102. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz (IAK)
102. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz (IAK)
Die 102. Konferenz 2013 wurde in zweifacher Hinsicht mit großer Spannung erwartet. Einerseits sollte sich herausstellen, ob die IAO als weltweit normsetzende und normüberwachende Institution bestätigt würde. Über die Geschäftsführungskrise wurde im Vorjahr an dieser Stelle ausführlich berichtet*. Zum anderen ist seit Oktober 2012 Guy Ryder Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO)/ International Labour Organisation (ILO). Ryder, 1956 in Liverpool geboren und an der Universität Cambridge ausgebildet, ist der erste IAO-Generaldirektor mit gewerkschaftlichem Hintergrund.*
2019 wird die IAO hundert Jahre alt und in seinem die Konferenz eröffnenden Bericht „Auf dem Weg zum hundertjährigen Bestehen der IAO: Realitäten, Erneuerung und dreigliedriges Engagement“* setzte der neue Generaldirektor den Akzent auf sieben Initiativen:
Die Leitungsinitiative hat die Reform der Leitungsstrukturen der IAO zum Ziel.
Die Normeninitiative soll den Normenüberprüfungsmechanismus konsolidieren und damit das Normensystem der IAO stärken.
Die Grüne Initiative soll menschenwürdige Arbeit beim Übergang zu einer ökologischen nachhaltigen Entwicklung generieren bzw absichern.
Die Unternehmensinitiative soll eine Plattform für die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und IAO schaffen.
Die Initiative zur Beendigung von Armut hat zum Ziel, der Notwendigkeit eines allen AN angemessenen und den Lebensunterhalt sichernden Lohns Rechnung zu tragen.
Die Initiative für erwerbstätige Frauen soll die Chancengleichheit voranbringen und
die Initiative betreffend die Zukunft der Arbeit bedeutet, dass ein beratender Ausschuss zu diesem Thema eingerichtet werden soll, dessen Bericht auf der Tagung des hundertjährigen Jubiläums der IAO im Jahr 2019 erörtert werden könnte.
Guy Ryder rief zum Schluss der Konferenz dazu auf, wirkungsvolle Maßnahmen zu setzen, um den Anforderungen in einer sich immer schneller wandelnden Arbeitswelt besser begegnen zu können.
Im Vorjahr konnte im Normenprüfungsausschuss in der ersten Konferenzwoche keine „Liste“ (Einigung zwischen AN und AG über die Auswahl 25 zu behandelnder Einzelstaaten) erstellt werden. Somit fand in der zweiten Woche auch keine Diskussion über die Durchführung internationaler Arbeitsnormen in diesen Staaten und schwer wiegender Normverletzungen statt. Die AG hatten die Verhandlungen verlassen, da sie die Sicht des Sachverständigenausschusses, dass das Übereinkommen 87 über die Vereinigungsfreiheit auch das Streikrecht enthalte, nicht teilten. Dieses Problem wurde auf die Tagesordnung der 315. Sitzung des Verwaltungsrates (Juni 2012) gesetzt. In der Folge wurden im November 2012 informelle dreigliedrige Verhandlungen vor der 316. Sitzung des Verwaltungsrates abgehalten. Da konstruktives Verhalten zugesichert wurde, konnten dann im Februar 2013 die informellen dreigliedrigen Verhandlungen auch bis zur 317. Sitzung im März 2013 fortgeführt werden. Der Sachverständigenausschuss (SVA)/Committee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations (CEACR)* nahm an diesen Sitzungen teil. Es wurden zwei Gruppen von zu überprüfenden Fällen unterschieden: solche, die auf der 102. IAK behandelt werden sollten und solche, die später behandelt werden können. Bei der Konferenz gelang es dann, 26 Fälle, die gleich zu behandeln sind, zu beschließen und zu all diesen Fällen zu Schlussfolgerungen zu gelangen. Es wurde bei allen Fällen, die sich mit dem Übereinkommen 87 befassten, eine Klausel implementiert, dass die Sozialpartner unterschiedlicher Ansicht betreffend das Streikrecht seien. Viele KonferenzteilnehmerInnen waren der Auffassung, dass die konstruktive Arbeit des Ausschusses nur wegen eines weitgehenden Entgegenkommens der AN-Seite gelungen war, und dass diese im kommenden Jahr deutlicher Position beziehen müsste. Die AG-Seite spricht hingegen von einer neuen Ära in Sachen Vereinigungsfreiheit und fühlt sich an die Interpretation des SVA/CEACR nicht gebunden. Probleme bei der Umsetzung von Übereinkommen wurde dieses Jahr in folgenden Ländern behandelt: Bangladesch, Belarus, Kambodscha, Canada, Chad, Dominikanische Republik, Ägypten, Fiji, Griechenland, Guatemala, Honduras, Iran, Kenya, Korea, Malaysia, Mauretanien, Pakistan, Paraguay, Saudi Arabien, Senegal, Spanien, Swaziland, Türkei, Usbekistan, Zimbabwe.
Die Aufhebung der Sanktionen, die 2000 gegen Myanmar verhängt worden waren, am 21.6.2013 sah552 die Konferenz als historischen Moment an. Bis 2015 gibt es allerdings weitere Unterstützung seitens der IAO, den Aktionsplan zur Beseitigung der Zwangsarbeit bis 2015 einzuhalten.
In den Schlussfolgerungen des Ausschusses „Beschäftigung und Sozialer Schutz im neuen demographischen Kontext“* wurde der Soziale Dialog und die Dreigliedrigkeit als das wichtigste ordnungspolitische Paradigma der IAO zur Förderung sozialer Gerechtigkeit, fairer und friedlicher Arbeitsbeziehungen und menschenwürdiger Arbeit unterstrichen. Als Grundlage für die Maßnahmen zur Förderung des sozialen Dialogs wird in unterschiedlichen Facetten die Wichtigkeit der Achtung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen für alle AN und AG sowie für ihre repräsentativen Verbände unterstrichen. Interessant, dass dieser Rechtsschutz auch Wirkung für AN in Kleinst-, Klein- und mittleren Unternehmungen, schutzbedürftige AN und AN in atypischen Formen der Beschäftigung entfalten soll. Zur Verwirklichung ihrer Ziele soll die IAO auf proaktive Weise den Kontakt zu internationalen Organisationen und Institutionen, wie dem IWF, der Weltbank, der WTO, den G20 und der OECD etc aufnehmen.
Ausgehend von einer demographischen Prognose, dass die Weltbevölkerung wächst und altert, wenn auch in unterschiedlichem Tempo, werden 2050 drei Viertel der älteren Bevölkerung – vornehmlich Frauen – der Welt voraussichtlich in Entwicklungsländern leben. In diesen Ländern sind die Menschen sehr häufig in der informellen Wirtschaft tätig, und nur 20 % der Weltbevölkerung im erwerbsfähigen Alter haben effektiven Zugang zu einem umfassenden sozialen Schutz. Auch im Ausschuss „Beschäftigung und sozialer Schutz im neuen demographischen Kontext“ wurden Schlussfolgerungen* angenommen. Um drohender Arbeitslosigkeit (vor allem auch der Jugendarbeitslosigkeit) etwas entgegensetzen zu können und den langsamen und schwierigen Übergang zu menschenwürdiger und damit einkommenssichernder und sozialen Schutz bietender Arbeit zu unterstützen, bedarf es einer gut ausgewogenen umfassenden Kombination von multidimensionalen und integrierten Maßnahmen, die die Wechselbeziehungen zwischen demographischen Verschiebungen, Beschäftigung, Arbeitsmigration, sozialem Schutz und wirtschaftlicher Entwicklung sowie den unterschiedlichen Gegebenheiten der Länder berücksichtigen (ua integrierte Ausbildungs- und Beschäftigungsansätze insb auch für Jugendliche, Förderung der Generationensolidarität, Sozialer Dialog und Kollektivvertragsverhandlungen, Maßnahmen gegen alle Formen von Diskriminierung, Soziale Sicherheit als Menschenrecht, grundlegende Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege und Beendigung von Kinderarbeit).
Auch in diesem Ausschuss wurden die Schlussfolgerungen* angenommen. Es hatte 20 Jahre gebraucht, um dieses komplexe Thema überhaupt auf die Tagesordnung der IAO zu bringen. Nun wird es voraussichtlich auch im kommenden Jahr weiter diskutiert werden. Den Entwicklungsländern war in der Diskussion besonders wichtig, dass im gesamten Dokument nicht von grüner Wirtschaft, sondern von der Ökologisierung der Volkswirtschaften, Unternehmen und Arbeitsplätze gesprochen wird. Darüber hinaus wurde arbeitnehmerseitig klargestellt, dass es beim Übergang zu einer ökologischeren Arbeitswelt aktiver (arbeitsmarkt-)politischer Schritte bedarf, um Maßnahmen zu einer gerechteren Verteilung, damit langfristig Armutsbeseitigung und Generierung von menschenwürdiger Arbeit zu setzen. Sehr hilfreich erscheint der im Anhang der Schlussfolgerungen hergestellte Zusammenhang zu den bestehenden und anzuwendenden IAO-Übereinkommen und -Empfehlungen.
Das Übereinkommen über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte, 2011, IAO Nr 189, wurde bei der 100. Tagung der IAK am 16.6.2011 angenommen und soll im September 2013 in Kraft treten. Mit ihm werden die weltweit geltenden Mindestanforderungen an den Arbeitsschutz für Hausangestellte festgelegt.
Mit Beschluss des EU-Rates vom 21.3.2013* sollten alle Ratifikationshindernisse auf EU-Ebene beseitigt werden. Auch die EU setzt sich sowohl intern als auch in ihren Außenbeziehungen für die Förderung der Agenda für menschenwürdige Arbeit ein. Arbeitsnormen sind ein zentrales Element im Konzept menschenwürdiger Arbeit. Mit der Ratifizierung von IAO-Übereinkommen setzen die Mitgliedstaaten somit ein deutliches Zeichen und unterstützen die Kohärenz der EU-Politik zur Verbesserung der Arbeitsnormen weltweit. Zudem forderte die Kommission die Mitgliedstaaten im Rahmen der Strategie der EU zur Beseitigung des Menschenhandels auf, alle einschlägigen internationalen Instrumente, Abkommen und völkerrechtlich verpflichtenden Übereinkünfte zu ratifizieren, da hierdurch die Bekämpfung des Menschenhandels553 effizienter, besser koordiniert und kohärenter gestaltet werden kann. Zu diesen Instrumenten gehört auch das Übereinkommen Nr 189.
Daher ist es notwendig, dass alle rechtlichen Hindernisse auf EU-Ebene beseitigt werden, damit die Mitgliedstaaten das Übereinkommen Nr 189 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte ratifizieren können, dessen Inhalt grundsätzlich dem Besitzstand der Union nicht widerspricht. Die Bestimmungen des Übereinkommens Nr 189 haben zum Ziel, zur Bekämpfung des Missbrauchs und der Ausbeutung von Hausangestellten beizutragen. Dazu bedürfte es einer Anpassung des österreichischen Hausgehilfen- und Hausangestelltenrechtes. Diese Anpassung wurde letztes Jahr sozialpartnerschaftlich – leider aufgrund unnachvollziehbaren Widerstands der AG-Seite (Standes- statt Mitgliederpolitik) – erfolglos diskutiert. In der Diskussion ging es insb um für die Ratifikation notwendige Änderungen der Arbeitszeitbestimmungen, Rückführungskosten, Kontrollinstrumente usw. Jetzt geht der Diskurs in die nächsthöhere politische Ebene. Die österreichische Regierungsvertretung muss nämlich jedes Jahr bei der IAO-Konferenz berichten, warum das von Österreich mitbeschlossene Hausangestellten-Übereinkommen immer noch nicht ratifiziert wurde.
In einer Zusammenkunft am Rande der Konferenz zum Thema „Der Herausforderung prekärer Arbeit begegnen“ wurden Möglichkeiten aufgezeigt, wie man sich das Instrumentarium der IAO beim Kampf gegen die Prekarisierung in der Arbeitswelt nutzbar machen kann und darüber diskutiert. Eine ILO-Publikation mit entsprechendem Titel* gibt einen umfassenden Überblick über das Phänomen selbst, aber auch über die Ursache-Wirkungs-Ketten einer globalisierten Welt und zeigt anhand gewerkschaftlicher Best-Practice-Beispiele in einigen Ländern (zB Dänemark, Niederlande) Ansatzpunkte auf, wie man sich dagegen positionieren bzw auf die Rechtsetzung Einfluss nehmen könnte.
Für die Tagesordnung der nächsten Konferenz wurde in der 317. Sitzung des Verwaltungsrates als Themen der 103. ILC 2014 „Die Verbesserung des Übereinkommens zur Zwangsarbeit Nr 29“ (einmalige Diskussion)* und „Die Verbesserung des Übergangs von der informellen zur formellen Ökonomie“ (Normsetzung, zweifache Diskussion) ausgewählt. Die informelle Wirtschaft und die wiederkehrende Diskussion des strategischen Ziels des Sozialschutzes (Arbeitsschutzes) sollen die Themen der 104. ILC 2015 sein. In seiner 319. Sitzung hat der Verwaltungsrat darauf aufmerksam gemacht, dass die Mitgliedstaaten sowie deren AG-VertreterInnen und AN-VertreterInnen eingeladen worden waren, bis November 2013 Vorschläge für die Tagesordnung der kommenden Konferenz zu machen, über die in der 320. Sitzung des Verwaltungsrates im Mai 2014 entschieden werden wird.*