Relevanz der Berufsunfähigkeit im Arbeitslosenversicherungsrecht
Relevanz der Berufsunfähigkeit im Arbeitslosenversicherungsrecht
Das Vorliegen von Invalidität bzw Berufsunfähigkeit spielt nicht nur im ASVG, sondern auch im AlVG eine Rolle. Der folgende Beitrag möchte ein paar prägnante Schlagschlichter auf die wesentlichen Zusammenhänge in dieser Frage zwischen den beiden angesprochenen Rechtsbereichen werfen.
Der Gesundheitszustand des Arbeitslosen ist nicht nur für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit, sondern gem § 9 Abs 2 Satz 1 AlVG auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer konkreten Beschäftigung relevant.* Im Rahmen der hier thematisierten Problemstellung ist dabei die Schnittstellenproblematik zwischen Arbeitslosen- und Pensionsversicherungsrecht iZm der Frage des Vorliegens von Invalidität bzw Berufsunfähigkeit von Interesse. Dabei fokussiert der Beitrag auf die materiell-rechtlichen Fragen der Arbeitsfähigkeit, der Bevorschussung von Leistungen aus der PV durch das AMS und das im AlVG seit 2014 als neue Leistungsart verankerte Umschulungsgeld. Ausgeblendet werden daher bspw verfahrens- und datenschutzrechtliche Probleme beim Zusammenwirken zwischen PVA und AMS.* Die (ohnehin bereits umfangreich abgehandelten) durch das SRÄG 2012 vorgenommenen Änderungen im Recht der Invalidität bzw Berufsunfähigkeit werden hier ebenfalls nicht thematisiert.*147
Eine Voraussetzung für Anspruch auf Arbeitslosengeld (bzw Notstandshilfe) ist gem § 7 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 AlVG das Vorliegen von Arbeitsfähigkeit. Gem § 8 Abs 1 AlVG ist arbeitsfähig, wer nicht invalid und berufsunfähig iSd ASVG ist. Die – in den letzten Jahren mehrfach novellierte – Bestimmung des § 8 AlVG wirft etliche Auslegungsschwierigkeiten auf, die im Folgenden kurz skizziert werden.*
Gem § 8 Abs 2 AlVG sind Arbeitslose verpflichtet, sich ärztlich untersuchen zu lassen, wenn sich Zweifel über ihre Arbeitsfähigkeit ergeben. Diese Untersuchung hat an einer vom Kompetenzzentrum Begutachtung der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) festgelegten Stelle stattzufinden. Aufgabe der ärztlichen Begutachtung ist die Erstellung von Befund und Diagnose. Die Wertung dieses Sachverständigenbeweises (und somit die Beurteilung, ob Arbeitsfähigkeit gegeben ist) ist (innerhalb der Grenzen der freien Beweiswürdigkeit) der Behörde anheimgestellt.* Weigert sich der Arbeitslose, einer derartigen Anordnung Folge zu leisten, erhält er für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld.
Auf Personen, die der Verpflichtung zur ärztlichen Untersuchung Folge leisten, sind gem § 8 Abs 4 AlVG gewisse Bestimmungen bis zum Vorliegen des Gutachtens zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht anzuwenden.* Die Dauer dieser Sistierung beträgt grundsätzlich maximal drei Monate, bei Vorliegen besonderer Gründe aber auch mehr. Verzögerungen, die auf das Verhalten des/der Arbeitslosen zurückzuführen sind, rechtfertigen aber keine Fristverlängerung. * Wenn aufgrund des Gutachtens anzunehmen ist, dass Arbeitsfähigkeit nicht vorliegt, verlängert sich der „Ausnahmezeitraum“ bis zur bescheidmäßigen Feststellung des Pensionsversicherungsträgers, ob berufliche Maßnahmen der Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar sind.
Die Dreimonatsfrist iSd § 8 Abs 4 AlVG bezieht sich auf Tage des Leistungsbezuges und entspricht 93 Tagen.* Sie beginnt mit dem ersten Untersuchungstermin bzw bei Arbeitslosen, die eine eigenständige Beantragung einer Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension (ohne Zuweisung zur Untersuchung durch das AMS) bekanntgeben, mit dem Datum der Bekanntgabe oder mit dem 1. des nächsten Monats (bei Beantragung der Pension nach dem 1. des laufenden Monats). Wird ein Untersuchungstermin versäumt, ohne dass entschuldbare Gründe vorliegen, fehlt die Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung. Wird bereits der erste Untersuchungstermin unentschuldigt versäumt, kommt die Bestimmung daher gar nicht zur Anwendung. Wird ein späterer Untersuchungstermin unentschuldigt versäumt, endet die Anwendbarkeit der Bestimmung mit Ablauf des Tages dieses Untersuchungstermins. In diesem Fall gebührt bis zum nächsten eingehaltenen Untersuchungstermin kein Arbeitslosengeld.*
Nach § 8 Abs 3 AlVG hat das AMS (ua) Gutachten des Kompetenzzentrums Begutachtung der PVA* zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit anzuerkennen und seiner weiteren Tätigkeit zugrunde zu legen. Nach den Materialien sollen die Gutachten der ÄrztInnen der PVA demnach für das AMS bindend sein.* Diese Interpretation wird vom VwGH aber aus verfassungsrechtlichen Gründen abgelehnt; vielmehr ergibt sich aus § 8 Abs 3 AlVG nur, dass die ärztliche Begutachtung im Hinblick auf das Vorliegen von Invalidität bzw Berufsunfähigkeit grundsätzlich nur bei einer Stelle – nämlich der PVA – erfolgen soll. Das AMS soll also jedenfalls dann, wenn ein aktuelles Gutachten von ÄrztInnen der PVA bereits vorliegt, zunächst dieses heranziehen und kein neues Sachverständigengutachten in Auftrag geben. Weist dieses Gutachten aber Unschlüssigkeiten oder Unvollständigkeiten auf, hat das AMS zur Schaffung einer einwandfreien Entscheidungsgrundlage Ergänzungen einzuholen oder weitere Sachverständige zu befassen.* Die im Rahmen der sukzessiven Kompetenz ebenfalls in die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit involvierten Arbeits- und Sozialgerichte werden von § 8 Abs 3 AlVG ohnehin nicht erfasst.*
§ 8 Abs 3 AlVG basiert somit auf Gründen der Verwaltungsökonomie, gewährleistet aber nicht, dass PVA und AMS auf Basis ein und desselben Gutachtens das Vorliegen von Arbeitsfähigkeit in gleicher Weise bejahen bzw verneinen. Dieser Gleichklang wird auch im Wege der Vorfragenkonstellation (§ 38 AVG) nur bedingt hergestellt: Zwar resultiert aus der Zuerkennung einer Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension, dass Invalidität bzw Berufsunfähigkeit vorliegt (und somit Arbeitsfähigkeit iSd § 8 Abs 1 AlVG zu verneinen ist), doch folgt aus der Ablehnung des Pensionsantrages nicht, dass Arbeitsfähigkeit iSd § 8148 Abs 1 AlVG zu bejahen ist, da die Ablehnung auch durch die Nichterfüllung sekundärer Leistungsvoraussetzungen (zB Wartezeit) verursacht werden kann und lediglich der Spruch des Ablehnungsbescheides normativen Charakter hat und somit rechtskräftig werden kann.*
Gem § 23 Abs 1 AlVG kann Arbeitslosen, die die Zuerkennung einer Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit oder dem Versicherungsfall des Alters beantragt haben, (unter näher geregelten Voraussetzungen)* bis zur Entscheidung über diesen Antrag als Vorschuss Arbeitslosengeld (bzw Notstandshilfe) gewährt werden.* Eine Voraussetzung für die Zuerkennung eines derartigen Vorschusses ist gem § 23 Abs 2 Z 2 iVm Abs 3 AlVG bei Beantragung einer Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit, dass ein (ärztliches oder berufskundliches) Gutachten im Wege der PVA erstellt wurde, auf Grund dessen anzunehmen ist, dass Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Diese Bestimmung lässt verschiedene Auslegungsmöglichkeiten zu. ME ist es am plausibelsten, davon auszugehen, dass das AMS auch in diesem Fall die Ergänzung bzw Schlüssigstellung eines unvollständigen oder unschlüssigen Gutachtens zu beauftragen hat. Da bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Anspruch auf die Vorschussleistung besteht,* kann das AMS weiters mE nicht an ein (schlüssiges) Gutachten, aufgrund dessen Arbeitsfähigkeit zu bejahen wäre, gebunden sein, sondern muss die Möglichkeit haben, auch andere (etwa im Rahmen der Einräumung von Parteiengehör vorgelegte) Gutachten in seine Entscheidung miteinzubeziehen.* Liegt noch kein Gutachten vor, ist § 8 Abs 4 AlVG auch auf Arbeitslose, die eine Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit oder ein Übergangsgeld aus der gesetzlichen PV oder UV beantragt haben, anwendbar.*
Das Umschulungsgeld iSd § 39b AlVG soll eine adäquate Existenzsicherung für Personen mit Qualifikationsschutz, für die bescheidmäßig festgestellt wurde, dass Invalidität (Berufsunfähigkeit) voraussichtlich im Ausmaß von mindestens sechs Monaten vorliegt und die zur Teilnahme an zweckmäßigen und zumutbaren beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation bereit sind, gewährleisten.* Die Zumutbarkeit und Zweckmäßigkeit der Maßnahmen richtet sich nach § 367 Abs 4 Z 3 ASVG und wird (ebenfalls) durch Bescheid der PVA festgestellt. Die aktive Teilnahme an beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation und insb auch an der Abklärung geeigneter Untersuchungsmaßnahmen berechtigt auch dann zum Bezug des Umschulungsgeldes, wenn die Ablehnung des Pensionsanspruches vor dem Arbeits- und Sozialgericht bekämpft wird.* Wird die Pension im gerichtlichen Verfahren (rechtskräftig) zugesprochen, sind bis dahin erbrachte Leistungen aus der AlV wie eine Vorschussleistung iSd § 23 Abs 6 AlVG zu behandeln.
Das AMS ist verpflichtet, das Einvernehmen mit dem/der Betroffenen hinsichtlich der in Aussicht genommenen beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation anzustreben. Dabei kommen neben den im Pensionsverfahren in Aussicht genommenen Maßnahmen auch andere gleichwertige (zB im Hinblick auf günstigere Beschäftigungsmöglichkeiten zweckmäßigere) Maßnahmen in Betracht. Stellt sich – entgegen der ursprünglichen Annahme – heraus, dass keine berufliche Maßnahme der Rehabilitation durchführbar ist, kann ein neuer Pensionsantrag gestellt werden. Bis zur neuerlichen Entscheidung der PVA gebührt in einem solchen Fall Umschulungsgeld in der bisher zustehenden Höhe.*
Das Umschulungsgeld gebührt ab dem Feststellungsbescheid des Pensionsversicherungsträgers, wenn die Geltendmachung binnen vier Wochen danach erfolgt, ansonsten erst ab Geltendmachung.* Wird die letzte Maßnahme vor dem Ende eines Kalendermonats beendet, gebührt das Umschulungsgeld bis zum Monatsende, sofern die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen nicht vorher (zB wegen Arbeitsaufnahme) wegfallen. Stellt sich heraus, dass eine berufliche Maßnahme der Rehabilitation nicht (weil die Umstände nicht richtig beurteilt wurden) oder nicht mehr (weil sich die Umstände geändert haben, sich etwa der Gesundheitszustand verschlechtert hat oder keine der möglichen fachlichen Tätigkeiten mehr auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt wird) realisierbar ist, gebührt das Umschulungsgeld bis zur neuerlichen Entscheidung des Pensionsversicherungsträgers in der zuletzt bezogenen Höhe weiter.149
BezieherInnen von Umschulungsgeld sind gem § 39b Abs 3 AlVG verpflichtet, bei der Auswahl, Planung und Durchführung der beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation aktiv mitzuwirken. Bei schuldhafter Verletzung dieser Verpflichtung ist eine Sanktion gem § 10 Abs 1 Z 2 AlVG zu verhängen. § 10 Abs 3 AlVG ist auf das Umschulungsgeld mit der Maßgabe anzuwenden, dass ein berücksichtigungswürdiger Fall auch dann vorliegt, wenn eine Ausbildung nach kurzer Unterbrechung fortgesetzt wird und der Ausbildungserfolg durch die Unterbrechung nicht gefährdet ist. Vor dem Ausspruch einer Sanktion soll eine qualifizierte Auseinandersetzung mit den Gründen für die angenommene Verletzung der Mitwirkungspflicht erfolgen. Jedenfalls sollen die Betroffenen vor einer Sanktion angehört werden und diese nicht ausschließlich auf Grund von Angaben des mit der Durchführung der Maßnahme beauftragten Trägers erfolgen.*
§ 8 Abs 3 und § 23 Abs 3 AlVG werfen durch das Anknüpfen an das Vorhandensein eines Gutachtens für die Frage des Vorliegens von Arbeitsfähigkeit bzw der Bevorschussung einer Leistung aus der PV und insb durch die (in § 8 Abs 3 AlVG enthaltene) Anordnung, dass dieses Gutachten „anzuerkennen und der weiteren Tätigkeit des AMS zugrunde zu legen“ ist, etliche Probleme auf. In § 39b Abs 1 AlVG wird diese Problematik durch Bindung der Anspruchsvoraussetzungen für das Umschulungsgeld an einen Bescheid der PVA (über das Vorliegen von Invalidität bzw Berufsunfähigkeit und die Zweckmäßigkeit sowie Zumutbarkeit von beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation) vermieden.
Unklar ist mE Reichweite und Bedeutung der Anordnung, dass das AMS gem § 8 Abs 3 AlVG Bescheide der Pensionsversicherungsträger zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit anzuerkennen und seiner weiteren Tätigkeit zugrunde zu legen hat. Dem normativen Teil eines Bescheides der PVA, mit dem direkt über die Arbeitsfähigkeit abgesprochen wird (etwa im Rahmen eines Feststellungsbescheides), kommt (gegenüber dem AMS) ohnehin auch ohne explizite gesetzliche Anordnung Bindungswirkung zu.* Ob § 8 Abs 3 AlVG eine darüber hinausgehende Bindung des AMS an Bescheide der Pensionsversicherungsträger und somit eine Abweichung vom Grundsatz, dass lediglich der Spruch, nicht aber die Begründung eines Bescheides verbindlich ist, normiert,* muss daher bis zum Vorliegen einer einschlägigen Entscheidung offen bleiben.