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Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit bei der Gewährung sozialer Vergünstigungen

LENAKARASZ (WIEN)
RL 2000/43/EG; RL 2003/109/EG; NÖ ADG
LG St. Pölten 31.1.2013 21 R 16/13fBezirksgericht St. Pölten 9.11.2012 6 C 458/12f
  1. Eine Benachteiligung aufgrund der Staatsbürgerschaft bei der Gewährung sozialer Vergünstigungen stellt eine Diskriminierung aus ethnischen Gründen gem §§ 3 Abs 1 Z 5, 4 Abs 1 und 2 Niederösterreichisches Antidiskriminierungsgesetz (NÖ ADG) dar, wenn die Ungleichbehandlung gesetzlich nicht vorgegeben oder sonst sachlich nicht gerechtfertigt ist (§ 5 Abs 1 Satz 1 NÖ ADG).

  2. „Soziale Vergünstigungen“ iSd Art 3 Abs 1 lit f der RL 2000/43/EG bzw § 3 Abs 1 Z 5 NÖ ADG unterliegen auch dann dem Gleichbehandlungsgebot, wenn sie nur auf Ermessensbasis und unter dem Vorbehalt ausreichender Mittel erbracht werden.

Der Kl ist türkischer Staatsangehöriger, lebt seit 40 Jahren in Österreich und hat den Status eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen iSd RL 2003/109/EG. Er ist seit Abschluss seiner Lehre durchgehend beschäftigt und beantragte am 6.6.2011 bei der Bekl die NÖ Pendlerhilfe für das Jahr 2010 [...]. Die Bekl lehnte die Gewährung dieser Pendlerhilfe über € 450,– mit der Begründung ab, dass der Kl im Antragszeitraum nicht österreichischer Staatsbürger oder Angehöriger eines EWR-Mitgliedstaates mit Hauptwohnsitz in Niederösterreich war. [...] Mit der am 2.7.2012 beim Bezirksgericht St. Pölten eingebrachten Klage stellte [der Kl] das aus dem Spruch ersichtliche Begehren. Die Versagung der NÖ Pendlerhilfe sei eine Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit des Kl durch die Bekl gem § 4 NÖ ADG. Wegen der Verletzung des Diskriminierungsverbotes mache der Kl seinen Anspruch gem § 17 Abs 1 und § 2 NÖ ADG auf die entgangene Pendlerhilfe für das Jahr 2010 in der Höhe von € 450,– und auf einen angemessenen Schadenersatz in der Höhe von € 550,– zum Ausgleich für die erlittene Würdeverletzung gegen die Bekl geltend. Alleine seine türkische Staatsangehörigkeit schließe den Kl von dem [...] aufgezählten Personenkreis aus, ansonsten erfülle der Kl alle [...] genannten Voraussetzungen. Der Kl berief sich konkret auf das Diskriminierungsverbot im Bereich der sozialen Vergünstigungen (§ 3 Abs 1 Z 5 NÖ ADG). Eine unterschiedliche Behandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit bleibe gem § 5 NÖ ADG nur dann unberührt, sofern diese gesetzlich vorgegeben oder sonst sachlich gerechtfertigt sei und dem Recht der EU nicht entgegenstehe. Die Richtlinien der Bekl über die NÖ Pendlerhilfe stellten keine gesetzliche Regelung dar und gebe es keine sachliche Rechtfertigung, Personen, die [...] seit 40 Jahren in Niederösterreich ihren Lebensmittelpunkt hätten und zwischen Wohn- und Arbeitsort pendelten, von der NÖ Pendlerhilfe auszuschließen. Zudem widerspreche der Ausschluss des Kl aus dem förderungswürdigen Personenkreis auch Art 11 der RL 2003/109/EG. Im Zusammenhang mit den Schadenersatzansprüchen nach § 17 NÖ ADG führte der Kl auch die einschlägige RL 2000/43/EG zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft ins Treffen. [...] Die Bekl wandte dem Grunde nach im Wesentlichen ein, es liege mangels Widerspruchs zur RL 2003/109/EG keine Diskriminierung des Kl vor. Der Kl als türkischer Staatsangehöriger und somit Drittstaatsangehöriger falle offenkundig unter keine der in den Richtlinien zur NÖ Pendlerhilfe genannten Personengruppen. Die Gleichbehandlungspflicht nach Art 11 der RL 2003/109/EG sei nicht unbeschränkt, sondern beziehe sich auf die in Art 11 Abs 1 taxativ aufgezählten Gebiete. Bei der NÖ Pendlerhilfe handle es sich hingegen um eine Förderung, welche in Art 11 der zitierten RL nicht genannt sei. [...] Daraus folge zwingend, dass die Förderung „NÖ Pendlerhilfe“ von vornherein nicht unter das obligatorische Gleichbehandlungsgebot des Art 11 der zitierten RL falle und demnach keine Diskriminierung gem § 4 NÖ ADG iVm der RL vorliegen könne. [...]

Mit Urteil vom 9.11.2012 hat das Bezirksgericht St. Pölten das Klagebegehren abgewiesen. In seiner rechtlichen Beurteilung ist das Erstgericht grundsätzlich einmal davon ausgegangen, dass der Fall des Kl dem Gebot der Gleichbehandlung ohne Unterschied der ethnischen Zugehörigkeit nach § 3 Abs 1 Z 5 NÖ ADG (soziale Vergünstigungen) zuzuordnen sei. § 5 Abs 1 NÖ ADG definiere aber als Ausnahme eine unterschiedliche Behandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, sofern diese gesetzlich vorgegeben oder sachlich gerechtfertigt sei und dem Recht der EU nicht entgegenstehe. In diesem Zusammenhang sei anzumerken, dass auf die Pendlerhilfe kein Rechtsanspruch bestehe und dass sie nur nach vorhandenen budgetären Mitteln gewährt werde. Es handle sich also um einen Zuschuss für eine bestimmte Personengruppe, den das Land Niederösterreich freiwillig gewähre [...]. Eine sachliche Rechtfertigung für eine Ausnahme aus Gründen der Staatsangehörigkeit sei sicher in den begrenzten budgetären Mitteln zu sehen. Mit dem Recht der EU stünden diese Vorgaben des Landes Niederösterreich in keinem Widerspruch. Diesbezüglich sehe Art 11 Abs 1 lit d der RL 2003/109/EG zwar eine Gleichbehandlung auch von Drittstaatsangehörigen für den Bereich soziale Sicherheit, Sozialhilfe und Sozialschutz iSd nationalen Rechts vor [...]. Die vom Kl beanspruchte Pendlerhilfe sei jedoch nicht einmal eine Sozialhilfe [...]. Freiwillige Zuwendungen [...] könnten ohne gegen das Diskriminierungsverbot zu verstoßen vom Land Niederösterreich auf einen bestimmten Personenkreis [...] beschränkt werden. Die sachliche Rechtfertigung für diese Beschränkung liege in den beschränkten budgetären Mitteln, über die das Land diesbezüglich verfügen könne. [...]

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Kl [...]. Der Berufung kommt teilweise Berechtigung zu. [...]137

Zu dieser Streitfrage ist wie folgt Stellung zu nehmen:

Der in § 3 Abs 1 Z 5 NÖ ADG verwendete Begriff „soziale Vergünstigungen“ ist richtlinienkonform zu interpretieren, dies allerdings nach der einschlägigen RL 2000/43/EG des Rates vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft. Diese RL enthält in Art 3 Abs 1 lit f (zum Geltungsbereich der RL) den gleichlautenden Begriff der „sozialen Vergünstigungen“ (vgl dazu im Übrigen auch §§ 30 Abs 2 Z 2, 31 Abs 3 Z 2 GlBG). Nach der VO (EWG) 1612/68 über die Freizügigkeit der AN innerhalb der Gemeinschaft sind die Mitgliedstaaten bereits verpflichtet, soziale Vergünstigungen für Wanderarbeitnehmer ungeachtet der Staatsangehörigkeit zu gewähren. In diesem Zusammenhang sind soziale Vergünstigungen vom EuGH als Vorteile wirtschaftlicher oder kultureller Art, die entweder von öffentlichen Stellen oder von privaten Einrichtungen in den Mitgliedstaaten gewährt werden, definiert worden. Das gleiche Konzept wird in der Antirassismus-RL angewandt (KOM/99/0566 endg). „Soziale Vergünstigung“ ist demnach weit auszulegen. Diese umfasst grundsätzlich alle auf soziale Lebensbedingungen zugeschnittenen Hilfen des Staates. Zu den sozialen Vergünstigungen zählen beispielsweise kostenlose oder verbilligte Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln, Preisnachlässe auf Eintrittskarten für kulturelle oder andere Veranstaltungen oder verbilligte Mahlzeiten in der Schule für Kinder aus einkommensschwachen Familien, Geburtsdarlehen, Wohnbauförderungen, Anrechnungen der Wehrdienstzeit, Kündigungsentschädigungen, Ersätze von Begräbniskosten etc (Posch in

Rebhahn
, GlBG Rz 18 zu § 30 mwN). Nach dem derartigen weiten Verständnis besteht kein Zweifel daran, dass auch die NÖ Pendlerhilfe, mit der zugestandenermaßen „zusätzlich zu den ohnedies jedermann offenstehenden steuerlichen Vergünstigungen wie Verkehrsabsetzbetrag und Pendlerpauschale ein bestimmt ausgewählter Personenkreis ... mit einem finanziellen Beitrag unterstützt werden soll“, eine „Hilfe“ iSd definierten „sozialen Vergünstigung“ darstellt, wobei die gleichzeitige Bezeichnung als „Förderung“ nicht schadet. Es gibt eben Überschneidungen zwischen „Förderungen“ und „sozialen Vergünstigungen“. [...]. Wie der EuGH in seinem Urteil vom 14.1.1982 zu Rs 65/81 (Reina gegen Landeskreditbank Baden-Württemberg) erkannt hat, fallen unter den Begriff „soziale Vergünstigung“ nicht nur aufgrund eines Rechtsanspruchs gewährte Vorteile, sondern auch solche Leistungen, die auf Ermessensbasis erbracht werden; solche Leistungen unterliegen also ebenfalls dem Gleichbehandlungsgebot. Ebenso wenig schadet es der Einstufung als „soziale Vergünstigung“ nicht, wenn eine staatliche Unterstützungsleistung nur unter dem Vorbehalt ausreichender Mittel zusteht bzw gewährt wird [...]. Der Berufungswerber hat nun infolge der Vorgangsweise der Bekl eine verbotene (unmittelbare) Diskriminierung seiner Person aus dem Grund der ethnischen Zugehörigkeit, nämlich der türkischen Nationalität und Herkunft, gem § 4 Abs 1 und 2 NÖ ADG geltend gemacht. Werden nun bei der zivilgerichtlichen Geltendmachung eines Anspruches wegen einer Diskriminierung nach dem NÖ ADG Tatsachen glaubhaft gemacht, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen, obliegt es der Bekl zu beweisen, dass keine Diskriminierung vorgelegen hat (Beweislastumkehr nach § 18 Abs 2 NÖ ADG entsprechend dem Art 8 Abs 1 der RL 2000/43/EG). Abgesehen davon, dass die Bekl eine Ungleichbehandlung des Berufungswerbers unter dem Aspekt seiner ethnischen Zugehörigkeit gar nicht bestritten hat, [...] ist dem Berufungswerber jedenfalls durch den unstrittigen Sachverhalt die Glaubhaftmachung einer entsprechenden Vermutungsbasis nach § 18 Abs 2 NÖ ADG gelungen und hat die Bekl einen diesbezüglichen Gegenbeweis gar nicht angetreten. Es liegt auf der Hand, dass insb Angehörige anderer Nationen (zB „Türken“ in Wien bzw in Österreich) unschwer als Ethnie beurteilt werden können und demnach in den Schutzbereich der zitierten Bestimmungen kommen (vgl Posch, aaO Rz 8 zu § 31). Eine Person wird unmittelbar diskriminiert, wenn sie wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit bzw – präziser formuliert – wegen eines Merkmals, das mit der ethnischen Zugehörigkeit im Zusammenhang steht, eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation (Windisch-Graetz in
Rebhahn
, GlBG Rz 12 zu § 17). Damit ist auf den von der Bekl angezogenen Ausnahmetatbestand des § 5 Abs 1 NÖ ADG einzugehen. [...]: „Eine unterschiedliche Behandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit bleibt von diesem Gesetz unberührt, sofern diese gesetzlich vorgegeben oder sonst sachlich gerechtfertigt ist und dem Recht der Europäischen Union nicht entgegensteht.“ [...] Es ist nunmehr im Berufungsverfahren unstrittig, dass die von der Bekl erlassenen Richtlinien zur NÖ Pendlerhilfe kein Gesetz darstellen und dass auch keine einschlägige Gesetzesbestimmung existiert, weshalb es nur mehr auf das Vorliegen einer „sonstigen sachlichen Rechtfertigung“ ankommt. Schon nach den allgemeinen Behauptungs- und Beweislastregeln ist der Ausnahmetatbestand von der Bekl zu behaupten und zu beweisen [...]. Dazu hat der Berufungswerber schon in erster Instanz vorgetragen, es gebe keine sachliche Rechtfertigung, Personen, die seit 40 Jahren in Niederösterreich ihren Lebensmittelpunkt hätten und zwischen Wohn- und Arbeitsort pendelten, von der Gewährung der NÖ Pendlerhilfe auszuschließen. Diesem Argument hat die behauptungs- und beweisbelastete Bekl nichts Stichhaltiges entgegengehalten. [...] Soweit das Erstgericht eine sachliche Rechtfertigung für eine Ausnahme aus Gründen der Staatsangehörigkeit hier in den beschränkten budgetären Mitteln erblickt hat, über die das Land (freiwillig) verfügen könne, so gibt weder der fehlende Rechtsanspruch noch der Vorbehalt der vorhandenen budgetären Mittel ein objektives Unterscheidungsmerkmal in Bezug auf die Staatsangehörigkeit der Antragsteller ab. Da [...] „soziale Vergünstigungen“ auch dann dem Gleichbehandlungsgebot unterliegen, wenn sie nur auf Ermessensbasis und unter dem Vorbehalt ausreichender Mittel erbracht werden, bedarf es zusätzlicher Kriterien (als der Freiwilligkeit und der beschränkten budgetären Mittel), um eine entsprechende sachlich gerechtfertigte Ausnahme zu konstituieren.138

Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass der Klagsanspruch dem Grunde nach zu Recht besteht.

Zur Höhe des Klagebegehrens wurde erwogen:

Bei einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach § 4 NÖ ADG hat die benachteiligte Person gem § 17 Abs 1 NÖ ADG Anspruch auf Schadenersatz nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts, wobei der Schaden nur in Geld zu ersetzen ist. Besteht der erlittene Nachteil nicht nur in einer Vermögenseinbuße, ist gem § 17 Abs 2 NÖ ADG neben dem Vermögensschaden auch ein angemessener Schadenersatz zum Ausgleich des durch die Beeinträchtigung der Würde erlittenen Nachteils zu leisten. Der Berufungswerber begehrt zum einen die Erstattung der entgangenen Pendlerhilfe in Höhe von € 450,– sA. [...]. Zum anderen macht der Berufungswerber neben dem Vermögensschaden auch einen angemessenen Schadenersatz zum Ausgleich des durch die Beeinträchtigung seiner Würde erlittenen Nachteils in Höhe von € 550,– sA geltend. [...] Dass die dem Berufungswerber widerfahrene Diskriminierung eine Beeinträchtigung seiner Würde umfasste, kann ohne weiteres als gegeben unterstellt werden. Die Ausmittlung der Höhe des immateriellen Schadenersatzes hat sich an den in § 17 Abs 2 Satz 2 NÖ ADG (für die Sondertatbestände einer Belästigung oder sexuellen Belästigung) normierten Mindestbeträgen zu orientieren. Nach dem [...] Sachverhalt war der Diskriminierungstatbestand bereits vor dem 16.8.2011 [...] verwirklicht [...]. Damit ist auf die Bestimmung des § 17 Abs 2 Satz 2 NÖ ADG idF vor der am 15.9.2011 ausgegebenen 3. Novelle, LGBl 9290-3 abzustellen. Danach hatte für die Beeinträchtigung der Würde im Falle einer Belästigung mindestens € 400,– im Falle einer sexuellen Belästigung mindestens € 720,– zu betragen. Angesichts der Tatsache, dass die Beeinträchtigung des Berufungswerbers im Vergleich zu diesen Tatbeständen als geringer zu qualifizieren ist, erscheint [...] ein immaterieller Schadenersatz von € 300,– als angemessen und gerechtfertigt (§ 273 Abs 2 ZPO). [...]

Die Revision ist gem § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

Anmerkung
1.
Einleitung

Das LG St. Pölten als Berufungsgericht gelangte im vorliegenden Verfahren zur rechtlichen Beurteilung, dass es sich bei der Pendlerhilfe um eine soziale Vergünstigung handelt und dass eine Benachteiligung aufgrund der Staatsbürgerschaft bei der Gewährung von sozialen Vergünstigungen eine Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit darstellt. Das Berufungsgericht stützte sich bei der rechtlichen Beurteilung dieser Streitfrage auf das NÖ Antidiskriminierungsgesetz (NÖ ADG) und die RL 2000/43/EG des Rates vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der Herkunft. Mit der RL 2003/109/EG (langfristig-Aufenthaltsberechtigten-RL) hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt, obwohl der gegenständliche Sachverhalt auch in den Anwendungsbereich dieser RL fällt. Im Folgenden werden zwecks besseren Verständnisses der rechtlichen Beurteilung die vom Gericht herangezogenen Rechtsgrundlagen sowie die langfristig-Aufenthaltsberechtigten- RL in einem kurzen Überblick dargestellt:

Die RL 2000/43/EG des Rates vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft („Antirassismus-RL“, ABl L 180 vom 19.7.2000, 22) normiert Mindeststandards, die ein einheitliches Schutzniveau vor Diskriminierung in allen Mitgliedstaaten gewährleisten. Sie verbietet unmittelbare und mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft (Art 2 Abs 1) ua in Bezug auf soziale Vergünstigungen (Art 3 Abs 1 lit f). Bestimmungen über die Einreise von Drittstaatsangehörigen sowie das Aufenthalts- und Ausländerbeschäftigungsrecht fallen jedoch nicht in den Anwendungsbereich der RL (Art 3 Abs 2). Da die Antirassismus-RL den Schutz aller Menschen vor Diskriminierung bezweckt, gilt sie grundsätzlich auch für Drittstaatsangehörige (vgl Erwägungsgrund 13; zur sogenannten Staatsbürgerschaftsausnahme siehe unten 2.2.).

Die RL 2003/109/EG des Rates vom 25.11.2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen („langfristig- Aufenthaltsberechtigten-RL“, ABl L 16 vom 23.1.2004, 44) schafft eine weitreichende Annäherung der Rechtsstellung von Drittstaatsangehörigen an diejenige der Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten. Drittstaatsangehörige sind jene Personen, die nicht die österreichische oder EU-, EWR- oder Schweizer Staatsbürgerschaft besitzen. Langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige iSd RL sind Drittstaatsangehörige, die sich ua mindestens fünf Jahre in einem EU-Mitgliedstaat aufgehalten haben. Im Erwägungsgrund 12 der langfristig-Aufenthaltsberechtigten-RL wird festgehalten, dass langfristig Aufenthaltsberechtigte nach Maßgabe der entsprechenden, in dieser RL festgelegten Bedingungen, in vielen wirtschaftlichen und sozialen Bereichen wie EU-BürgerInnen zu behandeln sind. Die RL soll ein echtes Instrument der Integration von langfristig Aufenthaltsberechtigten in die Gesellschaft, in der sie leben, darstellen.

Das NÖ ADG (LGBl 9290-3) dient für das Bundesland Niederösterreich als Umsetzungsakt für die RL 2000/43/EG* und soll grundsätzlich alle Organe des Landes, der Gemeinden, der Gemeindeverbände oder der durch Landesgesetz geregelten Selbstverwaltungskörper, aber auch ausgegliederte Rechtsträger, die vom Land oder der Gemeinde beauftragt werden, an das Diskriminierungsverbot binden. Entsprechend der RL beinhaltet das NÖ ADG ein Diskriminierungsverbot aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit bei der Gewährung sozialer Vergünstigungen (§ 3 Abs 1 Z 5; § 4 Abs 1 und 2 NÖ ADG) und ermöglicht ausnahmsweise eine unterschiedliche Behandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, soweit diese gesetzlich vorgegeben oder sonst sachlich gerecht139fertigt ist und dem Recht der EU nicht entgegensteht (§ 5 Abs 1 NÖ ADG).

2.
Einzelfragen
2.1.
„Soziale Vergünstigungen“

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Bekl gegen das Diskriminierungsverbot im Bereich der sozialen Vergünstigungen verstoßen habe, beschäftigte sich das Berufungsgericht ausführlich mit dem Begriff „soziale Vergünstigungen“. Der Terminus findet sich in Art 3 Abs 1 lit f der RL 2000/43/EG, welcher in § 3 Abs 1 Z 5 NÖ ADG übernommen und erstmals im europarechtlichen Kontext in Art 7 Abs 2 VO 1612/68 des Rates vom 15.10.1968 über die Freizügigkeit der AN innerhalb der Gemeinschaft (ABl L 257) verwendet wurde. Art 7 Abs 2 VO 1612/68 sieht vor, dass ein AN, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, in anderen Mitgliedstaaten die gleichen steuerlichen und sozialen Vergünstigungen genießt wie die inländischen AN. Der EuGH legt den Begriff extensiv aus und definiert „soziale Vergünstigungen“ als Vorteile wirtschaftlicher oder kultureller Art, die entweder von öffentlichen Stellen oder von privaten Einrichtungen in den Mitgliedstaaten gewährt werden. Diese Definition liegt auch der RL 2000/43/EG zugrunde (ErläutRV 307 BlgNR 22. GP 21). Nach der Rsp des EuGH umfassen „soziale Vergünstigungen“ auch die von staatlichen Eisenbahnen an kinderreiche Familien ausgegebenen Fahrpreisermäßigungen (EuGH

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9
1975
, 32/75, Cristini, Slg 1975, 1085). Bei der niederösterreichischen Pendlerhilfe handelt es sich um einen Vorteil wirtschaftlicher Art, der AN und Lehrlingen von einer öffentlichen Stelle gewährt wird, wenn die Entfernung zwischen Wohnsitz und Arbeitsstätte mindestens 25 km beträgt, für die Fahrten finanzielle Aufwendungen entstehen und das monatliche Gesamtfamilienbruttoeinkommen die in den Richtlinien festgelegten Höchstgrenzen nicht übersteigt („NÖ Pendlerhilfe – NÖ Lehrlingspendlerhilfe“, Richtlinien, gültig für Anträge ab dem 1.1.2010, F3-ANF-2082/010-2010). Die Feststellung des erkennenden Gerichts, dass die niederösterreichische Pendlerhilfe als „soziale Vergüns tigung“ iSd Art 3 Abs 1 lit f der Antirassismus-RL zu qualifizieren ist, entspricht der stRsp des EuGH.

Das Argument des Berufungsgegners, dass es sich bei der Pendlerhilfe nicht um eine „soziale Vergünstigung“ handle, weil die Pendlerhilfe eine freiwillige Zuwendung sei, auf die kein Rechtsanspruch bestehe, ist unter Zugrundelegung einschlägiger EuGHJudikatur nicht haltbar. Diesbezüglich zitiert das Berufungsgericht das EuGH-Urteil vom

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1
1982
zur Rs 65/81 (Reina/Landeskreditbank Baden-Württemberg) und jenes vom EuGH
23
5
1996
zur Rs C-237/94(O‘Flynn/Adjudication Officer)
. Zur Rs 65/81 stellte der EuGH fest, dass unter den Begriff „soziale Vergünstigungen“ nicht nur aufgrund eines Rechtsanspruches gewährte Vorteile fallen, sondern auch solche Leistungen, die auf Ermessensbasis erbracht werden (Rn 17). Zur Rs C-237/94 traf der EuGH die Feststellung, dass es der Einstufung als „soziale Vergünstigung“ nicht schadet, wenn eine Sozialleistung nur unter dem Vorbehalt ausreichender Mittel gewährt wird (Rn 3, 14).

2.2.
Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit

Das Berufungsgericht hatte in weiterer Folge die Frage zu beurteilen, ob die Verweigerung einer sozialen Vergünstigung aufgrund der Staatsbürgerschaft eine Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit darstellt. Eine Legaldefinition des Begriffes „Ethnische Zugehörigkeit“ findet sich weder in der Antirassismus- RL noch im GlBG. Hinweise geben die Materialien zum GlBG (Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG [2009] § 17 Rz 11). Der Begriff „ethnische Zugehörigkeit“ ist danach weit auszulegen. Adressaten sind Personen, „die als fremd wahrgenommen werden, weil sie auf Grund bestimmter Unterschiede von der regionalen Mehrheit als nicht zugehörig angesehen werden. Sie knüpft überwiegend an Unterschiede an, die auf Grund von Abstammungs oder Zugehörigkeitsmythen als natürlich angesehen werden und die die betroffenen Personen nicht ändern können. ... (ErläutRV 307 BlgNR 22. GP 14). In der vorliegenden E trifft das Berufungsgericht in Bezug auf den Berufungswerber die treffende Feststellung, „dass insbesondere Angehörige anderer Nationen (zB ‚Türken‘ in Wien bzw in Österreich) unschwer als Ethnie beurteilt werden können ...“. Damit wurde allerdings die Frage, ob eine Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit auch eine Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit darstellt, noch nicht abschließend beantwortet.

Art 2 Abs 1 lit f der Antirassismus-RL verbietet Diskriminierung aus Gründen der ethnischen Herkunft oder der Rasse in Bezug auf soziale Vergünstigungen. Art 3 Abs 2 enthält aber eine sogenannte Staatsbürgerschaftsausnahme. Demnach betrifft die RL nicht unterschiedliche Behandlungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit und berührt nicht die Vorschriften und Bedingungen für die Einreise von Staatsangehörigen dritter Staaten oder staatenloser Personen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder deren Aufenthalt in diesem Hoheitsgebiet sowie eine Behandlung, die sich aus der Rechtsstellung von Staatsangehörigen dritter Staaten oder staatenloser Personen ergibt. Keinesfalls soll die Ausnahmebestimmung aber Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit unter Hinweis auf andere Staatsbürgerschaften ermöglichen (vgl Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 17 Abs 2 Rz 132). Eine Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit impliziert dann eine Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit, wenn sie nicht aus sachlichen Gründen erfolgt (vgl Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 17 Abs 2 Rz 132). Dementsprechend entschied auch der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (UVS) in seinem Bescheid vom 11.3.2008, UVS-06/42/318/2008, indem er die Anforderungen der österreichischen Staatsbürgerschaft und ausgezeichneter Sprachkenntnisse in einer Ausschreibung für eine Stelle als Küchenhilfe als eine gesetzwidrige ethnische Diskriminierung wertete. Begründend führte der UVS aus, dass für dieses Bewerbungsanforderungsprofil keine sachliche Rechtfertigung bestehe.

Ganz in diesem Sinne bestimmt die hier einschlägige Rechtsnorm § 5 Abs 1 NÖ ADG, die Art 3 Abs 2 der Antirassismus-RL folgt, dass eine unterschiedliche Behandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit140 vom NÖ ADG unberührt bleibt, sofern diese gesetzlich vorgegeben oder sonst sachlich gerechtfertigt ist und dem Recht der EU nicht entgegensteht. Ohne Rechtfertigung sind Unterscheidungen nach der Staatsangehörigkeit unzulässig und stellen eine Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit dar. Damit Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit nicht als auf die Staatsbürgerschaft abstellende Ungleichbehandlungen getarnt und somit Zweck und Ziel der Antirassismus-RL vereitelt werden, ist § 5 Abs 1 NÖ ADG jedenfalls eng auszulegen.

Da sich die Bestimmungen zur niederösterreichischen Pendlerhilfe nicht in einem Gesetz, sondern in den sogenannten Richtlinien „NÖ Pendlerhilfe – NÖ Lehrlingspendlerhilfe“ finden, liegt keine unterschiedliche Behandlung auf der Grundlage eines Gesetzes vor. Offen blieb daher nur mehr die Frage, ob es sachlich gerechtfertigt sei, den Berufungswerber von der Pendlerhilfe auszuschließen. In der österreichischen Rechtsordnung ist Quelle des Sachlichkeitsgebots der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz (Art 7 Abs 1 B-VG). Dem zufolge ist der Gesetzgeber verpflichtet, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen, während wesentliche Unterschiede im Tatsachenbereich zu unterschiedlichen Regelungen führen müssen. Differenzierungen sind nur dann sachlich und damit zulässig, wenn sie nach objektiven Unterscheidungsmerkmalen erfolgen (vgl Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts10 [2007] Rz 1357).

Die Pendlerhilfe wird vom Land Niederösterreich als finanzieller Ausgleich für einkommensschwache Personen, die ihren Lebensmittelpunkt in Niederösterreich haben und zwischen Wohn- und Arbeitsort pendeln müssen, geleistet (Pkt 1 der „NÖ Pendlerhilfe“, Richtlinien, gültig für Anträge ab dem 1.1.2010, F3-ANF-2082/010-2010). Der einkommensschwache Berufungswerber, der Pendler ist und seit 40 Jahren in Niederösterreich lebt, erfüllt, bis auf den Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft, alle für die Gewährung der Pendlerhilfe geforderten Voraussetzungen. Sein Ausschluss vom Bezug der niederösterreichischen Pendlerhilfe allein aufgrund seiner türkischen Staatsbürgerschaft basiert daher auf keiner sachlichen Rechtfertigung iSd § 5 Abs 1 NÖ ADG, da keine sachlichen Gründe dafür vorliegen, bei der Gewährung der Pendlerhilfe Differenzierungen nach der Staatsangehörigkeit der antragstellenden Personen vorzunehmen. Folgerichtig bejaht das entscheidende Gericht eine Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit des Berufungswerbers gem § 4 Abs 1 und 2 NÖ ADG, da dieser ausschließlich wegen seiner Staatsangehörigkeit eine weniger günstige Behandlung erfahren hat als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation (vgl Art 2 Abs 2a RL 2000/43/ EG) und diese Ungleichbehandlung weder gesetzlich vorgegeben noch sonst sachlich gerechtfertigt war.

3.
Rechtsstellung langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger

Anders als das Erstgericht hat es das erkennende Gericht verabsäumt, sich in seinem Urteil mit der langfristig-Aufenthaltsberechtigten-RL, deren Umsetzungsfrist bis 23.1.2006 lief, auseinanderzusetzen, obwohl der Berufungswerber vorbrachte, dass die Verweigerung der Pendlerhilfe nicht nur den Tatbestand der Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit gem § 4 NÖ ADG erfülle, sondern zudem Art 11 der RL 2003/109/EG widerspreche. Tatsächlich bietet die langfristig-Aufenthaltsberechtigten- RL eine zweite Anspruchsgrundlage für den Anspruch des Kl, der als langjährig in Österreich lebender türkischer Staatsbürger den Status eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen besitzt. Die RL 2003/109/EG schafft eine weitreichende Annäherung der Rechtsstellung von Drittstaatsangehörigen an diejenige der Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten. Im Erwägungsgrund 12 der RL wird festgehalten, dass langfristig Aufenthaltsberechtigte nach Maßgabe der entsprechenden, in dieser RL festgelegten Bedingungen, in vielen wirtschaftlichen und sozialen Bereichen wie die BürgerInnen des Mitgliedstaats, in dem sie leben, zu behandeln sind. Dementsprechend schafft die RL für die Personengruppe der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen in den in Art 11 taxativ aufgezählten Gebieten ein obligatorisches Gleichbehandlungsgebot. Konkret bestimmt Art 11 Abs 1 lit a, dass langfristig Aufenthaltsberechtigte beim Zugang zu einer unselbstständigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit, wenn diese nicht, auch nicht zeitweise, mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden ist, sowie Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich Entlassungsbedingungen und Arbeitsentgelt, wie eigene Staatsangehörige zu behandeln sind. Im vorliegenden Fall kann die NÖ Pendlerhilfe nicht nur als „soziale Vergünstigung“ iSd Art 11 der Antirassismus-RL, sondern darüber hinaus auch als AN-Förderung qualifiziert werden. Diese Zuordnung ergibt sich aus dem erklärten Ziel der NÖ Pendlerhilfe, der Absiedlung aus Niederösterreich bei AN und Lehrlingen, die zwischen Hauptwohnsitz und Arbeitsplatz mindestens 25 km pendeln müssen, entgegenzuwirken und einen finanziellen Ausgleich der dadurch anfallenden Kosten für Einkommensschwächere zu schaffen (Pkt 1 und 2 der „NÖ Pendlerhilfe – NÖ Lehrlingspendlerhilfe“, Richtlinien, gültig für Anträge ab dem 1.1.2010, F3-ANF-2082/010-2010). Demnach handelt es sich bei der Pendlerhilfe um eine Förderung, die ausschließlich AN bzw Lehrlingen, also stets im Zusammenhang mit einer bestehenden Erwerbstätigkeit, gewährt wird. Der Berufungsgegner selbst ordnet die niederösterreichische Pendlerhilfe als AN-Förderung ein. Für Informationen über die Pendlerhilfe und deren Antragstellung ist beim Berufungsgegner die Abteilung „Allgemeine Förderung – Arbeitnehmerförderung“ zuständig. Da die RL 2003/109/ EG eine weitgehende Annäherung der Rechtsstellung von Drittstaatsangehörigen an diejenige der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten bezweckt, kennt sie im Gegensatz zum NÖ ADG, dem Umsetzungsakt zur Antirassismus-RL, keine Staatsbürgerschaftsausnahme. Der Ausschluss des Berufungswebers aus dem förderungswürdigen Personenkreis widerspricht daher auch dem Gleichbehandlungsgebot des Art 11 Abs 1 lit a RL 2003/109/EG.141

4.
Bemessung des immateriellen Schadenersatzes

Das LG St. Pölten hat dem Berufungswerber neben der Erstattung der entgangenen Pendlerhilfe von € 450,– (Vermögensschaden) zum Ausgleich der erlittenen Würdebeeinträchtigung immateriellen Schadenersatz von € 300,– zugesprochen. Dabei orientierte sich das Gericht an den in § 17 Abs 2 Satz 2 NÖ ADG (idF vor der am 15.9.2011 ausgegebenen 3. Novelle, LGBl 9290-3) normierten Mindestbeträgen. Nach dieser Bestimmung hatte der immaterielle Schadenersatz für die Beeinträchtigung der Würde im Falle einer Belästigung mindestens € 400,– und einer sexuellen Belästigung mindestens € 720,– zu betragen (gem § 17 NÖ ADG hat im Falle einer Belästigung oder sexuellen Belästigung der Schadenersatz seit der am 15.9.2011 ausgegebenen 3. Novelle, LGBl 9290-3, mindestens € 1.000,– zu betragen). Im Vergleich zu diesen Tatbeständen erschien dem Gericht die Beeinträchtigung des Kl als „geringer zu qualifizieren“ und der Betrag von € 300,– als „angemessen und gerechtfertigt“.

Wie bereits unter Pkt 1 ausgeführt, dient das NÖ ADG der Umsetzung der RL 2000/43/EG, welche gemeinschaftsrechtliche Mindestanforderungen im Hinblick auf die Realisierung des Gleichheitsgrundsatzes in den EU-Mitgliedstaaten festlegt. Art 15 der RL 2000/43/EG bestimmt, dass die Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen die aus der RL erwachsenden Verpflichtungen wirksame, abschreckende und verhältnismäßige Sanktionen festzulegen haben. Im gegenständlichen Fall ist es jedoch fraglich, ob der Betrag von € 300,– als Ersatz für die erlittene persönliche Würdebeeinträchtigung den europarechtlichen Vorgaben entspricht oder vielmehr rein symbolischen Charakter hat.

Das NÖ ADG sieht (ebenso wie das GlBG) neben einem Ersatzanspruch für erlittene Vermögenseinbußen auch einen solchen für immaterielle Schäden durch die Beeinträchtigung der Würde vor, wobei für Diskriminierungsfälle durch Belästigung Mindestschadenersatzbeträge festgelegt sind. In den EB zum NÖ ADG wird ausgeführt, dass durch die Festsetzung von Mindestbeträgen der betroffenen Person „bereits in einem relativ frühen Anfangsstadium die Möglichkeit gegeben werden“ soll, „sich effektiv zur Wehr zu setzen, ohne deshalb befürchten zu müssen, auf die relative Geringfügigkeit des Schadens verwiesen zu werden.“ Entsprechend der RL wird kein Verschulden gefordert, sodass jeder Verstoß gegen die Norm, selbst geringfügige Beeinträchtigungen, zu sanktionieren sind.

Das LG St. Pölten orientiert sich in seiner E hinsichtlich der Bemessung des ideellen Schadenersatzes lediglich an den im NÖ ADG festgesetzten Mindestschadenersatzbeträgen ohne eine Auslegung des Gesetzes am Wortlaut und Zweck der betreffenden RL vorzunehmen. Der EuGH hat bereits in einer E von 1983 ausgeführt: „Es ist Sache des nationalen Gerichts das zur Durchführung der Richtlinie erlassene Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden“ (EuGH

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4
1984
, 14/83, Colson/Kamann, Slg 1984).

Das in Art 15 RL 2000/43/EG formulierte gemeinschaftsrechtliche Erfordernis, dass Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen, ist iS einer richtlinienkonformen Auslegung des § 17 Abs 2 NÖ ADG bei der Bemessung des immateriellen Schadenersatzes jedenfalls zu berücksichtigen. ME ist der hier zugesprochene Betrag von € 300,– als immaterieller Schadenersatz jedenfalls zu niedrig, um dem Erfordernis der abschreckenden Wirkung gerecht zu werden. Die Frage, ob eine Sanktion geeignet ist, abschreckend und somit präventiv zu wirken, richtet sich in nicht unerheblichem Ausmaß nach der Finanzstärke des Diskriminierenden, den die Pflicht zum Schadenersatz gänzlich trifft. Nach Schindler wirken Schadenersatzansprüche erst dann abschreckend, wenn unter Berücksichtigung des durchschnittlichen Risikos „erwischt“ zu werden, Diskriminierung unwirtschaftlich wird (Schindler, Zur Umsetzung des EU Rechts in Österreich, Teil II, DRdA 2003, 523). Im gegenständlichen Fall hat das Land Niederösterreich, das gegenüber den Rechtsunterworfenen in einer besonderen Machtposition steht, über Jahre hinweg systematisch gegen das NÖ ADG verstoßen. ME wäre die in diesem Fall besonders ungleiche Machtkonstellation zwischen Kl und Bekl, vor allem aber die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bekl, jedenfalls vom Berufungsgericht zu berücksichtigen gewesen. Es kann davon ausgegangen werden, dass ein immaterieller Schadenersatzbetrag von € 300,– auf das Land Niederösterreich keine abschreckende Wirkung zu entfalten vermag. Zudem kann in diesem Fall keinesfalls eine Unwirtschaftlichkeit der Diskriminierung iS von Schindler angenommen werden. Die Orientierung des LG St. Pölten an den gesetzlich festgelegten Mindestsätzen bei Belästigung und sexueller Belästigung, die schon bei geringfügigen Überschreitungen zuzuerkennen sind, ist zuletzt aber auch schon deshalb kritikwürdig, weil, wie Gahleitner zu Recht kritisiert, die in Österreich zuerkannten Schadenersatzbeträge aufgrund sexueller Belästigung ohnedies als zu niedrig gelten, um tatsächlich abschreckend zu wirken (vgl Gahleitner, Der Schutz vor Belästigung im Arbeitsverhältnis, ZAS 2007, 155).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der immaterielle Schadenersatzbetrag von € 300,– , vor allem vor dem Hintergrund der ökonomischen Leistungsfähigkeit und der Machtstellung des Berufungsgegners, zu niedrig ist, um eine abschreckende Wirkung auf potentielle Diskriminierer zu entfalten und somit nicht ausreichend geeignet ist, erneute Verstöße dieser Art zu verhindern. Abschließend bleibt jedenfalls zu bedenken, dass zu niedrig bemessene Schadenersatzbeträge in Diskrepanz zur europarechtlichen Bestimmung des Art 15 der Antirassismus-RL stehen und dazu geeignet sind, die effektive Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft zu verhindern.142