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Mindestbetragserhöhungen des Beschäftiger-KollV und Referenzzuschlag nach dem KollV für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung

BIRGITSCHRATTBAUER (SALZBURG)
§ 10 Abs 1 AÜG; Abschnitt IX/3-5 KollV für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung; Art 5 Abs 1 und 3 RL 2008/104/EG
  1. Der Differenzbetrag zwischen der im Beschäftiger-KollV vorgesehenen prozentuellen Mindestlohnerhöhung und einer Mindestbetragserhöhung für alle zum Stichtag bereits im Betrieb Beschäftigten ist vom Referenzzuschlag umfasst.

  2. Auch in der Leiharbeits-RL findet sich keine taugliche Grundlage für das Begehren der Klägerinnen auf den Mindestbetrag, da der österreichische Gesetzgeber mit der Regelung in § 10 Abs 1 AÜG von der in Art 5 Abs 3 der RL vorgesehenen Möglichkeit zur Abweichung vom Gleichbehandlungsgebot durch KollV genutzt hat.

Die Erstkl war [...], die Zweit- bis Neuntkl sind beim bekl Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen beschäftigt. Auf die Arbeitsverhältnisse kommt der KollV für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (KVAÜ) zur Anwendung. Die Kl waren von der Bekl bereits vor dem 1.11.2011 einem Unternehmen überlassen, auf dessen Dienstverträge mit seinem Stammpersonal der KollV für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie (im Folgenden: KollV-Metallindustrie) anzuwenden ist. [...]

Bei den Kollektivvertragsverhandlungen 2011 wurden ab 1.11.2011 sowohl die kollektivvertraglichen Mindestlöhne (Art IX Z 20 des KollV-Metallindustrie) als auch die Ist-Löhne (Art IX Z 4 und Anhang II des KollV-Metallindustrie) je nach Beschäftigungsgruppe zwischen 4,0 % und 4,4 % erhöht. Die Erhöhung der Ist-Löhne erfolgte jedoch mindestens um 80 € pro Monat. [...]

In einem Protokoll zum Lohnabschluss 2011 wurde von den Fachverbänden des Eisen-/Metall- Sektors und der Gewerkschaft PRO-GE nachstehende Vereinbarung geschlossen:

„1. Erhöhung der kollektivvertraglichen Mindestlöhne ab 1.11.2011 (Beilage 1): [...]

2. Erhöhung der Ist-Löhne im selben Ausmaß wie Absatz 1, mindestens jedoch um € 80,– pro Monat (auch bei KV-Sitzer; [...]), ab 1.11.2011 (siehe Anhang II). [...]“

Die Bekl erhöhte die Überlassungslöhne der Kl ab 1.11.2011 unter Berücksichtigung der kollektivvertraglichen Mindestlohnerhöhung von 4,4 %, nicht jedoch unter Berücksichtigung des Mindestbetrags von 80 € pro Monat. Der von der Bekl an die Kl ausbezahlte Überlassungslohn berücksichtigt den in Abschnitt IX/4a lit b des KVAÜ festgesetzten Referenzzuschlag.

Die Kl begehren [...] die der Höhe nach unstrittigen Lohndifferenzen, die sich aus der Lohnerhöhung auf Basis der Erhöhung des kollektivvertraglichen Mindestlohnes von 4,4 % und jener auf Basis der Erhöhung der Mindestlöhne um 80 € pro Monat ergeben. [...]

Die Bekl bestritt und beantragte Klagsabweisung. [...]

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. [...]

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl keine Folge. [...]

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil der Frage, ob die kollektivvertragliche Erhöhung aller tatsächlichen Löhne (auch Mindestlöhne) der vor einem bestimmten Stichtag beschäftigten AN um einen Mindestbetrag auch Auswirkungen auf ebenfalls bereits vor dem Stichtag überlassene Arbeitskräfte habe, eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme. [...]

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig (RIS-Justiz RS0109942) und auch berechtigt. [...]

2. [...] Nach Art IX Z 4 des KollV-Metallindustrie ist die kollektivvertragliche Ist-Lohn-Erhöhung im Anhang II geregelt. Anhang II Z 1 des KollV-Metallindustrie verwendet den Begriff der „tatsächlichen Monatslöhne“ (der in den Betrieben beschäftigten AN). Dies lässt [...] erkennen, dass die Kollektivvertragsparteien von einem weiten Verständnis des Begriffs „Ist-Löhne“ ausgehen und daher alle zum Zeitpunkt 1.11.2011 in einem dem KollV-Metallindustrie zugehörigen Betrieb beschäftigten AN nicht nur in den Genuss der prozentuellen Lohnerhöhung, sondern gegebenenfalls auch in den der Erhöhung um den Mindestbetrag von 80 € kommen sollten. [...]

Nur für die ab 1.11.2011 neu beschäftigten Mitarbeiter ist daher die Mindestlohntabelle nach Art IX Z 20 des KollV-Metallindustrie maßgeblich. Diese Auslegung entspricht [...] dem offenkundigen Zweck dieser Lohnregelung. Eine Mindestbetragserhöhung sichert, dass gerade die geringsten Einkommen überdurchschnittlich erhöht werden. [...] Der erkennbare Wille der Kollektivvertragsparteien bei dem differenzierten132 Lohnabschluss 2011 war es, durch den Sockelbetrag von 80 € den AN mit einem niedrigeren Lohn eine höhere Lohnerhöhung zu gewähren, aber andererseits Neueinstellungen nicht überdurchschnittlich zu verteuern. Durch eine solche Regelung wird einerseits die Kaufkraft und damit die Inlandsnachfrage erhalten bzw verbessert und andererseits eine Ausweitung der Beschäftigung unterstützt, wodurch [auf] diejenigen AN, die zum Produktivitätszuwachs bzw den positiven Branchenergebnissen beigetragen haben, besonders Bedacht genommen wurde.

Zusammengefasst kann daher als Zwischenergebnis festgehalten werden, dass die aufgrund des Lohnabschlusses 2011 im KollV-Metallindustrie festgehaltenen Regelungen zwingend vorsehen, dass kein (Stamm-)Mitarbeiter, der schon vor dem 1.11.2011 in einem dem KollV-Metallindustrie unterliegendem Betrieb mit dem Mindestlohn beschäftigt war, ab 1.11.2011 einen niedrigeren Lohn beziehen kann, als den in der alten Mindestlohntabelle vorgesehenen Mindestlohn, erhöht um 80 €.

3. Für die Beschäftigung von Arbeitskräften, die zur Arbeitsleistung an Dritte überlassen werden, gilt das AÜG (§ 1 Abs 1 iVm § 3 Abs 1 AÜG). [...]

4. § 10 AÜG regelt im Abschnitt III (Besondere Bestimmungen) die Ansprüche der Arbeitskraft. Nach § 10 Abs 1 Satz 1 AÜG in der bis 31.12.2012 in Kraft gestandenen Fassung BGBl I 2005/104 hat die Arbeitskraft Anspruch auf ein angemessenes, ortsübliches Entgelt, das mindestens einmal monatlich auszuzahlen und schriftlich abzurechnen ist. Nach Satz 3 dieser Bestimmung ist bei der Beurteilung der Angemessenheit für die Dauer der Überlassung auf das im Beschäftigerbetrieb vergleichbaren AN für vergleichbare Tätigkeiten zu zahlende kollektivvertragliche oder gesetzlich festgelegte Entgelt Bedacht zu nehmen. [...]

Mit der Novelle BGBl I 2012/98 wurde dem § 10 Abs 1 AÜG folgender Satz angefügt:

„Darüber hinaus ist auf die im Beschäftigerbetrieb für vergleichbare AN mit vergleichbaren Tätigkeiten geltenden sonstigen verbindlichen Bestimmungen allgemeiner Art Bedacht zu nehmen, es sei denn, es gelten ein KollV, dem der Überlasser unterworfen ist, sowie eine kollektivvertragliche, durch Verordnung festgelegte oder gesetzliche Regelung des Entgelts im Beschäftigerbetrieb.“ [...]

5. Für die Dauer der Überlassung ist somit auf das an AN des Beschäftigerbetriebs für vergleichbare Arbeiten zu zahlende kollektivvertragliche Mindestentgelt (sofern dieses höher ist als das Grundentgelt) Bedacht zu nehmen (RIS-Justiz RS0050789). § 10 AÜG nähert somit die Entgeltansprüche weitgehend jenen der Stamm-AN an (Schindler in ZellKomm2 § 10 AÜG Rz 2 unter Hinweis auf RV 450 BlgNR 17. GP 19).

Eine Angleichung an die im Beschäftigerbetrieb gezahlten überkollektivvertraglichen Ist-Löhne für die Dauer der Beschäftigung sieht das Gesetz jedoch nicht vor (9 ObA 111/07z mwN; RIS-Justiz RS0050688; RS0050789 [T2, T4]; Tomandl, Arbeitskräfteüberlassung 2010 [86]). [...]

6. [...] Für Hochlohnbranchen, also jene Kollektivvertragsbereiche, in denen Kollektivvertragslöhne in etwa jener Höhe, die in Abschnitt IX/1 und 2 des KVAÜ vorgesehen ist, gelten und diese in der betrieblichen Praxis (erheblich) überzahlt werden, erfolgt nach Abschnitt IX/3 des KVAÜ eine pauschale Annäherung an dieses branchenübliche Ist-Lohnniveau durch die Regelung über erhöhte Überlassungslöhne in Form prozentueller Referenzzuschläge (9 ObA 111/07z; Schindler, KVAÜ 199 ff). [...]

7. In Abschnitt IX/5 des KVAÜ wird festgelegt, dass der überlassene AN durch die vollständige Bezahlung des Mindestlohnes/Grundlohnes gem Pkt 1 und 2 dieses Abschnitts unter Beachtung der Bestimmungen über das Überlassungsentgelt das ortsübliche und angemessene Entgelt erhält. Im Anhang IV des KVAÜ (Protokoll vom 15.1.2002) verpflichten sich die Kollektivvertragspartner schließlich, die in Abschnitt IX/3 zweiter Absatz genannten Prozentsätze nach oben oder unten anzupassen, wenn sich der im gewichteten Mittel der im Abschnitt IX/4 genannten Branchen festgestellte Überzahlungsprozentsatz gegenüber dem Stand vom April bzw Oktober 2001 in einem solchen Ausmaß ändert, dass die vereinbarten Prozentsätze um zumindest 0,5 % nach oben oder nach unten anzupassen wären.

8. In der E 9 ObA 130/04i (DRdA 2005/31 [zust Geppert]) hat der OGH unter Bezugnahme auf die Literatur eingehend erläutert, weshalb daher die im KVAÜ festgelegten Erhöhungssätze in pauschalierender Form die von den Kollektivvertragsparteien ermittelten überkollektivvertraglichen Löhne widerspiegeln. Es bestehe kein Grund zur Annahme, dass dabei etwa die mit 31.3.2003 im Anhang IIa des KollV-Metallindustrie vorgesehene Einmalzahlung (110 € jährlich) unberücksichtigt gelassen worden wäre. Derartige Einmalzahlungen [...] seien auch nicht mit den üblichen Sonderzahlungen oder mit Zulagen und Zuschlägen zum Grundlohn iSd Abschnitt VII des KVAÜ vergleichbar, sondern stellten eine allgemeine Entgelterhöhung dar, die aus verschiedenen Gründen nicht in einer prozentuellen Erhöhung des bisherigen Grundlohnes, sondern in einer einmaligen Zahlung an sämtliche zu bestimmten Stichtagen im Betrieb beschäftigten DN in gleicher Höhe bestehe.

9. Auch der im Lohnabschluss 2011 festgelegte Mindestbetrag von 80 €, um den jedenfalls die Löhne sämtlicher bereits vor dem 1.11.2011 beschäftigten Stammmitarbeiter des Beschäftigerbetriebs zu erhöhen waren, stellt [...] eine allgemeine Entgelterhöhung dar, die aber [...] nicht in die Mindestlohntabelle Eingang gefunden hat. Der Differenzbetrag zwischen dem nach den festgelegten Prozentsätzen berechneten Erhöhungsbetrag der Mindestlöhne und dem Betrag von 80 € ist somit vom Referenzzuschlag umfasst. [...] Mit dem Entgeltsystem des KVAÜ soll aber, wie bereits oben erwähnt, nur eine pauschale Annäherung an das branchenübliche Ist-Lohnniveau des Beschäftigerbetriebs erreicht werden, nicht aber eine Besserstellung der überlassenen AN gegenüber den Stammmitarbeitern des Beschäftigerbetriebs.

10. Aber auch unter dem Gesichtspunkt der erst durch die Novellierung des AÜG BGBl I 2012/98 [...] in das nationale Recht umgesetzten Leiharbeits- RL 2008/104/EG ist für die Kl nichts gewonnen.

Nach dem in Art 5 Abs 1 der Leiharbeits- RL 2008/104/EG normierten Gleichbehandlungsgebot133 sollen Leiharbeitskräfte in Bezug auf die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen so behandelt werden, wie AN, die unmittelbar im Beschäftigerbetrieb eingestellt worden wären. Gemäß der Begriffsdefinition des Art 3 Abs 1 lit f und lit ii iVm Art 5 der Leiharbeits-RL bezeichnet der Ausdruck „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die durch Gesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschrift, Tarifvertrag und/oder sonstige verbindliche Bestimmungen allgemeiner Art, die im entleihenden Unternehmen gelten, festgesetzt sind und sich auch auf das Arbeitsentgelt beziehen. Art 5 Abs 2 und [3] der Leiharbeits-RL sehen jedoch bestimmte Möglichkeiten für die Mitgliedstaaten vor, von dem in Art 5 Abs 1 der Leiharbeits-RL normierten Gleichbehandlungsgebot abweichende Regelungen im innerstaatlichen Recht zu treffen.

Dass die durch Gesetz usw, aber auch durch KollV festgelegten Entgeltregelungen für Stamm-AN des Beschäftigers als Mindestanspruch einzuhalten sind, entsprach bereits der Gesetzeslage vor dem 1.1.2013 (§ 10 Abs 1 Satz 3 AÜG). Nur hinsichtlich betrieblicher Regelungen war daher die Leiharbeits- RL – iS einer Ergänzung des § 10 Abs 1 AÜG durch Anfügen eines 4. Satzes – umzusetzen (Schindler, Die neue EU-Leiharbeits-RL – der Umsetzungsbedarf in Österreich, DRdA 2009, 176 [177]). Dabei hat der Gesetzgeber die in Art 5 Abs 3 der Leiharbeits-RL vorgesehene Möglichkeit zur Abweichung vom Gleichbehandlungsgebot durch KollV genutzt. Die Sozialpartner einigten sich darauf, ein Abweichen zuzulassen, wenn ein KollV gilt, dem der Überlasser unterworfen ist, sowie eine kollektivvertragliche, durch Verordnung festgelegte oder gesetzliche Regelung des Entgelts im Beschäftigerbetrieb besteht. Bestehende Überlasser- Kollektivverträge mit sogenannten Referenzzuschlägen auf den jeweiligen KollV gelten nach den ErläutRV (RV 1903 BlgNR XXIV. GP 3) als zulässige Abweichungen, sofern auch für den jeweiligen Beschäftiger eine normativ zwingende, überbetriebliche Entgeltregelung besteht. Mit den Referenzzuschlägen sollen betriebliche Überzahlungen pauschal abgegolten werden, was offenbar dem Bedürfnis der Sozialpartner nach Gleichbehandlung in ausreichendem Ausmaß entsprechen soll (Ercher-Lederer, Neues aus der Gesetzgebung: Besserer Schutz für Leiharbeitskräfte, ZAS 2013/19, 106 [107 f]).

Auch in der Leiharbeits-RL, die in der Revisionsbeantwortung der Kl ohnehin nicht mehr thematisiert wird, findet sich daher keine taugliche Grundlage für die Begehren der Kl.

11. Der Revision der Bekl ist danach Folge zu geben und das Klagebegehren abzuweisen. [...]

Anmerkung

In der vorliegenden E hatte der OGH die Frage zu klären, ob kollektivvertragliche Mindestbetragserhöhungen für alle zu einem bestimmten Stichtag im Betrieb beschäftigten AN auch überlassenen Arbeitskräften in sogenannten Referenzbranchen zustehen. Erstmals geht der OGH dabei auch auf die mit 1.1.2013 wirksam gewordenen Änderungen in § 10 Abs 1 AÜG (idF BGBl I 2012/98) sowie auf die hinter dieser Novellierung stehenden Vorgaben der Leiharbeits-RL (RL 2008/104/EG) ein, sieht darin aber keinen Anlass zu einem Abrücken von seiner bisherigen Linie.

1.
Allgemeines zur Bemessung des Überlassungslohns gem § 10 Abs 1 AÜG iVm Abschnitt IX KVAÜ

§ 10 Abs 1 sieht in der Neufassung, den Vorgaben des Art 5 Abs 1 der Leiharbeits-RL entsprechend, im Überlassungsfall grundsätzlich einen umfassenden Gleichstellungsanspruch überlassener Arbeitskräfte vor, der nicht nur, wie bislang, auf den kollektivvertraglichen Mindestlohn vergleichbarer Stamm-AN des Beschäftigerbetriebs, sondern auch auf betriebliche Entgeltregelungen abstellt. Vergleichsfigur für die Gleichstellungsansprüche überlassener Arbeitskräfte (auch) in Entgeltfragen ist nämlich nach der RL eine unmittelbar vom Beschäftiger für den betreffenden Arbeitsplatz eingestellte Person. Freilich wird diese Ausdehnung des Gleichstellungsanspruchs in Entgeltfragen in der Praxis kaum je zur Anwendung kommen, da betriebliche Vorgaben nach dem letzten Halbsatz in § 10 Abs 1 AÜG nur dann zwingend berücksichtigt werden müssen, wenn nicht der Überlasser selbst einem KollV unterworfen ist und auch das Entgelt im Beschäftigerbetrieb durch KollV, Verordnung oder Gesetz festgelegt ist – was aber aufgrund der hohen kollektivvertraglichen Abdeckung in Österreich der Regelfall ist.

Dass diese Regelungstechnik eine richtlinienkonforme Umsetzung der Tariföffnungsklausel in Art 5 Abs 3 der RL darstellt, darf bezweifelt werden. Diese erlaubt die gesetzliche Einräumung einer Befugnis der Sozialpartner, durch KollV vom Gleichstellungsanspruch des Art 5 Abs 1 abzuweichen, solange dabei der Gesamtschutz der Leih-AN gewahrt bleibt. § 10 Abs 1 letzter Satz AÜG sieht aber eine Abweichung vom Gleichstellungsanspruch schon auf gesetzlicher Ebene vor. Dies wäre nach Art 5 Abs 2 der RL nur für Leih-AN mit unbefristetem Arbeitsvertrag unter der Voraussetzung der Entgeltfortzahlung in Stehzeiten zulässig; eine Differenzierung des Lohnanspruchs je nachdem, ob dem Leiharbeitsverhältnis ein befristeter oder ein unbefristeter Arbeitsvertrag zugrunde liegt, nimmt § 10 AÜG aber nicht vor. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs 1 AÜG reicht schon die bloße Existenz eines KollV sowohl auf Überlasser- als auch auf Beschäftigerseite aus, um betriebliche Entgeltregelungen nicht berücksichtigen zu müssen; vom Erfordernis der Wahrung des Gesamtschutzes ist nicht die Rede. Der KVAÜ mit seinem differenzierenden Referenzlohnsystem entspricht wohl ohnehin diesem Kriterium; beim für überlassene Angestellte einschlägigen KollV für die Gewerbeangestellten, der eine Berücksichtigung üblicher Überzahlungen generell nicht vorsieht, ist dies dagegen mE zweifelhaft. Dass die RL in dieser Hinsicht mangelhaft umgesetzt ist (so auch Mazal, AÜG-Novelle 2012: Keine Gleichstellung im Entgelt bei doppelter Tarifbindung, ecolex 2013, 100; Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs-KV2 [2013] 43 f), ist für die Kl aber insofern wenig hilfreich, als eine horizontale134 Drittwirkung von Richtlinien gegenüber Privaten ausscheidet (vgl EuGH

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7
1994
, C-91/92Faccini Dori, Slg 1994, I-3325).

§ 10 Abs 1 AÜG führt unter den derzeit faktisch gegebenen Umständen im Ergebnis dazu, dass betriebliche Entgeltregelungen bei der Bemessung des Überlassungslohnes im Regelfall außer Betracht bleiben. Entgeltbestimmungen des Beschäftiger-KollV sind dagegen – so wie schon bisher – jedenfalls zu berücksichtigen. Hier bringt die notwendige Umsetzung der Leiharbeits-RL nur insofern Neues, als die RL von einem einheitlichen Entgeltbegriff ausgeht (Art 3 Abs 1 lit f sublit ii iVm Art 3 Abs 2 Leiharbeits- RL); ein eigener (engerer) Entgeltbegriff für den Anwendungsbereich des AÜG iSd Außerachtlassung nicht-periodischer Entgeltbestandteile, die der OGH in seiner bisherigen Rsp nur im Ausnahmefall einer atypisch langen Überlassung zuerkannt hat (vgl 9 ObA 113/03pDRdA 2004/47 [Balla]), ist deshalb wohl nicht mehr argumentierbar (so bereits Burger, Neues zum AÜG, in

Wachter/Burger
[Hrsg], Aktuelle Entwicklungen im Arbeits- und Sozialrecht [2013] 18 f; Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs-KV2 Abschnitt VII Erl 1; Schrattbauer/Goricnik, Wesentliche Änderungen durch die Novellierung des AÜG, wbl 2013, 121 [124 f]).

Um die mögliche Kluft zwischen den faktisch nach wie vor für den Überlassungslohn maßgeblichen Mindestlöhnen des Beschäftiger-KollV und dem tatsächlich üblichen Entgeltniveau zu reduzieren, sieht der KVAÜ in Abschnitt IX/3-4a ein Referenzlohnsystem vor: In bestimmten, im KVAÜ definierten Hochlohnbranchen soll der Überlassungslohn durch prozentuelle Aufschläge auf den kollektivvertraglichen Mindestlohn pauschal an das Ist-Lohn-Niveau dieser Branchen herangeführt werden. Eine völlige Gleichschaltung mit den Ansprüchen vergleichbarer Stamm-AN ist mit diesem System nicht beabsichtigt; Abweichungen vom Ist-Lohn-Niveau des Beschäftigerbetriebs sind sowohl nach unten als auch nach oben möglich. Die Anpassungsvereinbarung der Kollektivvertragsparteien für den Fall einer erheblichen Änderung des Überzahlungsniveaus in Anhang IV KVAÜ unterstreicht diese pauschale Herangehensweise: Eine Änderung der Zuschläge ist nur dann vorgesehen, wenn sich das statistisch erhobene Überzahlungsniveau in den Hochlohnbranchen insgesamt um zumindest 0,5 % verändert. Geringfügigere Änderungen haben ebenso wenig Einfluss auf das zustehende Überlassungsentgelt wie ein Absinken/Ansteigen des tatsächlichen Entgeltniveaus nur in einzelnen Branchen bzw Betrieben.

Dass überlassene Arbeitskräfte nach § 10 Abs 1 AÜG an Mindestlohnerhöhungen des Beschäftiger- KollV durch eine entsprechende Erhöhung des Überlassungslohnes partizipieren, steht außer Zweifel. Für ArbeiterInnen in Referenzbetrieben bleibt der prozentuell festgelegte Abstand vom Mindestlohn auch nach der Erhöhung aufrecht. Die Entwicklung der Ist-Löhne im Beschäftigerbetrieb hat dagegen keinen Einfluss auf den zustehenden Überlassungslohn. Wo ist in diesem System nun eine kollektivvertragliche Mindestbetragserhöhung, die allen zum Stichtag bereits im Betrieb beschäftigten AN gebührt, zu verorten?

2.
Mindestbetragserhöhungen vom Referenzzuschlag erfasst?

Im vorliegenden Fall erhöhte die AG den Überlassungslohn zwar um die prozentuelle Mindestlohnerhöhung des Beschäftiger-KollV, berücksichtigte aber den Mindestbetrag von 80 € pro Monat nicht. Der OGH billigt im Gegensatz zu den Unterinstanzen diese Vorgangsweise und begründet seine Entscheidung damit, dass die Differenz zwischen erhöhten Mindestlöhnen und dem Mindestbetrag vom Referenzzuschlag umfasst sei und dass im Übrigen mit dem Entgeltsystem des KVAÜ keine finanzielle Besserstellung überlassener AN gegenüber den Stammbeschäftigten beabsichtigt sei, wie sie bei gegenteiliger Sichtweise aber eintreten könne.

Die Argumentation des OGH erscheint nur dann einigermaßen plausibel, wenn man die Mindestbetragsklausel des Beschäftiger-KollV als schlichte Ist- Lohn-Klausel begreift. Wenn die Beschäftiger diese Lohnerhöhung einzelvertraglich wieder abdingen können, dann spricht tatsächlich einiges dafür, den Differenzbetrag zwischen Mindestlohnerhöhung und Mindestbetrag als vom Referenzzuschlag umfasst anzusehen, da letzterer eben gerade diesen Abstand zwischen zwingendem kollektivvertraglichen Entgeltanspruch und „freiwilliger“ Überzahlung in pauschaler Weise abdecken soll.

Für bisher nach Mindestlohn bezahlte AN (sogenannte „KV-Sitzer“) geht der OGH allerdings dezidiert von einer zwingenden Wirkung der Mindestbetragsklausel dahingehend aus, dass keinem vor dem Stichtag zum Mindestlohn beschäftigten AN ab dem Stichtag ein niedrigerer Lohn zusteht als der in der alten Mindestlohntabelle vorgesehene und um den Mindestbetrag von 80 € erhöhte Mindestlohn. Im Ergebnis führt die Regelung also zu unterschiedlichen Mindestlöhnen je nach Eintrittsdatum vor oder nach dem Stichtag. Dies mag zwar ungewöhnlich sein, es ist aber mE auch kein Grund ersichtlich, warum eine derartige stichtagsbezogene Differenzierung unzulässig sein sollte.

Damit sollte fürs Erste klar sein, dass überlassene AN ohne Anspruch auf einen Referenzzuschlag (also LeiharbeiterInnen außerhalb von Hochlohnbranchen sowie überlassene Angestellte) jedenfalls in den Genuss des Mindestbetrags kommen müssen, sofern die Überlassung bereits vor dem Stichtag begonnen hat (aA Bruckmüller, AÜG: Referenzzuschläge und Isterhöhungen im Beschäftiger-Kollektivvertrag, RdW 2013/671, 682). Deren Überlassungslohn orientiert sich ja ausschließlich am kollektivvertraglichen Minimum, und dieses ist dann eben je nach Beschäftigungsbeginn unterschiedlich hoch. Hier einheitlich auf den niedrigeren Mindestlohn für NeueinsteigerInnen abzustellen, lässt § 10 Abs 1 AÜG nicht zu: Ein Abweichen vom umfassenden Gleichstellungsanspruch ist nur im Hinblick auf betriebliche, nicht aber auf (zwingende) kollektivvertragliche Regelungen erlaubt.

Leiharbeitskräfte mit Referenzzuschlag sind dagegen mit überzahlten Stamm-AN vergleichbar, soweit ist dem OGH zu folgen, und für diese entfaltet die Mindestbetragsklausel nicht die gleiche zwingende Wirkung wie für die „KV-Sitzer“. Von der betragsmäßig135 festgesetzten Erhöhung kann ebenso wie von einer prozentuellen Erhöhung der Ist-Löhne einzelvertraglich abgewichen werden; in diesem Sinne ist die Mindestbetragsklausel für diese AN nicht zwingend. Und insofern erscheint die E des OGH, dass etwaige Mindestbetragserhöhungen mit einem Referenzzuschlag abgegolten sind, auch auf ersten Blick nachvollziehbar.

Bei näherer Betrachtung erweist es sich jedoch als problematisch, dass unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des OGH der Bezugspunkt für die Bemessung des Überlassungslohnes stets der Mindestlohn für neu eintretende AN bleibt, unabhängig davon, ob die betreffende Leiharbeitskraft schon vor oder erst nach dem Stichtag an den Betrieb überlassen worden ist. Warum aber soll sich diese Differenzierung des Beschäftiger-KollV nicht auch auf den Entgeltanspruch überlassener Arbeitskräfte mit Anspruch auf den Referenzzuschlag niederschlagen? Ist hier nicht doch mit den Unterinstanzen ein Widerspruch zu den Vorgaben der Leiharbeits-RL zu orten, der zufolge auf die Vergleichsfigur eines unmittelbar vom Beschäftiger eingestellten AN abzustellen ist? Wenn die Mindestbetragsklausel zu unterschiedlichen kollektivvertraglichen Mindestlöhnen je nach Datum des Beschäftigungseinritts führt, dann muss dieser höhere Mindestlohn mE auch für alle zum Stichtag schon in den Betrieb überlassenen Arbeitskräfte relevant sein.

Das Argument des OGH, dass eine Berücksichtigung des Mindestlohnbetrages bei Leih-AN mit Anspruch auf den Referenzzuschlag zu einer vergleichsweise größeren Lohnerhöhung als für die unmittelbar dem Beschäftiger-KollV unterworfenen AN führen würde, ist mE nicht zutreffend: Auch für überzahlte Stammbeschäftigte ordnet der KollV-Metallindustrie ja eine Mindestbetragserhöhung an; von dieser Ist-Lohn-Erhöhung darf zwar einzelvertraglich abgewichen werden, allerdings nur bis zur Grenze des kollektivvertraglichen Mindestlohns, und dieser liegt für zum Stichtag bereits beschäftigte AN durch die Berücksichtigung des Mindestbetrages eben uU höher als in der Mindestlohntabelle (für NeueinsteigerInnen) vorgesehen. Die Berücksichtigung des Mindestbetrages beim Überlassungslohn allein kann deshalb das Verhältnis zwischen den Istlöhnen der Stammbelegschaft und den Überlassungslöhnen nicht ändern. Erst wenn die Beschäftiger die Mindestbetragserhöhung bei schon zuvor überzahlten Stamm-AN nicht umsetzen, kann das zu einer finanziellen Besserstellung der Leiharbeitskräfte führen, auf deren Überlassungslohn der Beschäftiger keinen Einfluss nehmen kann. Genau das aber wäre ein Fall für den seitens des OGH als Argument gegen die Berücksichtigung des Mindestbetrages ins Spiel gebrachten Anpassungsmechanismus in Anhang IV KVAÜ, der so betrachtet eher zur Untermauerung der gegenteiligen Rechtsansicht taugt: Sollte sich also der Abstand zwischen Ist- und Mindestlöhnen in einem nach dem KVAÜ relevanten Ausmaß verringern, weil die AG die im KollV vorgesehene Anpassung der Ist-Löhne insb der bereits vor dem Stichtag im Betrieb Beschäftigten nicht nachvollziehen, so würde das letztlich auch zu einer Reduzierung des Referenzzuschlages führen. Solange die vereinbarten Schwellenwerte nicht erreicht werden, muss ein besseres finanzielles Abschneiden der Leiharbeitskräfte aber nach dem pauschalierenden System des KVAÜ ebenso in Kauf genommen werden, wie umgekehrt im Fall einer individuellen Schlechterstellung von Leih-AN im Vergleich zu den Stammbeschäftigten eines konkreten Betriebs nach Abschnitt IX/5 auch nicht an der Angemessenheit des nach den Vorgaben des KVAÜ ermittelten Überlassungslohnes gezweifelt werden kann.

3.
Kollektivvertragliche Einmalzahlungen und Referenzzuschlag

Noch weniger plausibel ist die Nichtberücksichtigung kollektivvertraglicher Einmalzahlungen bei der Bemessung des Überlassungsentgelts. Der OGH hatte darüber zwar im konkreten Fall nicht zu entscheiden; aus seiner Bezugnahme auf die E 9 ObA 130/04i (DRdA 2005/31 [Geppert]) wurde allerdings bereits abgeleitet, dass auch diese Lohnbestandteile überlassenen Arbeitskräften nach wie vor nicht zustehen (vgl Bruckmüller, RdW 2013/671, 682).

Auch hier ist nicht erklärbar, warum (zwingende) Ansprüche des Beschäftiger-KollV keinen Eingang in die Bemessung des Überlassungslohnes finden sollen, wenn doch § 10 Abs 1 AÜG Ausnahmen vom Gleichstellungsanspruch nur hinsichtlich betrieblicher Regelungen zulässt. Auch die Tatsache, dass sich diese Einmalzahlungen nicht auf die laufenden monatlichen Entgeltansprüche auswirken (und so de facto auch nicht Eingang in die statistischen Auswertungen des Überzahlungsniveaus in den Referenzbranchen finden können) spricht dagegen, sie als von den Referenzzuschlägen des KVAÜ umfasst anzusehen. Vor allem aber ist kein Grund ersichtlich, warum diese Einmalzahlungen anders zu behandeln sein sollen als andere aperiodische Entgeltansprüche (zB Jubiläumsgelder, Abfertigungen). Aufgrund des nunmehr verbindlich einheitlichen, weiten Entgeltbegriffs ist die Nicht-Berücksichtigung solcher Einmalzahlungen auch im Anwendungsbereich des Abschnitts IX/3-4a KVAÜ mE nicht mehr zulässig (ebenso Schindler, aaO, Abschnitt VII Erl 1 bzw Abschnitt IX Erl 14).136