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Schriftform, Kundmachung und rückwirkende Geltung einer Betriebsvereinbarung

DIETERWEISS (LINZ)
  1. Werden die Änderungen einer BV auf – ebenso wie in der ursprünglichen BV paraphierten – Austauschblättern festgehalten, ist dem Schriftformgebot Genüge getan; eine vollständige Unterschrift der handelnden Personen ist nicht erforderlich. Ein übertriebener Formalismus ist zu vermeiden.

  2. Die Formerfordernisse für die Kundmachung einer BV dürfen nicht überspannt werden. Die konkret erforderliche Form ergibt sich aus den Bedürfnissen des jeweiligen Betriebes. Durch den Hinweis auf die BV sowie deren Veröffentlichung im Intranet erfolgt jedenfalls dann eine ausreichende Kundmachung, wenn der Text der BV auch in gesicherter Form beim BR oder beim Betriebsinhaber (BI) eingesehen werden kann. Dass die im Intranet veröffentlichte Textdatei selbst keine Unterschriften der Betriebsvereinbarungsparteien enthielt, ist dabei unschädlich.

  3. Es ist zulässig, Betriebsvereinbarungen hinsichtlich noch nicht ausgeschiedener AN auch rückwirkend zu schließen. Die Partner der BV haben dabei aber verschiedene Grenzen der Verhältnismäßigkeit und der Begründbarkeit zu beachten.

Die Kl war vom 1.12.2009 bis 31.8.2010 in der Filiale der Bekl in D als Verkaufsmitarbeiterin beschäftigt. In ihrem Dienstvertrag war vereinbart, dass sie zusätzlich zum laufenden Bezug ab 1.3.2010 am variablen Vergütungssystem für Verkaufsmitarbeiter gemäß der jeweils gültigen BV „Vergütung“ teilnimmt. Bis zum Inkrafttreten dieser BV sollten die im Vertragsanhang beschriebenen Konditionen, ua für eine nach oben hin offene Bonifikation, gelten, die mit Inkrafttreten der neuen BV gegenstandslos und durch diese ersetzt würden.

Zwischen der Bekl, vertreten durch die Geschäftsführung, und ihrem BR wurde im Dezember 2009 eine „BV über ein Vergütungssystem“ abgeschlossen, die vorsieht:

„... 2.6.1.5 Bonifikation für VerkaufsmitarbeiterZusätzlich zum monatlichen Verdienst hat der Verkaufsmitarbeiter die Möglichkeit, eine jährliche Bonifikation zu bekommen. Diese Bonifikation beginnt mit einer jährlichen Zielerreichung ab 101 % (kaufmännisch gerundet) und ist nach oben hin offen. Die Parameter, welche zur Zielerreichung herangezogen werden, sind im Anhang definiert. ...“

Der Anhang der BV enthält die nähere Bonifikationsregelung für die Verkaufsmitarbeiter. Darin ist auf den S 24 und 25 festgehalten, dass zur Zielerreichung für die Bonifikation drei – im Einzelnen näher erläuterte – Parameter heranzuziehen sind. Als Zielerreichungsgruppen für die Bonifikation der Verkaufsmitarbeiter wurden vorgegeben:

101 % bis 110 %5.000 € brutto
111 % bis 120 %10.000 € brutto
121 % bis 130 %20.000 € brutto
über 131 %150 € brutto extra pro Prozentpunkt

Die BV wurde am 22. 12. 2009 von Vertretern der Geschäftsführung der Bekl, am 23.12.2009 von der Personalverantwortlichen der Bekl und am 28.12.2009 von der Betriebsratsvorsitzenden unterzeichnet. Darüber hinaus trägt jede einzelne Seite der BV sowie jede einzelne Seite der Anhänge jeweils eine Paraphe der Personalverantwortlichen sowie der Betriebsratsvorsitzenden. Am 29.12.2009 wurde den Mitarbeitern der Bekl unter dem Betreff „BV Vergütung 2010“ ein E-Mail geschickt, in dem der Abschluss der BV mit Gültigkeit ab 1.1.2010 sowie ein Link, der zur neuen BV führte, bekannt gegeben wurde. Auch die Kl erhielt dieses E-Mail. Die BV wurde in das Organisationshandbuch (OHB) in das Intranet der Bekl gestellt.

Die Bekl hatte mit dem in der BV eingeführten Vergütungssystem keine Erfahrung. Nach dem ersten Quartal 2010 ergaben sich in Bezug auf einen der drei Parameter Überzielerreichungen bis zu 450 %. Für die Geschäftsführung war erkennbar, dass bei Beibehaltung des Modells im Bereich der Vergütung äußerst hohe Jahressummen zum Jahresende an die Verkaufsmitarbeiter auszuzahlen wären. Die Personalverantwortliche teilte der Betriebsratsvorsitzenden mit, dass die BV im Punkt der Vergütungsregelung aufgeschnürt werden müsse, da die Vergütungszahlungen sonst zum Untergang des Unternehmens führen würden. Der Vorschlag einer 150 %-Deckelung stand im Raum.

Am 25.3.2010 wurde den Vertriebsmitarbeitern in einem E-Mail angekündigt, dass es zwei Adaptierungen geben würde. Ua wurde festgehalten, es entspreche ein „90+ Wert von 0 % gleich 150 % Zielerreichung, welche somit auch den Maximalwert der möglichen Zielerreichung darstellt. Die damit verbundenen Änderungen in der Betriebsvereinbarungsvergütung sowie eine neue Version der BV finden Sie ebenfalls morgen auf dem OHB“. Dieses E-Mail hat die Kl erhalten.

Am 8.4.2010 richtete der Direktor für das Privatkundengeschäft der Bekl ein E-Mail mit dem Betreff „Jahresbonifikation“ an die Vertriebsmitarbeiter, in dem der Beschluss der Geschäftsführung bekanntgegeben wurde, aufgrund betriebswirtschaftlicher und ethischer Aspekte die Jahresbonifikation für alle Mitarbeiter im Filialbetrieb je Sparte mit maximal 150 % Zielerreichung zu reglementieren. Selbstverständlich sei diese notwendige Anpassung unter Einbindung des BR vorgenommen worden. Auch dieses E-Mail hat die Kl erhalten. In der Folge setzte sich der Regionalleiter telefonisch mit sämtlichen Mitarbeitern der Bekl in der Filiale in D, somit auch mit der Kl, in Verbindung und teilte die Neuerung betreffend die Bonifikation mit.

Formal erfolgte die Änderung der BV dergestalt, dass die Personalverantwortliche im Auftrag der Geschäftsführung und die Betriebsratsvorsitzende im Anhang der BV die ursprünglichen S 24 und 25 gegen neue S 24 und 25 austauschten, auf denen zu den Parametern 90+ Wert und CBP-Zielerreichung in den FN 6 und 7 festgehalten war, dass die Zielerreichung jeweils bei 150 % gedeckelt ist. Die Gegenüberstellung der ursprünglichen mit der abgeänderten BV zeigt überdies,507 dass im Haupttext unter Pkt 2.6.1.5 der Passus „und ist nach oben hin offen“ gestrichen wurde. Die Austauschblätter sind wiederum von der Personalverantwortlichen und der Betriebsratsvorsitzenden paraphiert. Sie weisen das ursprüngliche Datum 22.12.2009 auf.

Die veränderte BV wurde im Original im Büro der Personalchefin und in Kopie bei der Betriebsratsvorsitzenden aufgelegt und am 8. 4. 2010 als nicht unterschriebene Textdatei in das OHB in das Intranet der Bekl gestellt.

Die Kl war zu Beginn ihres Dienstverhältnisses darauf hingewiesen worden, dass Betriebsvereinbarungen im OHB im Intranet der Bekl veröffentlicht werden. Ihr war der Speicherort von Betriebsvereinbarungen im OHB im Intranet der Bekl bekannt. Sie hatte die Möglichkeit, auf diesen Speicherort zuzugreifen und damit auch die geänderte Version der BV einzusehen. Bei der Bekl ist es üblich, dass die Betriebsvereinbarungen im OHB veröffentlicht werden. Als die Kl im April 2010 das E-Mail erhielt, hatte sie sich mit ihrer Jahresbonifikation noch nicht mehr beschäftigt. Das Thema wurde für sie erst aktuell, als sie sich entschloss, die Bekl zu verlassen.

Die Kl bringt vor, die Deckelung der Provision sei unwirksam. [...]

Die Bekl bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte die rechtswirksame Deckelung des Bonifikationsanspruchs ein. [...]

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. [...]

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl Folge. [...]

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Bekl die Abänderung des Berufungsurteils iS einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kl beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr keine Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Die Bekl macht im Wesentlichen geltend, dass das Berufungsgericht mit seiner Rechtsansicht die Formerfordernisse für Betriebsvereinbarungen überspanne. Dazu ist Folgendes zu erwägen:

1. Gem § 29 ArbVG sind Betriebsvereinbarungen schriftliche Vereinbarungen, die vom BI einerseits und dem BR andererseits in Angelegenheiten abgeschlossen werden, deren Regelung durch Gesetz oder KollV der BV vorbehalten ist.

Das Schriftformerfordernis gilt auch für die Abänderung von Betriebsvereinbarungen (Kietaibl in

Tomandl
, ArbVG § 29 Rz 11 mwN).

Gem § 30 Abs 1 ArbVG sind Betriebsvereinbarungen vom BI oder vom BR im Betrieb aufzulegen oder an sichtbarer für alle AN zugänglicher Stelle anzuschlagen.

Es ist daher zwischen dem Abschluss der BV und ihrer Kundmachung zu unterscheiden.

2. Im erstinstanzlichen Verfahren hat die Kl zu ihrem Vorbringen, keine schriftliche BV mit einer 150 %-Deckelung erhalten zu haben, explizit erklärt, sich damit gegen die ihrer Ansicht nach unzureichende Kundmachung der BV zu richten.

Zu diesem Punkt legte das Erstgericht mit ausführlicher Begründung dar, dass die Bekanntmachung der Änderungen im Betrieb der Bekl den tatbestandlichen Voraussetzungen einer Kundmachung entsprach. Der erkennende Senat teilt diese Beurteilung sowohl hinsichtlich der methodischen Ableitung als auch im Ergebnis, sodass darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

Hervorzuheben ist, dass im Hinblick auf die Kundmachung einer BV bereits zu OGH8 ObA 170/00h ausgesprochen wurde, dass „die Formerfordernisse, insbesondere aber die Anforderungen an den späteren Nachweis ihrer Einhaltung auch nicht überspannt werden“ dürfen. „Die konkret erforderliche Form ergibt sich jeweils aus den Bedürfnissen des jeweiligen Betriebes. ... Steht fest, dass grundsätzlich eine nach dem Inhalt, der generellen Eignung der Vertragspartner und deren Willen als BV wirksame schriftliche Vereinbarung vorliegt und auch weiters, dass diese ‚aufgelegt wurde‘, so ist auch von einer normativ wirksamen BV auszugehen. Dies gilt, solange nicht behauptet und bewiesen wird, dass die Form der Kundmachung – etwa wegen mangelnder Hinweise im Betrieb – nicht ausreichend war“ (siehe auch RIS-Justiz RS0114617). In der OGH-E 8 ObA 3/12t wurde überdies ausgesprochen, dass auch die Veröffentlichung in einem internen Computernetz mit einem entsprechenden Link zum maßgebenden Text jedenfalls dann eine ausreichende Kundmachung darstellen kann, wenn der Text der BV auch in gesicherter Form beim BR oder beim BI eingesehen werden kann. Auch für den von der Rsp geforderten Hinweis auf eine zur Einsicht aufliegende BV ist die Veröffentlichung im internen Computernetz regelmäßig als ausreichend anzusehen.

Im vorliegenden Fall war die geänderte Fassung im [OHB] im Intranet der Bekl ab 8.4.2010 abrufbar. Die Kl war davor per E-Mail auf die Änderung hingewiesen worden und wusste auch, dass Betriebsvereinbarungen im OHB abrufbar waren. Unschädlich muss dabei sein, dass die im Intranet veröffentlichte Textdatei selbst keine Unterschriften der Betriebsvereinbarungsparteien enthielt, weil es sich insofern nur um eine Art Ausfertigung der geänderten BV handelte. Ausfertigungen tragen jedoch häufig keine Unterschriften von Vertragspartnern oder anderen Urkundenausstellern, ohne dass deshalb Anlass bestünde, an ihrer Übereinstimmung mit dem Original zu zweifeln. Die Kl bringt auch nicht vor, dass die im Intranet veröffentlichte Fassung der geänderten BV nicht der von den Betriebsvereinbarungsparteien beschlossenen Änderung entsprochen hätte. Im konkreten Fall kann daher von einer ausreichenden Kundmachung ausgegangen werden.

3. In der Revision meint die Kl, die Wirksamkeit der geänderten BV scheitere am Schriftlichkeitsgebot.

Das Gebot der Schriftlichkeit bedeutet im Allgemeinen „Unterschriftlichkeit“, es sei denn, das Gesetz sieht ausdrücklich eine Ausnahme vor. Das Erfordernis der Schriftform soll gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können (RIS-Justiz RS0017221). Die Schriftform erfordert grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift unter dem Text (RIS-Justiz RS0078934).

Das Berufungsgericht führt für seine Ansicht, dass die Abänderung der BV aus Gründen der Rechtssicherheit der firmenmäßigen Zeichnung durch die Bekl bedurft hätte, die Entscheidungen OGH9 ObA 178/95 und OGH9 ObA 80/06i ins Treffen. Beiden Entscheidungen liegt jedoch ein Sachverhalt zugrunde, bei dem zwischen den Parteien der BV strittig war, ob eine von der Personallei508tung bzw einem Fachdienstleiter mit dem BR unterzeichnete Vereinbarung überhaupt als BV anzusehen war. Im ersten Fall hatte der Personalleiter dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um keine BV handle. Im zweiten Fall war der Fachdienstleiter zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen nicht bevollmächtigt. Demgegenüber ist im vorliegenden Fall zwischen dem BR und der Bekl in keiner Weise strittig, dass sie die ursprüngliche BV nach ihrem Willen und dem beschlossenen Inhalt abgeändert haben. Auch die entsprechende Befugnis der Personalverantwortlichen als konkret im Auftrag der Geschäftsleitung handelnder Prokuristin steht nicht in Frage. Ein Recht der Kl, sich auf die Unwirksamkeit der BV zu berufen, kann daher nur im Hinblick auf den Zweck des Formgebots des § 29 ArbVG erfolgen.

Dieser wird zwar in den Erläuterungen (RV 840, AB 992 BlgNR XIII. GP) nicht näher spezifiziert. Aus objektiv-teleologischen Erwägungen ist dem Schriftformgebot aber in erster Linie der Zweck beizumessen, den Betriebsvereinbarungsparteien den Inhalt der beabsichtigten BV vor Augen zu führen. Die Schriftform verfolgt darüber hinaus Beweis- und Dokumentationszwecke, muss doch selbst späteren Nachfolgern der bei Abschluss der BV handelnden Personen erkennbar und nachweisbar sein, dass eine BV wirksam zustande gekommen ist und welcher Inhalt vereinbart wurde. Die Publizitätswirkung für den einzelnen AN kann dagegen nicht im Vordergrund stehen, weil diesem Zweck primär die Kundmachung dient.

Dass ein übertriebener Formalismus zwischen den Parteien zu vermeiden ist, geht mit Bedachtnahme auf den jeweiligen Formzweck auch aus verschiedenen Entscheidungen hervor: So wurde zu OGH2 Ob 280/05y ausgesprochen, dass das Schriftformerfordernis für eine Gerichtsstandsvereinbarung (Art 23 Abs 1 EuGVVO) gewährleisten solle, dass ihr die Parteien tatsächlich zugestimmt haben. Andererseits sei jeder mit der kaufmännischen Praxis unvereinbare überspitzte Formalismus zu vermeiden. Die Paraphierung der dort maßgeblichen Händlervereinbarung war unschädlich. Nach der OGH-E 10 Ob 120/07f genügte für die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung, dass die [Urkunde], nicht jedoch der der Urkunde angeschlossene Anhang unterzeichnet war (vgl auch OGH2 Ob 235/05f). Zu OGH5 Ob 208/10i wurde festgehalten, Zweck der in § 29 MRG normierten Formvorschrift sei der Übereilungsschutz des Mieters, aber auch die Beweiserleichterung für die Befristung. Allerdings dürfe die Formvorschrift nicht zum Selbstzweck (zur „Schikane“) degradiert werden. Die Unterschrift des Vermieters bloß auf der ersten Seite der Verlängerungsvereinbarung wurde als ausreichend erachtet.

Im vorliegenden Fall kannten und wollten die Betriebsvereinbarungsparteien die Änderungen, hielten sie auf den Austauschblättern schriftlich fest und paraphierten sie. Die Paraphen auf den Austauschblättern entsprechen erkennbar jenen der ursprünglichen Fassung und können auch für Dritte über die Unterschriftsseite leicht den handelnden Personen zugeordnet werden. Es besteht daher auch kein Zweifel, dass die Änderungen von den ursprünglichen Urkundserrichtern stammen. Da damit jedenfalls nach den Umständen des konkreten Falls die Beweis- und Dokumentationsfunktion erfüllt ist, würde es hier tatsächlich eine Überspannung des Formerfordernisses des § 29 ArbVG bedeuten, im Interesse Dritter zur Erfüllung des Schriftlichkeitsgebots die vollständige Unterschrift der handelnden Personen zu verlangen. Die Änderung der BV ist damit formwirksam zustande gekommen.

4. Damit ist das Vorbringen der Kl zu prüfen, dass der BR nicht berechtigt gewesen sei, rückwirkend in die ihr schon entstandenen Rechte in derart erheblicher Weise einzugreifen.

In der von ihr ins Treffen geführten OGH-E 8 ObA 120/01g wurde diese Aussage in Bezug auf ausgeschiedene AN getroffen, für die ein BR kein Verhandlungsmandat mehr hat (vgl RIS-Justiz RS0050955). Dagegen ist es nach stRsp zulässig, Betriebsvereinbarungen hinsichtlich noch nicht ausgeschiedener AN auch rückwirkend zu schließen (RIS-Justiz RS0028611, zuletzt OGH9 ObA 62/10y). Die Partner der BV haben dabei aber verschiedene Grenzen der Verhältnismäßigkeit und der Begründbarkeit zu beachten, wobei grundsätzlich bei Einschränkungen der mit Anwartschaften verbundenen Rechte auf die durch die unterschiedliche Dauer der Berufsausübung bedingte unterschiedliche Betroffenheit in der Vertrauensposition Bedacht zu nehmen ist (OGH8 ObA 52/03k mit ausführlicher Begründung).

Im vorliegenden Fall ist die angestrebte Deckelung der Bonifikationszahlungen angesichts der sonst gegebenen Unternehmensgefährdung sachlich begründet. Sie entspricht im Hinblick auf diesen Zweck und auf die Lohnsituation der Kl auch dem Verhältnismäßigkeitsgebot. Der Dauer der Berufsausübung kommt hier dagegen keine maßgebliche Rolle zu, weil die Bonuszahlungen – anders als langjährig erworbene Pensionsanwartschaften – von der jeweiligen Jahresleistung der Verkaufsmitarbeiter abhängen. Auch wird bei einer lediglich drei Monate rückwirkenden Abänderung der Vereinbarung in keine solche Vertrauensposition von AN eingegriffen, die der Änderung einer langjährigen Betriebspensionsanwartschaft vergleichbar wäre. Umso weniger könnte dies für die Kl gelten, weil sie erst ab 1.3.2010 ungedeckelt bonusberechtigt sein sollte, die Deckelung aber schon am 8.4.2010 beschlossen wurde.

Damit ist die Kl insgesamt zu Unrecht der Ansicht, dass die Abänderung der BV mit Wirkung für ab 1.1.2010 erwirtschaftete Bonifikationsansprüche keine Gültigkeit für sie hätte.

5. Auf die Erwägungen der Bekl in der Revision zur Änderung von S 10 der BV muss nicht mehr eingegangen werden.

Soweit die Kl auch in der Revisionsbeantwortung meint, dass die Bekl den Prozess zur Erneuerung der BV nicht eingehalten habe, so ist dieser auf den „Normalfall“ (Pkt 4.1. der BV) bezogen. Entgegen ihrer Ansicht enthält dieser Regelungspunkt auch keinen einseitigen Änderungsvorbehalt zugunsten der Bekl.

Der Revision ist daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen. [...]

Anmerkung
1
Allgemeines

Es kann kein Zweifel daran bestehen: Der OGH hat in dieser E, die drei „Säulen der BV“ betrifft – nämlich das Schriftformgebot, die Notwendigkeit der Kundmachung sowie die Zulässigkeit des Inhalts –, ein sachgerechtes Ergebnis erzielt.509

Maßstab für die „Richtigkeit“ einer E ist freilich nicht (primär bzw nur), ob das erzielte Ergebnis sachgerecht und praktikabel ist bzw – wie dies in einem Case-Law-System der Fall wäre – mit bereits ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen im Einklang steht, sondern ob es sich im Rahmen der (auszulegenden) Gesetze bewegt.

2
(Unter-)Schriftlichkeit

Gerade im Zusammenhang mit der Frage der Reichweite des – aus dem ausdrücklichen Wortlaut des § 29 ArbVG abzuleitenden – Schriftformgebots ist das Bewusstsein hilfreich, dass die Regelungen des Arbeitsrechts nicht quasi „freischwebend“ im Raum stehen, sondern als Teil des Privatrechts grundsätzlich (auch) dessen Regeln unterworfen sind.

Damit ist in diesem Zusammenhang – weil die österreichische Rechtslage (anders als jene in Deutschland seit der Einführung des § 126b BGB durch dBGBl I 2001, 1542) nicht zwischen der Schrift- und der Textform differenziert – § 886 ABGB relevant: Ein Vertrag, für den das Gesetz Schriftlichkeit bestimmt, kommt daher durch die Unterschrift der Parteien zustande (dies ergibt sich im Übrigen auch aus § 30 Abs 2 ArbVG; vgl dazu schon Strasser in

Floretta/Strasser
, ArbVG-HK [1975] § 29 Erl 5).

Nach dem allgemeinen Verständnis ist die Unterschrift der „zum Zeichen der Bestätigung, des Einverständnisses o.Ä. eigenhändig unter ein Schriftstück, einen Text geschriebene Name“ (vgl nur http://www.duden.de/rechtschreibung/Unterschrifthttp://www.duden.de/rechtschreibung/Unterschrift). Schon daraus – und auch aus dem Wort selbst – ergibt sich, dass die Unterschrift den Text räumlich abschließen, also an dessen Ende angebracht werden muss (Rummel in

Rummel
[Hrsg], ABGB3 [2000] § 886 Rz 1; Apathy/Riedler in
Schwimann/Kodek
[Hrsg], ABGB3 [2005] § 886 Rz 1; zur BV: Strasser in ArbVG-HK § 29 Erl 5; ders in
Strasser/Jabornegg/Resch
[Hrsg], ArbVG [2. Lieferung 2002] § 29 Rz 9; vgl auch OGH RIS-Justiz RS0012464 [zum Testament]).

Gem § 18 Abs 2 Satz 1 GmbHG geschieht zwar die Zeichnung der GeschäftsführerInnen für die GmbH in der Weise, dass sie zu der Firma der Gesellschaft ihre Unterschrift hinzufügen; nach hA handelt es sich dabei jedoch um eine bloße Ordnungsvorschrift, sodass es ausreicht, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass die Erklärung für die GmbH abgegeben wird (OGH RIS-Justiz RS0059978, RS0059895; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 [2007] § 18 Rz 10, § 19 Rz 2 mwN).

Nach dem in der E wiedergegebenen Sachverhalt wurde die ursprüngliche BV von den Vertretern der Geschäftsführung – wohl: am Ende – unterzeichnet. Weil jedoch eine Unterschrift unter jede einzelne Seite der BV für deren Wirksamkeit nicht erforderlich ist, muss insofern nicht überlegt werden, ob auch eine Paraphe für die Erfüllung des Schriftformgebots ausreichend wäre (dagegen für den deutschen Rechtsbereich BGH IX ZR 24/97, NJW 1997, 3380 mwN).

Dies scheint jedoch deshalb vertretbar, weil die Unleserlichkeit der Unterschrift deren Wirksamkeit nicht schadet, wenn sie zur eindeutigen Identifikation des Erklärenden geeignet ist (hA; vgl etwa Rummel in

Rummel
, ABGB3 § 886 Rz 3; Apathy/Riedler in
Schwimann/Kodek
, ABGB3 § 886 Rz 9; vgl auch OGH RIS-Justiz RS0023784), und auch durch das Beisetzen der Paraphe – sofern diese zur eindeutigen Identifikation des Erklärenden geeignet ist, wodurch sie sich vom Handzeichen eines des Schreibens Unkundigen bzw Unfähigen (§ 886 Satz 1 zweiter Teil ABGB) unterscheidet – den Zwecken des Schriftformgebots – und zwar nicht nur der besonderen Warnfunktion, sondern auch dem Beweis- und Dokumentationszweck – Genüge getan werden kann (in diese Richtung scheint auch die Argumentation des OGH in der vorliegenden E zu deuten; vgl auch OGH
22
4
1986
, 10 Os 6/86
: Unterfertigung eines Urteils mit Handzeichen wirksam).

Insofern ist jedenfalls die ursprüngliche BV wirksam zustande gekommen. Kernpunkt der E ist freilich die Frage nach der – formvollendeten – Abänderung dieser ursprünglichen BV.

Zutreffend verweist der OGH in diesem Zusammenhang auf die Zwecke des Formgebots und bejaht mit der hA (OGH 16.12.2005, 9 ObA 68/05y; Kietaibl in

Tomandl
, ArbVG [Loseblattausgabe, Stand 2013] § 29 Rz 11) die Geltung des Schriftformgebots auch für Änderungen von Betriebsvereinbarungen.

Gerade bei einer Änderung einer Vereinbarung im gegenständlichen Umfang ist freilich in der Praxis die von den Betriebsvereinbarungsparteien gewählte Vorgangsweise naheliegend, ein umfangreiches Vertragswerk nicht gänzlich neu zu vereinbaren bzw einzelne Bestimmungen in einer gesonderten Vereinbarung abzuändern – was leicht dazu führen kann, dass der geltende Text letztlich schwer eruierbar wird –, sondern jene Seiten auszutauschen, auf denen Änderungen vorgenommen werden und so quasi eine konsolidierte Fassung herzustellen.

In diesem Zusammenhang stellt sich dann die Frage, inwieweit nachträglich Hinzugefügtes bzw Abgeändertes einer neuerlichen Unterschrift bedarf. Auch dabei sind die Zwecke des Normgebots zu beachten, sodass letztlich Ergänzungen, aber auch Abänderungen grundsätzlich einer neuerlichen Unterschrift bedürfen, sofern sie nicht – insb nach ihrem Erscheinungsbild, aber auch ihrem Zusammenhang – als durch die Unterschrift gedeckt anzusehen sind (vgl Rummel in

Rummel
, ABGB3 § 886 Rz 1; OGH RIS-Justiz RS0012460). Dass die Abänderungen im Text der BV als vom Willen der Betriebsvereinbarungsparteien und ihrer Unterschrift gedeckt anzusehen sind, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden, wurden sie doch nicht nur in ihrem Erscheinungsbild den ausgetauschten Seiten der ursprünglichen BV angeglichen – insb übereinstimmend paraphiert und datiert –, sondern auch sowohl im Büro der Personalchefin als auch bei der Betriebsratsvorsitzenden aufgelegt und im Intranet der Bekl veröffentlicht. Auch insofern hat der OGH den wirksamen Abschluss der Änderung der BV zutreffend bejaht.

3
Kundmachung

Voraussetzung für die normative Wirksamkeit einer BV ist freilich nicht nur deren schriftlicher Abschluss, sondern auch ihre Kundmachung gem § 30 ArbVG (vgl Strasser in ArbVG-HK § 30 Erl 2.1.; Wachter, Gedanken zur Publikation arbeitsrechtlicher Vorschriften im Betrieb, ZAS 1976, 169; Cerny in

Cerny/Gahleitner/Kundtner/Preiss/Schneller
, Arbeitsverfassungsrecht 24 [2010] § 30 ArbVG, Erl 1; Kietaibl in
Tomandl
, ArbVG § 30 Rz 1; OGH RIS-Justiz RS0114617; das510 gilt auch für Abänderungen von Betriebsvereinbarungen: OGH 28.1.2009, 9 ObA 168/07g; Cerny in
Cerny
ua, ArbVR 24 § 30 ArbVG, Erl 2.

3.1
Inhalt der Kundmachung

Welche Anforderungen an eine ordnungsgemäße Kundmachung zu stellen sind – nämlich was kundzumachen ist und wie die Kundmachung zu erfolgen hat –, ist aufgrund des Normzwecks des § 30 ArbVG zu beurteilen. Dieser liegt zunächst primär darin, den Normunterworfenen die Kenntnisnahme vom Inhalt der BV zu ermöglichen (vgl Wachter, ZAS 1976, 168 f; Pacic, Die Kundmachung von Betriebsvereinbarungen, taxlex 2008, 33; so schon zum KollVG, das als Kundmachungsart für Arbeitsordnungen nur den Anschlag vorgesehen hat, Borkowetz, KollVG2 [1968] § 23 Erl 1).

Darüber hinaus bezweckt die Kundmachung – ebenso wie die Schriftform – aber wohl auch den Beweis und die Dokumentation des Abschlusses: Es muss den normunterworfenen AN – ebenso wie den späteren Nachfolgern der beim Abschluss der BV handelnden Personen – erkennbar und für sie – etwa bei Geltendmachung von Ansprüchen daraus – nachweisbar sein, dass die BV wirksam zustande gekommen ist und welcher Inhalt vereinbart wurde.

In diesem Sinne betrifft die Kundmachungspflicht des § 30 ArbVG „Betriebsvereinbarungen“ an sich, und nicht etwa bloß deren Text; es ist daher grundsätzlich der gesamte Text einschließlich der Unterschriften kundzumachen (vgl etwa Strasser in ArbVG-HK § 30 Anm 2.1; ders in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 30 Rz 4 würde sich der Zweck der Kundmachung hingegen in der bloßen Information über den Inhalt der BV erschöpfen, wäre die Kundmachung der Unterschriften nicht erforderlich; vgl dazu Bydlinski in
Koziol/Bydlinski/Bollenberger
[Hrsg], ABGB3 § 886 Rz 7).

3.2
Form der Kundmachung

Nach dieser Bestimmung sind Betriebsvereinbarungen „im Betrieb aufzulegen oder an sichtbarer für alle AN zugänglicher Stelle anzuschlagen“. Eine elektronische Kundmachung etwa in einem internen Computernetz („Intranet“) ist nicht vorgesehen, iS einer dynamischen Interpretation aber grundsätzlich jedenfalls zulässig (vgl dazu auch Risak, ZAS 2001, 175; differenzierend Reissner in

Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 [2012] § 30 ArbVG, Rz 8; OGH 26.7.2012, 8 ObA 3/12t).

Voraussetzung dafür ist freilich, dass dadurch den Zwecken der Kundmachung Genüge getan wird; allein dass eine bestimmte – diese Voraussetzungen nicht erfüllende – Vorgangsweise in einem Betrieb „üblich“ ist, vermag ihre Rechtmäßigkeit nicht zu begründen.

Erste Voraussetzung ist daher, dass alle AN im Geltungsbereich der BV Zugang zur Veröffentlichung im Intranet haben (vgl dazu auch Reissner, DRdA 2010, 497; Kietaibl in

Tomandl
, ArbVG § 30 Rz 5); davon kann im vorliegenden Fall wohl – auch wenn das dem wiedergegebenen Sachverhalt nicht zu entnehmen ist – ausgegangen werden.

Im solchermaßen zugänglichen Intranet muss entweder der Text in gesicherter Form – also unterschrieben bzw elektronisch signiert – verfügbar sein, was dem „Anschlag am schwarzen Brett“ entspricht.

Wenn die BV im Betrieb in Papierform aufgelegt wird, reicht alternativ ein Hinweis auf den Abschluss und die Einsichtsmöglichkeiten (vgl nur OGH RIS-Justiz RS0124518; Strasser/Jabornegg, ArbVG3 [1999] § 30 Anm 1c), der sich jedoch auf die konkret abgeschlossene BV beziehen muss; ein pauschaler Hinweis, dass „alle Betriebsvereinbarungen im Personalbüro aufliegen“, genügt hingegen nicht (vgl Reissner, DRdA 2010, 497; Kietaibl in

Tomandl
, ArbVG § 30 Rz 5). Dabei ist freilich zu beachten, dass der Ort der Auflage für alle von der BV erfassten AN leicht zugänglich sein muss (vgl nur Reissner, DRdA 2010, 497), was insb in Betrieben mit weit verstreuten Arbeitsstätten problematisch sein kann, sodass eine mehrfache Auflage erforderlich ist (vgl etwa Strasser in
Strasser/Resch/Jabornegg
, ArbVG § 30 Rz 4; Cerny in
Cerny
ua, ArbVR4 § 30 ArbVG, Erl 2; Kietaibl in
Tomandl
, ArbVG § 30 Rz 5; Wachter, ZAS 1976, 172 f).

Wenn freilich der gesamte Text der BV – jedoch ohne Unterschriften, sodass an sich die Voraussetzungen des „Anschlags“ nicht zur Gänze erfüllt sind – im Intranet veröffentlicht wird und dadurch der vorrangige Zweck der Kundmachung erfüllt ist, reicht wohl auch eine eingeschränkte Möglichkeit des Zugangs zur aufgelegten BV – etwa indem diese nur in der Zentrale aufgelegt wird – für eine ordnungsgemäße Kundmachung aus.

4
Rückwirkende Änderung

Die grundsätzliche Möglichkeit der Parteien der BV, aus dieser abzuleitende Rechte abzuändern oder auch einzuschränken, ergibt sich schon aus ihrer Befugnis, diese Rechte von vornherein nicht oder anders zu schaffen. Weil jedoch ein besonderes Spannungsverhältnis zur Rechtssicherheit besteht, muss die Aufhebung oder Abänderung von Rechten, die zunächst eingeräumt wurden, sachlich begründet sein; ohne solche Rechtfertigung widerspräche der Eingriff dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz (vgl OGH RIS-Justiz RS0028611, RS0119228; zur Rückwirkung von Gesetzen RIS-Justiz RS0008687).

Dem in der E wiedergegebenen Sachverhalt sind die dafür erforderlichen Tatsachen freilich nur unvollständig zu entnehmen. Geht man jedoch davon aus, dass der ungedeckelte Bonifikationsanspruch der Kl – wie vorgebracht – insgesamt tatsächlich beinahe € 12.000,– brutto monatlich betragen hätte, erscheint die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der Bekl nachvollziehbar.

In Anbetracht dessen und weil die Änderung für die von der BV ab Beginn erfassten AN nur drei Monate nach Inkrafttreten erfolgt ist, aber auch weil zu diesem Zeitpunkt – aufgrund des Abstellens auf eine jährliche Zielerreichung – wohl noch kein AN tatsächlich eine (über den gedeckelten Anspruch hinausgehende) Anwartschaft erworben hatte, wurde vom OGH auch die sachliche Rechtfertigung der Änderung der BV zutreffend bejaht.

5
Zusammenfassung

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass mit der vorliegenden E nicht nur ein sachgerechtes Ergebnis erzielt wurde, sondern ihr auch in dogmatischer Hinsicht zuzustimmen ist.511