicht bzw andere Gewerbe anmeldet, oder nur eine bestimmte Gewerbeberechtigung in einer weiteren Betriebsstätte ausübt. Wäre dies möglich, so könnte etwa ein AG, welcher einen industriellen Erzeugerbetrieb führt, einem Industrie-KollV mit hohem Entlohnungsschema dadurch entgehen, dass er für den Vertrieb einen eigenen Standort gründet und dort nur das Handelsgewerbe anmeldet.*
Würde man diesen gewerberechtlichen Überlegungen weiter nachgehen, so müsste zusätzlich untersucht werden, ob die getätigten Aussagen auf weitere Betriebsstätten überhaupt anwendbar sind, wann bei der Begründung eines zusätzlichen Standortes eine Umgehungshandlung vorliegt, und in welchem Verhältnis der Standort-/Betriebsstättenbegriff zu den Begrifflichkeiten des § 9 ArbVG steht.
Aus arbeitsrechtlicher Sicht besteht dafür aber keine Notwendigkeit. Zunächst enthält nämlich § 34 Abs 1 ArbVG eine Legaldefinition des Betriebsbegriffs. Demnach gilt als Betrieb „jede Arbeitsstätte, die eine organisatorische Einheit bildet, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolgt, ohne Rücksicht darauf, ob Erwerbsabsicht besteht oder nicht
“.539*
In Folge erübrigt sich auch die Prüfung, inwieweit die gewerberechtlichen Begriffe des Standortes und der weiteren Betriebsstätte mit dem Betriebsbegriff des ArbVG übereinstimmen oder von diesem abweichen. Denn § 8 Abs 1 Z 1 ArbVG legt fest, dass jene AG kollektivvertragsangehörig sind, „die zur Zeit des Abschlusses des Kollektivvertrags Mitglieder der am Kollektivvertrag beteiligten Parteien waren oder später werden
“. Somit wird die Kollektivvertragsangehörigkeit ausschließlich über die Mitgliedschaft zu einer der am Abschluss des KollV beteiligten Parteien vermittelt und der strukturelle Aufbau eines Unternehmens nach der GewO ist hierfür unerheblich. Da das ArbVG in § 34 Abs 1 zudem eine eigene Begriffsdefinition des Betriebes enthält, ist auch für die Anwendung des maßgeblichen KollV bei Kollisionsfällen nach § 9 ArbVG nur diese relevant.*
In diesem Zusammenhang sind drei Konstellationen denkbar. Erstens, der AG übt verschiedene fachliche Tätigkeiten tatsächlich aus und verfügt über die entsprechenden Gewerbeberechtigungen.* Zweitens, der AG übt eigentlich gar nicht mehrere fachliche Tätigkeiten aus und die eine fachliche Tätigkeit ist im Gewerberechtsumfang enthalten.* Drittens, der AG ist im Besitz mehrerer Gewerbeberechtigungen und benötigt zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht alle, um seine Tätigkeit auszuüben.*
Übt ein AG eine fachlich gestreute Tätigkeit tatsächlich aus und verfügt über die entsprechenden Gewerbeberechtigungen, kommt, eine organisatorische Trennung vorausgesetzt, in jedem Bereich der entsprechende KollV zur Anwendung.*
Betreibt ein Unternehmer daher organisatorisch getrennt ein Gasthaus und einen Friseursalon und hat entsprechende Gewerbe angemeldet, so kommen in den getrennten Bereichen die einschlägigen Kollektivverträge zur Anwendung.
Einer gesonderten Betrachtung bedarf in diesem Zusammenhang noch jener Fall, bei dem ein AG zwar eine fachlich gestreute Tätigkeit in einem Mischbetrieb ausübt, aber nur in einem Teilbereich AN beschäftigt. Einfacher lässt sich dieses Problem anhand eines Beispiels erläutern. Verfügt etwa ein AG über eine Gewerbeberechtigung für das Tapezierer- und das Tischlergewerbe, wobei die Bereiche organisatorisch nicht getrennt sind und der wirtschaftliche Schwerpunkt bei den Tischlerarbeiten liegt, so würde man unter Zugrundelegung der Wertungen des § 9 Abs 3 ArbVG davon ausgehen, dass der KollV für das Tischlergewerbe zur Anwendung gelangt. Wenn nun aber der AG sämtliche Tischlerarbeiten selbst verrichtet und AN nur für die Tapezierertätigkeiten beschäftigt, so stellt sich die Frage, ob dennoch eine fachlich gestreute Tätigkeit iSd § 9 ArbVG vorliegt. Dies ist zu bejahen und da der wirtschaftliche Schwerpunkt bei den Tischlerarbeiten liegt, kommt auch der KollV für das Tischlergewerbe zur Anwendung. Einerseits deswegen, weil eine Kollektivvertragsangehörigkeit nach § 8 Abs 1 ArbVG gegeben ist und der AG sich auch tatsächlich (wenn auch ohne AN) im Bereich des Tischlereigewerbes betätigt. Andererseits ist die AN-Anzahl lediglich eines von mehreren Kriterien, welches für die Beurteilung des wirtschaftlichen Schwerpunktes heranzuziehen ist.* Daher kann die effektive Beschäftigung nur eines Mitarbeiters in einem Fachbereich niemals allein dafür ausschlaggebend sein, ob ein KollV anwendbar ist oder nicht.*
Bei dieser Konstellation handelt es sich um jene Fälle, bei denen ein Erzeuger seine hergestellten Waren verkauft. Schon in den späten 60er-Jahren erkannte diesbezüglich der VwGH, dass für den Absatz selbsterzeugter Produkte eine Handelsgewerbeberechtigung nicht notwendig ist.* Auch war in der GewO bis zur Novelle 2002* im damaligen § 33 Z 6 GewO ausdrücklich das Recht des Erzeugers verankert, seine eigenen Waren verkaufen zu dürfen.*540 Dieser Umstand wurde auch folgerichtig vom OGH in einschlägigen Entscheidungen zu § 9 ArbVG angewandt.*
Problematisch können solche Fälle dann werden, wenn ein Produktionsbetrieb nicht nur seine eigenen Erzeugnisse verkauft, sondern noch zusätzlich andere Tätigkeiten ausübt, welche eine weitere Gewerbeberechtigung nötig machen. Betreibt etwa ein solcher Erzeuger eine organisatorisch getrennte Betriebsabteilung und verkauft dort neben seinen eigenen Waren noch weitere Produkte, welche eine zusätzliche Handelsgewerbeberechtigung erforderlich machen,* so ist ein solcher Sachverhalt nicht durch den Wortlaut des § 9 ArbVG gedeckt. Denn hierbei liegt in Hinblick auf die Erzeugung keine fachliche Trennung iSd der Gesetzesbestimmung vor, weil Produktion und Vertrieb eine einheitliche fachliche Tätigkeit darstellen. Daher scheidet die Anwendung des § 9 Abs 2 ArbVG aus. Dennoch „paart“ sich der Vertrieb in einem organisatorisch getrennten Bereich mit einer fachlich anderen Tätigkeit. Dies führt dazu, dass auch § 9 Abs 3 ArbVG nicht direkt anwendbar ist, weil die Gesetzesstelle von einem Nichtvorliegen einer organisatorischen Trennung ausgeht, die aber in unserem Fall gegeben ist. Dennoch wird dieses Problem über eine analoge Anwendung des § 9 Abs 3 bzw 4 ArbVG zu lösen sein.* Daher ist der KollV des fachlichen Wirtschaftsbereiches anzuwenden, der für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat. Bei Erzeugerbetrieben wird der wirtschaftliche Schwerpunkt meistens im Bereich des selbsthergestellten Produkts liegen. Lässt sich eine solche nicht eruieren, dann findet der KollV jenes fachlichen Wirtschaftsbereiches Anwendung, dessen Geltungsbereich unbeschadet der Verhältnisse im Betrieb die größere Anzahl von AN erfasst.
Hierbei verfügt der AG über zwei Gewerbeberechtigungen und benötigt uU eine davon nicht. Dies kann sich aus dem Umstand ergeben, dass eine Tätigkeit ausgeübt wird, die im Gewerberechtsumfang beider angemeldeter Gewerbe enthalten ist, aber auch weil eine zusätzliche Tätigkeit bereits durch ein sonstiges Recht/Nebenrecht der GewO oder durch eine verbundene Gewerbeausübung abgedeckt ist und daher keine zusätzliche Gewerbeberechtigung vonnöten ist.* Dies sind jene Fälle, in denen dennoch eine gewisse Nahbeziehung zur „unnötigen“ Gewerbeberechtigung besteht, weil ohne eine andere Gewerbeberechtigung bzw ohne ein etwaiges sonstiges Recht/ Nebenrecht erstere zwingend notwendig wäre, um die entsprechende Tätigkeit auszuüben. Allerdings gibt es auch jenen Fall, in welchem ein DG über eine Gewerbeberechtigung verfügt, der gar keine tatsächliche Tätigkeit entspricht.* Dies findet sich in der Praxis oftmals durch Fehlinformation, aber auch dann, wenn ein Betrieb im Laufe der Jahre seine Produktions- oder Geschäftstätigkeit verändert, sodass gewisse Gewerbe nicht mehr ausgeübt werden.
Bei diesen übt der AG fachliche Tätigkeiten aus, die von zwei Gewerbeberechtigungen desselben umfasst sind. Zwar wäre bei einer gänzlichen Überschneidung eine Gewerbeberechtigung unnötig, dennoch werden beide Gewerbe tatsächlich ausgeübt. Diese Ansicht teilt auch der OGH.* Im Anlassfall hatte es der Gerichtshof mit einem AG zu tun, welcher sowohl Mitglied bei der Fachgruppe der Denkmal-, Fassadenund Gebäudereiniger als auch bei jener der Garagen- Tankstellen- und Servicestationsunternehmungen war. Dementsprechend unterlag er dem KollV für die Arbeiter der Garagen-, Tankstellen- und Servicestationsunternehmen Österreichs und andererseits dem KollV für Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereiniger.* Die tatsächlich ausgeübte, organisatorisch nicht getrennte fachliche Tätigkeit des Unternehmens war eine Autobusreinigung, bei der die Autobusse von zwei Autobusunternehmungen auf deren Firmengelände gerei541nigt wurden. Der Gerichtshof kommt im Zuge seiner rechtlichen Beurteilung zu dem Ergebnis, dass diese Tätigkeit prinzipiell von beiden Gewerbeberechtigungen gedeckt ist.* In Folge bezeichnet er diese daher als „Mischtätigkeit“ und geht von einem Nichtvorliegen einer klaren fachlichen Trennung aus. Um dennoch zu einer rechtlichen Lösung zu kommen, wendet er die Grundsätze des § 9 Abs 3 ArbVG analog an und stellt darauf ab, welcher Wirtschaftsbereich (welche Gewerbeberechtigung) die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung für das Unternehmen hat.* Allgemein ist daher aus der Entscheidung (richtigerweise) zu folgern, dass auch eine überschneidende fachliche Tätigkeit dazu führt, dass beide Bereiche tatsächlich ausgeübt werden und mangels organisatorischer Trennung daher eine Zuordnung anhand der wirtschaftlichen Bedeutung iSd § 9 Abs 3 vorzunehmen ist.*
Oftmals verfügt ein AG über eine Gewerbeberechtigung, die er eigentlich nicht bräuchte, weil eine Tätigkeit durch ein verbundenes Gewerbe oder ein sonstiges Recht/Nebenrecht der GewO gedeckt ist.* Die Lehre sieht in so einem Fall die zusätzliche Gewerbeberechtigung als überflüssig an und geht von einer Nichtberücksichtigung derselben aus.* ME ist eine solche pauschalierte Aussage verfehlt und es ist auf den Einzelfall bezogen zu beurteilen, ob eine solche Gewerbeberechtigung zu berücksichtigen ist, oder nicht.
Zu beachten ist die zusätzliche Gewerbeberechtigung, wenn unternehmerische Erwägungen eine zusätzliche Anmeldung rechtfertigen.* So dürfen nach § 154 Abs 1 GewO 1994 Gewerbetreibende, die den Kleinhandel mit Lebensmitteln ausüben, auch Speisen in einfacher Art verabreichen und nichtalkoholische Getränke und Bier ausschenken, wenn hierbei nicht mehr als acht Verabreichungsplätze bereitgestellt werden. Sie benötigen hierfür keine Gastgewerbeberechtigung. Entscheidet sich in diesem Fall aber ein AG dennoch dafür, zusätzlich eine solches Gewerbe anzumelden, weil er zunächst zwar nur einige Sitzplätze anbietet, aber bei entsprechender Resonanz diese ausweiten bzw ein größeres Sortiment an Speisen oder Wein anbieten will, so ist eine solche Gewerbeberechtigung jedenfalls voll zu berücksichtigen. Eine solche Sicht ist auch schlüssig in Hinblick auf § 8 Z 3 ArbVG. Diese ordnet bei verbundenen Gewerben,* unter der Voraussetzung einer tatsächlichen Ausübung eines anderen Gewerbes, welches Bestandteil des verbundenen Gewerbes ist, sogar ausdrücklich die entsprechende Kollektivvertragsangehörigkeit des AG an, obwohl hierfür die entsprechende Gewerbeberechtigung nicht von Nöten ist.
Zudem scheint auch der OGH diese Rechtsansicht indirekt zu teilen.* Ansonsten hätte er bei der unter Pkt 1.2.3.1. wiedergegebenen E im Ergebnis nicht zu einer gewerberechtlich überschneidenden Tätigkeit kommen können. Da nämlich jede der zwei im Anlassfall vorhandenen Gewerbeberechtigungen für sich alleine die Tätigkeit des Unternehmens zur Gänze abgedeckt hat, wäre bei einer anderen Rechtsansicht eine der zwei Gewerbeberechtigungen als überflüssig zu befinden gewesen. Tatsächlich ist er aber von einem aktiven Bestehen beider Gewerbeberechtigungen ausgegangen und hat die Rechtsfrage mit einer analogen Anwendung des § 9 Abs 3 ArbVG gelöst. Lässt der Gerichtshof sogar eine „Doppeldeckung“ aufgrund zweier Gewerbeberechtigungen bestehen, so muss erst recht eine zweifache Abdeckung durch sonstiges Recht/Nebenrecht und zusätzliche Gewerbeberechtigung als zulässig zu erachten sein.*
In diesem Fall verfügt der AG über eine Gewerbeberechtigung, welche überhaupt keine Deckung in einer tatsächlich ausgeübten fachlichen Tätigkeit findet. Etwa ein Tischler, der nur dieses Gewerbe ausübt und zusätzlich über eine aufrechte Gastgewerbeberechtigung verfügt. Bei dieser Konstellation findet nur jene Gewerbeberechtigung Berücksichtigung, die einer tatsächlich ausgeübten Tätigkeit entspricht.* Daher unterliegen im Beispielsfall sämtliche Mitarbeiter den einschlägigen Kollektivverträgen für das Tischlergewerbe.542
Zuletzt bedarf noch jene Fallgruppe einer Betrachtung, in der der AG eine fachlich gestreute Tätigkeit ausübt, die auf den ersten Blick nicht durch entsprechende Gewerbeberechtigungen gedeckt ist. Bevor hier nämlich von einer unbefugten Gewerbeausübung ausgegangen werden und ein „Rückgriff“ auf § 2 Abs 13 GewO 1994 erfolgen kann, ist zu prüfen, ob eine solche Tätigkeit nicht doch gesetzlich erlaubt ist. Die GewO eröffnet nämlich den Gewerbetreibenden unter gewissen Bedingungen die Möglichkeit, auch Leistungen anderer Gewerbe zu erbringen, ohne dass hierfür eine entsprechende Gewerbeanmeldung erfolgen muss. Dies ist in Form eines verbundenen Gewerbes oder durch ein sonstiges Recht/Nebenrecht möglich.
Zunächst sind hierbei die sogenannten verbundenen Gewerbe zu beachten. Der Grund hierfür liegt in dem Umstand, dass die Einordnung einer Tätigkeit unter ein verbundenes Gewerbe zu einer zusätzlichen Kollektivvertragsangehörigkeit des AG führen kann, was bei einer Subsumtion unter ein sonstiges Recht/ Nebenrecht nicht der Fall ist. Ursächlich hierfür ist die Bestimmung des § 8 Z 3 ArbVG, welche bestimmt, dass AG, die im Rahmen eines verbundenen Gewerbes eine fachübergreifende Leistung erbringen, auch jenem KollV unterliegen, der dem zusätzlich ausgeübten Wirtschaftsbereich entspricht. Darin ist insoweit eine Besonderheit zu sehen, als der AG nicht über die entsprechende Gewerbeberechtigung verfügt, aber dennoch dem entsprechenden KollV, kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung, angehört.*
Verbundene Gewerbe sind in der Aufzählung reglementierter Gewerbe des § 94 GewO 1994 durch einen entsprechenden Klammerausdruck als „verbundenes Handwerk“ kenntlich gemacht. Liegt ein solches vor, so kann ein Gewerbetreibender, der nur über den Befähigungsnachweis für ein verbundenes Gewerbe verfügt, gem § 30 Abs 1 GewO 1994 auch die Tätigkeiten der anderen Gewerbe befugt erbringen, aus denen sich das verbundene Gewerbe zusammensetzt. So kann etwa ein Heizungstechniker die Tätigkeiten eines Lüftungstechnikers oder ein Tischler solche eines Bildhauers verrichten.
Liegt eine solche verbundene Gewerbeausübung nicht vor, ist in einem nächsten Schritt zu prüfen, ob die Tätigkeit durch ein sonstiges Recht/Nebenrecht der GewO befugt ausgeübt wird. Hierbei gewährt der § 32 Abs 1 GewO 1994 in 15 Ziffern gewisse sonstige Rechte allen Gewerbetreibenden. So besteht etwa das Recht, die verkauften Gegenstände zu montieren (Z 6), Arbeiten im Umfang der jeweiligen Gewerbeberechtigung (nur) zu planen (Z 8), oder auch Waren zu verkaufen (Z 10), ohne dass hierfür eine zusätzliche Gewerbeberechtigung erforderlich ist. Diese Nebenrechte erfahren aber eine zweifache Einschränkung in § 32 Abs 2 GewO 1994. Einerseits müssen der Schwerpunkt und die Eigenart des Betriebs erhalten bleiben. Daher darf ein Gewerbetreibender nicht im Wege der Ausübung eines oder mehrerer sonstiger Rechte den wirtschaftlichen Schwerpunkt seiner hauptberuflich ausgeübten gewerblichen Tätigkeit verschieben und damit die Eigenart seines ursprünglichen Betriebes verändern. Andererseits darf dort, wo es aus Gründen der Sicherheit notwendig ist, ein solches Recht nur unter Heranziehung einer entsprechend ausgebildeten und erfahrenen Fachkraft ausgeübt werden.
Neben diesen allen Gewerbetreibenden zugänglichen sonstigen Rechten haben bestimmte Gewerbe darüber hinaus noch exklusive, somit nur ihrem Gewerbe vorbehaltene, Nebenrechte. Daher ist für den Fall, dass weder ein verbundenes Gewerbe noch ein sonstiges Recht nach § 32 GewO 1994 vorliegt, immer noch zusätzlich zu prüfen, ob die GewO nicht andernorts die Tätigkeit durch ein exklusives Nebenrecht legalisiert.*
Erst wenn diese zusätzlichen Möglichkeiten ergebnislos ausgeschöpft wurden, ist von einer unbefugten Gewerbeausübung bzw von einem Anwendungsfall des § 2 Abs 13 GewO 1994 auszugehen.
Der Standort- und Betriebsstättenbegriff der GewO ist nicht dazu in der Lage, die Kollektivvertragsunterworfenheit von Arbeitsverhältnissen zu beeinflussen, da sich diese ausschließlich aus § 8 ArbVG bzw § 2 Abs 13 GewO 1994 ergibt. Für die tatsächliche Anwendung eines KollV ist die Regelung des § 9 ArbVG ausschlaggebend. Der dort Verwendung findende Betriebsbegriff ist jener des § 34 Abs 1 ArbVG, weswegen auch in diesem Zusammenhang die Strukturierung iSd GewO irrelevant ist.
Übt ein AG verschiedene fachliche Tätigkeiten aus und verfügt er auch über die entsprechenden Gewerbeberechtigungen, liegt eine fachliche Streuung iSd § 9 ArbVG vor. Eine solche ist allerdings nicht gegeben, wenn ein Erzeuger seine eigenen Produkte verkauft.
Entsprechen mehrere Gewerbeberechtigungen einer tatsächlich ausgeübten Tätigkeit, so sind diese zu berücksichtigen und eine Kollektivvertragszuordnung hat (uU analog) anhand des § 9 ArbVG zu erfolgen. Entspricht aber eine vorhandene Gewerbeberechtigung keiner tatsächlich ausgeübten Tätigkeit, so ist sie auch nicht zu berücksichtigen.
Besteht der Verdacht, dass eine fachliche Tätigkeit nicht von einer vorhandenen Gewerbeberechtigung umfasst ist, so ist zunächst zu prüfen, ob nicht doch eine rechtmäßige Gewerbeausübung aufgrund eines verbundenen Gewerbes oder eines sonstigen543 Rechts/Nebenrechts der GewO vorliegt. Ist dies der Fall, ist keine zusätzliche Gewerbeberechtigung erforderlich und dementsprechend treten die Rechtsfolgen des § 2 Abs 13 GewO 1994 nicht ein.
Hierbei ist in einem ersten Schritt das Vorliegen einer verbundenen Gewerbeausübung zu prüfen, weil diese nach § 8 Z 3 ArbVG zu einer zusätzlichen Kollektivvertragsangehörigkeit des AG führen kann. Liegt diese nicht vor, so ist in einem weiteren Schritt zu untersuchen, ob nicht die Gewerbeausübung durch ein sonstiges Recht/Nebenrecht der GewO gedeckt ist. In diesem Zusammenhang gibt es einerseits sons tige Rechte, die allen Gewerbetreibenden zustehen, und andererseits Nebenrechte, die bestimmten Gewerben exklusiv vorbehalten sind.
Erst wenn keiner dieser Fälle vorliegt, ist ein Anwendungsfall des § 2 Abs 13 GewO 1994 gegeben.