EuGH-Rechtsprechung zum Arbeits- und Sozialrecht im Jahr 2013

WALTERGAGAWCZUK (WIEN)
In DRdA wird jährlich ein Überblick über die EuGH-Rsp zum Arbeits- und Sozialrecht des jeweils vorangegangenen Kalenderjahres veröffentlicht. Weiters wird ein Ausblick auf die wichtigsten, in absehbarer Zeit zu erwartenden Entscheidungen gegeben. Es ist zu bedenken, dass zwangsläufig der Sachverhalt und die E nur sehr stark verkürzt und unvollständig wiedergegeben werden können. Die Urteile und Schlussanträge der Generalanwälte sind in vollständiger Form auf folgender Internetadresse zu finden: http://curia.europa.eu/en/content/juris/c2_juris.htm.
  1. Arbeitnehmerfreizügigkeit

  2. Soziale Sicherheit

  3. Gleichbehandlung/Diskriminierung

  4. Betriebsübergang, Jahresurlaub, befristete Arbeitsverhältnisse und sonstiges Arbeitsrecht

  5. Ausblick

1.
Arbeitnehmerfreizügigkeit

Die einschlägigen Bestimmungen der Unionsbürger-RL* sind laut EuGH dahin auszulegen, dass einem Unionsbürger, der in einem Aufnahmemitgliedstaat eine Ausbildung absolviert, eine Ausbildungsförderung, die den Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats gewährt wird, nicht versagt werden darf, wenn er dort daneben einer Beschäftigung nachgeht, die geeignet ist, ihm die Eigenschaft eines AN iSv Art 45 AEUV zu verleihen.* Der Umstand, dass der Betroffene in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats hauptsächlich zu dem Zweck eingereist ist, dort seine Ausbildung zu absolvieren, ist im gegebenen Zusammenhang unerheblich.

Auch nicht mit EU-Recht vereinbar ist es, die Gewährung einer Studienbeihilfe von der Erfüllung eines Wohnsitzerfordernisses durch den Studierenden abhängig zu machen, die zu einer Ungleichbehandlung von einerseits in dem Mitgliedstaat ansässigen159 Personen und andererseits von Personen führt, die zwar nicht in diesem Mitgliedstaat ansässig sind, aber Kinder von Grenzgängern sind, die in diesem Mitgliedstaat ein Tätigkeit ausüben.*

Ein Mitgliedstaat ist nicht berechtigt, eine begünstigte Besteuerung von Einkünften einer im Inland wohnhaften, unbeschränkt steuerpflichtigen Person auszuschließen, wenn diese für einen AG mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat tätig ist. Eine einseitige Steuerbegünstigung für AN eines inländischen AG ist diskriminierend und nicht mit Art 45 AEUV vereinbar. *

Soweit es Arbeitsverträge mit grenzüberschreitendem Charakter betrifft, nicht mit der AN-Freizügigkeit vereinbar, ist auch eine belgische Regelung, die vorsieht, dass Unternehmen, die ihren Betriebssitz im niederländischen Sprachgebiet von Belgien haben, die Arbeitsverträge bei sonstiger Nichtigkeit in niederländischer Sprache abzufassen haben.*

Um die Anrechnung von berufseinschlägigen Vordienstzeiten bei der Ermittlung des Stichtags für die Vorrückung ging es in der E die Salzburger Landeskliniken betreffend.* Die SALK* ist eine Dachgesellschaft dreier Krankenhäuser sowie weiterer Einrichtungen im Land Salzburg, deren Alleingesellschafterin das Bundesland Salzburg ist. Die landesrechtliche Regelung sieht eine 60 %-ige Anrechnung der Vordienstzeiten vor. Bei Personen die immer bei Dienststellen des Landes Salzburg beschäftigt waren, schlägt jedoch die Dienstzeit in vollem Ausmaß zu Buche, es erfolgt also eine 100 %-ige Anrechnung. Darin sah der Zentralbetriebsrat und in Folge auch der EuGH eine Diskriminierung und einen Verstoß gegen die Freizügigkeit der AN.

Nach der Stillhalteklausel in Art 13 des Beschlusses Nr 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten für türkische AN keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Dies gilt jedoch nur für türkische Staatsangehörige, die sich ordnungsgemäß im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates aufhalten. Aufenthaltszeiten im Rahmen einer vorläufigen Aufenthaltserlaubnis, die nur bis zur endgültigen Entscheidung über das Aufenthaltsrecht gelten, werden vom EuGH nicht als ordnungsgemäß iS dieser Vorschrift beurteilt.*

2.
Soziale Sicherheit

Zahlreich waren die Entscheidungen im Jahr 2013 zum Bezug von Pensionsleistungen. Das aus österreichischer Sicht mit Abstand bedeutendste Verfahren war die Rs Brey* und damit die Frage der Gewährung der Ausgleichszulage nach dem ASVG für Unionsbürger. Die seit dem BudgetbegleitG 2011 in Österreich geltende Fassung sieht vor, dass der Bezug von Ausgleichszulage von einem rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich abhängig ist. Der rechtmäßige gewöhnliche Aufenthalt hängt bei einem Aufenthalt von mehr als drei Monaten davon ab, ob man über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt. Es wird also ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Voraussetzungen für die Gewährung der Ausgleichszulage und den Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt hergestellt. Es soll damit verhindert werden, dass ein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht für einen Zeitraum von über drei Monaten in Österreich ausüben kann, wenn er während seines Aufenthalts die Ausgleichszulage beantragt. Dies ging dem EuGH zu weit. Grundsätzlich steht nichts dem entgegen, dass die Gewährung von Sozialleistungen an Unionsbürger, die wirtschaftlich nicht aktiv sind, von dem Erfordernis abhängig gemacht wird, dass diese die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat erfüllen. Ein diesfalls automatischer Ausschluss von der Gewährung einer bestimmten Sozialhilfeleistung* erlaubt es den Behörden aber nicht im Einklang mit den Anforderungen der Unionsbürger-RL,* eine entsprechende Beurteilung vorzunehmen. Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit werden vom EuGH insb folgende zu berücksichtigende Kriterien genannt: Höhe und Rechtmäßigkeit der verfügbaren Einkünfte, Zeitraum in dem die beantragte Leistung voraussichtlich gezahlt werden wird, Belastungen der Gewährung der Leistungen für das gesamte Sozialhilfesystem. In letzterem Zusammenhang ist auch der Anteil derjenigen Empfänger dieser Leistung zu ermitteln, die Unionsbürger und Empfänger einer Altersrente in einem anderen Mitgliedstaat sind.* Die Herausforderung für den nationalen Gesetzgeber ist es nun, eine Regelung zu finden, die sowohl eine Einzelfallprüfung als auch eine systembezogene Prüfung erfasst.*160

Welcher Staat ist für die Leistungen bei Krankheit zuständig, wenn jemand eine Rente aus mehreren Mitgliedstaaten bezieht, jedoch in einem Mitgliedstaat wohnt, in der er keine Leistung bezieht? Diese Frage stellte sich ua bei Herrn van der Helder, der in mehreren Mitgliedstaaten erwerbstätig war und daher seine Rente nach den Rechtsvorschriften der Niederlande, Finnland und des Vereinigten Königsreichs von Großbritannien und Irland bezieht, jedoch nun in Frankreich wohnt. Art 28 der VO 1408/71 sieht vor, dass diesfalls die Kosten von dem zuständigen Träger des Mitgliedstaats übernommen werden, dessen Rechtsvorschriften die längste Zeit für ihn gegolten haben. Unklar war nun, ob unter „Rechtsvorschriften“ sämtliche Rechtsvorschriften über die in Art 4 leg cit genannten Zweige der sozialen Sicherheit, die Rechtsvorschriften über Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft oder die Rechtsvorschriften über Renten gemeint sind. Der EuGH entschied sich für letztere Auslegung.*

Als ungerecht behandelt, fühlte sich Frau Gonzales, welche etwa zehn Jahre in Spanien und danach etwa fünf Jahre in Portugal arbeitete, bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage ihrer Altersrente. Die zuständige Einrichtung in Spanien berücksichtigte dabei nämlich nur die Zeiten in Spanien. Dies führte insb dazu, dass fünf Jahre mit null angesetzt wurden, da nach spanischem Recht bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Durchschnitt der letzten 15 Jahre vor Entrichtung des letzten in Spanien geleisteten Beitrags von Relevanz sind. Demnach hat sich nur eine Rente in Höhe von ca € 340,– ergeben. Frau Gonzales war jedoch der Ansicht, dass auch die von ihr in Portugal gezahlten Beiträge einzubeziehen sind und sie daher einen Anspruch auf Altersrente in Spanien in Höhe von ca € 860,– habe. Der EuGH stellte fest, dass es nicht dazu gekommen wäre, dass bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage Zeiten mit null angesetzt worden wären, wenn Frau Gonzalesnur in Spanien Beiträge entrichtet hätte, ohne ihr Recht auf Freizügigkeit auszuüben. Die einschlägige spanische Rechtslage ist daher ua mit Art 48 AEUV nicht vereinbar.* Ähnlich argumentierte der EuGH in der Rs Mulders.* Herrn Mulders wurden für die Rente Versicherungszeiten in den Niederlanden nicht angerechnet, da er gleichzeitig zur niederländischen eine belgische Leistung wegen teilweiser Arbeitsunfähigkeit bezog. Der Gerichtshof stellte fest, dass dieser Zeitraum berücksichtigt worden wäre, wenn Herr Mulders seinen Wohnsitz in den Niederlanden gehabt hätte. Die Regelung ist daher mit der AN-Freizügigkeit nicht vereinbar. Vereinbar mit der AN-Freizügigkeit ist jedoch die belgische Rechtslage, wonach es grundsätzlich zu einer Kürzung der – im konkreten Fall belgischen – Hinterbliebenenrente kommen kann, wenn die – im konkreten Fall niederländische – Altersrente erhöht wird. Die nationale Regelung führt nämlich nicht zu einer ungünstigeren Situation als bei einer Person, die sich in einer Situation ohne grenzüberschreitenden Bezug befindet.*

Mit dem Entzug ihrer polnischen Altersrente auf Grund ihres ständigen Wohnsitzes in Deutschland und des Bezugs einer Hinterbliebenenrente in Deutschland war Frau Wencel konfrontiert.* Dies ist unzulässig. Die Altersrente kann jedoch in Anwendung einer etwaigen nationalen Antikumulierungsvorschrift um den Betrag der in dem anderen Mitgliedstaat bezogenen Leistung gekürzt werden. Festgestellt wurde vom EuGH im Zuge dieses Verfahrens auch, dass für die Zwecke der Anwendung der VO (EWG) 1408/71 eine Person nicht gleichzeitig zwei gewöhnliche Aufenthaltsorte in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten haben kann.*

Die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zwischen den Mitgliedstaaten beruht auf dem Grundsatz der Zusammenrechnung der Zeiten (Art 48 AEUV). Es besteht für die Mitgliedstaaten daher keine Verpflichtung für einen Beamten einer internationalen Organisation, wie im konkreten Fall des Europäischen Patentamtes, die Möglichkeit vorzusehen, den Kapitalwert seiner zuvor erworbenen Ruhegehaltsansprüche auf das Versorgungssystem dieser internationalen Organisation zu übertragen. Wenn ein Mitgliedstaat derartiges nicht vorsieht, müssen aber die Beschäftigungszeiten, die ein Bürger der EU bei einer internationalen Organisation mit Sitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates zurückgelegt hat, im Hinblick auf die Erlangung eines Altersversorgungsanspruchs berücksichtigt werden.*

Die möglichen finanziellen Sanktionen einer nicht erfolgten Umsetzung einer RL trotz bereits urteilsmäßig festgestellter Nichtumsetzung durch den Gerichtshof zeigt ein Urteil vom 25.6. auf.* Im Jänner 2010 hat der EuGH festgestellt, dass die Tschechische Republik Teile der RL 2003/41/EG über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung nicht fristgerecht umgesetzt hat. Die Tschechische Republik kannte keine betriebliche Altersversorgung und fühlte sich ursprünglich nicht verpflichtet, die RL vollständig umzusetzen. Nachdem das Urteil ergangen ist, hat die Regierung auf ihre innenpolitische Situation hingewiesen und mitgeteilt, dass die vollständige Umsetzung der RL zwei Jahre dauern werde. Die Kommission hat aber darauf nicht gewartet und eine Sanktion in der Höhe von rund 3,4 Mio € gefordert. Im nunmehr ergangenen Urteil wurde die Höhe der Strafzahlung jedoch nur mit € 250.000,– festgesetzt. Der Gerichtshof hat dabei darauf Rücksicht genommen, dass die Tschechische Republik eine loyale Zusammenarbeit mit der Kommission bewiesen hat und dass sich die verspätete Durchführung des Urteils in Ermangelung einer zweiten Säule im nationalen Altersversorgungs161system auf die privaten und öffentlichen Interessen nur beschränkt ausgewirkt hat.

Zwei Holländer und eine Holländerin, die in den Niederlanden beschäftigt waren, jedoch in Belgien bzw Deutschland wohnten, wollten in Holland Arbeitslosengeld beziehen. Ihr Anspruch wurde jedoch unter Hinweis auf Art 65 der VO (EG) 883/2004 abgelehnt. Ein arbeitsloser Grenzgänger kann eine Arbeitslosenunterstützung grundsätzlich nur in seinem Wohnsitzstaat beantragen. Dies gilt auch dann, wenn zum Staat der letzten Beschäftigung besonders enge Bindungen bestehen.* Es gibt jedoch die Möglichkeit, sich zusätzlich zum Arbeitslosengeldbezug im Wohnsitzstaat der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats der letzten Beschäftigung zur Verfügung zu stellen, um dort Wiedereingliederungsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen.*

Die Familienbeihilfefür ein drittstaatsangehöriges Kind war Gegenstand der Rs Ahmed.* Eine Algerierin, die mit einem französischen Staatsbürger in Belgien in einer Lebensgemeinschaft wohnte, erhielt Familienleistungen für ihre beiden Töchter. Nach der Trennung wurde ihr Familienbeihilfe nur mehr für die gemeinsame Tochter mit dem französischem Staatsbürger gewährt. Für die ältere der beiden Töchter, die die algerische Staatsbürgerschaft besitzt, wurde der Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass die Voraussetzungen eines seit fünf Jahren bestehenden Wohnsitzes nicht erfüllt sind. Der EuGH bestätigte im Wesentlichen, dass diese Ablehnung mit EU-Recht vereinbar ist.

Nach luxemburgischem Recht besteht neben dem Anspruch auf Kindergeld auch ein Anspruch auf einen Kinderbonus. Dieser Kinderbonus ist laut EuGH eine Familienleistung iSd VO (EWG)1408/71.* Der Kinderbonus wird nämlich für jedes unterhaltsberechtigte Kind gezahlt und stellt einen Beitrag zum Familienbudget dar, der die Kosten für den Unterhalt von Kindern verringern soll. Der Umstand, dass der staatliche Beitrag zum Familienbudget die Form einer Geldleistung nach dem nationalen Steuerrecht hat, und dass dem Kinderbonus eine pro Kind gewährte Steuerermäßigung zugrunde liegt, stellt die Einstufung einer solchen Leistung als „Familienleistung“ nicht in Frage. Der Kinderbonus ruht also auf Grund der sogenannten Antikumulierungsregel* bei Wander-AN im Fall des Zusammentreffens mit dem Anspruch auf eine Familienleistung eines anderen Mitgliedstaats bis zur Höhe dieser geschuldeten Leistung.*

Auch die Ausgleichszahlung nach luxemburgischem Recht, die im Fall des Elternurlaubs an die Stelle des Arbeitsentgelts tritt und den dadurch eintretenden finanziellen Verlust ausgleichen oder zumindest abfedern soll, ist eine Familienleistung iSd Wander- AN-VO.*

Um den Mutterschaftsurlaub bzw die Kompensation des Einkommensverlustes für die Zeit des Mutterschaftsurlaubs ging es in der Rs Betriu Montull.* Herrn Montull wurden vom spanischen Sozialversicherungsträger die von ihm beantragten Leistungen bei Mutterschaft für einen Zeitraum von zehn Wochen im Anschluss an den obligatorischen sechswöchigen Urlaub der Mutter unmittelbar nach der Entbindung abgelehnt. Begründet wurde dies damit, dass der Vater keinen eigenen von der Mutter unabhängigen Anspruch habe, sondern dieser sich zwangsläufig von der Mutter ableite. Da im konkreten Fall die Mutter keinem öffentlichen System der sozialen Sicherheit angeschlossen sei, habe sie keinen Anspruch und in Folge auch nicht der Vater. Der EuGH sah diese Begründung bzw die innerstaatliche Regelung, auf die sich die Begründung stütze, nicht im Widerspruch zum EU-Recht.

3.
Gleichbehandlung/Diskriminierung

In einem irischen Verfahren* klagten mehrere als Verwaltungssekretärinnen bei der Landespolizei eingesetzte Beamtinnen auf höheres Entgelt und beriefen sich dabei auf Geschlechterdiskriminierung. Sie verglichen sich mit männlichen Beschäftigten bei der Landespolizei, die ebenfalls mit Verwaltungsaufgaben betraut sind, jedoch auf speziellen Stellen, die den Mitgliedern der Polizei vorbehalten sind. Zu den gerügten Unterschieden ist es offensichtlich durch eine Umstrukturierung gekommen, in deren Rahmen bestimmte Verwaltungsstellen, die traditionell mit Polizisten besetzt wurden, nun mit Zivilbeamten besetzt wurden. Der Unterschied hinsichtlich des Entgelts geht auf die Tatsache zurück, dass Letztere nach Maßgabe ihres Status als Zivilbeamte entlohnt werden, während erstere weiterhin als Polizisten bezahlt werden. Die Polizeibehörde führt als Argument zur sachlichen Rechtfertigung das Interesse an guten Arbeitsbeziehungen an. Man habe nämlich die Entgeltregelung für die Polizisten aufrechterhalten müssen, damit diejenigen, die Verwaltungstätigkeiten verrichten, nicht gegenüber den übrigen Polizisten benachteiligt werden. Der EuGH stellte klar, dass der AG im Rahmen einer mittelbaren Entgeltdiskriminierung eine sachliche Rechtfertigung für den Entgeltunterschied zu beweisen hat, und dass das Interesse an guten Arbeitsbeziehungen nicht als einzige Grundlage für die Rechtfertigung einer solchen Diskriminierung sein162 kann, jedoch neben anderen Umständen berücksichtigt werden könne. Die weitere Beurteilung des Falles überließ er dem nationalen Gericht.

Bereits 2010 hat der EuGH in einem österreichischem Verfahren* klargestellt, dass die Zulässigkeit eines unterschiedlichen Pensionsalters für Männer und Frauen nicht so weit geht, dass auch eine Regelung zulässig ist, wonach weibliche AN bei Erreichen der Voraussetzungen für eine Versetzung in den Ruhestands mit 60 gekündigt werden dürfen, Männer jedoch auf Grund des höheren Pensionsalters erst mit 65. Nunmehr hatte der Gerichtshof in einem ähnlichen, ebenfalls vom OGH vorgelegten Fall zu entscheiden. * Im Unterschied zur Rs Kleist aus 2010 erfolgte die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hier jedoch durch Zeitablauf, die auf eine Vereinbarung aus dem Jahre 1980, also weit vor dem Beitritt der Republik Österreich zur Union, zurückgeht. Dieser Unterschied war für den EuGH jedoch nicht ausschlaggebend. Insb hob der Gerichtshof hervor, dass in der Beitrittsakte Österreichs zur EU keine besonderen Bestimmungen hinsichtlich der Anwendung der RL 76/207 vorgesehen sind und daher für die Republik Österreich vom Zeitpunkt ihres Beitritts zur Union an verbindlich sind, sodass sie auch für zukünftige Auswirkungen vor dem Beitritt entstandener Sachverhalte gilt. Er beurteilte folglich die der Vereinbarung zu Grunde liegende Dienstordnung, die vorsieht, dass das Arbeitsverhältnis durch Erreichen des Pensionsalters endet, als verbotene unmittelbare Diskriminierung iSd einschlägigen RL,* wenn das Pensionsalter zwischen Männern und Frauen unterschiedlich festgesetzt ist.

Die wirtschaftliche Rezession in Lettland war der Hintergrund im Verfahren Riežniece.* 2009 wurde im Rahmen einer Änderung der Organisationsstruktur bei einer Dienststelle im Bereich der Landwirtschaft eine Planstelle gestrichen. Zur Bestimmung der von der Streichung betroffenen Person wurde die letzte jährliche Beurteilung herangezogen. Dies war grundsätzlich die Beurteilung für das Jahr 2009, für Frau Riežniece jedoch das Jahr 2006, da dies die letzte Beurteilung vor ihrem Elternurlaub war. Da sich die Kriterien für die Beurteilung zwischen 2006 und 2009 jedoch verändert haben, erfolgte die Beurteilung nach unterschiedlichen Grundsätzen. Der EuGH kam zum Ergebnis, dass eine Beurteilung von AN anhand zweier unterschiedlicher Zeiträume zwar eine unvollkommene Lösung darstellt, sich jedoch, wenn dies wegen der Inanspruchnahme des Elternurlaubs bedingt ist, als eine angemessene Methode erweisen kann. Dies nämlich dann, wenn die Beurteilung sich erstens auf alle AN erstreckt, die von der Streichung des Arbeitsplatzes betroffen sein können, zweitens muss eine solche Beurteilung auf Kriterien beruhen, die mit den für AN im aktiven Dienst geltenden Kriterien vollkommen identisch sind, und drittens darf die Anwendung dieser Kriterien nicht die physische Anwesenheit der AN voraussetzen, da im Elternurlaub befindliche AN diese Voraussetzung nicht erfüllen können. Kommt es nach dem Elternurlaub zu einer Versetzung, so ist diese entsprechend § 2 Nr 5 der Rahmenvereinbarung über Elternurlaub zulässig, wenn es nicht möglich ist, den früheren Arbeitsplatz wieder zuzuweisen und es sich um eine entsprechend dem Arbeitsvertrag gleichwertige oder ähnliche Arbeit handelt. Dies ist jedoch nicht zulässig, wenn der AG zum Zeitpunkt der Versetzung Kenntnis davon hatte, dass der neue Arbeitsplatz gestrichen werden sollte.

Die Frage, ob eine Staffelung der Beitragshöhe zu einer betrieblichen Altersvorsorge des AN eine verbotene Altersdiskriminierung darstellt, hat der EuGH im September erörtert.* Gegenständlich war eine Regelung, wonach für Personen unter 35 Jahren der AN-Anteil 3 % betrug. Bei Personen von 35 bis 44 betrug der AN-Anteil 4 % und bei Personen über 45 Jahre 5 %. Der AG-Anteil betrug jeweils das Doppelte des AN-Anteils. Die Argumente, dass die Staffelung die Möglichkeit bietet, dass ältere AN auch dann ein angemessenes Rentenguthaben ansparen können, wenn sie dem fraglichen System erst seit relativ kurzer Zeit angeschlossen waren und die Risiken von Tod, Berufsunfähigkeit und schwerer Krankheit abgesichert werden müssen, deren Kosten mit dem Alter zunähmen, erschienen dem Gerichtshof grundsätzlich zu überzeugen. Die Beurteilung, ob die konkrete Staffelung in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist, überließ er jedoch dem nationalen Gericht.

Das dänische Recht sieht für Beamte, die wegen der Streichung ihrer Stelle entlassen wurden, ein Freistellungsgehalt für drei Jahre vor. Dieses gebührt jedoch nicht, wenn bereits das 65. Lebensjahr vollendet wurde. Darin sah Herr Toftgaard eine Altersdiskriminierung. Ihm wurde der Anspruch auf Freistellungsgehalt nämlich aus diesem Grund verweigert. Die Altersgrenze für den obligatorischen Eintritt von Beamten in den Ruhestand war zum Zeitpunkt, als Herr Toftgaard entlassen wurde, auf 70 Jahre festgesetzt. Da er damals 65 Jahre alt war, war er berechtigt, jedoch nicht verpflichtet, in den Ruhestand zu treten. Der EuGH gab dem Kl im Endeffekt Recht, da er die Regelung als überschießend beurteilte.* Sie läuft nämlich darauf hinaus, Beamten, die auf dem Arbeitsmarkt bleiben wollen, dieses Gehalt allein deshalb vorzuenthalten, weil sie ua auf Grund ihres Alters über eine Altersrente verfügen können. Sie kann somit diese Beamten dazu zwingen, eine niedrigere Altersrente anzunehmen, als die, die sie beanspruchen könnten, wenn sie bis in ein höheres Alter berufstätig blieben.

Auf Grund seiner sexuellen Ausrichtung erachtete sich Herr Hay in einem französischen Fall* diskriminiert, nachdem ihm Sonderurlaubstage und Eheschließungsprämie verweigert wurden, die AN im Fall der Eheschließung zustehen. Herr Hay hatte zwar keine Ehe geschlossen, jedoch einen PACS mit einer Person gleichen Geschlechts. Ein PACS ist ein ziviler163 Solidaritätspakt nach französischem Recht, den zwei volljährige natürliche Personen unterschiedlichen oder gleichen Geschlechts miteinander schließen, um ihre Lebensgemeinschaft zu organisieren. Unter Hinweis auf seine Vorjudikatur Maruko* und Römer* stellte der EuGH fest, dass das Vorliegen einer Diskriminierung voraussetzt, dass die gegeneinander abzuwägenden Situationen vergleichbar sind und die Prüfung dieser Vergleichbarkeit nicht allgemein und abstrakt sein darf, sondern spezifisch und konkret für die betreffende Leistung erfolgen muss. Im gegenständlichen Fall erachtete er die Unterschiede zwischen der Ehe und dem PACS als unerheblich für die Beurteilung, ob ein AN Anspruch auf Vergünstigung in Bezug auf das Entgelt oder die Arbeitsbedingungen, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, hat.

Die rumänische Nichtregierungsorganisation Accept, die für die Förderung und den Schutz der Rechte lesbischer, schwuler, bi- und transsexueller Personen eintritt, brachte eine Beschwerde wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz durch Herrn Becali und den FC Steaua ein. Herr Becali, eine Art Geschäftsführer des Fußballvereines, äußerte sich schwulenfeindlich im Rahmen eines Interviews zu einem möglichen Transfer eines Fußballprofis und dessen vermuteter sexueller Ausrichtung. Accept macht geltend, dass Herr Becali dadurch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz bei der Einstellung verstoßen und die Würde homosexueller Personen verletzt habe und rügt in Bezug auf den FC Steaua, dass sich der Verein zu keiner Zeit von den Äußerungen, obwohl sie in den Medien verbreitet worden sind, distanziert habe. Der EuGH gab der NGO im Wesentlichen Recht* und erachtete auch die vorgesehene Sanktion einer einfachen Verwarnung bzw die Unmöglichkeit einer Sanktionierung mit einem Bußgeld nach Ablauf der Verjährungsfrist von sechs Monaten als grundsätzlich nicht angemessen. Die endgültige Beurteilung überlässt er jedoch auch hier dem nationalen Gericht.

Art 5 der RL 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sieht vor, dass AG die geeigneten und im konkreten erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen haben, um Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den AG unverhältnismäßig belasten. Unter diese angemessenen Vorkehrungsmaßnahmen kann laut EuGH auch die Verkürzung der Arbeitszeit fallen. * Eine nationale Regelung, nach der ein AG einen Arbeitsvertrag mit einer verkürzten Kündigungsfrist beenden kann, wenn ein behinderter AN innerhalb der letzten zwölf Monate krankheitsbedingt 120 Tage mit Entgeltfortzahlung abwesend war, ist mit der oa RL nicht vereinbar, wenn diese Fehlzeiten darauf zurückzuführen sind, dass der AG nicht entsprechende angemessene Vorkehrungsmaßnahmen ergriffen hat. Gleiches gilt, wenn die Fehlzeiten auf die Behinderung zurückzuführen sind, es sei denn, diese Bestimmung verfolgt ein rechtmäßiges Ziel und geht nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinaus. Letzteres hat das nationale Gericht zu beurteilen, wobei der Gerichtshof jedoch festhält, dass die Auffassung, dass eine Maßnahme, wie die gegenständliche 120-Tage- Regel, angemessen sein kann, nicht als unvernünftig erscheint. Relativ ausführlich setzt sich der Gerichtshof im gegenständlichen Urteil auch mit dem Begriff der Behinderung auseinander. Er hebt insb hervor, dass die RL 2000/78 nicht nur Behinderungen erfasst, die angeboren sind oder von Unfällen herrühren, sondern grundsätzlich auch Behinderungen erfasst, die durch eine Krankheit verursacht sind. Wesentlich ist jedoch, dass die Einschränkung von langer Dauer ist.

4.
Betriebsübergang, Jahresurlaub, befristete Arbeitsverhältnisse und sonstiges Arbeitsrecht

Vom Ergebnis her wenig überraschend war die E in der Rs Mark Alemo-Herron,* da der Gerichtshof bereits 2006 einen ähnlichen Fall entschieden hat.* Der Erwerber bei einem Betriebsübergang ist an Klauseln im Arbeitsvertrag, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Übergangs geschlossene Kollektivverträge Bezug nehmen, nicht gebunden, wenn er nicht die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen über diese Kollektivverträge teilzunehmen. Etwas überraschend war jedoch die Argumentation. Bislang hat der EuGH die Betriebsübergangs-RL vor dem Hintergrund des Schutzes der AN interpretiert. Nunmehr kommt er zum Schluss, dass die RL nicht nur dem Schutz der ANInteressen dient, sondern auch einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der AN einerseits und denen des Erwerbers andererseits gewährleisten soll. Begründet wird dies mit Art 16 der Grundrechtecharta zur unternehmerischen Freiheit, welches auch die Vertragsfreiheit umfasst. Laut Ansicht des Gerichtshofes sei im Falle einer Bindung an die Klausel diese Vertragsfreiheit des Erwerbers so erheblich reduziert, dass eine solche Einschränkung den Wesensgehalt seines Rechts auf unternehmerische Freiheit beeinträchtigen könne. Wie es sich dabei mit der Vertragsfreiheit des AN verhält, dessen vertraglicher Anspruch, dynamisch nach einem bestimmten KollV bezahlt zu werden, wegfällt, wird vom EuGH nicht erörtert.*

Mit Spannung erwartet wurde das Urteil in der Rs Brandes.* Es ging dabei um die Frage, welchen Einfluss der Umstieg von einer Vollzeitbeschäftigung zu einer Teilzeitbeschäftigung auf den Anspruch auf Jahresurlaub hat. 2010 hat der EuGH bereits iZm dem Dienstrecht der Vertragsbediensteten des Landes Tirol164 entschieden, dass es mit dem Unionsrecht nicht vereinbar ist, wenn in derartigen Fällen der in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, dessen Ausübung dem AN während dieser Zeit nicht möglich war, reduziert wird.* Der Fall Brandes unterscheidet sich zum Tiroler Fall dahingehend, dass der Urlaub nicht in Stunden, sondern wie im österreichischen UrlG, in Wochen ausgedrückt wird. Für den EuGH war dieser Unterschied jedoch nicht ausschlaggebend und die Kürzung des Urlaubs mit Art 7 der Arbeitszeit-RL sowie § 4 Nr 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit nicht vereinbar.*

So wie in den Vorjahren* hat das Thema Jahresurlaub und Krankenstand auch 2013 wieder den EuGH beschäftigt. In der Linie mit seiner Vorjudikatur stellte er fest, dass eine nationale Regelung, wonach ein AN nicht das Recht hat, seinen Urlaubsanspruch zu einem anderen Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen, wenn er sich während des vom Unternehmen festgelegten Jahresurlaubs im Krankenstand* befand, nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Den Anspruch auf Jahresurlaub kann der AG auch nicht mit Problemen bezüglich der Organisation oder Personalressourcen ablehnen und er kann in diesem Zusammenhang auch nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.*

In der Rs Kommission gegen Strack* hat der EuGH im Wesentlichen zum Ausdruck gebracht, dass seine bisherigen Überlegungen zum Thema Jahresurlaub und Krankenstand auch für Beamte der EU gelten.

Die drei Entscheidungen 2013 zum Thema befristete Arbeitsverhältnisse hatten alle ihren Ursprung im italienischen Recht. In einem leider nicht auf Deutsch übersetzten Verfahren* stellte der EuGH fest, dass eine nationalen Regelung, die die Berücksichtigung von Dienstzeiten, die ein bei einer Behörde befristet beschäftigter AN zurückgelegt hat, zur Festlegung seines Dienstalters bei seiner unbefristeten Einstellung durch diese Behörde vollständig ausschließt, mit § 4 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge nicht vereinbar ist. Anderes gilt nur, wenn die im Rahmen der befristeten Arbeitsverträge ausgeübten Tätigkeiten nicht denen eines Berufsbeamten der jeweiligen Kategorie dieser Behörde entsprechen oder, wenn dies nicht der Fall ist, dass dieser Ausschluss durch sachliche Gründe iS leg cit gerechtfertigt ist. Der bloße Umstand, dass der befristet beschäftigte AN diese Dienstzeiten auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsverhältnisses zurückgelegt hat, stellt keinen solchen sachlichen Grund dar.

Die RL 1999/70/EG bzw die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträgeist weder auf das befristete Arbeitsverhältnis zwischen einem Leih-AN und einem Leiharbeitsunternehmen, noch auf das befristete Arbeitsverhältnis zwischen einem Leih-AN und einem entleihenden Unternehmen anwendbar. Dies ergibt sich laut EuGH insb aus dem vierten Absatz der Präambel der Rahmenvereinbarung, wonach diese nicht für AN in befristeten Arbeitsverhältnissen gilt, die einem entleihenden Unternehmen von einem Leiharbeitsunternehmen zur Verfügung gestellt werden.* Es war nämlich die Absicht der Parteien der Rahmenvereinbarung, eine ähnliche Vereinbarung über Leiharbeit zu schließen. Die Regelung der Leiharbeit aber ist Gegenstand der RL 2008/104, die vom Unionsgesetzgeber erlassen wurde, nachdem die Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern über den Abschluss einer solchen Vereinbarung gescheitert waren. Die RL aus 2008, die bis 5.12.2011 in nationales Recht umgesetzt werden musste, war zeitlich auf das Ausgangsverfahren noch nicht anwendbar. Wie das Verfahren geendet hätte, wenn die Leih- AN-RL auf das gegenständliche Verfahren anzuwenden gewesen wäre, bleibt offen. Eine ausdrückliche Beschränkung der Befristung von Arbeitsverträgen bei Arbeitskräfteüberlassung sieht aber auch diese RL nicht vor. Die Sonderregelung in Bezug auf unbefristete Arbeitsverhältnisse in Art 5 Abs 2 wird vielmehr eher so zu deuten sein, dass befristete Arbeitsverträge mit Leiharbeitskräften europarechtlich zulässig sind. Andererseits kann daraus in Hinblick auf Art 9 leg cit keinesfalls geschlossen werden, das eine nationale Regelung, wie das Verbot das Arbeitsverhältnis ohne sachliche Rechtfertigung, zu befristen (§ 11 Abs 2 Z 4 AÜG) nicht mit der europäischen Rechtslage vereinbar wäre.

Im dritten italienischen Fall* ging es weniger um die Befristung an sich, sondern viel mehr um die Frage der Entschädigung bei rechtswidriger Aufnahme einer Befristungsklausel in einen Arbeitsvertrag. Das italienische Gericht hat nämlich die Befristung des Arbeitsvertrages zwischen Frau Carratu und der Poste Italiane SpA für nichtig erklärt und das Bestehen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses festgestellt. Nach den üblichen Grundsätzen des italienischen Zivilrechts hätte der AG den Lohn für die Dauer des Rechtsstreits nachzahlen müssen. Nach dem Inkrafttreten eines neuen Gesetzes gilt dies jedoch hier nicht mehr. Die Entschädigung ist nunmehr nach oben hin mit dem zwölffachen der letzten vollen Monatsvergütung begrenzt, und sohin bleibt der einem rechtswidrig befristet eingestellten AN gewährte Schutz hinter dem zurück, der nach den zivilrechtlichen Grundsätzen gelte und der einem rechtswidrig entlassenen Dauerbeschäftigten zugutekommt. Der EuGH hält fest, dass § 4 Nr 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge einer staatlichen Einrichtung wie der Poste Italiane SpA unmittelbar entgegengehalten165 werden kann und der Begriff „Beschäftigungsbedingungen“ in leg cit die Entschädigung umfasst, die eine AG einem AN auf Grund der rechtswidrigen Aufnahme einer Befristungsklausel in seinen Arbeitsvertrag zu zahlen hat. Das europäische Recht verlangt aber nicht, dass die im Fall der rechtswidrigen Aufnahme einer Befristungsklausel in einem Arbeitsvertrag gewährte Entschädigung genauso zu behandeln ist wie die im Fall der rechtswidrigen Auflösung eines unbefristeten Arbeitsvertrags gezahlte Entschädigung.

Frau Gomes Viana Novo und anderen AN wurde die Befriedigung ihrer Ansprüche gegenüber ihrem früheren AG von der portugiesischen Einrichtung für Insolvenzentgeltsicherung verweigert, weil die Ansprüche mehr als sechs Monate vor dem Zeitpunkt der Erhebung der Klage auf Feststellung der Zahlungsunfähigkeit fällig geworden sind. Dies ist laut EuGH vom 28.11.2013* mit der RL 80/987/EWG zum Schutz der AN bei Zahlungsunfähigkeit des AG vereinbar. Auch dann, wenn, wie im Fall der betroffenen AN, bereits lange vor der Feststellung auf Zahlungsunfähigkeit ein gerichtliches Verfahren angestrengt wurde. Die in Art 4 leg cit vorgesehenen Fälle, in denen die Zahlungspflicht der Garantieeinrichtung begrenzt werden kann, sei zwar eng auszulegen, dies darf aber nicht dazu führen, dass die den Mitgliedstaaten vorbehaltene Möglichkeit, diese Zahlungspflicht zu begrenzen, ausgehöhlt wird.* Der Umstand, dass andererseits aber die Gefahr besteht, dass in Fällen wie dem gegenständlichen, die Insolvenzentgeltsicherung an sich ausgehöhlt wird, wird vom Gerichtshof nicht erörtert.

Die Insolvenzentgeltsicherung muss auch nicht diejenigen Ansprüche erfassen, die entstanden sind, nachdem das Urteil über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den AG, mit dem dessen Zahlungsunfähigkeit festgestellt wird, in das Handelsregister eingetragen worden ist. Dies gilt auch dann, wenn mit dem Urteil noch nicht die Beendigung der Tätigkeit des AG angeordnet wird.*

Leistungen bei Alter einer vom AG eingerichteten betrieblichen Zusatzversorgungseinrichtung sind jedoch von der RL 2008/94/EG erfasst. Es reicht für die Insolvenzentgeltsicherung auch aus, dass die betriebliche Zusatzversorgungseinrichtung seit dem Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des AG mit unzureichenden finanziellen Mitteln ausgestattet ist und dass der AG wegen seiner Zahlungsunfähigkeit nicht über die notwendigen Mittel verfügt, um ausreichende Kapitalbeiträge an diese Versorgungseinrichtung mit dem Ziel zu entrichten, die den Mitgliedern geschuldeten Leistungen vollständig zu erfüllen.*

Die europäische Rechtsquelle für das europäische Kollisionsrecht für vertragliche Schuldverhältnisse ist das Übereinkommen von Rom bzw für Verträge, die am 17.12.2009 oder später geschlossen wurden, die Rom-I-VO. Zentraler Anknüpfungspunkt für Arbeitsverträge ist dabei der Ort, in dem der AN „gewöhnlich seine Arbeit verrichtet“. In der bisherigen Rsp hat der EuGH betont, dass dieses Kriterium weit auszulegen ist.* In der im September 2013 ergangenen E in der Rs Schlecker hat er jedoch eine Grenze gezogen.* Der Ausgangsfall war eine AN, die in mehreren Filialen der Firma Schlecker beschäftigt war. Nachdem sie von Dezember 1979 bis zum 1.1.1994 in Deutschland gearbeitet hatte, schloss sie einen neuen Arbeitsvertrag, auf Grund dessen sie als Geschäftsführerin von Schlecker in den Niederlanden angestellt wurde. 2006 wurde ihr mitgeteilt, dass ihr Arbeitsplatz ersatzlos entfalle und man wies sie an, zu unveränderten Vertragsbedingungen als Bereichsleiterin Revision in Dortmund tätig zu sein. Die AN widersprach und strengte ein Gerichtsverfahren an, im Zuge dessen die Frage der Anwendung des niederländischen Rechts zu klären war. Der in weiterer Folge mit dieser Frage befasste EuGH wies auf die sogenannte Ausweichklausel hin und kam zum Schluss, dass auch dann, wenn ein AN die Arbeit in Erfüllung des Arbeitsvertrags gewöhnlich, dauerhaft und ununterbrochen in ein und demselben Staat verrichtet, das nationale Gericht das in diesem Land anwendbare Recht ausschließen kann, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass eine engere Verbindung zwischen diesem Vertrag und einem anderen Land besteht. Als wichtige Anknüpfungspunkte nennt er das Land, in dem der AN Steuern und Abgaben auf die Einkünfte aus seiner Tätigkeit entrichtet, und das Land, in dem er der SV und den diversen Renten-, Gesundheits- und Erwerbsunfähigkeitsregelungen angeschlossen ist. Außerdem sind die gesamten Umstände des Falles, wie ua die Parameter, die mit der Bestimmung des Gehalts und der Arbeitsbedingungen zusammenhängen, zu berücksichtigen.*

Der in der Entsende-RL zentrale Begriff des Mindestlohns wird ebendort nicht näher definiert. Aus welchen Bestandteilen er sich für die Anwendung dieser RL zusammensetzt, ist daher laut EuGH in der Rs Isbir* im Recht des betreffenden Mitgliedstaats festzulegen. Dies darf jedoch zu keiner Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs führen. Entscheidend sei hierbei, ob erstens diese Lohnbestandteile durch die nationalen Rechtsvorschriften oder Praktiken des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der AN entsandt wird, nicht als Bestandteil des Mindestlohns definiert werden und zweitens diese Lohnbestandteile das Verhältnis zwischen der Leistung des AN auf der einen und der ihm erbrachten Gegenleistung auf der anderen Seite verändern.* Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so fällt die Leistung nicht unter den Begriff des Mindestlohns.

Die Verletzung der Aufzeichnungspflichten über die Arbeitszeiten der AN durch ein portugiesisches Unternehmen war Ausgangspunkt der E Worten.* Die Behörden konnten die Arbeitszeiten der AN bei einer Kontrolle in den Geschäftsräumlichkeiten der166 Firma nicht unmittelbar überprüfen. Erst einige Tage später übermittelte das Unternehmen die entsprechenden Daten der Behörde. Der EuGH stellte fest, dass Arbeitszeitaufzeichnungen grundsätzlich unter den Begriff „personenbezogene Daten“ iSd einschlägigen RL zum Datenschutz* fallen. Diese RL steht aber einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der AG verpflichtet sind, der für die Überwachung der Arbeitsbedingungen zuständigen nationalen Behörde die Aufzeichnungen über die Arbeitszeiten so zur Verfügung zu stellen, dass sie unverzüglich eingesehen werden können, wenn dies für die Überwachung der Arbeitszeitbestimmungen notwendig ist.

5.
Ausblick

Folgende interessanten Rechtsfragen wurden 2013 beim EuGH anhängig:

  • Verstößt eine Diskriminierung wegen Fettleibigkeit gegen das Unionsrecht?*

  • Wann ist ein Arbeitsverhältnis als Beschäftigung beim „Staat“ iSv § 5 der RL über befristete Arbeitsverhältnisse, insb in Hinblick auf die Wendung „unter Berücksichtigung der Anforderungen bestimmter Branchen und/oder Arbeitnehmerkategorien“ anzusehen und daher geeignet, andere Rechtsfolgen als private Arbeitsverhältnisse zu rechtfertigen? Ausgangsfall ist eine Lehrerin, die über einen Zeitraum von über fünf Jahren im Rahmen zahlreicher befristeter Verträge vom Ministerium eingestellt wurde.*

  • Was ist eine geeignete Maßnahme zur Verhinderung des Missbrauchs von Kettenarbeitsverträgen im öffentlichen Sektor bzw stellt es, wenn im privaten Sektor eine Entschädigung vorgesehen ist und im öffentlichen Sektor keine entsprechende Maßnahme vorgesehen ist, eine geeignete Maßnahme iSv § 5 leg cit dar, wenn auch im öffentlichen Sektor eine Entschädigung zuerkannt wird?*

  • Wie ist der Begriff des Betriebes und wie ist der Begriff der Entlassung iSd Massenentlassungs-RL zu verstehen?*

  • Wie ist der Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub nach Art 7 Abs 1 der Arbeitszeit-RL bei Tod des AN zu interpretieren? Geht der Anspruch unter oder gibt es einen Anspruch auf finanzielle Vergütung und wenn ja, wem steht dieser Anspruch zu und in welcher Form?*

  • Stellt eine städtische Ausschreibung in ausdrücklicher Anwendung eines Gesetzes, die für den Zugang zu einer Stelle bei der örtlichen Polizei ein Höchstalter von 30 Jahren festlegt, eine Diskriminierung auf Grund des Alters iSd RL 2000/78/EG dar?*

  • Ist eine nationale Rechtslage, wonach der Anspruch eines AN auf eine Abfertigung entfällt, wenn er die Möglichkeit hat, eine Volksrente zu erhalten, eine europarechtlich verpönte Altersdiskriminierung? *

  • Haben die einem nach französischem Recht eingerichteten Zentrum für Arbeitstraining zugewiesenen Personen den Status eines AN iSd EU?* Die gegenständlichen Zentren für Arbeitstraining nehmen behinderte Jugendliche und Erwachsene auf, die momentan oder dauerhaft weder in gewöhnlichen Unternehmen an einem für Behinderte geschützten Arbeitsplatz oder im Auftrag eines Verteilungszentrums für Heimarbeit arbeiten können, noch die eine unabhängige berufliche Tätigkeit ausüben können. Ausgangspunkt der Rechtsfrage ist der strittige Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen.

  • Ist die Anwendung tarifvertraglich festgelegter Einschränkungen des Einsatzes von Leih-AN mit Art 4 der Leih-AN-RL* vereinbar?*

  • Ist es mit dem Unionsrecht vereinbar, dass im Fall einer grenzüberschreitenden Entsendung von AN das Recht des Heimatstaates die Übertragung einer Lohnforderung an die Gewerkschaft zur Einziehung verbietet?* Konkret geht es um ein polnisches Unternehmen, welches ca 350 AN nach Finnland für Elektroinstallationsarbeiten entsendet hat. Die AN wurden aber nicht entsprechend nach dem allgemeingültigen finnischen KollV entlohnt. 186 der AN haben der zuständigen finnischen Gewerkschaft ihre Lohnforderungen zur Einziehung übertragen. Der AG wendet im Verfahren ua ein, dass das polnische Recht die Übertragung der im Arbeitsvertrag begründeten Forderungen verbiete. Ein weiterer Aspekt des Verfahrens ist die Frage, was alles unter dem Begriff Mindestlohnsätze iSd Art 3 der Entsende-RL fällt. Strittig sind vor allem das Entgelt für die Wegzeit und die Tagesgelder.

  • Bereits im Dezember 2012 war das belgische „Limosa“-System Gegenstand eines Verfahrens vor dem EuGH.* Beim „Limosa“-System handelt es sich um ein Informationssystem für Zwecke der Statistik und Kontrolle iZm grenzüberschreitender Erwerbstätigkeit. Das 2012 entschiedene Verfahren bezog sich auf die Meldepflichten von selbstständigen Dienstleistungserbringern. Nunmehr steht die Meldepflicht des belgischen167 Auftraggebers hinsichtlich der von einem ausländischen Subunternehmer entsandten AN auf dem Prüfstand.*

  • Ist die EU-Dienstleistungsfreiheit auf ein Schiff, welches in Panama registriert ist und unter dessen Flagge fährt, anwendbar, wenn das Schiff überwiegend in Europa verwendet wird und das das Schiff betreibende Unternehmen in einem EFTA-Staat (Norwegen) seinen Sitz hat?* Die Frage stellt sich iZm Arbeitskampfmaßnahmen des schwedischen Transportarbeiterverbandes gegen das das Schiff betreibende Unternehmen.

Unmittelbar oder mittelbar österreichische Sachverhalte betreffen folgende Rechtsfragen:

  • Ist nur ein österreichischer KollV an sich oder auch dessen Nachwirkung im Fall der Kündigung ein KollV iSd Betriebsübergangs-RL?* Diese Frage stellt sich iZm dem Betriebsübergang der Austrian Airlines auf deren Konzerntochter Tyrolean Airways, in dessen Zuge der KollV der Konzernmutter gekündigt wurde.

  • Ist eine Altersteilzeitarbeit nach österreichischen Vorschriften auch in Deutschland als Altersteilzeitarbeit anzuerkennen?* Das deutsche Pensionsrecht kennt eine Altersrente nach Altersteilzeitarbeit. Anerkannt wird in diesem Zusammenhang jedoch nur eine Altersteilzeitarbeit, die nach deutschen Rechtsvorschriften durchgeführt wird. Der EuGH wird nun zu entscheiden haben, inwiefern dies mit der AN-Freizügigkeit vereinbar ist.

  • 2009 hat der EuGH in der Rs Hütter entschieden, dass die Nichtanrechnung von Vordienstzeiten, die vor dem 18. Lebensjahr liegen, grundsätzlich der Gleichbehandlungsrahmen-RL widerspricht.* Als Reaktion darauf hat man ua im Bundesbahngesetz eine Neuregelung geschaffen,* die einerseits den europäischen Anforderungen genügen soll, jedoch andererseits für die Österreichischen Bundesbahnen aufkommensneutral ist. Ob bzw inwieweit auch diese Neuregelung eine Altersdiskriminierung darstellt, ist Gegenstand der Rs Starjakob.*