Arbeitsrechtliche Grenzen der Compliance*

GeorgSchima (Wien)
„Arbeitsrechtliche Grenzen der Compliance“ erweckt die Assoziation, dass das Arbeitsrecht der Compliance iS von Einhaltung und Kontrolle der Einhaltung von Rechtsnormen offenbar Grenzen setzt. Dies ist in der Tat der Fall. Freilich muss man unterscheiden, ob es nur um die Einhaltung von ohnehin geltendem Recht oder um die Kontrolle der Beachtung selbstgeschaffener Unternehmens-Benimmvorschriften (Codes of Conduct) geht.* Eine zentrale arbeitsrechtliche Fragestellung lautet nämlich, ob und wie weit der AG seinen AN an Verhaltensstandards, sogenannte Ethik- oder Benimm-Regeln, binden darf, die nicht nur über gesetzliche, kollektivvertragliche und arbeitsvertragliche Verpflichtungen, sondern uU auch über das deutlich hinausgehen, was vom AN billigerweise als geschuldete Sorgfalt verlangt werden darf. Mit arbeitsrechtlichen Grenzen der Compliance wird vermutlich jeder näher Interessierte auch das in aller Munde befindliche „Whistlebowing“ verbinden, dh das institutionalisierte und uU sogar verpflichtende Berichten von unternehmensinternen Missständen, Rechts- oder auch bloß Ethik-Verstößen an den AG (internes Whistleblowing)* oder an außerhalb des AG befindliche Stellen (externes Whistleblowing),* insb staatliche Behörden. In diesem Rahmen wird nur das interne Whistleblowing behandelt.
  1. Einleitung – Themenabgrenzung

  2. Compliance im gegebenen Zusammenhang

  3. Compliance-Organisation und arbeitsrechtliche Weisungshierarchie

  4. Statuierung von „Ethik- und Benimm- Regeln“ für Arbeitnehmer

    1. Rechtsgrundlagen

      1. Kollektivvertrag

      2. Betriebsvereinbarung

      3. Arbeitsvertrag

      4. Weisung des Arbeitgebers

    2. Inhaltskontrolle

    3. Beispiele für heikle „Benimm-Klauseln“

  5. Whistleblowing

    1. Anzeigepflicht des Arbeitnehmers ohne spezielle rechtliche Verankerung

    2. Rechtsgrundlagen für die Einführung von Whistleblower-Systemen

  6. Arbeitnehmer als Risikoträger im Verwaltungsstrafrecht

    1. Verantwortlicher Beauftragter

    2. Rechtsnatur und Bestandfestigkeit von Vereinbarungen mit verantwortlichen Beauftragten

    3. Ersatz von Strafen und Vertretungskosten

  7. Unternehmensinterne Untersuchungen

  8. Compliance und kollektives Arbeitsrecht: Kontrolle von Betriebsratsermessensentscheidungen

1.
Einleitung – Themenabgrenzung

Bei der Auslotung der „arbeitsrechtlichen Grenzen der Compliance“ kann man das Feld noch viel weiter öffnen und zB die Frage stellen, wie denn die in Lehre und Rsp – vor allem in Deutschland – immer stärker eingeforderte Verpflichtung von Unternehmensleitungsorganen, eine wirkungsvolle und der Risikoträchtigkeit des Unternehmens angepasste197 Compliance- Organisation zu errichten,* sich auf Rechte und Pflichten, zivil- und strafrechtliche Verantwortung jener Mitarbeiter auswirkt, die integraler Teil einer solchen Compliance-Organisation sind. In Gestalt des verantwortlichen Beauftragten nach § 9 VStG begegnet uns das Thema der Übernahme von außenwirksamer Verantwortung, nämlich verwaltungsstrafrechtlicher Verantwortlichkeit, schon seit Langem. Die sich im Zusammenhang mit § 9 VStG ergebenden, im weitesten Sinne auch arbeitsrechtlichen Probleme sind aber bislang nicht sehr erforscht.

Ähnliches gilt für das – deutlich jüngere – Thema der Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen („Private Investigations“), insb zur Klärung oder Aufdeckung von Korruptionsdelikten oder Kartellverstößen. Wie spektakuläre Fälle in Deutschland – an erster Stelle zu nennen natürlich Siemens* – gezeigt haben, schlägt das Verhalten von Unternehmen, die unter Umständen jahrelang einen sehr laxen Umgang mit gravierenden Rechtsverstößen innerhalb der eigenen Organisation pflegten, unter dem großen öffentlichen Druck und vor allem unter dem Damoklesschwert gravierender Sanktionen durch Aufsichts- und Regulierungsbehörden in diversen Ländern leicht in eine Vorgehensweise um, bei der immerhin als zunächst unschuldig gelten müssende Mitarbeiter manchmal Untersuchungs-, Befragungs- und Verhörmethoden unterzogen werden, die Menschen mit etwas sensiblerem rechtsstaatlichem Empfinden beanstanden würden, wenn solche Untersuchungen durch die zuständige Behörde durchgeführt würden. Auch hier sind die durch das Individual- und kollektive Arbeitsrecht, aber auch durch den allgemeinen Persönlichkeitsschutz gezogenen Grenzen auszuloten.

Schließlich soll im Rahmen der Untersuchung auch das kollektive Arbeitsrecht nicht völlig unbehandelt bleiben. Wenn man nämlich von „Compliance“ iS von Beachtung und Kontrolle von Rechtstreue spricht, muss auch die Frage interessieren, ob im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts nicht vielleicht Rechtstreue- Defizite dahingehend bestehen, dass das Handeln von Belegschaftsvertretungsorganen keiner oder keiner wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Der OGH* nimmt das offensichtlich an, und dagegen eingehend und energisch Stellung zu beziehen, hat der Verfasser jüngst versucht.*

Da „Compliance“ heute gleichsam automatisch in einen Zusammenhang mit „Korruption“ gestellt wird, sollte als Abschluss der Frage nachgegangen werden, wie es sich rechtlich mit dem „Anfüttern“ von Betriebsratsmitgliedern bzw Betriebsräten durch „Überdotation“ verhält, und ob solchen Verhaltensweisen, wenigstens in Form der mehr oder weniger offenen Beeinflussung der Amtsausübung durch Geldgeschenke, mit den Mitteln des Strafrechtes beizukommen ist. Dieser Teil fiel aber der aus Platzgründen erforderlichen Kürzung zum Opfer und wird separat veröffentlicht.

2.
Compliance im gegebenen Zusammenhang

Die auf juristischen Fachveranstaltungen aus dem Mund renommierter Zivilrechtswissenschafter zu vernehmenden sarkastischen Bemerkungen zum Thema „Compliance“ sind mittlerweile seltener geworden, obwohl die Frage ja nach wie vor berechtigt ist, was denn eigentlich an der Verpflichtung, sich an bestehende Gesetze und Rechtsvorschriften zu halten, neu oder sensationell sein solle.

In Deutschland haben die Gerichte inzwischen dafür gesorgt, dass schon längst „Schluss mit lustig“ ist. 2009 hatte der Deutsche Bundesgerichtshof* den Leiter der Rechtsabteilung und Innenrevision der Berliner Stadtreinigung, einer Anstalt öffentlichen Rechts, wegen Beteiligung durch Unterlassung am schweren Betrug eines Vorstandsmitgliedes in Form der Verrechnung krass überhöhter Reinigungsentgelte an Kunden (Anrainer) bestätigt und dies mit der Garantenstellung des Mitarbeiters iSd § 13 dStGB begründet. Für mehr Aufregung als die E im Anlassfall hatte freilich das obiter dictum des BGH gesorgt, der der Versuchung nicht widerstehen konnte, auch zur Funktion des „Compliance- Officers“ Stellung zu nehmen und so ganz nebenbei zu bemerken, dass dessen Garantenstellung „regelmäßig“ ebenfalls zu bejahen und daher die strafrechtliche Verantwortung für die Begehung durch Unterlassung denkbar sei, wenn strafrechtswidrige Handlungen entdeckt und nicht abgestellt würden.* Das Urteil stieß auf Zustimmung,* aber auch auf198 vehemente Kritik,* wobei sich letztere vor allem auch auf die generalisierenden und nicht fallbezogenen Aussagen des BGH zum Compliance-Officer bezog. Was der BGH mE zu wenig bedachte, ist vor allem der Umstand, dass ein Compliance-Officer, für den es zudem kein festes Berufsbild gibt* – und umso mehr der Leiter der Innenrevision oder Rechtsabteilung –, üblicherweise nur zur Aufdeckung von Rechtsverstößen, nicht aber zur Anordnung ihrer Abstellung gehalten ist* und für letztere auch in aller Regel gar nicht die entsprechenden Anordnungsbefugnisse hat.

Zudem verlangt § 13 dStGB – ganz ähnlich § 2 öStGB – neben dem Vorliegen der Garantenstellung eine Gleichwertigkeitsprüfung, dh es muss geprüft werden, ob die Begehung durch Unterlassung der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbildes durch ein Tun wertungsmäßig gleichzuhalten ist.* Zumindest daran sollte wohl die Strafbarkeit in Fällen wie dem beurteilten scheitern.

Erst im März 2014 wurde ein am 10.12.2013 verkündetes Urteil des LG München* bekannt, in dem ein früheres Vorstandsmitglied von Siemens zur Zahlung von 15 Mio € Schadenersatz an Siemens verurteilt wurde. Das Vorstandsmitglied hatte sich im Gegensatz zu anderen geweigert, einer Schadensregulierung auf Vergleichsbasis zuzustimmen und wurde zur Haftung herangezogen, weil es – obwohl nicht speziell ressortzuständig für Compliance – von gravierenden Missständen betreffend vermutete Schmiergeldzahlungen in Nigeria, dubiosen Beraterverträgen ohne Gegenleistung etc informiert worden war, aber nichts Ausreichendes unternommen hatte, um Abhilfe zu schaffen. Das LG München stellte fest, dass grenzüberschreitende Schmiergeldzahlungen eine Gesetzesverletzung bedeuteten, die sich nicht aus der Erwägung heraus rechtfertigen lasse, andernfalls seien wirtschaftliche Erfolge auf korruptiven Auslandsmärkten nicht mehr möglich. Ein Vorstandsmitglied müsse dafür sorgen, dass das Unternehmen so organsiert und beaufsichtigt werde, dass keine derartigen Gesetzesverletzungen stattfänden. Dieser Organisationspflicht genüge der Vorstand bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichte. Die Einrichtung eines mangelhaften Compliance-Systems und auch dessen unzureichende Überwachung bedeuteten eine Pflichtverletzung des Vorstandes. Die E wirft auch interessante Fragen der Schadenskausalität und Beweislastverteilung auf. Der geltend gemachte Schaden von 15 Mio € bestand fast zur Gänze (nämlich 12,85 Mio €) aus Anwaltshonoraren für eine amerikanische Anwaltssozietät während eines Zeitraumes von ein paar Monaten im Jahre 2007, die Siemens eingeschaltet hatte, um die Vorgänge aufzuklären und insb auch gegenüber der amerikanischen Börsenaufsichtsbehörde das Ärgste zu verhüten.

Die Frage, ob abseits gesetzlicher Spezialvorschriften, zB für den Finanzdienstleistungsbereich,* der Vorstand bzw die Geschäftsführung gehalten ist, eine spezielle Compliance-Organisation einzurichten, wird zwar in Deutschland zunehmend – zumindest für größere Unternehmen – bejaht,* ist aber nach wie vor – und dies gilt auch für Österreich – umstritten.*

Man muss diese Frage aber wohl anders stellen und kann dies ganz gut anhand eines Zitats des LG München aus der gerade erwähnten E verdeutlichen. Das LG schreibt:

„Dabei kann sich der Beklagte auch nicht darauf berufen, der Begriff der ‚Compliance‘ sei im fraglichen Zeitraum noch nicht etabliert gewesen. Letztlich geht es nämlich darum, dass der Vorstand sicherstellen muss, wie die Organisation innerhalb eines Unternehmens zu erfolgen hat, um zwingende gesetzliche Vorgaben einzuhalten, um die es bei der Vermeidung strafbarer Korruptionshandlungen geht. Diese Pflicht resultiert unmittelbar jedenfalls auch aus § 76 AktG* und stellt sicherlich keine aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis stammende Neuerung dar.“

Der Sache nach geht es in der Tat darum, welchen Grad an Organisation, Kontrolle und Überwachung innerhalb des Unternehmens das oberste Leitungsorgan einrichten muss, um im Falle von zu Schädigungen des AG oder Dritter führenden Verstößen unterstellter Mitarbeiter eigene Haftung gegenüber dem AG/der Gesellschaft und gegenüber Dritten zu vermeiden. Ob man für die Erfüllung dieser Vorgaben den Begriff „Compliance-System“ oder „Compliance- Organisation“ oder einfach nur „professionelle Unternehmensorganisation“ verwendet, ist rechtlich sekundär. Der VwGH hat in seiner Rsp zur verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung der gesetzlichen Vertreter einer juristischen Person nach § 9 VStG schon vor Jahrzehnten – wenngleich in etwas weltabgewandter Art und Weise – gefordert, dass die gesetzlichen Vertreter, sofern nicht verantwortliche Beauftragte bestellt wurden, darlegen müssten, alles in ihrer Macht Stehende199 getan zu haben, um Verwaltungsübertretungen der betreffenden Art zu verhindern.* Dieser Nachweis gelang und gelingt bestraften Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern seit Jahrzehnten praktisch nie.* Sich mit dieser Rsp auseinanderzusetzen, ist hier nicht der geeignete Ort; fest steht aber, dass das, was der VwGH in seiner Judikatur zu § 9 VStG seit jeher fordert, in heutiger Terminologie getrost als „Compliance-System“ bzw „Compliance-Organisation“ bezeichnet werden könnte.

Wenn manchmal gesagt wird, „Compliance“ sei keine eigene Rechtsquelle, und aus ihr sprudle nicht neues Recht, so stimmt dies freilich nur bedingt. Denn was in der nicht selten von gewissem „Berater-Enthusiasmus“ getriebenen, einschlägigen Diskussion oft übersehen wird, ist Folgendes: Soweit „Compliance“ über die Einhaltung und Kontrolle der Einhaltung staatlicher Rechtsnormen hinausgeht und sich auch um die Implementierung und Kontrolle der Befolgung unternehmensautonomer „Codes of Conduct“, Ethikund Benimmregeln dreht, kann sehr wohl neues Recht geschaffen werden. Dort wo kein staatlich gesatztes Recht existiert – und dies ist bei der näheren Determinierung der Sorgfalt von Unternehmensleitern weitestgehend der Fall –, bestimmt nämlich die tatsächliche Befolgung entsprechender Standards durch die beteiligten Verkehrskreise letztlich jenen Grad an objektiver Sorgfalt, dessen Nichteinhaltung im konkreten Fall von einem Gericht dann als objektiv sorgfaltswidrig, also rechtswidrig eingestuft werden könnte.* An einem Beispiel erläutert: Schreibt sich ein Kreditinstitut in einem unternehmensinternen Verhaltenskodex für die Abwicklung des Kreditgeschäftes selbst vor, dass bei der Vergabe von Hypothekarkrediten im Wert von mehr als € 300.000,– die Liegenschaft von drei voneinander unabhängigen und in den letzten drei Jahren vom Kreditinstitut nicht beschäftigten Liegenschafts- Sachverständigen bewertet werden müsste (ein zugegebenermaßen etwas überspitztes Beispiel), und entwickelt sich dies zum allgemeinen Verhaltensstandard in der Branche, wird irgendwann ein Gericht bei einem notleidend gewordenen Kredit, wo dieses Kriterium nicht eingehalten wurde, den für die Kreditgewährung verantwortlichen Managern vorhalten, sie hätten rechtswidrig gehandelt, und der entstandene Schaden in Form des Kreditausfalls stünde in einem Zurechnungszusammenhang mit diesem Verstoß.* Dies genügt üblicherweise, um Behauptungs- und Beweislast dem Geschäftsführer/Vorstandsmitglied/ leitenden Angestellten zuzuweisen, sodass dieser einer Haftung nur entgehen kann, wenn er nachweist, dass dennoch sämtliche Sorgfaltsstandards eingehalten wurden oder der Schaden auch bei rechtmäßigem Verhalten eingetreten wäre.* Aber selbst dann, wenn es „nur“ um die Einhaltung und Kontrolle der Einhaltung von Gesetzesverstößen geht, zeigt der Fall der Berliner Stadtreinigungsbetriebe ziemlich deutlich, dass auch Mitarbeitern, die nicht über umfassende Anordnungs- und Weisungsbefugnisse verfügen, zu deren Aufgaben aber das Entdecken und Melden von Gesetzesverstößen zählt, einem erheblichen zivil- und sogar strafrechtlichen Risiko ausgesetzt sein können. In dem konkreten Fall hatte der Rechtsabteilungs- und Innenrevisionsleiter zB den an einer Änderung der als völlig überhöht erkannten Abrechnungen nicht zuletzt wegen der anstehenden Verlängerung seines eigenen Vorstandsvertrages nicht interessierten Vorstandsvorsitzenden sogar in nächtlichen, von der Staatsanwaltschaft abgehörten Telefonaten geradezu beschworen, die Abrechnung doch auf eine korrekte Grundlage zu stellen. Der einzige Fehler, den der Mann beging, bestand darin, nicht den Aufsichtsrat oder die Öffentlichkeit informiert zu haben. Dafür eine Verurteilung wegen Beteiligung am schweren Betrug, begangen durch Unterlassung, zu erhalten, mutet doch als inadäquate Sanktion an.*

3.
Compliance-Organisation und arbeitsrechtliche Weisungshierarchie

So sehr vor allem multinationale Unternehmen – insb wenn ihre Zentrale in den Vereinigten Staaten oder in skandinavischen Ländern liegt – peinlich darauf bedacht sind, in den Ländern, in denen ihre nachgeordneten Gesellschaften Aktivitäten entfalten, keine Verstöße gegen die nationale Rechtsordnung auszulösen, so wenig Respekt besteht dagegen häufig vor jenen Normen des Gesellschaftsrechts, die die innere Organisation und das Verhältnis der Organe zueinander regeln, und die nicht selten auch arbeitsrechtliche Auswirkungen haben.

So werden Weisungen an Geschäftsführungen von österreichischen Tochter-GmbHs nicht vom Alleingesellschafter, der dazu nach dem Gesetz allein befugt ist, gegeben, sondern (ohne klare Bevollmächtigung) von irgendeiner anderen Konzerngesellschaft oder einem leitenden Mitarbeiter einer Konzernobergesellschaft, was im Schadensfall die nachteilige Konsequenz für den Geschäftsführer hat, nicht einmal der Gesellschaft200 gegenüber haftungsfrei zu werden.* Nicht selten kommt es auch vor, dass in österreichischen Tochtergesellschaften Mitarbeiter aus dem Konzern, die gar nicht der Geschäftsführung der österreichischen GmbH angehören, als Mitglied der österreichischen Geschäftsleitung fungieren oder manchmal sogar gegenüber der Geschäftsführung weisungs- und kontrollbefugt sind. Letzteres ist freilich ein Aspekt, der im Zusammenhang mit Compliance-Systemen Bedeutung hat: Soll ein solches System wirklich volle Funktionsfähigkeit entfalten, dann muss es auch das oberste Geschäftsführungsorgan mit einbeziehen.* Wenn nämlich die in dessen Bereich passierenden oder geduldeten Verstöße nicht Gegenstand der Berichtspflicht des Compliance- Officers sind, bleibt ein wesentlicher Bereich unabgedeckt. Wer kann aber rechtlich bindend anordnen, dass ein Untergebener (Compliance-Officer) gleichsam seine Chefs innerhalb des Unternehmens „verpfeifen“ darf?

Ganz generell ist zu sagen, dass das GmbH-Recht – ganz anders als das Aktienrecht – deutlich flexiblere Möglichkeiten bietet, Organisationsformen und Weisungshierarchien zu etablieren, die den konkreten Bedürfnissen multinationaler Unternehmensgruppen angepasst und dennoch rechtskonform sind. Angelpunkt ist das durch § 20 Abs 1 GmbHG verbriefte, sehr umfassende Weisungsrecht der Gesellschafter gegenüber der Geschäftsführung.* Dieses ist inhaltlich nur dadurch begrenzt, dass nicht zu gesetzwidrigem Verhalten angestiftet werden darf* und den Geschäftsführungen gewisse, gesetzlich statuierte Mindestpflichten, wie zB Firmenbuchanmeldungen, nicht entzogen werden dürfen.*

Das Weisungsrecht erlaubt es aber sehr wohl, dass die Muttergesellschaft zB bestimmte compliance- relevante Funktionen für die Tochtergesellschaft bei sich selbst ansiedelt.* Es ist ohne weiteres möglich, dass der Alleingesellschafter beschließt, die Innenrevision, das Controlling, ja selbst das durch das Gesetz (§ 22 GmbHG bzw § 82 AktG) vorgeschriebene interne Kontrollsystem (IKS) bei der Muttergesellschaft zu implementieren. Die Geschäftsführung der Tochter verletzt dann zumindest gegenüber der Tochtergesellschaft selbst keine Pflichten.*

Das GmbH-Recht macht es auch – wiederum anders als das Aktienrecht – möglich, dass mit der Überwachung der Einhaltung von Rechtsvorschriften und der Entdeckung von Verstößen befasste Mitarbeiter gegenüber der Geschäftsführung selbst dann weisungsfrei gestellt werden, wenn es sich um arbeitsrechtlich Untergebene handelt.* Denn dafür genügt eine einfache Weisung des Gesellschafters an die Geschäftsführung, die diese Mitarbeiter von der Unterstellung unter die Geschäftsführung ausnimmt. Derartiges ist – wie erwähnt – vor allem dann sinnvoll, wenn mittels der „Compliance-Organisation“ auch die Gebarung der Geschäftsführung selbst einer Prüfung unterzogen werden soll. Compliance-Organisationen, die ausgerechnet das oberste Geschäftsführungsorgan ausnehmen, sind ja nicht allzu sinnvoll.

Demgegenüber stoßen im Aktienrecht solche Gestaltungen auf rechtliche Grenzen. Der Vorstand der Aktiengesellschaft ist gem § 70 Abs 1 AktG unabhängig und unterliegt keinen Weisungen – und zwar weder des Aufsichtsrates noch der Hauptversammlung.* Der Vorstand in der Aktiengesellschaft kann daher zwar selbst eine Compliance-Organisation errichten, in der er einen Compliance-Officer mit unmittelbaren – und auch sinnvollen* – Berichtspflichten gegenüber dem Aufsichtsrat, zumindest insoweit es um mögliche Verstöße des Vorstandes geht – ausstattet; gegen den Willen des Vorstandes kann dies aber nicht geschehen. Der Aufsichtsrat hat zwar gem § 95 Abs 3 AktG die Möglichkeit, die Gebarung des Vorstandes einer umfassenden Prüfung zu unterziehen und damit auch externe Sachverständige (zB Wirtschaftsprüfer) zu beauftragen;* damit sind aber nur konkrete Gebarungsprüfungen201 im Einzelfall gemeint.* Die Installierung von Stellen bzw Mitarbeitern im Unternehmen mit der generellen Aufgabe der Erstattung von Berichten über die Gebarung des Vorstands an den Aufsichtsrat ist von der zitierten Gesetzesbestimmung nicht gedeckt.* Ein starker Aufsichtsrat wird so eine Compliance- Organisation von seinem Vorstand gleichwohl einfordern und auch durchsetzen können. Abgesehen davon riskiert aber ein Compliance-Officer, der ohne Wissen und Willen des Vorstandes diesen beim Aufsichtsrat „verpfeift“, uU seinen Job.

4.
Statuierung von „Ethik- und Benimm-Regeln“ für Arbeitnehmer

Wenn man an „Compliance“ und vor allem an arbeitsrechtliche Grenzen von Compliance denkt, dann taucht sofort das Bild des US-amerikanischen Konzerns auf, der seine Mitarbeiter dazu anhalten möchte, nicht nur ordentlich zu arbeiten, sondern sich dienstlich und außerdienstlich korrekt und ethisch vorbildhaft zu verhalten.* Was darunter verstanden werden kann, ist natürlich stark durch die nationale Kultur geprägt.* Möglichst dezente Kleidung zu tragen, die niemanden auf schlechte Gedanken bringen kann, in der Betriebskantine nicht zu fett zu essen oder sich gar ein zweites Mal nachzunehmen, das Rauchen strikt zu unterlassen, auf ein ausschweifendes Sexualleben zu verzichten und auch die eigene Familie so weit unter Kontrolle zu haben, dass kein Mitglied eine dem AG Konkurrenz machende Tätigkeit entfaltet, mag ja gesundheitsfördernd, vielleicht auch vernünftig sein und im Einzelfall den Interessen des AG dienen; die Frage ist nur, ob der AG an all diesen Verhaltensweisen ein rechtlich schutzwürdiges Interesse hat und ob er seine Mitarbeiter auf ein solches „rundum moralisch und ethisch korrektes“ Verhalten rechtlich verpflichten kann.

In Deutschland werden diese Fragen naturgemäß schon länger als in Österreich diskutiert, und vor Jahren schlug dort das im „Ethik-Kodex“ von Wal Mart verankerte und als „Flirt-Verbot“ bekannt gewordene Verbot der Eingehung von intimen Beziehungen zwischen Arbeitskollegen hohe Wellen.* Auch eine Klausel wie die gerade beschriebene, die den AN zur Anzeige jeder konkurrenzierenden Tätigkeit eines Familienmitgliedes verpflichtet, beschäftigte zB schon vor Jahren Gerichte in Frankreich.*

Wird ein solch engmaschiges Netz an dienstliches und außerdienstliches Verhalten betreffenden Regeln darüber hinaus mit der Verpflichtung von Mitarbeitern kombiniert, jeden anzüglichen Witz eines Arbeitskollegen dem AG zu melden, könnte im Unternehmen uU ein Arbeitsklima entstehen, bei dem man sich an Bücher wie Orwells „1984“ oder Francois Truffauts Film „Fahrenheit 451“ erinnert fühlt.

Dabei sollen und dürfen derartige „Ethik-Kodizes“ nicht ins Lächerliche gezogen werden. Denn die Regelwerke bestehen ja nicht nur aus Bestimmungen der gerade erwähnten Art, sondern sehen insb auch Regeln zur Vermeidung von Interessenkonflikten oder Verbote von Vorteilszuwendungen vor. Die Unternehmen verfolgen damit sehr reale und großteils auch wirtschaftlich nachvollziehbare Zwecke, indem den Aktionären, Kunden, Lieferanten und der Öffentlichkeit signalisiert werden soll, dass im Unternehmen rechtstreu und ethisch einwandfrei gehandelt wird und schon der Anschein möglicher Korruption oder der Ausnützung von Interessenkonflikten vermieden wird.*

Wenden wir uns nun der Frage zu, auf welche Art und Weise solche „Benimm- und Ethikregeln“ auf der Grundlage des österreichischen Arbeitsrechts vom AG wirksam etabliert werden können.

4.1.
Rechtsgrundlagen
4.1.1.
Kollektivvertrag

In Betracht kommt zunächst der KollV, dem es nach § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG gestattet ist, sogenannte „Inhaltsnormen“ zu enthalten, also die gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten zu regeln. Der OGH interpretiert die Regelungsmacht der Kollektivvertragspartner tendenziell eng und sieht nur den typischen Arbeitsvertragsinhalt davon erfasst.* Aber selbst, wenn man dieser – durchaus kritikwürdigen – Ansicht nicht folgt, kann der KollV außerdienstliches Verhalten mE nur insoweit regeln, als ein enger Bezug zum Arbeitsverhältnis besteht.* Dies wird man zB bei „Beteiligungsklauseln“ zumindest für höhergestellte Mitarbeiter annehmen können, dh Regeln, die es dem AN untersagen, Beteiligungen an Konkurrenzunternehmen zu halten. In – zB kirchlichen – Tendenzunternehmen wird es innerhalb gewisser Grenzen auch möglich sein, die202 private Lebensführung zu regeln und dem Mitarbeiter zB den Besuch erotischer Etablissements zu verbieten.*

4.1.2.
Betriebsvereinbarung

Bei der BV kommt als zentraler Tatbestand § 97 Abs 1 Z 1 ArbVG in Betracht. Darunter fallen allgemeine Ordnungsvorschriften, die das Verhalten der AN im Betrieb regeln. Darunter fällt das Verbot, im Büro Radio zu hören ebenso wie die Untersagung des Tragens zu kurzer Röcke oder zu hoher Schuhe, aber natürlich auch der Umgang mit Alkohol und Nikotin am Arbeitsplatz.* Auch Vorschriften über das Einander- Begegnen im Betrieb – also höflicher Gruß unter Ausklammerung religiöser Konnotationen, freundliches und möglichst natürlich wirkendes Lächeln etc. Auch ein Verbot, intime Beziehungen unter Arbeitskollegen einzugehen, betrifft zwar das Verhalten von AN im Betrieb, scheitert in dieser allgemeinen Form mE aber an § 879 und wohl auch an § 16 ABGB.* Dies gilt hingegen nicht für Klauseln, die Mitarbeiter unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich bei möglichem Bestehen von dadurch ausgelösten Interessenkonflikten, zur Meldung privater Beziehungen verpflichten.* In der drittgrößten Schweizer Bank (nicht börsenotiert) sind zB der Vorstandsvorsitzende und die Leiterin der Rechtsabteilung, die gleichzeitig Compliance-Officer ist, seit vielen Jahren miteinander verheiratet. Abgesehen davon, dass eine derartige Konstellation wohl in vielen anderen Ländern und insb bei börsenotierten Gesellschaften, zumal Banken, schwer denkbar wäre, hat ein AG jedenfalls ein schutzwürdiges Interesse daran, das Entstehen einer derartigen Konstellation zu erfahren, um darauf angemessen reagieren zu können.

§ 97 Abs 1 Z 1 ArbVG hindert zwar den AG nicht daran, „Ordnungsvorschriften“ im Rahmen der vor allem durch § 879 ABGB gezogenen Grenzen in den Arbeitsvertrag zu implementieren; der BR, dem die darin verordneten Verhaltensgebote und -verbote zu weit gehen, kann aber jederzeit Verhandlungen über eine BV initiieren und gegebenenfalls die Schlichtungsstelle anrufen, um eine weniger weitreichende Pflichten beinhaltende BV durchzusetzen zu versuchen.

Weitere Betriebsvereinbarungstatbestände, auf die Ethik- und Benimm-Regeln gestützt werden könnten, sind § 97 Abs 1 Z 6 ArbVG (Maßnahmen zur zweckentsprechenden Benützung von Betriebseinrichtungen und Betriebsmitteln),* Z 8 (Maßnahmen und Einrichtungen zur Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten sowie Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der AN),* Z 17 (Maßnahmen zur Sicherung der von den AN eingebrachten Gegenstände)* und Z 20 (betriebliches Beschwerdewesen).*

4.1.3.
Arbeitsvertrag

Mittels Arbeitsvertrages kann der AG im Rahmen der Privatautonomie grundsätzlich auch außerdienstliches Verhalten des Mitarbeiters regeln, doch sind der Regelungsmacht vor allem durch § 879 ABGB inhaltliche Grenzen gesetzt (dazu unten).

4.1.4.
Weisung des Arbeitgebers

Das dem AG zukommende Weisungsrecht bildet ebenfalls eine vom Prinzip her taugliche Grundlage für die Verankerung von Benimm- und Ethik-Regeln. Beachtet werden muss aber, dass mittels des Direktionsrechtes der AG die Arbeitspflicht nur konkretisieren kann.* Gegenstand des Weisungsrechts darf somit – wie dies manchmal plastisch ausgedrückt wird – nur etwas sein, das der AG „im Prinzip“ schon schuldet.* Der AG kann daher den ohnehin zu schonender Benutzung des AG-Eigentums und zur Sauberkeit am Arbeitsplatz verpflichteten AN per Weisung dazu anhalten, schmutziges Geschirr nach dem Essen aus dem Büro wieder zu entfernen und in den Geschirrspüler zu räumen, in der Kantine Sauberkeit zu halten oder auch eine dem Unternehmensgegenstand nicht angepasste, zu nachlässig oder zu aufreizende Kleidung nicht zu tragen;* ein Verbot der Beteiligung an Konkurrenzunternehmen, der Eingehung von intimen Beziehungen mit Arbeitskollegen oder der Annahme jedweder Aufmerksamkeiten Dritter über die gesetzlichen Pflichten hinaus sprengt hingegen die Grenzen des Weisungsrechts eindeutig.

4.2.
Inhaltskontrolle

Rechtliche Grenzen sind sowohl den kollektivrechtlichen Normen des KollV und der BV als auch dem Arbeitsvertrag vor allem durch § 879 ABGB, aber auch durch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des § 16 ABGB gesetzt.

Aktuell wird diese Schranke vor allem bei Klauseln, die in das Privatleben eingreifen, was beim schon angesprochenen „Flirt-Verbot“ mE der Fall ist.* Ebenso überschritten sind die Grenzen, wenn es um die dem AG zur Pflicht gemachte Einwirkung auf das Verhalten von Familienmitgliedern geht.* Eine Verpflichtung zur Meldung, wenn zB der Ehepartner oder203 Lebensgefährte eine verantwortungsvolle Position bei einem Konkurrenten des AG angetreten hat, entspricht dagegen einem grundsätzlich schutzwürdigen Interesse des AG und ist nicht sittenwidrig.*

Ethik- und Benimm-Regeln werden typischerweise nicht individuell ausgehandelt und in die einzelnen Arbeitsverträge und auf den einzelnen Mitarbeiter zugeschnitten eingepasst, sondern sind vielmehr Teil oft sehr umfangreicher Regelwerke, die unverhandelt und unverhandelbar zum Bestandteil des Arbeitsvertrages durch – zumeist dynamische – Verweisung gemacht werden. In diesem Falle greifen auch § 864a und § 879 Abs 3 ABGB, weil es sich um für den massenweisen Einsatz durch den AG einseitig vorformulierte Vertragsbedingungen handelt.

4.3.
Beispiele für heikle „Benimm-Klauseln“

Es würde den Rahmen dieses Beitrags bei Weitem sprengen, würde ich mich nun detaillierter mit heiklen Ethik- bzw Benimm-Klauseln in den in der Praxis kursierenden Codes of Conduct befassen. Nur zwei Beispiele seien in diesem Zusammenhang herausgegriffen, weil sie interessante Grenzfälle betreffen.

Es geht zum einen um Klauseln, die es AN generell verbieten, mit irgendeinem Lieferanten oder Kunden des Unternehmens selbst in geschäftliche Beziehung zu treten.* Der Sinn und Zweck der Vorschrift ist an sich klar: Der AG möchte verhindern, dass ein Dritter, der zB das Unternehmen mit Büromaterial beliefert, im Unternehmen Installationsarbeiten ausführt, regelmäßig die Wände streicht etc, von einem AN privat beauftragt wird und – vielleicht auch ohne dazu explizit ermuntert zu werden – dem Mitarbeiter besonders günstige Konditionen anbietet, um sich den großen AG-Kunden gewogen zu halten, und weil – diese Befürchtung steckt natürlich auch hinter derartigen Klauseln – der Lieferant die dem Mitarbeiter gegebenen Nachlässe bei nächster Gelegenheit beim AG durch entsprechend höhere Entgelte wieder ausgleicht.

Sieht man den Sinn und Zweck der Klausel so, ist gleichzeitig auch die juristisch angemessene Lösung vorgezeichnet: Derartige Bestimmungen sind grundsätzlich zulässig, hingegen problematisch gegenüber Mitarbeitern, die in der Hierarchie so weit unten angesiedelt sind, dass ihnen keinerlei relevanter Einfluss im Unternehmen zukommt und ein Dritter vernünftigerweise nicht denken kann, nur die Gewährung eines entsprechenden Nachlasses könnte bewirken, dass der AG als Kunde gewogen bliebe. Jedenfalls kann ein Verstoß gegen eine entsprechende Norm bei einem subalternen Mitarbeiter keine ins Gewicht fallende oder gar entlassungswürdige Pflichtverletzung bedeuten.*

Ein weiteres Beispiel sind die sogenannten „Geschenk-Klauseln“, die Mitarbeitern die Annahme jedweder – selbst geringfügiger und üblicher – Vorteile von Dritten verbieten.*

Derartige Klauseln gewinnen freilich nicht nur bei US-amerikanischen Unternehmen stark an Bedeutung. Man muss sich vergegenwärtigen, dass es letztlich ja vor allem spektakuläre Korruptionsfälle wie bei Siemens waren, die auch in Europa das Entstehen und die Fortentwicklung von unternehmensinternen Codes of Conduct förderten. In der Tat sind Korruptionsprävention und die Verhinderung bzw Aufdeckung von Kartellrechtsverstößen wie zB verbotenen Preisabsprachen die zentralen und absolut ernst zu nehmenden Kernbausteine unternehmensinterner Verhaltenskodizes.* Durch die Implementierung strikter und ausnahmsloser Geschenkannahmeverbote möchten AG signalisieren, dass ihre Mitarbeiter vollkommen unbestechlich sind und sich auch nicht in Grauzonen- Bereiche begeben.*

Auch wenn nach der österreichischen Gesetzeslage und der Judikatur die Annahme verkehrsüblicher Trinkgelder und kleiner Aufmerksamkeiten nicht unter das Verbot der Vorteilsannahme durch Dritte fällt* und daher auch insoweit keine Herausgabepflicht des AN gegenüber dem AG besteht, hat Letzterer mE ein rechtlich schutzwürdiges Interesse daran, Zuwendungen Dritter an den AN in Ausübung seiner Dienstleistung generell zu unterbinden. Natürlich gilt dies dort nicht, wo die Annahme von Trinkgeldern integraler Gehaltsbestandteil ist, wie im Gastgewerbe, sonst aber schon.

Entgegen einer kürzlich im Schrifttum vertretenen Auffassung* halte ich daher Geschenk-Klauseln, die die Annahme jedweden – und sei es auch geringfügigen – Vorteils an AN untersagen, für rechtlich zulässig und wirksam. Die Gegenmeinung, es sei mit der Fürsorgepflicht des AG nicht vereinbar, jedwede Zuwendung zu verbieten, weil der AG danach auch verpflichtet sei, die Vermögensinteressen des AN zu bewahren, trägt nicht. Ein schutzwürdiges Interesse des AN, bei Erbringung der Dienstleistung nicht nur das mit dem AG vereinbarte und von diesem vertraglich geschuldete Entgelt zu bekommen, sondern auch Vorteile Dritter, existiert nämlich nicht.

5.
Whistleblowing

Im Rahmen der vorgegebenen Themenabgrenzung darf eine kurze Auseinandersetzung mit dem in Österreich seit nun schon einigen Jahren auch im arbeitsrechtlichen Schrifttum intensiver wahrgenommenen „Whistleblowing“ nicht fehlen. Ins juristische Bewusstsein trat dieses Instrument des (verpflichtenden) Anzeigens von Fehlverhalten und Mängeln in einem Unternehmen mit dem sogenannten Sarbanes Oxley Act204 2002 in den Vereinigten Staaten als Folge des Enronund WorldCom-Zusammenbruches.* Mittlerweile, fast zwölf Jahre später, sind Whistleblower-Systeme weltweit auf dem Vormarsch, und dies keineswegs nur in US-amerikanischen Unternehmen oder Unternehmensgruppen, die dort ihr Hauptquartier haben.*

Der österreichische Gesetzgeber hat – gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben folgend* – mit 1.1.2014 in § 99g Abs 1 BWG für Kreditinstitute die Verpflichtung eingeführt, ein sogenanntes „Hinweisgeber- System“ (so die deutsch-legistische Bezeichnung für Whistleblowing) für ihre Mitarbeiter einzurichten.* Die Kreditinstitute haben danach über angemessene Verfahren zu verfügen, die es ihren Mitarbeitern unter Wahrung der Vertraulichkeit ihrer Identität ermöglichen, betriebsinterne Verstöße gegen bestimmte gesetzliche Vorschriften an eine geeignete Stelle zu melden.

Die folgenden kurzen Anmerkungen sollen sich auf das interne Whistleblowing beschränken, also das Anzeigen von Fehlverhalten innerhalb des Unternehmens. Datenschutzrechtliche Aspekte bleiben ebenfalls ausgeklammert.*

5.1.
Anzeigepflicht des Arbeitnehmers ohne spezielle rechtliche Verankerung

Gewisse Missstände und Verstöße muss ein AN dem AG oder dem von diesem beauftragten leitenden Mitarbeiter auch melden, wenn ihn dazu keine spezielle Rechtsnorm, etwa eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung, verpflichtet.* Es kommt hier entscheidend einerseits auf die Tätigkeit und den Einsatzbereich des Mitarbeiters an, der diesem vertraglich zugewiesen ist, und andererseits auf die Art und Schwere des Verstoßes bzw Vorfalls. So kann von jedem AN verlangt werden, dass er Situationen melden muss, aus denen unmittelbar eine Gefahr für Leib und Leben von AN oder Kunden bzw Lieferanten ausgeht.* Entdeckt ein AN in einer Fabrikhalle, dass sich plötzlich im Boden ein drei Meter tiefes Loch aufgetan hat, dann ist dies unverzüglich auch von jemandem zu melden, der als Büroarbeitskraft nur zufällig wegen der Überbringung von Schriftstücken die Halle betreten hat. Dasselbe wird man zumindest bei schwereren Straftaten annehmen müssen, deren Zeuge ein AN wird (also zB Entwendung von AG-Eigentum in nicht bloß unbedeutendem Ausmaß, schwere sexuelle Belästigung eines Mitarbeiters etc). Die Nichtmeldung kann in einem solchen Fall nur dann im Einzelfall keine Pflichtverletzung bedeuten, wenn der AN von der Anzeige aufgrund von Drohungen des Täters abgehalten wurde.*

Es kommt hier tatsächlich sehr auf die Umstände des Einzelfalles an. Diese können auch so beschaffen sein, dass – wie der OGH in den 1970er-Jahren einmal judizierte* – ein AN verpflichtet ist, dem AG Mitteilung zu machen, wenn er registriert, dass ein Arbeitskollege zu einem Konkurrenten des AG wechseln möchte. Voraussetzung für eine solche Anzeigepflicht muss mE aber zumindest sein, dass es sich erstens um einen Mitarbeiter mit gewisser Führungsverantwortung handelt, dass auch der am Absprung befindliche Kollege eine entsprechend verantwortungsvolle Position innehat und darüber hinaus wohl auch, dass der AN registriert, dass sein Kollege anscheinend im Begriff ist, Rechtsvorschriften zu verletzen, zB sich über ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot hinwegzusetzen oder systematisch Arbeitskollegen abzuwerben.

5.2.
Rechtsgrundlagen für die Einführung von Whistleblower-Systemen

Eine auf rein arbeitsvertraglicher Basis beruhende Einführung von Whistleblower-Systemen kommt nur bei nicht-automationsunterstützten Systemen in Betracht, bei denen den AN freigestellt wird, ob und in welcher Form Meldungen erstattet werden. In diesem Fall kann auch eine fakultative BV gem § 97 Abs 1 Z 20 ArbVG (Betriebliches Vorschlagswesen) geschlossen werden. Verpflichtet der AG seine AN zur Durchführung einer – in welcher Form auch immer erfolgenden – Anzeige bestimmter Verstöße, handelt es sich um Ordnungsvorschriften. Der AG kann zwar – innerhalb der Grenzen, insb der §§ 16, 879 ABGB – eine Anzeigepflicht vom Grundsatz her arbeitsvertraglich regeln; der BR hat aber die Möglichkeit, notfalls über die Schlichtungsstelle eine BV nach § 97 Abs 1 Z 1 ArbVG mit weniger weitreichenden Beschränkungen zu erzwingen.

Je nach fachlichem Umfang der Meldepflicht kann aber auch der Tatbestand in § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG betreffend Kontrollmaßnahmen oder technische Systeme zur Kontrolle der AN, die die Menschenwürde berühren, verwirklicht sein. Das ist mE mit Aschauer*nn der Fall, wenn sich die Anzeigemöglichkeit oder Anzeigepflicht nicht bloß auf Verstöße gegen gesetzliche, auf Verordnung beruhende oder kollektivvertragliche Bestimmungen beschränkt, sondern auch die schon mehrfach erwähnten reinen Benimm- und Ethik-Regeln erfasst. Dies bedeutet, dass ein derartiges Whistleblower-System in Betrieben mit BR zwingend dessen Zustimmung bedarf und nur in betriebsratslosen Betrieben gem § 10 AVRAG durch – jederzeit kündbare – Vereinbarung mit jedem AN implementiert werden darf. Die gleichförmige Verankerung einer bloßen Anzeigepflicht in den Arbeitsverträgen ohne Systemanbindung erfüllt freilich nicht den Tatbestand des § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG.*205

Es erhebt sich darüber hinaus die Frage, ob eine BV nach § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG selbst die Verpflichtung zur Meldung des AN überhaupt beinhalten darf, weil es üblicherweise nicht zum Wesen eines Kontroll- oder Überwachungssystems gehört, dass der Kontrollierte dazu seine Einwilligung erteilt.*

Soweit sich die Anzeigeverpflichtung auf die Verletzung von gegen § 879 ABGB verstoßende Vorschriften (wie zB das angesprochene „Flirt-Verbot“) bezieht, ist die Kontrollmaßnahme freilich überhaupt rechtswidrig.*

6.
Arbeitnehmer als Risikoträger im Verwaltungsstrafrecht

Wie schon erwähnt, ist das Verwaltungsstrafrecht seit jeher ein Bereich, in dem der VwGH seit Jahrzehnten vorexerziert, was man unter einem „Compliance- System“ verstehen kann, dem die Praxis unmöglich gerecht zu werden vermag. Ohne Bestellung verantwortlicher Beauftragter gelingt es gesetzlichen Vertretern juristischer Personen so gut wie nie, glaubhaft zu machen (bei Ungehorsamsdelikten) bzw zu beweisen, dass sie alles Erforderliche getan haben, um die Begehung einer Verwaltungsübertretung der in Frage stehenden Art zu verhindern.*

Daraus erklärt sich auch das große Bedürfnis der Unternehmensleitung insb in Kapitalgesellschaften und umso mehr in risikoträchtigen oder gar von der Finanzmarktaufsicht (FMA) beaufsichtigten Branchen, das verwaltungsstrafrechtliche Haftungsrisiko auf AN abzuwälzen. Für Geschäftsleiter in Kreditinstituten im Besonderen stellt sich ja bei mehrmaliger Bestrafung in letzter Konsequenz das Problem der bankwesenrechtlichen Zuverlässigkeit und ergibt sich die Gefahr eines von der FMA initiierten Geschäftsleiterverfahrens.

6.1.
Verantwortlicher Beauftragter

Die gesetzlichen Vertreter einer juristischen Person sind gem § 9 VStG für Verwaltungsübertretungen nur dann nicht verantwortlich, wenn sie sogenannte verantwortliche Beauftragte bestellt haben, die für bestimmte Bereiche des Unternehmens (für den gesamten Unternehmensbereich können nur gesetzliche Vertreter zuständig sein) zuständig sind und denen eine entsprechende Anordnungsbefugnis im Unternehmen zukommt.* Der verantwortliche Beauftragte muss seiner Bestellung „nachweislich zugestimmt“ haben. Die Haftung des gesetzlichen Vertreters bleibt dennoch bestehen, wenn – was nicht verwundert – er den verantwortlichen Beauftragten zur Tat angestiftet, die Tat vorsätzlich nicht verhindert hat oder dem Beauftragten die Einhaltung der Vorschriften aufgrund entsprechender Beeinflussung unzumutbar war.*

6.2.
Rechtsnatur und Bestandfestigkeit von Vereinbarungen mit verantwortlichen Beauftragten

§ 9 VStG sagt nichts Näheres darüber aus, welcher Art die Rechtsbeziehung zwischen Unternehmensträger und verantwortlichem Beauftragten ist. Vielmehr beschränkt sich das Gesetz darauf, die nachweisliche Zustimmung des Beauftragten zu verlangen, was aber im Grunde eine Selbstverständlichkeit ist.

Rechtstechnisch bestehen zwei Möglichkeiten: Die Stellung als verantwortlicher Beauftragter kann in den Arbeitsvertrag integriert werden und dessen Bestandteil bilden, oder sie kann – was insb bei nachträglicher Bestellung schon bestehender Mitarbeiter der Fall sein wird – separat vereinbart werden. In beiden Fällen ist es möglich, für die Übernahme der Verantwortung ein gesondertes Entgelt zu vereinbaren oder nicht.

Entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung* kann dem Gesetz nicht die Ratio entnommen werden, ein verantwortlicher Beauftragter dürfte begründungslos seine Tätigkeit jederzeit niederlegen. Dies kann ihm zwar vertraglich zugesichert werden, ist aber vor allem dann, wenn die Tätigkeit Bestandteil des Arbeitsvertrages ist, nicht zu vermuten. Vielmehr bedarf es mE für die Berechtigung der fristlosen Niederlegung eines wichtigen Grundes, der zB darin bestehen kann, dass dem verantwortlichen Beauftragten nicht der erforderliche Einfluss im Unternehmen und die nötigen Anordnungsbefugnisse verschafft werden, die es ihm ermöglichen, die Einhaltung der in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden Verwaltungsvorschriften sicherzustellen.* Dass versuchte Anstiftungen zur Verwaltungsübertretung durch die Unternehmensleitung einen wichtigen Grund für die Zurücklegung bilden, steht außer Frage. Unabhängig von der Frage der arbeitsvertragsrechtlichen Zulässigkeit der Beendigung der Funktion durch den verantwortlichen Beauftragten endet mit dessen Rücktritt aber die „haftungsumlenkende“ Wirkung des § 9 VStG, weil es dann an der gesetzlichen Voraussetzung der „nachweislichen Zustimmung“ fehlt.

Umgekehrt kann auch der AG bei Vorliegen wichtiger Gründe den verantwortlichen Beauftragten fristlos von seiner Tätigkeit entbinden.206

Aus dem Wesen und Inhalt der Vereinbarung über die Tätigkeit als verantwortlicher Beauftragter ergibt sich auch, dass das grundsätzlich im Arbeitsrecht geltende Teilkündigungsverbot* hier nicht greift.* Sowohl AG als auch AN (verantwortlicher Beauftragter) können – wenn nichts Gegenteiliges vereinbart ist – nur die Vereinbarung über die Tätigkeit als verantwortlicher Beauftragter beenden, den Arbeitsvertrag aber unangetastet lassen.

Ist dem verantwortlichen Beauftragten für die Tätigkeit ein gesondertes Entgelt versprochen, bedarf eine Teilkündigung durch den AG aber in Anlehnung an die bei der Ausübung arbeitgeberischer Gestaltungsrechte geltenden Grundsätze eine Orientierung am „billigen Ermessen“.*

6.3.
Ersatz von Strafen und Vertretungskosten

Es fällt Unternehmen manchmal schwer, verantwortliche Beauftragte für alle und insb für die haftungssensiblen Bereiche des Unternehmens zu gewinnen. Der Hauptgrund besteht darin, dass das Risiko der verwaltungsstrafrechtlichen Verurteilung und die damit verbundenen, uU nicht unbedeutenden finanziellen Belastungen dem AN/verantwortlichen Beauftragten zumindest nicht im Vorhinein abgenommen werden können. Der OGH* judiziert – zumindest vom Ansatz her überzeugend –, dass im Vorhinein, also vor Begehung der Tat, abgeschlossene Verträge sittenwidrig und nichtig sind, wenn diese vorsehen, dass dem AN über ihn verhängte Verwaltungsstrafen oder gar gerichtliche Strafen ersetzt werden sollen.*

Eine solche Vereinbarung kann im Nachhinein wohl getroffen werden, wenn sie auch Lohnsteuerpflicht auslöst.* Risikolos ist eine solche Vorgangsweise gleichwohl nicht. So hat die FMA in ihrem Wirkungsbereich in einem eigenen Rundschreiben darauf hingewiesen, dass sie vom Verdacht der Untreue der den Straf-Ersatz bewilligenden Entscheidungsträger ausgeht, wenn entweder die Vereinbarung schon im Vorhinein getroffen wurde oder es sich um ein Vorsatzdelikt handelt oder der Täter bereits wiederholt bestraft wurde.*

Ähnliches gilt für die Übernahme von Vertretungskosten, die beträchtliches Ausmaß erreichen können. Der AN hat nach § 1014 ABGB Anspruch darauf, dass ihm die Kosten einer erfolgreichen Abwehr verwaltungsstrafrechtlicher Verantwortung oder gar gerichtlicher Strafbarkeit ersetzt und auch iSd zitierten Gesetzesbestimmung angemessen bevorschusst werden.* Dies gilt aber gerade nicht im Falle der rechtskräftigen Verurteilung.* In diesem Falle könnte der AG geleistete Zahlungen zurückfordern; tut er es nicht, besteht zumindest ein gewisses strafrechtliches Untreuerisiko. Freilich hat auch der OGH schon eingeräumt, dass selbst bei Verurteilung der AG Verfahrenskostenersatz leisten darf, wenn und soweit die versuchte Abwehr im Interesse des Unternehmens lag, weil dieses Folgeverfahren oder Reputationsschäden befürchtet.*

7.
Unternehmensinterne Untersuchungen

Vor allem größere Unternehmen sind heute auch in Österreich zunehmend sensibilisiert durch diverse Korruptionsskandale im In- und Ausland und fürchten, die für ein korruptionsverfangenes Unternehmen uU fatalen Konsequenzen, die über die mögliche Bestrafung der unmittelbaren und mittelbaren Täter weit hinausgehen, von hohen Geldbußen, diverser Aufsichtsbehörden mehrerer Länder über die Abschöpfung von Gewinnen aus unrechtmäßigen Geschäften bis zum Ausschluss von öffentlichen Aufträgen für eine gewisse Zeit reichen können.*

Es kommt daher immer häufiger vor, dass Unternehmen, sobald sie konkrete Verdachtsmomente betreffend strafgesetzwidrige Handlungen von Mitarbeitern haben, eigene Untersuchungen starten, mit denen nicht selten bezweckt ist, der Staatsanwaltschaft gleichsam zuvorzukommen und neben der Präsentation eines für ein mögliches Strafverfahren verwertbaren, detailliert aufgearbeiteten Sachverhaltes gleichzeitig zu demonstrieren, dass das Unternehmen derartige Rechtsverstöße nicht duldet, sondern prompt und streng ahndet.*

Manchmal werden solche Untersuchungen freilich erst auf entsprechenden behördlichen oder medialen Druck eingeleitet.207

Das diesbezüglich bislang sicher spektakulärste Beispiel lieferte der deutsche Konzern Siemens, der bei der Aufarbeitung der gigantischen Korruptionsaffäre, nicht zuletzt auch zwecks Besänftigung der amerikanischen Börsenaufsichtsbehörde (SEC), US-amerikanische Anwaltssozietäten mit den Ermittlungen beauftragte und dafür einen dreistelligen Millionenbetrag ausgab.* Zeitweise sah es so aus, als ob gewisse Bereiche der Unternehmensführung in die Hände amerikanischer Anwälte gelegt waren, die unzählige Personen einvernahmen, letztlich auch – in der Praxis meist beachtete – Empfehlungen abgaben, von welchen Personen sich der Konzern auf welche Art und Weise trennen sollte.

Bei der Durchführung solcher Untersuchungen sind gewisse arbeitsrechtliche Schranken zu beachten. Wenn der AG den Prozess unternehmensinterner Untersuchungen durch die Erlassung genereller Richtlinien oder eines „Handbuches“ standardisieren möchte, kann damit der Mitbestimmungstatbestand des § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG verwirklicht sein. Dies wird insb dann zutreffen, wenn – wie dies regelmäßig bei solchen Untersuchungen der Fall ist – gegenüber verdächtigen Personen auch ein Screening von Emails oder die Untersuchung sonstiger Datenträger vorgesehen ist, die möglicherweise auch private Inhalte aufweisen.* Ergreift der AG solche Maßnahmen freilich nicht auf der Grundlage genereller Richtlinien, sondern in einem konkreten Einzelfall, bestehen zwar bestimmte, von Lehre und Rsp entwickelte Schranken für die Durchsuchung der elektronischen Korrespondenz eines Mitarbeiters;* ein Mitbestimmungsrecht des BR ist mangels genereller Vorgehensweise dann aber nicht berührt.*

Entwickelt der AG standardisierte Fragenkataloge für Vernehmungen, was freilich eher unpraktikabel ist und in der Praxis nur bedingt vorkommt, dann handelt es sich mE nicht um zustimmungspflichtige Personalfragebögen iSd § 96 Abs 1 Z 2 ArbVG. Umso mehr gilt dies bei individuell auf einen befragten Mitarbeiter zugeschnittenen Fragen.

Bei der Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen wegen vermuteter Malversationen (wie insb Korruptionsdelikten) und insb bei der Mitarbeiterbefragung hat der AG unter Beachtung seiner Fürsorgepflicht und der Persönlichkeitsrechte des AN vorzugehen. Dies bedeutet mehrerlei: Erstens darf sich der AG nicht quasi-behördliche Befugnisse arrogieren und Mitarbeiter einer Verhörsituation unterziehen, in der der Eindruck vermittelt wird, der Mitarbeiter müsse hier und jetzt aussagen, und dürfe den Raum vor Beendigung der Aussage nicht verlassen. In der Praxis sind schon Fälle bekannt geworden, in denen der AG bei der Eingangstüre stärker gebaute und nicht sehr vertrauenserweckend aussehende Herren platzierte, die das unausgesprochene Signal aussendeten, ein Verlassen des Raumes wäre nicht ratsam. Zweitens muss der AG dem befragten Mitarbeiter gewisse „Verfahrensgarantien“ gewähren und den Grundsatz der „Waffengleichheit“ wahren. Ebenso wenig wie vor der Staatsanwaltschaft ist ein AN gegenüber seinem AG verpflichtet, sich durch eine Aussage selbst zu belasten.* Darauf sollte er vor der Einvernahme auch hingewiesen werden. Setzt der AG „professionelle Fragesteller“ insb in Form beigezogener Rechtsanwälte oder Forensik-Experten ein, dann muss mE dem AN ähnliche Unterstützung – und zwar in Anwendung des § 1014 ABGB auf Kosten des AG* – beigestellt werden. Andernfalls kann der AN jede Aussage und Kooperation mE sanktionslos unterlassen und verletzt daher auch insoweit, als es nicht um mögliche Selbstbelastung geht, keine dienstrechtlichen Pflichten.

Abgesehen davon ist der AN zwar, wie gesagt, nicht zur Selbstbelastung angehalten, aber andererseits auch nicht berechtigt, dem AG Informationen, an denen der AG ein schutzwürdiges Interesse hat und die die dienstliche Tätigkeit des Mitarbeiters betreffen, nur deshalb vorzuenthalten, weil solche Informationen möglicherweise weitere Rückschlüsse zulassen, die in der Folge zu Verdachtsmomenten gegen den betroffenen AN führen könnten. Hier kommt es auf den Einzelfall und insb auch auf die Position des AN an. In einem von unserer Sozietät vor einiger Zeit abgehandelten Fall verweigerte der Geschäftsführer der österreichischen Tochtergesellschaft einer Bau- Unternehmensgruppe, gegen den auch von den Strafverfolgungsbehörden ermittelt wurde, gegenüber dem AG jegliche Auskünfte und verwies über seinen Anwalt auf das Protokoll der Einvernahme vor der Staatsanwaltschaft, das er dem AG zur Verfügung stellte. Letzterer sprach daraufhin die fristlose Entlassung aus. Der AN muss in solchen Fällen sehr genau abwägen, ob er dem AG Informationen vorenthält, weil jeder AN ja grundsätzlich dazu verpflichtet ist und vom AG auch mittels Weisung jederzeit, wenn auch nicht schikanös, dazu angehalten werden kann, über seine Tätigkeit Bericht zu erstatten.*

Schikanöse und die Menschenwürde verletzende Verhörmethoden können den AN uU zum vorzeitigen Austritt aus dem Arbeitsverhältnis berechtigen.*208

8.
Compliance und kollektives Arbeitsrecht: Kontrolle von Betriebsratsermessensentscheidungen

Zum Abschluss soll noch eine spezielle Frage aus dem kollektiven Arbeitsrecht behandelt werden. Es geht darum, ob der BR bzw ob Belegschaftsvertretungsorgane generell bei der Ausübung ihrer Befugnisse und Wahrnehmung ihrer Pflichten tatsächlich – wie dies die hA* und der OGH* annehmen – in einem gerichtlicher Überprüfung fast gänzlich entzogenen Ermessensspielraum agieren. Anders und etwas provokanter formuliert könnte man fragen: Soll tatsächlich der BR der alleinige Hüter des kollektiven Arbeitsrechts sein?

Der Verfasser hat sich kürzlich sehr ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob Ermessensentscheidungen von Belegschaftsvertretungsorganen gerichtlicher Kontrolle unterliegen und welchen Kriterien solche Entscheidungen genügen müssen, um rechtlich nicht angreifbar zu sein.* In diesem beengten Rahmen können nur die wichtigsten Thesen nochmals zusammengefasst und etwas geschärft werden.

Ausgangspunkt meiner ausführlichen literarischen Auseinandersetzung war eine E des OGH,* in der die Ausübung des Sperrrechtes durch den BR zur Kündigung des früheren Personalchefs des AG zu untersuchen war. Der BR hatte nach den gerichtlichen Feststellungen der Kündigung „aus Rache“ zugestimmt, weil er sich für bestimmte vom anfechtenden Kl als früherem Personalchef gesetzte, vom Gericht aber nicht einmal ansatzweise festgestellte „Maßnahmen“ revanchieren und dem AN die Anfechtung unmöglich machen wollte. Ein Studium der unterinstanzlichen Entscheidungen ergab außerdem, dass nach den Feststellungen der BR bewusst keinerlei Informationen über die soziale Situation des Kl eingeholt und sich daher nicht damit auseinandergesetzt hatte, dass dieser, selbst in fortgeschrittenem Alter, für zwei Kinder sorgepflichtig war, von denen eines an Zuckerkrankheit litt. Außerdem hatte das Erstgericht darauf hingewiesen, dass keines der befragten Betriebsratsmitglieder konkrete Maßnahmen des Kl nennen konnte, für die sich der BR durch die Ausübung des Sperrrechts revanchieren wollte, sondern dass vielmehr die Aussagen aller befragten Betriebsratsmitglieder einander so stark ähnelten, dass der dringende Verdacht der Absprache bestand, wobei das Gericht anmerkte, dass die einvernommenen Betriebsratsmitglieder sich offenbar noch vor dem Gerichtssaal miteinander abgesprochen hätten.

Auf die Besonderheiten des Falles und vor allem auf die Frage, ob ein AG bei einer sittenwidrigen bzw rechtsmissbräuchlichen Zustimmung des BR zur Kündigung – wie der OGH anscheinend annimmt – nicht nur darauf vertrauen darf, dass eine „Stellungnahme“ iSd § 105 Abs 1 ArbVG vorliegt, der AG also nicht zu früh kündigt, sondern auch darauf vertrauen darf, dass diese Stellungnahme die Wirkung einer Zustimmung zur Kündigung hat, soll hier nicht näher eingegangen werden.

Beschränken möchte ich mich vielmehr auf die Kritik an der vom OGH vorgetragenen These, dass die „demokratisch legitimierte“ Entscheidung des BR gerichtlich nicht überprüfbar sei.* Der OGH nimmt zwar anscheinend den Fall des Rechtsmissbrauches von dieser Unüberprüfbarkeit aus, geht darauf aber nicht näher ein, weil er – mE in Anbetracht der Feststellungen unrichtigerweise – Rechtsmissbrauch verneint.

Verfolgt man die Literatur, auf die sich das Höchstgericht beruft, zurück, entdeckt man, dass es eine wirkliche Begründung für die These, BR-Ermessensentscheidungen seien gerichtlich nicht überprüfbar, nicht gibt.* Dass die Entscheidung eine „demokratisch legitimierte“ eines Kollegialorgans ist,* kann nicht ernsthaft als Begründung herhalten, weil sonst ja auch Entscheidungen von kollegial zusammengesetzt und nach dem Mehrheitsprinzip entscheidenden Organen einer Körperschaft vom Gericht nicht überprüft werden könnten. Mit dem „Wesen“ der betrieblichen Interessenvertretung zu argumentieren,* signalisiert Argumentationsnotstand. Ebenso wenig tauglich wäre das – in der Diskussion, soweit überblickbar, gar nicht vorgetragene – Argument, die Belegschaftsvertreter müssten nach dem Gesetz (§ 115 Abs 1 ArbVG) ehrenamtlich tätig sein. Ehrenamtlichkeit befreit nicht von Verantwortung und Haftung, was im Falle von Belegschaftsvertretern umso mehr gilt, als der Gesetzgeber des ArbVG iZm der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat ausdrücklich angeordnet hat, dass den vom BR entsendeten Aufsichtsratsmitgliedern – mit genau definierten Ausnahmen – dieselben Rechte und Pflichten wie Kapitalvertretern zukommen.

Der Verfasser hat jüngst an anderer Stelle darzulegen versucht, dass auch Ermessensentscheidungen von Belegschaftsvertretungsorganen einer gewissen nachprüfenden Rechtskontrolle durch das Gericht unterliegen und dass die Kriterien der sogenannten – in Österreich nicht, aber zB in Deutschland (§ 93 Abs 1 dAktG)* und Liechtenstein (Art 182 Abs 2 PGR)* sehr wohl gesetzlich positivierten – Business209 Judgment Rule herangezogen werden können, weil diese generell geeignet für die Bestimmung ermessensfehlerfreien Handelns bei fremdnütziger Interessenwahrung im Privatrecht sind.*

Dies bedeutet, dass der BR auf der Basis angemessener Information, frei von Interessenkonflikten, und in der ex ante vernünftigen Annahme handeln muss, im besten Interesse der Belegschaft unter Abwägung allenfalls zu berücksichtigender Individualinteressen vorzugehen.* Von „angemessener Information“ konnte im Anlassfall keinerlei Rede sein, weil der BR es sogar bewusst vermieden hatte, sich mit der sozialen Lage des zu kündigenden AN auseinanderzusetzen. Auch Freiheit von Interessenkonflikten lag möglicherweise nicht vor, weil der Kl nach den gerichtlichen Feststellungen schon früher in seiner Eigenschaft als Personalchef vom BR in dessen Mitarbeiterzeitung beschimpft und sogar massiv bedroht worden war. In Anbetracht des Umstandes, dass keines der befragten Betriebsratsmitglieder vor Gericht in der Lage war, konkrete Kriterien anzuführen, warum die Zustimmung zur Kündigung des Kl im Belegschaftsinteresse gelegen sein sollte und für welche der Belegschaft nachteiligen Maßnahmen als Personalchef (die im Übrigen Jahre zurück lagen!) sich der BR habe „rächen“ wollen, kann man auch ausschließen, dass der BR im Anlassfall in der nachvollziehbar vernünftigen Annahme handelte, die Belegschaftsinteressen bestmöglich zu vertreten.*

Damit werden Belegschaftsvertretungsorgane keineswegs einem rechtlichen Korsett unterworfen, das ihre Interessenvertretungsaufgabe unsachgemäß erschwert oder die betroffenen Mitglieder gar inadäquaten Haftungsrisiken aussetzt. Denn erstens muss richtigerweise derjenige, der sich auf eine rechtswidrige Entscheidung eines Belegschaftsvertretungsorgans beruft, beweisen, dass eines der angeführten Kriterien nicht vorliegt,* und dies wird – anders als im wirklich spektakulären Anlassfall – nur ganz selten gelingen. Andererseits bedeutet rechtswidriges Handeln des BR noch nicht unbedingt Schadenersatzpflicht, weil dafür ja der Eintritt eines Vermögensschadens erforderlich ist. Im Anlassfall der Ausübung des Sperrrechtes gegenüber dem gekündigten Ex-Personalchef hätte die richtige Lösung außerdem lauten müssen, dass die Zustimmungserklärung des BR wegen Rechtsmissbrauches bzw Sittenwidrigkeit unwirksam war und die Kündigung damit angefochten werden konnte. Eine Schadenersatzpflicht der betroffenen Betriebsratsmitglieder, sofern man eine solche überhaupt gegenüber einem einzelnen AN und nicht nur gegenüber der Belegschaft als begründbar erachtet,* wäre daher allenfalls für durch diese Vorgehensweise des BR erhöhte Verfahrenskosten des anfechtenden Kl in Betracht gekommen. Die Anwendung der Kriterien der Business Judgment Rule bedeutet der Sache nach keine relevante Inhaltskontrolle,* sondern im Wesentlichen nur die Sicherung eines ordnungsgemäß ablaufenden Entscheidungsprozesses.*

Der OGH hat seine Sichtweise, Betriebsratsentscheidungen wären grundsätzlich gerichtlicher Überprüfungen entzogen, knapp danach nochmals bestätigt.* Es ging dabei um eine Disziplinarordnung innerhalb des ÖBB-Konzerns, die eine von AG- und Betriebsratsseite zu beschickende Disziplinarkommission vorsah, deren Zustimmung für den Ausspruch einer Entlassung für bestimmte Mitarbeiter erforderlich war. Der BR beschickte die Disziplinarkommission nicht und torpedierte auf diese Weise die Möglichkeit einer Zustimmung zur Entlassung. Auch hier soll auf die Besonderheiten des Falles und die Frage der Richtigkeit des Ergebnisses nicht näher eingegangen und nur kurz angemerkt werden, dass – entgegen dem OGH – sich aus der Disziplinarordnung mE sehr wohl eine Verpflichtung des BR ergab, die Kommission zu beschicken.

Im vorgegebenen Zusammenhang kritikwürdig ist aber vor allem die Auffassung des Höchstgerichtes, es handle sich im Anlassfall nicht etwa um eine den spezifischen Sachverhalt betreffende Maßnahme des BR, um einen konkreten AN vor Entlassung zu schützen, sondern um eine generelle Willensentscheidung des Belegschaftsvertretungsorgans, die Disziplinarkommission nicht mehr zu beschicken und an Entlassungsentscheidungen nicht mehr mitzuwirken. Eine solche Entscheidung sei gerichtlicher Überprüfung entzogen. Das überzeugt indes nicht. Denn mittels einer solchen generellen Entscheidung, die Disziplinarkommission nicht mehr zu beschicken (die, wie schon erwähnt, im Übrigen aufgrund der vertraglichen Regelung ebenfalls rechtswidrig war), vermag der BR nicht die im konkreten Einzelfall zu treffende Entscheidung, ob einer Entlassung bzw Disziplinarmaßnahme zugestimmt wird, vor rechtlicher Überprüfung zu immunisieren. Betriebliche Disziplinarmaßnahmen bedürfen bekanntlich gem § 102 ArbVG der Zustimmung des BR, sofern darüber nicht eine mit Zustimmung des BR eingerichtete Stelle entscheidet. Ein BR mag nun vielleicht den „Grundsatzbeschluss“ fassen, Disziplinarmaßnahmen des AG generell in Zukunft nicht mehr zuzustimmen; tritt der AG aber mit einer konkret geplanten Disziplinarmaßnahme an den BR heran, muss dieser sich dennoch210 damit auseinandersetzen und einen Beschluss fassen.* Handelt es sich zB um den Fall eines AN, der Arbeitskollegen sexuell belästigte und auf Intervention des BR nicht fristlos entlassen wurde, aber vom AG mit dem Ausschluss von der Benutzung einer betrieblichen Wohlfahrtseinrichtung (Betriebssportplatz mit Schwimmbad) diszipliniert werden soll, dann muss der BR vor einer Verweigerung der Zustimmung zu einer solchen Disziplinarmaßnahme mE schon eine sehr sorgfältige Interessenabwägung treffen, um dem richtigerweise für ihn geltenden Sorgfaltsmaßstab des ordentlichen und gewissenhaften Belegschaftsvertreters gerecht zu werden. Es gibt keinen in irgendeiner Weise rechtlichen Schutz verdienenden Grund dafür, derartige Entscheidungen gleichsam als freie Ermessensentscheidungen zu begreifen. Die erwähnten Kriterien der „Business Judgment Rule“ garantieren, wie schon angeführt, ohnehin nicht mehr als einen ordnungsgemäß ablaufenden Entscheidungsprozess,* mit dem verhindert werden soll, dass sich das entscheidende Organ überhaupt nicht mit dem Sachverhalt befasst oder eine Entscheidung trifft, obwohl Entscheidungsträger sich in einem Interessenkonflikt befinden. Vermag der BR seine – wie immer lautende – Entscheidung schlüssig zu begründen, und dokumentiert er dies ratsamerweise auch in einem Sitzungsprotokoll, wird der Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens so gut wie immer ausscheiden. Es gibt aber keinerlei Grund, im gerade erwähnten Fallbeispiel dem BR fehlerfreies, weil nicht überprüfbares Verhalten zu attestieren, wenn dieser zB gar nicht bereit ist, den Sachverhalt und die dem Mitarbeiter vorgeworfenen Verfehlungen zu prüfen, sondern sich einfach auf seinen „Grundsatzbeschluss“ beruft, Disziplinarmaßnahmen generell nicht mehr zuzustimmen.

Gewiss ist es richtig, dass die Business Judgment Rule ihrem ursprünglichen US-amerikanischen Konzept gemäß dazu dient, unternehmerische Entscheidungen des Managements, die zu einem Schaden für die Gesellschaft geführt haben, von gerichtlicher Überprüfung unter gewissen Voraussetzungen freizustellen,* wohingegen hier die Kriterien primär dazu herangezogen werden, rechtmäßiges von rechtswidrigem Betriebsratshandeln zu unterscheiden. Das ist aber kein tragfähiges Argument gegen die Nutzbarmachtung der Business Judgment Rule für die Ermessenkontrolle von Betriebsratsentscheidungen. Denn auch im Kernanwendungsbereich der Business Judgment Rule geht es letztlich um die Frage, ob eine Entscheidung objektiv sorgfaltswidrig und damit rechtswidrig getroffen wurde oder nicht.* Diese Frage kann sich auch stellen, wenn ein Vermögensschaden beim Machtgeber gar nicht eingetreten ist.211