BolkovacEin Vergleich der Sozialpolitik Kanadas und Australiens aus österreichischer Sicht

Verlag des ÖGB, Wien 2012, 220 Seiten, broschiert, € 29,90

ROBERTREBHAHN (WIEN)

Die politikwissenschaftliche Dissertation an der Universität Wien untersucht, warum zwei Staaten mit sehr ähnlicher politischer Struktur doch deutlich unterschiedliche Ergebnisse im Bereich der Sozialpolitik haben. Der erste Hauptteil legt die politischen Strukturen der beiden Staaten (Parteien, Regierung und Parlament, Interessengruppen und Föderalismus) dar, wobei auch auf die Entwicklung ausführlich eingegangen wird. Im zweiten Hauptteil werden sodann die Hauptfelder der Sozialpolitik in den beiden Staaten erörtert. Martin Bolkovac schildert jeweils die aktuelle Situation wie auch ausführlich die historische Entwicklung und die Faktoren, die auf diese Einfluss genommen haben. Etwas zu kurz kommt allerdings die Verheißung des Titelteiles „aus österreichischer Sicht“.

Kanada hat vor allem ein stark ausgebautes, universalistisches öffentliches Gesundheitssystem (dies auch in deutlichem Gegensatz zu den USA). Die Pensionen der staatlichen Altersvorsorge haben zwar nur geringe Höhe, verhindern aber weitgehend Altersarmut. Die Leistungen bei Arbeitslosigkeit haben eine relativ hohe Ersatzrate, sind aber zeitlich begrenzt; die Anforderungen an die Arbeitsbereitschaft sind sehr hoch (so entfällt bei Selbstkündigung der Anspruch auf die Dauer). Letzteres gilt auch für die Sozialhilfe, deren Höhe deutlich unter der Armutsgrenze bleibt. In Anbetracht dieses Befundes kann man daher – wohl mit dem Verfasser – daran zweifeln, ob die Eingruppierung Kanadas in das liberale Modell von welfare voll zutrifft.

Für Australien trifft diese Einordnung hingegen voll zu. Dort gibt es kaum eine Sozialpolitik wie in Europa. Die staatliche Pension ist für alle gleich hoch (für Alleinstehende 25 % des Durchschnittslohnes); dazu tritt eine verpflichtende private Altersvorsorge. Auch andere Geldleistungen sind nicht einkommensabhängig, sondern sollen nur eine Grundversorgung bieten, und zwar bei Bedürftigkeit. Dementsprechend gibt es auch keine materiellen Unterschiede zwischen Leistungen an Arbeitslose und Sozialhilfe; sie erhalten eine Pauschalsumme. Der Druck zur Arbeitsaufnahme ist hoch (workfare), erwartet wird auch Gemeinschaftsarbeit. Es gibt eine staatliche Gesundheitsvorsorge für alle, der Staat übt aber Druck zum Abschluss privater Krankenversicherungen aus.

Auch wenn der Anteil der Sozialausgaben am BIP in beiden Staaten etwa gleich hoch ist (16 bzw 16,9 %; Österreich 26 %), sind die Ausgestaltungen doch deutlich verschieden. Der Autor erklärt den Unterschied durch zwei Faktoren. Erstens waren in Kanada in den letzten Jahrzehnten überwiegend (links-)liberale Regierungen am Werk, während in Australien überwiegend eine rechtsgerichtete Koalition dominierte (überdies entspricht die sozialpolitische Zurückhaltung der Grundstimmung der Bevölkerung). Zweitens gibt es – nur – in Kanada eine Provinz, nämlich Quebec, die eine starke Stellung im Staat hat (Separationsdrohung; verfassungsrechtlicher veto-player) und deren Regierung sozialpolitisch aktiv ist.

Das gut lesbare Buch bietet sehr interessante Einblicke in die Sozialpolitik von zwei Industriestaaten, die man bei uns selten näher betrachtet.