SchmitDie christliche Arbeiterbewegung in den Jahren 1933 bis 1946 – Vom Untergang der Demokratie bis zum Beginn der Zweiten Republik

Verlag des ÖGB, Wien 2013, 304 Seiten, broschiert, € 38,–

JOSEFCERNY (WIEN)

Das vorliegende, als Band 3 in der von Klaus Mulley und Peter Autengruber herausgegebenen Schriftenreihe Berichte und Forschungen zur Gewerkschaftsgeschichte erschienene Buch schließt eine Lücke in der politikwissenschaftlichen Literatur. Fundierte wissenschaftliche Untersuchungen über die Christliche Arbeiterbewegung und deren Rolle im Ständestaat (vor allem von Pelinka, Talos, Göhring und Pellar) wurden zwar schon früher publiziert, eine geschlossene Darstellung der Situation und der Entwicklung der Christlichen Arbeiterbewegung im Zeitraum vom Beginn des autoritären Ständestaates bis zur Wiedererrichtung der Zweiten Republik, in einem besonders düsteren Abschnitt der österreichischen Geschichte, hat aber bisher gefehlt.

Aufbauend auf seiner 2009 erstellten Diplomarbeit beschränkt sich Georg-Hans Schmit nicht auf eine chronologische Darstellung des Ablaufs der Ereignisse, sondern führt auch eine eingehende Analyse und Bewertung der Entwicklung unter besonderer Orientierung an den wesentlichen Bruchstellen bei gleichzeitiger Erforschung der handlungslei169tenden Motive der Christlichen Arbeiterbewegung durch.

Dem Kernstück der Arbeit sind eine Einleitung und eine „Vorgeschichte“ vorangestellt, die über den üblichen Rahmen solcher Präliminarien erheblich hinausgehen. Die Einleitung stellt das Grundprinzip der Arbeit vor, enthält Begriffsbestimmungen und Aussagen zur theoretischen Verortung, nimmt Bezug auf die Christliche Soziallehre und enthält Angaben zur Literatur- und Quellenlage. Im Rahmen der „Vorgeschichte“ wird die Entwicklung von der Gründung der Christlichsozialen Partei durch Lueger in den Jahren 1890/91 und von den Anfängen der Christlichen Arbeiterbewegung bis zur Ausschaltung des Parlaments durch Dollfuß im März 1933 beschrieben. Weiters werden die Sozialisierung und das persönliche Umfeld bedeutender Vertreter der Christlichen Arbeiterbewegung in (Kurz)Biographien von Leopold Kunschak, Franz Spalowsky, Johann Staud, Karl Lugmayer und Lois Weinberger unter Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten und prägenden Elementen geschildert.

Der Hauptteil des Buches ist in drei Abschnitte gegliedert:

Die Christliche Arbeiterbewegung in den Jahren 1933 bis 1938; Unterdrückung und Widerstand 1938 bis 1945; Wiederaufbau und Neubeginn in den Jahren 1945 bis 1946. In seinem Vorwort spricht sich ÖGB-Vizepräsident Norbert Schnedl für eine „möglichst genaue und wahrheitsgetreue Darstellung – ohne Beschönigungen –, aber auch ohne ideologische Verzerrungen“ aus, und der Autor selbst betont in der Einleitung die Zielsetzung einer „offenen, wissenschaftlich- kritischen Auseinandersetzung mit dem Auftreten und Handeln der Christlichen Arbeiterbewegung im Untersuchungszeitraum“.

Ich meine, man kann Georg-Hans Schmit bescheinigen, dass er sein Ziel grundsätzlich erreicht hat: Neben der Darstellung des positiven Beitrags der Christlichen Arbeiterbewegung zur gesellschaftlichen Entwicklung, etwa beim sozialen Wohnbau (am Beispiel der Siedlung Starchant in Wien-Ottakring), werden auch Widersprüche, Kontinuitäten und Diskontinuitäten klar herausgearbeitet. Einige Beispiele mögen das illustrieren:

Obwohl die ständische Dollfuß-Verfassung vom 1.5.1934 im klaren Widerspruch zu den die Programmatik und die ideologische Grundhaltung der Christlichen Arbeiterbewegung bestimmenden päpstlichen Sozialenzykliken Rerum Novarum und Quadragesimo Anno und noch mehr zum Linzer Programm der Christlichen Arbeiterschaft von 1923 stand, das ein ausdrückliches Bekenntnis zur Demokratie und zum Verhältniswahlrecht und eine klare Absage an jede Form von autoritärer Regierung formulierte, anerkannte und akzeptierte die Christliche Arbeiterbewegung letztlich die neue Verfassung als Grundlage des austrofaschistischen Ständestaates.

Obwohl sich die Christliche Arbeiterbewegung in einigen Politikfeldern gegen politische und soziale Verschlechterungen zur Wehr setzte, hat sie das politische System des austrofaschistischen Ständestaates, in dem sie institutionell eingebunden war, niemals wirklich in Frage gestellt. Schmit bezeichnet dieses Verhaltensmuster als „loyale Opposition“ und zitiert dazu Pelinka: „Die Christliche Arbeiterbewegung opponierte im System gegen bestimmte Tendenzen des Systems. Sie verweigerte sich jedoch allen Richtungen, die eine Opposition zum System vertraten“ (S 14 FN 7).

Aber nicht nur im Gesamtverhalten, sondern auch in wichtigen Einzelfragen gab es eklatante Widersprüche:

Obwohl man in den Heimwehren und in den Nationalsozialisten die eigentlichen Gegner sah, die man bekämpfen wollte, versuchte man, den Weiterbestand der Christlichen Gewerkschaftsorganisationen durch ein Bündnis mit den Heimwehrgewerkschaften zu sichern (S 88), stimmte aber letztlich nicht nur der Gründung der „Einheitsgewerkschaft“ zu, sondern übernahm in der Person von Johann Staud sogar deren Führung.

Obwohl die Vaterländische Front (VF) ideologisch im Gegensatz zu den Vorstellungen der Christlichen Arbeiterbewegung stand, begann im Juli 1934 eine offizielle Zusammenarbeit im Rahmen einer Vorläuferorganisation der späteren „Sozialen Arbeitsgemeinschaft“ (SAG), und der Wiener Christliche Arbeiterverein beschloss sogar schon im März 1934 seine Eingliederung in die Vaterländische Front.

Neben dem klaren Aufzeigen dieser Widersprüche zwischen politischer Programmatik und tatsächlichem Verhalten ist bemerkenswert, dass Schmit auch andere Fakten ungeschminkt darstellt, so zB dass die Christlichen Gewerkschaften Ende März 1933 zum Scheitern des durch die Freien Gewerkschaften ausgerufenen Druckerstreiks beigetragen haben (S 84), oder dass der Zentralverband christlicher Angestellter im Frühjahr 1933 die Kollektivvertragsverhandlungen für die Bankangestellten „unterlaufen“ und einen neuen KollV abgeschlossen hat, in dem die Forderungen der AG-Seite, nämlich des Bankenverbands, nach Lohn- und Gehaltskürzungen weitgehend erfüllt wurden (S 83).

Ein Thema, das in der Geschichtsschreibung oft tabuisiert wird, sind Tendenzen zum Antisemitismus innerhalb der Christlichen Arbeiterbewegung. Schon bei der Gründung hatte Kunschak zu antisemitischen Parolen gegriffen, um gegen die „jüdische Sozialdemokratie“ anzukämpfen, und auch im Linzer Programm von 1923 finden sich eindeutig rassistische und antisemitische Aussagen. Im Vorfeld der Gründung der Einheitsgewerkschaft kam es zu einer Blockbildung mit deutschnationalen Gewerkschaftern und in diesem Zusammenhang zu übler antisemitischer Propaganda gegen die Freien Gewerkschaften („die Juden aus der Werdertorgasse“ – S 86).

Unklar bleibt – auch nach der Lektüre des Buchs von Schmit – die Position der Christlichen Arbeiterbewegung zu den Ereignissen des 12.2.1934. In seiner historischen Rede am 9.2.1934 im Wiener Gemeinderat hatte Kunschak vor einem Bürgerkrieg gewarnt und zur Versöhnung aufgerufen. Schmit berichtet, dass Kunschak über die Vorgangsweise von Dollfuß „verbittert“ gewesen sei und alle Funktionen zurücklegen wollte (S 34), und dass er auch im Nachhinein im Jänner 1935 neuerlich zur Versöhnung zwischen den sozialdemokratischen und den christlichen Arbeitern aufgerufen habe (S 130). Andererseits weist Pelinka (Christliche Arbeiterbewegung und Austrofaschismus 1984, www.labournetaustria. at) darauf hin, dass der Freiheitsbund, die christlichsoziale Wehrorganisation, deren wichtigster politischer Exponent Kunschak war, auf Seiten der Regierungstruppen gemeinsam mit Einheiten der Heimwehr gegen die sozialdemokratischen Arbeiter gekämpft hat. Im Buch von Schmit ist darüber nichts zu finden.

Eindeutig ist dagegen die Rolle der Christlichen Arbeiterbewegung bei der Beseitigung der Grundlagen der demokratischen Arbeitsverfassung. Trotz anfänglicher Ablehnung des Konzepts einer staatlich-autoritären Einheitsgewerkschaft wurde diese schließlich nicht nur akzeptiert, sondern mit Johann Staud als Vorsitzendem übernahm die Christliche Arbeiterbewegung sogar die Führungsrolle in der Einheitsgewerkschaft. Auch die Abschaffung der Arbeiterkammern als170 autonome demokratische Selbstverwaltungseinrichtungen und deren Ersetzung durch von der Regierung eingesetzte Verwaltungskommissionen ging unter maßgeblicher Beteiligung von führenden Vertretern der Christlichen Arbeiterbewegung vor sich: Johann Staud übernahm die Leitung der Verwaltungskommission für Wien und Niederösterreich, und die Christlichen Gewerkschafter verfügten (ohne Wahl) über die absolute Mehrheit (S 85).

In diesem Zusammenhang kann man wohl nicht mehr von einer „loyalen Opposition“ der Christlichen Arbeiterbewegung im System des austrofaschistischen Ständestaates sprechen. Durch die Übernahme der Führungsrolle waren die Vertreter der Christlichen Arbeiterbewegung selbst Teil des autoritären Systems und an der Beseitigung der demokratischen Arbeitsverfassung unmittelbar mitbeteiligt.

Auffallend ist, dass Schmit nur ganz kurz und erst im letzten Abschnitt auf das Gesetz über die Errichtung von Werksgemeinschaften eingeht. Durch dieses ebenfalls im Jahr 1934 erlassene Gesetz wurde das Betriebsrätegesetz 1919 beseitigt und das System der unabhängigen, demokratischen Interessenvertretung durch Betriebsräte durch ein ideologisch grundlegend anderes Konzept einer ständestaatlichen Betriebsverfassung ersetzt.

Ausführlich beschreibt Schmit die Bemühungen von Vertretern der Christlichen Arbeiterbewegung um die Bildung einer gemeinsamen Front der gesamten Arbeiterschaft gegen den Nationalsozialismus. Auch dabei wurde Johann Staud zur tragischen Hauptfigur. Er versuchte zwar in Gesprächen mit Vertrauensleuten der (illegalen) Freien Gewerkschaften zu einer Verständigung zu kommen, konnte sich aber im eigenen Lager nicht durchsetzen, und als Kurt Schuschnigg, nachdem ihm Friedrich Hillegeist am 3.3.1938 die Forderungen der Vertrauensleute von 14 der wichtigsten Wiener Betriebe vorgetragen hatte, Staud mit der Führung von Verhandlungen darüber beauftragte, führte auch das letztlich zu keinem Ergebnis. Bruno Kreisky meint dazu in seinen Memoiren (Zwischen den Zeiten, S 282 f), Staud habe die Gespräche sabotiert, weil er das Monopol, das ihm die Diktatur eingeräumt hatte, nicht preisgeben wollte und „sich zuviel Zeit gelassen“ habe. Auch wenn man dieser Annahme nicht folgt – das Buch von Schmit gibt dazu keinen Hinweis –, bleibt doch als realistische Hypothese: „Österreich wäre 1945 ... anders dagestanden, wenn es im Jahr 1938 eine gemeinsame Widerstandsfront gegen Hitler gegeben hätte“ (Kreisky, aaO 283).

Schmits Resumé zu diesem Kapitel der Geschichte fällt jedenfalls ernüchternd aus: „Selbst unter den kritischen Bedingungen im März 1938 schien die Zugehörigkeit zum christlich-konservativen Lager und dem von diesem getragenen autoritären System stärker zu wiegen als die Bildung einer gemeinsamen Front zur Sicherung der Unabhängigkeit Österreichs“ (S 36).

Besonders verdienstvoll ist Schmits Analyse im Abschnitt „Unterdrückung und Widerstand 1938 bis 1945“. Im Vergleich zu anderen Gruppen aus dem konservativ-christlichen Lager ist nämlich der Widerstand, der durch Mitglieder der Christlichen Arbeiterbewegung geleistet wurde, zuvor kaum ausreichend aufgearbeitet und dokumentiert worden. Nachdem die Christliche Arbeiterbewegung alle österreichischen Arbeiter zu einem „Ja für Österreich“ bei der für 13.3.1938 angesetzten Volksabstimmung aufgerufen hatte, wurde Johann Staud schon am Morgen des 12.3.1938 verhaftet und am 1.4.1938 in das KZ Dachau transportiert, weitere führende Vertreter der Christlichen Arbeiterbewegung folgten ihm auf diesem grauenhaften Weg. Nach der Auflösung aller Vereine und Organisationen der Christlichen Arbeiterbewegung am 13.3.1938 folgte für viele ihrer Mitglieder eine Zeit der politischen und wirtschaftlichen Verfolgung. Der Widerstand formierte sich in Widerstandsgruppen, wie jener um Lois Weinberger, es wurden Kontakte mit deutschen Gewerkschaftern und – wenn auch nur wenige und isoliert – mit sozialdemokratischen und kommunistischen Widerstandsgruppen hergestellt. Gründlich recherchiert und umfangreich dokumentiert zeichnet Schmit ein detailliertes Bild des Widerstandes der Christlichen Arbeiterbewegung gegen die Gewaltherrschaft der Nazis und des Kampfes um ein freies, unabhängiges Österreich.

Der letzte Teil des Buches ist der Phase des Wiederaufbaus und der Neugründung in den Jahren 1945 und 1946 gewidmet. Mit der Gründung des Österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbundes (ÖAAB) und dessen Integration in die neu gegründete ÖVP ergab sich für die Christliche Arbeiterbewegung eine grundsätzliche Neupositionierung innerhalb des christlichsozialen Lagers: Es gelang, sich vom „Juniorpartner“, der in vielen Bereichen eine untergeordnete Rolle spielen musste, zu einem wesentlichen und vor allem gleichberechtigten „Player“ zu emanzipieren (S 214). Die Beteiligung am Aufbau eines einheitlichen, überparteilichen Gewerkschaftsbundes war zwar innerhalb der Christlichen Arbeiterbewegung nicht unumstritten, letztlich setzte sich aber die Einsicht durch, dass die Einrichtung eines Systems der Wirtschaftspartnerschaft auf korporatistischer Basis nur mit einer einheitlichen AN-Vertretung möglich ist, und dass die großen Aufgaben des Wiederaufbaus nach dem Krieg nur in Zusammenarbeit der politischen Kräfte bewältigt werden können. Ein wesentlicher Faktor waren auch die persönlichen Erfahrungen führender Gewerkschafter während der nationalsozialistischen Herrschaft. Viele von ihnen waren verfolgt worden, saßen in Gefängnissen oder Konzentrationslagern und hatten dabei gelernt, dass durch eine Zusammenarbeit in schwierigen Zeiten gemeinsame Ziele leichter erreichbar sind (S 222). Mit der Wiedererrichtung der Arbeiterkammern auf der Basis demokratischer Wahlen waren die Grundlagen für eine starke, überparteiliche Interessenvertretung der AN in der Zweiten Republik geschaffen.

Besonders interessant sind die Ausführungen Schmits zum Verhältnis zwischen der Christlichen Arbeiterbewegung, den Christlichen Gewerkschaftern und dem ÖAAB sowie zur Funktion und Rolle des ÖAAB innerhalb der ÖVP. Schmit beschreibt sie so: „Stellte sich der ÖAAB in der Vertretung der Arbeitnehmerinteressen auf die Seite der sozialdemokratischen Mehrheitsmeinung innerhalb von Arbeiterkammer und ÖGB, so musste er gleichzeitig innerhalb der ÖVP gegen die beiden anderen Bünde auftreten. Opponierte er gegen die Mehrheitsfraktion der Sozialdemokraten, so musste er sich den Vorwurf gefallen lassen, aus falscher Parteiräson seinem Auftrag zur Vertretung der Arbeitnehmerinteressen nicht ausreichend nachzukommen“ (S 213). An diesem Dilemma hat sich wohl bis heute nichts geändert.

Abschließend fasst Schmit die Entwicklung in den Jahren 1945 und 1946 zusammen: „Am Beginn des Jahres 1947 fand sich die Christliche Arbeiterbewegung ... in einer Rolle wieder, die zwar ohne Zweifel stärker als jene in der Ersten Republik, aber trotzdem dieser ähnlich war: Auf der einen Seite musste man sich innerhalb der ÖVP – wie früher in der Christlichsozialen Partei – immer stärker mit den Unternehmern und den Bauern arrangieren, die Durchsetzung von eigenen Interessen wurde damit schwieriger, teilweise überhaupt unmöglich. Auf der anderen Seite blieb den christlichen Gewerkschaftern wiederum nur die Rolle des ‚Juniorpartners‘ innerhalb des ÖGB, zwar auf einer anderen, konsensualen Basis, die aber in Bezug auf die gestalterischen Möglichkeiten durchaus mit der Situation zwischen Christlichen und Freien Gewerkschaften in der Ersten Republik vergleichbar war171“ (S 272).

Insgesamt ist Georg-Hans Schmit – mit Erfolg – um Sachlichkeit und Objektivität bemüht. Das Buch ist gut lesbar, teilweise sogar spannend, so dass man sich als Leser eine Fortsetzung der Geschichte bis herauf in die Gegenwart wünschen würde. Interessant wäre in diesem Zusammenhang zB die Rolle der Christlichen Arbeiterbewegung während der Regierung Schüssel.

Trotz einiger „weißer Flecken“ ist das Buch ein wertvoller Beitrag zur Gewerkschaftsgeschichte und zur österreichischen Zeitgeschichte.