Getrennte Befragung im Arbeitsrecht
Getrennte Befragung im Arbeitsrecht
Verfahren, in denen es um Würdeverletzungen geht, stellen eine enorme psychische Belastung für die Betroffenen dar. Besonders relevant ist dies in Verfahren, in denen Ansprüche nach dem Gleichbehandlungsgesetz (GlBG), insb wegen behaupteter (sexueller) Belästigung, geltend gemacht werden. Ein Faktor, der diese Belastung zweifellos erhöht, ist das neuerliche Zusammentreffen mit der Person, von der die Würdeverletzung ausgegangen ist. Um eine Aussage im Verfahren ohne ein solches Zusammentreffen zu ermöglichen, gibt es in verschiedenen Prozessordnungen die Möglichkeit der getrennten Befragung.
Eine Befragung in einem gerichtsförmigen Verfahren zu Erlebnissen, die für die Befragten eine Würdeverletzung* bedeuteten, kann bei diesen eine Retraumatisierung bewirken.* Auslöser dafür ist die mit der Befragung und dem Zusammentreffen mit der würdeverletzenden Person einhergehende Aktualisierung der vergangenen Geschehnisse. Eine solche Retraumatisierung zeigt sich meist in körperlichen Belastungssymptomen wie Schlafstörungen, Ängsten, Kreislaufproblemen, Panikattacken, aber auch Konzentrationsund Denkschwierigkeiten bis hin zum „Blackout“ oder einem „Flashback“.* Aber auch, wenn es nicht zu einer so gravierenden Reaktion wie einer Retraumatisierung kommt, ist eine Befragung zu vergangenen würdeverletzenden Ereignissen in einem Verfahren eine große psychische Belastung für Betroffene. Befragungen dienen aber in Rechtsverfahren der unerlässlich notwendigen Beweisaufnahme und können daher meist nicht vermieden werden. Im Gegenteil, es ist häufig sogar eine sehr detaillierte und teilweise wiederholte Schilderung der Geschehnisse notwendig.
Die genannten Symptome einer Retraumatisierung sind aber für eine Aussage in einem Rechtsverfahren ungünstig. Dies deshalb, da die vergangenen Erlebnisse in einer solchen Situation häufig nicht sachlich, chronologisch geordnet und nachvollziehbar wiedergegeben werden, sondern meist sehr emotional, zeitlich ungeordnet, Details betonend oder – wie im Falle eines Blackouts – momentan gar nicht vorgebracht werden können. Dies kann so weit gehen, dass die Schilderungen unwirklich verzerrt oder übertrieben wirken können.* Die Aussagen psychisch belasteter, insb retraumatisierter Personen erfolgen aufgrund dieser Symptome nicht in einer für ein Gericht „idealen Form“.* Dies kann dazu führen, dass das Gericht – vor allem wenn es nicht entsprechend sensibilisiert ist – die betroffenen Personen oder ihre Aussagen als unglaubwürdig einschätzt. Dies zeigen etwa die folgenden Passagen aus erstinstanzlichen Urteilen, in denen Klagen wegen sexueller Belästigung abgewiesen wurden: „Es mag durchaus sein, dass die Klägerin eine bestimmte – wenn auch nunmehr wirklichkeitsverzerrte – Vorstellung von Ereignissen entwickelte, wie sie sie jetzt wiedergibt. Diese subjektive Vorstellung konnte jedoch nicht zur Grundlage der Feststellungen gemacht werden.“*„Die Klägerin hinterließ keinen überzeugenden persönlichen Eindruck und verwickelte sich in ihrem gesamten Vorgehen in Widersprüche. ... Vielmehr entsteht der Eindruck, dass sie die Ereignisse wenn schon nicht konstruierte, so jedenfalls deutlich aufbauschte und sich von der Realität entfernte. Deshalb kann auch nicht festgestellt werden, dass sie sich belästigt, konkreter sexuell belästigt gefühlt hätte.“*266
Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit spielt aber in Rechtsverfahren eine große Rolle.* In gleichbehandlungsrechtlichen Verfahren kommt hinzu, dass es häufig um Situationen geht, in denen es keine ZeugInnen oder sonstigen Beweismittel gibt und daher Aussage gegen Aussage steht. Gerade dann ist die Glaubwürdigkeit der aussagenden Personen eine zentrale Frage für die entscheidenden Gremien. Eine nicht stringente Aussage, zu der es, wie dargestellt, bei Betroffenen von Würdeverletzungen kommen kann, kann sich bei nicht entsprechender Sensibilisierung der EntscheidungsträgerInnen fatal auswirken.
Um die Belastung für Betroffene möglichst gering zu halten, wurden in den vergangenen Jahren diverse Opferschutzrechte in Verfahren gesetzlich verankert, dies zunächst im strafprozessualen Bereich. Mit dem 2009 – im Zuge des sogenannten zweiten Gewaltschutzgesetzes* – eingeführten § 289a ZPO wurden Schutzbestimmungen für Opfer in Strafverfahren auf daran anschließende Zivilverfahren* ausgedehnt. Darüber hinaus wurde in Abs 2 des § 289a ZPO eine Antragsmöglichkeit auf abgesonderte Vernehmung unabhängig von einem allfälligen Strafverfahren geschaffen. Die Intention dieser Bestimmung war vorrangig, Anspruchsberechtigte nicht durch die Angst vor dem Zusammentreffen mit würdeverletzenden Personen von Verfahren abzuhalten: „Die Geltendmachung berechtigter Schadenersatzansprüche darf aber nicht an der Furcht des Opfers vor der unmittelbaren Konfrontation mit der gegnerischen Partei bei der Einvernahme über das Geschehene scheitern.“*Hierbei können sämtliche befragte Personen, sowohl Verfahrensparteien als auch ZeugInnen, im Zivilverfahren* eine abgesonderte Vernehmung beantragen. Dem Antrag ist vom Gericht stattzugeben, wenn „eine Aussage in Anbetracht des Beweisthemas und der persönlichen Betroffenheit in Anwesenheit der Parteien des Verfahrens und ihrer Vertreter nicht zumutbar ist.
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In den EB wird dazu weiter ausgeführt: „Das Gericht hat im Einzelfall zu prüfen und zu entscheiden, ob die Aussage in Anwesenheit der Parteien und ihrer Vertreter unzumutbar ist. Eine Interessenabwägung zwischen dem Interesse der Partei an der physischen Teilnahme an der Vernehmung und dem jeweiligen Schutzbedürfnis der Partei oder des Zeugen hat aber nicht stattzufinden. Allein ausschlaggebend ist nur die Situation der zu vernehmenden Person. ... Anwendungsbereiche könnten etwa die Fälle des § 1328 ABGB (Schadenersatz bei Verletzungen der geschlechtlichen Selbstbestimmung), Stalking-Fälle, die in ihrer Schwere nicht den Straftatbestand des § 107a StGB erreichen oder Schadenersatzklagen wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz nach § 6 iVm § 12 Abs 11 GlBG sein.
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Der Antrag wurde in der Literatur als „wichtiger Meilenstein“ iS eines umfassenden Opferschutzes bezeichnet.* Es handelt sich, wie erwähnt, um einen Antrag, der nicht notwendig in einem Zusammenhang mit einem allfälligen Strafverfahren stehen muss, sondern davon völlig unabhängig ist. Die beiden inhaltlichen Voraussetzungen, die das Gericht in diesen Fällen beurteilen muss, sind das Beweisthema und die persönliche Betroffenheit der zu vernehmenden Person, und zwar individuell und ohne Interessenabwägung. Hier ist demnach die erwähnte Belastung durch die vergangenen würdeverletzenden Ereignisse und das neuerliche Zusammentreffen mit der würdeverletzenden Person angesprochen. Aussagen von Betroffenen sexueller Belästigung sind als Anwendungstatbestand für den Antrag nach § 289a Abs 2 ZPO in den EB sogar ausdrücklich genannt. Fucik bezeichnet diese inhaltlichen Antragsvoraussetzungen, die nicht an ein bestimmtes Verfahren oder bestimmte Tatbestände geknüpft sind, als „allgemeinen Unzumutbarkeitstatbestand des § 289a Abs 2 ZPO“.*
Gegen den Antrag nach § 289a Abs 2 ZPO ist kein Rechtsmittel zulässig. Diese Tatsache sowie insb, dass hier das Anwesenheits- und damit auch das Fragerecht von Parteien betroffen ist, wirft verfassungsrechtliche Fragen auf. Tangiert ist Art 6 EMRK, der das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf rechtliches Gehör garantiert. In den EB ist dazu zu lesen: „Der Rechtsmittelausschluss ... gegen die Entscheidung über die abgesonderte Vernehmung stellt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Das Fragerecht der Partei ist in ausreichender Weise gewahrt. Ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht auf persönliche Anwesenheit der Partei bei jeder Beweisaufnahme ist aus Artikel 6 MRK nicht abzuleiten. Falls jedoch der ausgeschlossenen Partei nicht ausreichend Gelegenheit geboten wird, ihr Fragerecht auszuüben, und deshalb die Einvernahme unvollständig geblieben ist, so kann dies im Rechtsmittelverfahren geltend gemacht werden.
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Es muss also sichergestellt sein, dass die Parteien – über das Gericht – ihre Fragerechte ausüben können. Dies kann bei entsprechender technischer Ausstattung gewährleistet werden und wird im Strafprozess bereits seit etlichen Jahren erfolgreich praktiziert. Bedenken hinsichtlich Art 6 EMRK finden sich in Hinblick auf § 289a267 Abs 2 ZPO auch in der angeführten Literatur nicht.* Der Ausschluss eines Rechtsmittels gegen die E des Gerichts über den Antrag nach § 289a Abs 2 ZPO dient laut EB der Prozessökonomie. Kommt es zu einer getrennten Befragung, so kann die „ausgeschlossene“ Partei, wie eben dargestellt, später Rechtsmittel ergreifen, wenn sie ihr Fragerecht nicht ausreichend gewahrt sieht. Ob auch Betroffene, deren Antrag nicht stattgegeben wurde, dies in einem späteren Rechtsmittelverfahren erfolgreich geltend machen können, wäre eine interessante Frage.*
Im Verfahren vor der GBK zur Überprüfung gleichbehandlungsrechtlicher Ansprüche gibt es seit der Gesetzwerdung eine getrennte Befragungsmöglichkeit, die ursprünglich sehr umfassend konzipiert war. Das Verfahren vor der GBK* wurde gerade deshalb als „Soft Law“*-Verfahren geschaffen, um den Opferschutz in besserer Weise sicherzustellen als vor Gericht und dem Machtungleichgewicht, das gerade bei Belästigungstatbeständen häufig besonders ausgeprägt ist, Rechnung zu tragen. Dies ging zunächst zulasten des rechtlichen Gehörs der Parteien und war daher in Bezug auf Art 6 EMRK problematisch. Insb wurden Beweismittel der Gegenpartei gar nicht zur Kenntnis gebracht, geschweige denn, dass diese dazu Stellung nehmen konnte. Durch die in allen Fällen stattfindende getrennte Befragung ohne Übertragung durch technische Hilfsmittel konnten die Parteien auch keine Fragerechte wahrnehmen, Akteneinsicht gab es nicht.
In den vergangenen Jahren hat ein schrittweiser Abbau dieser Sonderbestimmungen stattgefunden, der im – grundsätzlich begrüßenswerten – Bestreben erfolgt ist, den Erfordernissen von Art 6 EMRK zu entsprechen. Zunächst wurde in der Geschäftsordnung zur GBK/ GAW-Gesetzes-Novelle 2011* festgelegt, dass uneingeschränkte Akteneinsicht für die Parteien besteht; diese können sich damit über sämtliche von der Gegenseite vorgebrachten Beweismittel informieren und dazu Stellung nehmen. Das Prinzip der grundsätzlich getrennten Befragung wurde mit dieser Novelle dahingehend abgeändert, dass diese nur noch auf Antrag erfolgte, dann aber zwingend durchzuführen war. Bestehen blieb dabei allerdings die Problematik, dass im Falle einer getrennten Befragung die (Gegen-)Parteien keine Fragen stellen oder Stellung nehmen konnten, weil sie weder über technische Hilfsmittel die Befragung verfolgen konnten, noch ein Protokoll erhielten und Entscheidungen der Kommission meist unmittelbar nach den Befragungen erfolgten.
Die aktuelle Fassung der Geschäftsordnung der GBK nach der jüngsten Novelle des GBK/GAW-G vom August 2013* baute Opferschutzrechte ab, ohne jedoch das genannte Problem zu lösen. Die Regelung der Befragung unterliegt nun einer starren Gliederung nach Tatbeständen: In jenen Fällen, in denen eine (sexuelle) Belästigung vorgebracht wird, werden die Parteien – außer es stimmen beide einer gemeinsamen Befragung zu – getrennt befragt, in allen anderen Verfahren gemeinsam.* Fragerechte der anderen Partei bestehen bei der getrennten Befragung weiterhin nicht. Sonstige Auskunftspersonen werden generell nur mehr in Anwesenheit der Parteien befragt und haben nicht mehr – so wie bis 2013 – die Möglichkeit, eine getrennte Befragung zu beantragen. Dies ist insb deshalb problematisch, weil Auskunftspersonen in Gleichbehandlungsverfahren häufig ebenfalls von Würdeverletzung betroffene Personen sind. Anstatt also das Fragerecht der Parteien auch bei getrennten Befragungen über technische Hilfsmittel sicherzustellen, wurde die Möglichkeit der getrennten Befragung stark eingeschränkt bzw für ZeugInnen überhaupt abgeschafft.
Ein Vergleich der beiden Regelungen muss die unterschiedliche Funktion der Verfahren mitdenken: Während Verfahren am Arbeitsgericht der Durchsetzung arbeitsrechtlicher, hier vor allem gleichbehandlungsrechtlicher Ansprüche dienen, geht es im GBK-Verfahren in erster Linie um die Überprüfung von Diskriminierung durch ein Gremium, das auf diese Thematik spezialisiert ist. Die Entscheidung wird in einem Prüfungsergebnis festgehalten, in dem die Kommission Vorschläge machen kann, das jedoch nicht unmittelbar durchsetzbar ist.
Durch die genannte Spezialisierung und den Charakter eines „Vorverfahrens“ wurde dem Opferschutz im GBK-Verfahren historisch besondere Bedeutung beigemessen. Wie gezeigt, hat sich die Entwicklung der Befragungsregelungen vor der GBK jedoch schrittweise vom starken Opfer- und ZeugInnenschutz wegbewegt, ohne dabei die Bedenken hinsichtlich Art 6 EMRK endgültig zerstreuen zu können. Mit der jüngsten Novelle – Auskunftspersonen können überhaupt keine getrennte Befragung mehr beantragen, Parteien nur dann, wenn (auch) eine sexuelle oder sonstige Belästigung geltend gemacht wurde – wurde die Möglichkeit der getrennten Befragung enger geregelt als im Antrag nach § 289a Abs 2 ZPO und damit klar „über das Ziel hinausgeschossen“. Dies wäre mE gar nicht erforderlich gewesen, da mit dem Einsatz technischer Hilfsmittel die Fragerechte der Parteien sichergestellt werden könnten und somit bereits nach den 2011 geschaffenen Verfahrensregelungen Art 6 EMRK hinsichtlich der Parteienrechte entsprochen hätte werden können. Warum im GBK-Verfahren nicht auch (endlich) zu technischen Hilfsmitteln gegriffen wird, die den Parteien die Ausübung ihrer Fragerechte ermöglichen, bleibt unklar.
Die nun geschaffene sehr begrenzte Möglichkeit der getrennten Befragung nach starren Tatbeständen268 erscheint umso inadäquater, wenn man den Charakter des GBK-Verfahrens als ein vorab prüfendes, spezialisiertes bedenkt, in dem Betroffene eine entsprechend schonende Befragung erwarten (dürfen). Insofern war jene Regelung aus der Novelle 2011 hier passend, wonach die Entscheidung über die getrennte Befragung bei den Betroffenen selbst lag: Wer einen Antrag auf abgesonderte Befragung stellte, wurde getrennt befragt.
Die Regelung des § 289a Abs 2 ZPO stellt sich inhaltlich als deutlich treffender dar, da sich eine getrennte Befragung ausschließlich an der Notwendigkeit einer solchen für die zu befragende Person bemisst; der Beurteilungsmaßstab ist ein rein individueller. Dies ist absolut sachgerecht, da es genau um die individuelle Betroffenheit der aussagenden Person geht, die – bei Anwesenheit bestimmter Verfahrensbeteiligter – die Qualität ihrer Aussage schmälern könnte. Auch bleibt der Anwendungsbereich dadurch ein breiter, der sich nicht auf bestimmte Gesetze oder Tatbestände beschränkt – der Antrag kann überall dort zum Einsatz kommen, wo eine starke persönliche Komponente in Rechtsverfahren vorhanden ist. Genau dies war auch eine Zielsetzung der Regelung, wie die zitierten Passagen aus den EB zeigen. Durch die Übertragung der Befragung mittels technischer Hilfsmittel kommt es zu keinerlei Beschneidung der Fragerechte der Parteien, womit Art 6 EMRK Rechnung getragen wird. Dass die Entscheidung über die getrennte Befragung durch das Gericht getroffen wird, erscheint dann passend, wenn dieses für die Thematik entsprechend kompetent ist.
Die Problematik des Antrages nach § 289a Abs 2 ZPO im arbeitsgerichtlichen Verfahren liegt viel mehr in der Umsetzung: Die Antragsmöglichkeit scheint – so die Erfahrungen der GAW – weitgehend unbekannt zu sein. So wurde etwa in den beiden Verfahren, aus deren Urteilen zitiert wurde und in denen die Klägerinnen von RechtsanwältInnen vertreten waren, kein solcher Antrag eingebracht. Die GAW hat in jüngster Zeit im Zuge ihrer Beratung mehrfach KlientInnen während arbeitsgerichtlicher Verfahren begleitet, in denen es um Aussagen zu sexuellen Belästigungen ging. Im Zuge dieser Begleitung kam es dann dazu, dass Anträge nach § 289a Abs 2 ZPO gestellt wurden. Nach den dabei gemachten Erfahrungen besteht über diese Antragsmöglichkeit nach § 289a Abs 2 ZPO weder bei RechtsanwältInnen noch bei Beratungseinrichtungen Kenntnis; der Antrag dürfte daher an den Arbeitsgerichten entsprechend selten gestellt werden. Es kann demnach der Schluss gezogen werden, dass diese gesetzliche Möglichkeit, die im strafprozessualen Bereich mittlerweile üblich ist, in arbeitsgerichtlichen Verfahren bisher nicht „angekommen“ ist.* Aus diesem Grund bestehen auch Bedenken, ob über den Antrag seitens der Gerichte immer sachgerecht entschieden wird.
Dieser Befund ist wohl auch Ausdruck dessen, dass an den Arbeitsgerichten, aber auch für RechtsanwältInnen und Beratungs- bzw Vertretungsinstitutionen, gleichbehandlungsrechtliche Verfahren häufig ein Randthema sind. Offenbar werden deshalb kaum spezielle Schulungen durchgeführt, was sich letztlich in fehlender Kompetenz und Sensibilisierung in den Verfahren zeigt: Vor der GBK vertreten beispielsweise regelmäßig AnwältInnen, denen der Ablauf des GBK-Verfahrens nicht bekannt ist. Vor Gericht fallen immer wieder wertende und von Unkenntnis zeugende Bemerkungen von RichterInnen zu diesem Themenbereich auf, wenn etwa eine Betroffene nach ihrer Aussage, dass sie seitens eines Kollegen so körperlich attackiert wurde, dass der Träger ihres BHs gerissen ist, gefragt wird, wodurch sie sich nun genau sexuell belästigt gefühlt habe; oder wenn in einem Verfahren, wo die Karenzmeldung eines Mannes Thema ist, zu Verhandlungsbeginn mehrfach betont wird, dass Väterkarenz „unüblich“ sei. Auch die zitierten Passagen aus Urteilen zeigen fehlende Sensibilisierung.
In gleichbehandlungsrechtlichen Verfahren vor den Arbeitsgerichten spielen noch weitere Aspekte eine Rolle: Die geschilderte, der Prozessökonomie widersprechende Dynamik kann mit sich bringen, dass AntragstellerInnen einer getrennten Befragung mit einer negativen Haltung gegenübergetreten wird. Auch die Erfahrung, dass RichterInnen gleichbehandlungsrechtlichen Verfahren auf Grund der dort geltenden Beweislasterleichterung generell ablehnend gegenüberstehen und dadurch die Prüfung der Glaubhaftmachung übermäßig streng handhaben, wurde gemacht. Die gem § 61 GlBG erforderliche Auseinandersetzung mit Ergebnissen der GBK dürfte bei manchen RichterInnen ebenfalls wenig Anklang finden. Ohne entsprechende Schulungen und bei zu wenig Trennung von Person und Rolle können auch eigene Vorurteile bei einer sachlichen Beurteilung von Diskriminierung im Wege stehen.
Was ist zu tun, um einen Verfahrensablauf zu garantieren, der sowohl dem Opferschutz als auch den Erfordernissen von Art 6 EMRK ausreichend Rechnung trägt? Im GBK-Verfahren müssten getrennte Befragungen mittels technischer Hilfsmittel übertragen werden, um den Parteien die Ausübung von Fragerechten zu ermöglichen. Die Befragungsregelungen sollten auf den Stand der GBK/GAW-G-Novelle 2011 zurückversetzt werden, wonach alle Verfahrensbeteiligten einen Antrag auf getrennte Befragung stellen können und diesem zu entsprechen ist. In arbeitsgerichtlichen Verfahren ist Sensibilisierung und Schulung der entscheidenden Gremien, also der RichterInnen und LaienrichterInnen, wohl das dringendste Erfordernis. Hierbei wäre es zentral, nicht nur den Antrag auf getrennte Befragung bekanntzumachen, sondern generell zu gleichbehandlungsrechtlichen Themen, sowohl materiell als auch prozessspezifisch, zu schulen. Eventuell ist zu überlegen, ob nicht spezialisierte FachrichterInnen gleichbehandlungsrechtliche Verfahren führen sollten, die hierzu dann spezielle Expertise aufbauen könnten.
Ganz generell ist das Bekanntmachen der Möglichkeit der Antragstellung nach § 289a Abs 2 ZPO im arbeitsgerichtlichen Verfahren für Betroffene von Diskriminierung zur Durchsetzung ihrer Rechte wichtig.*269