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Mittelbare Entgeltdiskriminierung auf Grund des Geschlechts

CHRISTOPHKIETAIBL (WIEN)
Art 141 EG (jetzt 157 AEUV); RL 75/117/EWG (jetzt RL 2006/54/EG)

Art 141 EG und die RL 75/117/EWG über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen sind dahin auszulegen, dass

  • AN gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, wenn sie unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren, wie Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen, als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können, was vom nationalen Gericht zu beurteilen ist;

  • im Rahmen einer mittelbaren Entgeltdiskriminierung der AG eine sachliche Rechtfertigung des festgestellten Entgeltunterschieds zwischen den AN, die sich für diskriminiert halten, und den Vergleichspersonen beizubringen hat;

  • sich die Rechtfertigung des AG für den Entgeltunterschied, der auf eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts hindeutet, auf die Vergleichspersonen beziehen muss, die, da ihre Situation durch statistische Angaben gekennzeichnet ist, die sich auf eine ausreichende Zahl von Personen beziehen, nicht rein zufällige oder konjunkturelle Erscheinungen widerspiegeln und generell gesehen als aussagekräftig erscheinen, vom nationalen Gericht für die Feststellung dieses Unterschieds berücksichtigt worden sind, und

  • das Interesse an guten Arbeitsbeziehungen vom nationalen Gericht neben anderen Umständen berücksichtigt werden kann, die ihm die Beurteilung erlauben, ob das unterschiedliche Entgelt für zwei Gruppen von AN durch objektive Faktoren bedingt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben und mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Einklang stehen.

[...]

9. Die Kl des Ausgangsverfahrens sind Beamtinnen, die beim Minister beschäftigt und als Verwaltungssekretärinnen mit Verwaltungstätigkeiten in An Garda Síochána (Landespolizei) betraut sind. Nach ihrem Vorbringen leisten sie die gleiche Arbeit wie männliche Beschäftigte von An Garda Síochána, die auf speziellen Stellen, die den Mitgliedern dieser Polizei vorbehalten sind und die als „bezeichnete“ oder „vorbehaltene“ Stellen bezeichnet werden, ebenfalls mit Verwaltungsaufgaben betraut sind. [...]

11. Der Labour Court stellte fest, dass das Verhältnis zwischen Männern und Frauen in den betreffenden Gruppen auf den ersten Anschein auf eine mittelbare Entgeltdiskriminierung hindeute, da es bei der Einreichung der ersten acht Klagen im Juli 2000 einerseits 353 bezeichnete Stellen, die mit Polizeibeamten, davon 279 männlichen Geschlechts und 74 weiblichen Geschlechts, besetzt gewesen seien, und andererseits 761 hauptsächlich weibliche Verwaltungssekretäre gegeben habe. Der Labour Court stellte außerdem fest, dass es zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Mai 2007 insgesamt 298 bezeichnete Stellen gegeben habe und dass die Bekl beabsichtigten, diese Zahl bis auf 219 abzubauen. [...]

13. Nach den Ausführungen des Ministers ist die Verwendung der Mitglieder von An Garda Síochána auf vorbehaltenen Verwaltungsstellen, nämlich den bezeichneten Stellen, zur Erfüllung des operativen Bedarfs gerechtfertigt. Zur Befriedigung dieses Bedarfs sei es angemessen und erforderlich, den auf diesen Stellen verwendeten Polizeibeamten Dienstbezüge in der ihrem Dienstgrad als Mitglieder von An Garda Síochána entsprechenden Höhe zu gewähren.

14. Ferner sei die Zahl der bezeichneten Stellen durch eine Vereinbarung zwischen der Führung und den Personalvertretungsgremien von An Garda Síochána im Rahmen eines Verfahrens zum Abbau dieser Stellen unter der Bezeichnung „civilianisation“ (Umwandlung in Zivilbeamtenstellen) festgelegt worden. Zwar räumte der Minister ein, dass es eine beschränkte Zahl bezeichneter Stellen gebe, für die kein echter operativer Bedarf vorliege, doch machte er geltend, dass diese Stellen nicht repräsentativ für die bezeichneten Stellen im Allgemeinen seien, für die es polizeilicher Kenntnisse und Erfahrungen bedürfe.

15. [...] Ferner stellte der Labour Court in dieser E fest, dass die Gewährung der Dienstbezüge in der Höhe der Bezüge der Mitglieder von An Garda Síochána dem verfolgten Zweck entspreche, da es offensichtlich ungerecht und nicht praktikabel wäre, die Besoldung der auf diesen Stellen verwendeten Mitglieder von An Garda Síochána zu kürzen. Außerdem ergebe sich aus der begrenzten Zahl bezeichneter Stellen, dass die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Vereinbarungen während der Vollendung des Verfahrens der „civilianisation“ dem operativen Bedarf angemessen sei. [...]

17. Vor diesem Hintergrund hat der High Court das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  1. Hat der AG, wenn der Anschein mittelbarer Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts unter Verstoß gegen Art 141 EG und gegen die RL 75/117 vorliegt, zum Nachweis der sachlichen Rechtfertigung25

    1. die Verwendung der Vergleichspersonen auf den mit ihnen besetzten Stellen,

    2. das höhere Entgelt für die Vergleichspersonen oder

    3. das niedrigere Entgelt für die Kl des Ausgangsverfahrens zu rechtfertigen?

  2. Hat der AG, wenn der Anschein mittelbarer Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts vorliegt, zum Nachweis der sachlichen Rechtfertigung Rechtfertigungsgründe hinsichtlich

    1. der von den Anspruchstellern ausgewählten Vergleichspersonen und/oder

    2. der Dienststellen von Vergleichspersonen im Allgemeinen anzuführen?

  3. Ist, falls Frage 2 Buchst b zu bejahen ist, die sachliche Rechtfertigung nachgewiesen, auch wenn sie für die ausgewählten Vergleichspersonen keine Geltung besitzt?

  4. Hat der Labour Court gemeinschaftsrechtlich fehlerhaft angenommen, dass das „Interesse an guten Arbeitsbeziehungen“ bei der Prüfung der Frage, ob der AG den Entgeltunterschied sachlich rechtfertigen kann, zu berücksichtigen sei?

  5. Kann, wenn der Anschein mittelbarer Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts vorliegt, die sachliche Rechtfertigung unter Berufung auf das Anliegen des Bekl hinsichtlich der Arbeitsbeziehungen nachgewiesen werden? Ist ein derartiges Anliegen von irgendeiner Bedeutung bei der Prüfung der sachlichen Rechtfertigung? [...]

18. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es nach den üblichen Beweisführungsregeln grundsätzlich dem AN, der sich aufgrund seines Geschlechts hinsichtlich des Arbeitsentgelts für diskriminiert hält, obliegt, vor dem nationalen Gericht nachzuweisen, dass die Voraussetzungen, unter denen das Vorliegen einer nach Art 141 EG und der RL 75/117 verbotenen das Entgelt betreffenden Ungleichbehandlung vermutet werden kann, erfüllt sind (vgl in diesem Sinne Urteil vom 26.6.2001, Brunnhofer, C-381/99, Slg 2001, I-4961, Rn 52, 53 und 57). [...]

20. Falls der AN den Beweis erbringt, dass die Kriterien für das Vorliegen einer unterschiedlichen Entlohnung eines Mannes und einer Frau sowie einer vergleichbaren Arbeit im konkreten Fall erfüllt sind, so spräche ein erster Anschein für eine Diskriminierung. Es obläge dann dem AG, zu beweisen, dass nicht gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen verstoßen wurde, indem er mit allen rechtlich vorgesehenen Mitteln insb nachweist, dass die von den beiden betroffenen AN tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten in Wirklichkeit nicht vergleichbar sind oder dass die festgestellte unterschiedliche Entlohnung durch objektive Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt ist (vgl in diesem Sinne Urteil Brunnhofer, Rn 59 bis 62). [...]

22. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass von den Voraussetzungen für die Vermutung einer mittelbaren Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts im Ausgangsverfahren nur der Unterschied beim Entgelt nachgewiesen zu sein scheint. In Bezug auf die Voraussetzung einer vergleichbaren Arbeit, wie sie sich aus Rn 12 dieses Urteils ergibt, beschloss der Labour Court im Einvernehmen mit den Parteien des Ausgangsverfahrens, vorab die Frage der möglichen sachlichen Rechtfertigung für diesen Entgeltunterschied zu prüfen. Zu diesem Zweck unterstellte er, dass die Kl des Ausgangsverfahrens und die ausgewählten Vergleichspersonen gleiche Arbeit verrichteten. [...]

26. Unter solchen Umständen obliegt die notwendige Prüfung, ob die betreffenden AN gleiche oder zumindest als gleichwertig anerkannte Arbeit verrichteten, dem nationalen Gericht, das allein für die Ermittlung und Würdigung des Sachverhalts im Hinblick auf die konkrete Natur der von den Betroffenen ausgeübten Tätigkeiten zuständig ist (vgl in diesem Sinne Urteile vom 30.3.2000, JämO, C-236/98, Slg 2000, I-2189, Rn 48, und Brunnhofer, Rn 49). In einem Vorabentscheidungsverfahren ist jedoch der Gerichtshof, der die Fragen des vorlegenden Gerichts sachdienlich zu beantworten hat, dafür zuständig, auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen dem vorlegenden Gericht Hinweise zu geben, die ihm die E ermöglichen (vgl Urteil vom 9.2.1999, Seymour-Smith und Perez, C-167/97, Slg 1999, I-623, Rn 67 und 68). [...]

28. Wenn verschiedene AN-Gruppen, die nicht dieselbe Berufsberechtigung oder -qualifikation für die Ausübung ihres Berufs besitzen, eine anscheinend identische Tätigkeit ausüben, ist also zu prüfen, ob sie – unter Berücksichtigung der Art der Aufgaben, die den einzelnen AN-Gruppen jeweils übertragen werden können, der an die Ausübung dieser Tätigkeiten geknüpften Ausbildungserfordernisse und der Arbeitsbedingungen, unter denen die Tätigkeiten ausgeübt werden – eine gleiche Arbeit iS von Art 141 EG ausüben (Urteil Angestelltenbetriebsrat der Wiener Gebietskrankenkasse, Rn 18).

29. Die Berufsausbildung stellt nämlich nicht nur einen Faktor dar, der eine unterschiedliche Vergütung für AN, die die gleiche Arbeit verrichten, objektiv rechtfertigen kann. Sie gehört vielmehr auch zu den Kriterien, anhand deren sich feststellen lässt, ob die AN die gleiche Arbeit verrichten (Urteil Angestelltenbetriebsrat der Wiener Gebietskrankenkasse, Rn 19).

30. Im Ausgangsverfahren geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass die Berufsberechtigung oder -qualifikation der Verwaltungssekretäre einerseits und der auf den bezeichneten Stellen verwendeten Mitglieder von An Garda Síochána andererseits Unterschiede aufweist.

31. Unter diesen Umständen müsste, falls das vorlegende Gericht feststellt, dass es keine sachliche Rechtfertigung für den fraglichen Entgeltunterschied gibt, dieses Gericht oder der Labour Court prüfen, ob unter Berücksichtigung der Art der Aufgaben, die den einzelnen AN-Gruppen jeweils übertragen werden können, der an die Ausübung dieser Tätigkeiten geknüpften Ausbildungserfordernisse und der Arbeitsbedingungen, unter denen die Tätigkeiten ausgeübt werden, diese verschiedenen Gruppen von AN die gleiche Arbeit iS von Art 141 EG und der RL 75/117 verrichten.

32. Wie hierzu aus den Akten, über die der Gerichtshof verfügt, und den Erklärungen der 26Parteien des Ausgangsverfahrens hervorgeht, herrscht zwischen den Parteien Uneinigkeit über die Zahl der auf den bezeichneten Stellen verwendeten Mitglieder von An Garda Síochána, die nur Verwaltungsaufgaben erfüllen, und der Zahl derjenigen, die daneben operative Aufgaben wie die Kommunikation mit dem Europäischen Polizeiamt (Europol) oder Interpol wahrnehmen sollen, die sich von den Aufgaben unterscheiden, die von den Verwaltungssekretären wahrgenommen werden.

33. Irland hat jedoch in seinen schriftlichen Erklärungen und in der Sitzung geltend gemacht, dass alle auf den bezeichneten Stellen verwendeten Mitglieder von An Garda Síochána unter außergewöhnlichen Umständen für den operativen Bedarf zum Außendienst herangezogen werden könnten.

34. Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, gegebenenfalls zu prüfen, ob unter Berücksichtigung der Art der Aufgaben, die einzelnen auf den bezeichneten Stellen verwendeten Mitgliedern von An Garda Síochána übertragen werden können, sowie der Arbeitsbedingungen dieser Mitglieder und der für die verschiedenen Gruppen der betreffenden AN verlangten Ausbildung die dem Anschein nach gleiche Tätigkeit, die von den auf den bezeichneten Stellen verwendeten Mitgliedern von An Garda Síochána und von den Verwaltungssekretären verrichtet wird, als „gleiche Arbeit“ iS von Art 141 EG eingestuft werden kann.

35. Mit seinen Fragen, die gemeinsam zu behandeln sind, ersucht das vorlegende Gericht um eine Klärung im Licht von Art 141 EG und der RL 75/117, worin die Rechtfertigung des AG bei einer dem Anschein nach vorliegenden mittelbaren Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts bestehen muss, auf welche AN sich eine solche Rechtfertigung beziehen muss und ob das Interesse an guten Arbeitsbeziehungen bei der Prüfung dieser Rechtfertigung berücksichtigt werden kann. [...]

38. Entgegen der offensichtlichen Annahme des vorlegenden Gerichts geht es [...] nicht darum, die Höhe des den jeweiligen Vergleichsgruppen gezahlten Entgelts oder die Verwendung der AN in der einen oder der anderen Gruppe zu rechtfertigen, sondern vielmehr um die Rechtfertigung des unterschiedlichen Entgelts selbst. [...]

42. Was zweitens die Gruppe der AN angeht, auf die sich eine solche Rechtfertigung beziehen muss, so liegt, wenn für die Stellen einer Gruppe von AN ein erheblich niedrigeres Entgelt vorgesehen ist als für die Stellen einer anderen Gruppe und wenn die erstgenannten Stellen fast ausschließlich mit Frauen, die letztgenannten aber hauptsächlich mit Männern besetzt sind, dem ersten Anschein nach eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts jedenfalls dann vor, wenn die Tätigkeiten der beiden Gruppen gleichwertig sind und die statistischen Angaben über diese Lage aussagekräftig sind (vgl in diesem Sinne Urteil Enderby, Rn 16). [...]

45. Somit muss sich die Rechtfertigung des AG für den Entgeltunterschied, der auf eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts hindeutet, auf die Vergleichspersonen beziehen, die, da ihre Situation durch statistische Angaben gekennzeichnet ist, die sich auf eine ausreichende Zahl von Personen beziehen, nicht rein zufällige oder konjunkturelle Erscheinungen widerspiegeln und generell gesehen als aussagekräftig erscheinen, vom nationalen Gericht für die Feststellung dieses Unterschieds berücksichtigt worden sind.

46. Was drittens die Frage angeht, ob das Interesse an guten Arbeitsbeziehungen bei der sachlichen Rechtfertigung einer offenkundigen mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts berücksichtigt werden kann, ist darauf hinzuweisen, dass die Gründe, die eine solche Rechtfertigung abgeben können, einem wirklichen Bedürfnis des AG, im vorliegenden Fall des Ministers, entsprechen müssen (vgl in diesem Sinne Urteile vom 13.5.1986, Bilka-Kaufhaus, 170/84, Slg 1986, 1607, Rn 36 und 37, sowie Brunnhofer, Rn 67). [...]

48. Daher steht, wie der Generalanwalt in den Nrn 59 bis 68 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, fest, dass ebenso wie bei Tarifverträgen das Interesse an guten Arbeitsbeziehungen der Beachtung des Grundsatzes des Verbots der Diskriminierung zwischen männlichen und weiblichen AN hinsichtlich des Arbeitsentgelts untergeordnet ist. Dieses Interesse kann somit als solches nicht die einzige Grundlage für die Rechtfertigung einer solchen Diskriminierung sein. [...]

50. Somit kann das Interesse an guten Arbeitsbeziehungen vom nationalen Gericht neben anderen Umständen berücksichtigt werden, die ihm die Beurteilung erlauben, ob das unterschiedliche Entgelt für zwei Gruppen von AN durch objektive Faktoren bedingt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben und mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Einklang stehen. [...]

Anmerkung
1.

Die vorliegende E betrifft zentrale Fragen der mittelbaren Entgeltdiskriminierung auf Grund des Geschlechts. Die dazu in der E enthaltenen Aussagen sind allerdings nicht neu, sondern sie bestätigen die bisherige Rsp des EuGH und fassen diese zusammen. Dass der Entscheidungstenor kaum neue Aussagen zur mittelbaren Entgeltdiskriminierung enthält, liegt an den Vorlagefragen, die angesichts des Sachverhaltes wohl am eigentlichen Problem vorbeigehen.

Im Kern geht es im Ausgangsverfahren wohl um die Frage, ob die Vergleichspersonen eine gleiche oder zumindest vergleichbare Tätigkeit ausüben. Die Kl sind beamtete Verwaltungssekretärinnen, die bei der Landespolizei im Innendienst mit Verwaltungstätigkeiten betraut sind. Manche dieser landespolizeilichen Verwaltungsstellen sind allerdings mit (überwiegend männlichen) Exekutivbeamten (Polizisten) besetzt. Diese in den Innendienst abgestellten Polizisten üben offenbar die gleiche Innendiensttätigkeit aus wie die Kl. Sie erhalten aber wegen ihrer formalen Ausbildung, Qualifikation und der daraus folgenden besoldungsrechtlichen Einstufung als Polizisten ein höheres Gehalt als die Kl; nämlich jenes, das auch den tatsächlich im Außendienst eingesetzten Polizisten entsprechend ihrem jeweiligen Dienstgrad gebührt. Als Rechtfertigung für den Entgeltunterschied führt der 27AG primär an, dass diese in den Innendienst abgestellten Polizisten wegen ihrer polizeilichen Ausbildung in „außergewöhnlichen Situationen“ auch für den Exekutiveinsatz im Außendienst herangezogen werden könnten und daher mangels vergleichbarer Arbeit eine Diskriminierung ausscheidet. Angesichts dieses Sachverhaltes dürfte die entscheidende Frage daher wohl sein, ob unterschiedliche Berufsqualifikationen der AN dem Vorliegen gleicher oder gleichwertiger Arbeit entgegenstehen, wenn die Qualifikation zwar für die tatsächlich (ausschließlich oder zumindest überwiegend) ausgeübte Tätigkeit nicht erforderlich ist, aber zusätzliche Einsatzmöglichkeiten eröffnet.

Dies hat offenbar auch der EuGH erkannt. Zwar hat ihn das vorlegende Gericht nicht danach gefragt, sondern nur nach der Rechtfertigungsmöglichkeit des Entgeltunterschieds für den Fall, dass die Arbeit der Vergleichspersonen gleich oder gleichwertig sein sollte. Dennoch hat sich der EuGH zum Vorliegen gleicher oder gleichwertiger Arbeit über 13 Randnummern hinweg geäußert (Rn 22-34); dies zu Recht, und zwar nicht bloß angesichts des Ausgangssachverhaltes, sondern auch aus prozessualer Sicht. Obwohl die vom vorlegenden Gericht nicht angefragte Beurteilung der Gleichwertigkeit dem weiteren, innerstaatlichen Verfahren vorbehalten ist, kann der EuGH auf Grund der Aktenlage dem Gericht Hinweise für die Beurteilung auch der Gleichwertigkeit der Arbeit geben; also jene aus Sicht des Unionsrechts in Zusammenhang mit dem Ausgangssachverhalt relevanten Kriterien benennen, deren konkretes Vorliegen dann das nationale Gericht im innerstaatlichen Verfahren selbst zu beurteilen hat. In diesem Zusammenhang wiederholt der EuGH zunächst seine bisherige Rsp, wonach die Beurteilung der Gleichheit bzw Gleichwertigkeit der Arbeit zweier AN anhand einer Gesamtschau objektiver Faktoren wie insb Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen zu beurteilen ist. Dabei scheint der EuGH der unterschiedlichen Berufsausbildung entscheidende Bedeutung für das Nichtvorliegen gleicher oder gleichwertiger Arbeit auch dann beizumessen, wenn die Berufsausbildung der einen Vergleichsgruppe für die konkret ausgeübte Tätigkeit nicht wirklich erforderlich ist, sondern bloß zusätzliche, potentielle Einsatzmöglichkeiten eröffnet. Der Gerichtshof wird nicht müde zu betonen, dass das nationale Gericht insb zu prüfen haben wird, ob ungeachtet der an sich gleichen Tätigkeit der zum Innendienst abgestellten Polizisten einerseits und Verwaltungssekretärinnen andererseits das Vorliegen gleicher oder gleichwertiger Arbeit zu verneinen sei, weil den Polizisten wegen deren Exekutivausbildung auch Polizeiaufgaben übertragen werden könnten. Der EuGH scheint dem nationalen Gericht nahe zu legen, dass es im konkreten Fall an der Vergleichbarkeit der Arbeit fehle. Er stützt sich dabei primär auf die EuGH-E 11.5.1999, C-309/97 (Angestelltenbetriebsrat der Gebietskrankenkasse), allerdings erscheint die Übertragbarkeit dieser E auf den vorliegenden Fall nicht zwingend. In dieser E ging es um die Vergleichbarkeit der Arbeit von als Psychotherapeuten eingesetzten Ärzten einerseits und Psychologen andererseits, wobei der EuGH die Vergleichbarkeit wegen der unterschiedlichen Berufsausbildung verneint hat.

Zwar hat er dies auch damit begründet, dass die als Psychotherapeuten eingesetzten Ärzte berufsrechtlich dazu berechtigt sind, auch Tätigkeiten in einem anderen Bereich auszuüben, der den Psychologen, die nur eine Tätigkeit als Psychotherapeut ausüben können, nicht offensteht. Er hat die mangelnde Vergleichbarkeit aber zusätzlich zu den ungleichen Einsatzmöglichkeiten auch darauf gestützt, dass wegen der unterschiedlichen Berufsausbildung von Ärzten und Psychologen auch die von ihnen tatsächlich ausgeübte Psychotherapie keine gleiche oder vergleichbare Tätigkeit ist, weil sie sich bei der Ausübung der Psychotherapie auf in sehr verschiedenen Fachrichtungen erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten stützen. Dieses Element der mangelnden Vergleichbarkeit, dass also die gleiche Tätigkeit auf Grund unterschiedlicher (alternativer) Berufsberechtigungen ausgeübt wird, fehlt im Ausgangssachverhalt der vorliegenden E. Die Polizeiausbildung ist keine alternative Qualifikation zur Ausübung von Büroinnendienst, sondern sie ist dafür von vornherein nicht erforderlich und steht in keinerlei Zusammenhang mit dieser Tätigkeit.

Im vorliegenden Fall bleibt daher nur das Element der zusätzlichen Einsatzmöglichkeiten in anderen Tätigkeitsfeldern, sodass fraglich ist, ob dies allein die Vergleichbarkeit im Hinblick auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit hindert. Aus der E zur Psychotherapie lässt sich dies wie gesagt nicht ableiten, und zwar auch nicht aus dem in dieser E formulierten Rechtssatz, wonach keine gleiche oder vergleichbare Arbeit vorliegt, „wenn eine gleiche Tätigkeit über einen erheblichen Zeitraum von Arbeitnehmern mit unterschiedlicher Berufsberechtigung ausgeübt wird“. Dieser Rechtssatz ist im Kontext des damaligen Ausgangssachverhaltes und in Zusammenschau mit der Entscheidungsbegründung einschränkend dahingehend zu lesen, dass die unterschiedlichen Berufsberechtigungen alternative Qualifikationen oder Ausübungsvoraussetzungen für die gleiche Tätigkeit sind; damals also Medizin- oder Psychologiestudium für die Tätigkeit als Psychotherapeut. Gleichwohl scheint der EuGH in der jetzt vorliegenden E allein das durch eine zusätzliche Ausbildung potentiell weitere Einsatzfeld für die mangelnde Vergleichbarkeit (auch im Hinblick auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit) ausreichen zu lassen. Diese Auffassung ist zwar gut vertretbar, sie ist aber nicht zwingend. Folgt man ihr, so wird man wohl fordern müssen, dass die durch die Berufsausbildung gesteigerten Verwendungsmöglichkeiten vom AG zumindest in gewissem Ausmaß auch real genutzt werden; dies zumindest dann, wenn man die Frage der gleichen oder vergleichbarer Arbeit anhand der real ausgeübten Tätigkeit(en) beurteilt. Letztlich geht es also darum, ob das Vorliegen gleicher oder vergleichbarer Arbeit anhand der real ausgeübten Tätigkeit zu beurteilen ist, oder ob es allein auf das aus dem Arbeitsverhältnis geschuldete (und nach der Ausbildung mögliche) Leistungsspektrum ankommen soll, und zwar auch dann, wenn dieses vom AG nicht oder fast nie (in vollem Ausmaß) abgerufen wird. Die Position des EuGH dazu ist nicht klar, das vorlegende Gericht hat es trotz des einschlägigen Ausgangssachverhaltes leider verabsäumt, den Gerichtshof dazu zu befragen.28

2.

Die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen hätten hingegen keiner Vorlage bedurft und beruhen wohl auf einem falschen Verständnis von Wesen und Konzeption der Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung. Liegt dem ersten Anschein nach eine mittelbare Entgeltdiskriminierung auf Grund des Geschlechts vor, so geht es im Rahmen der daran anschließenden Rechtfertigungsprüfung weder darum, die jeweilige Höhe des den jeweiligen Vergleichsgruppen gezahlten Entgelts als solche zu rechtfertigen, noch darum, die tatsächliche Verwendung der einzelnen AN in der einen oder der anderen Vergleichsgruppe zu rechtfertigen. Maßgeblich ist allein, ob für den Entgeltunterschied selbst eine Rechtfertigung besteht. Die diesbezüglichen Rechtfertigungsanforderungen sind sehr hoch, was aus der stRsp des EuGH sowie aus der Begriffsdefinition der mittelbaren Diskriminierung im Unionsrecht folgt (vgl zB Art 2 Abs 1 lit b RL 2006/54/EG: „...es sei denn, die betreffenden [mittelbar benachteiligenden] Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“). Keineswegs ausreichend ist daher eine schlichte Rechtfertigungsprüfung, sondern vielmehr eine echte Verhältnismäßigkeits- und Erforderlichkeitsprüfung vergleichbar mit der Beurteilung von Grundrechtseingriffen. Das war nicht immer so (dazu Kietaibl, Privatautonomie versus Gleichbehandlung, in

Rebhahn
, Grundrechte statt Arbeitsrecht? [2012] 59). Ursprünglich diente die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung bloß dem erleichterten Nachweis unmittelbarer Diskriminierungen bzw als Schutz vor Umgehungen des unmittelbaren Diskriminierungsverbotes. Konsequenterweise waren damals auch die Rechtfertigungsanforderungen nicht sehr hoch, sondern war jeder sachlich nachvollziehbare (und vom unzulässigen Unterscheidungsmerkmal verschiedene) Differenzierungsgrund ausreichend, um die Umgehungsvermutung auszuräumen. In seiner heutigen Ausprägung dient das Verbot mittelbarer Diskriminierungen aber keineswegs bloß (oder primär) dem erleichterten Nachweis unmittelbarer Diskriminierungen, sondern es verfolgt eigenständige Gleichstellungsziele in Bezug auf tatsächlich benachteiligte Personengruppen. Die Zulässigkeit einer in ihren faktischen Auswirkungen mittelbar benachteiligenden Regelung hängt weniger von Ursache oder Motiv der Regelung ab, sondern primär von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung iS einer umfassenden Abwägung zwischen Gleichstellungsinteressen und Regelungszweck. Die Regelung muss einem wirklichen Bedürfnis des AG entsprechen sowie geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein. Vor dem Hintergrund dieser strengen Rechtfertigungsanforderungen ist wohl klar, dass das „Interesse an guten Arbeitsbeziehungen“ für sich allein genommen niemals eine mittelbar benachteiligende Regelung rechtfertigen kann, sondern nur im Zusammenwirken mit anderen, gewichtige(re)n Gründen.

3.

Insgesamt zeigt die vorliegende E, dass die Sinnhaftigkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens wesentlich von den Fragen des vorlegenden Gerichts abhängt. Der EuGH selbst kann die Vorabentscheidung nur ablehnen, wenn die Vorlagefragen offenkundig keinen Bezug zur Realität und zum Ausgangsverfahren aufweisen. Hingegen muss der EuGH nicht prüfen, ob alle Annahmen des vorlegenden Gerichts begründet sind, oder ob die gestellten Fragen die für den Ausgangsstreit relevanten Rechtsprobleme im Kern treffen. Ergibt sich (so wie in der vorliegenden E) bereits aus der Aktenlage, dass dies nicht der Fall ist, so kann sich der Gerichtshof zwar auch zu den eigentlich relevanten Rechtsfragen äußern. Mitunter scheitert dies aber daran, dass das vorlegende Gericht wesentliche Umstände des Ausgangsverfahrens nicht nennt und damit eine entsprechende Äußerung des EuGH dazu abschneidet. Anschaulich zeigt dies etwa der Vorlagebeschluss des OLG Innsbruck zur Rs C-429/12 (Pohl) betreffend Altersdiskriminierung wegen Nichtanrechnung vor dem 18. Lebensjahr verbrachter Vordienstzeiten. Im Vorabentscheidungsersuchen hat das OLG wesentliche Aspekte einschließlich der nationalen Rechtslage unvollständig wiedergegebenen und da rauf aufbauend auch nicht die für den Ausgangsstreit relevanten Fragen gestellt. Der OGH musste deshalb in einem Parallelverfahren ein zusätzliches Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH richten und hat die Zusammenlegung der beiden Verfahren beantragt; vgl OGH 4.3.2013, 8 Ob 20/13v zu EuGH 23.7.2013, C-417/13, Starjakob.29