Grenzen des Warenverkaufs in Gastronomiebetrieben und Tankstellen: Dürfen VerkaufsmitarbeiterInnen beschäftigt werden?
Grenzen des Warenverkaufs in Gastronomiebetrieben und Tankstellen: Dürfen VerkaufsmitarbeiterInnen beschäftigt werden?
Mehrere Problemstellungen rund um die Beschäftigung von AN außerhalb der Ladenöffnungszeiten haben in jüngerer Zeit den Gesetzgeber* und die mediale Öffentlichkeit* beschäftigt. Auf folgende, an der Schnittstelle von Arbeits- und Gewerberecht auftretende Fragen soll daher näher eingegangen werden:
In welchem Umfang dürfen AN einer Tankstelle oder eines Gastgewerbeunternehmens (ähnlich relevant wären Bäcker-, Fleischer-, Konditorengewerbe uä) im Rahmen des Verkaufs von Waren eingesetzt werden, wenn dieses Unternehmen Verkauf- Nebenrechte gemäß der Gewerbeordnung (GewO) ausübt; welche Warengruppen und -mengen sind von den „Nebenrechten“ der §§ 32 iVm § 111 Abs 4 Z 4 und § 157 Abs 1 Z 2 GewO erfasst?
Ist dem Gewerberecht (insb GewO, Öffnungszeitengesetz [ÖZG], Sonn- und Feiertags-Betriebszeitengesetz [BZG]) oder dem Arbeitsruhegesetz (ARG) eine Regelungsabsicht hinsichtlich der Beschäftigung von VerkaufsmitarbeiterInnen (innerhalb oder außerhalb der Ladenöffnungszeiten) zusätzlich zu jener von gastronomie- oder tankstellentypischem Personal zu entnehmen?
In den letzten Jahren ist verstärkt zu beobachten, dass Handelsunternehmen die Verabreichung von Speisen und Getränken als neue Geschäftsfelder betreiben. Dies betrifft beispielsweise Drogeriemärkte – die zB eine „gesunde/biologische Theke“ in ihren Filialen bewirtschaften – sowie Supermärkte, die mittels Gastgewerbe-Berechtigungen vor allem in touristisch frequentierten Lagen oder in der Nähe von Verkehrsknotenpunkten zusätzliche Einnahmequellen erschließen wollen. Die umgekehrte Entwicklung, dass nämlich ehemals reine Gastgewerbebetriebe vermehrt zu Handelsbetrieben mutieren bzw das Geschäftsfeld „Handel“ in einem wesentlichen Umfang in ihr Portefeuille mit aufnehmen, ist derzeit weniger stark zu verzeichnen. Jedoch wäre aufgrund der sogenannten „Nebenrechte“ gemäß der GewO 1994, die erst jüngst durch die Novelle BGBl I 2013/85per 29.5.2013 geändert wurde, auch hier eine Veränderung des Geschäftsbereiches und teilweise auch der Kundenkreise möglich. Auch die Nutzung mehrerer Gewerbeberechtigungen (Tankstelle, Handel und Gastronomie; Gastgewerbe und Handel; Bäckergewerbe, Handel und unreglementiertes Gastgewerbe [Imbissstube]; etc) lädt zu gesteigerten Handelsaktivitäten außerhalb der Öffnungszeiten geradezu ein.
An Tankstellen sind starke Veränderungen zu beobachten, es wird in immer größerem Umfang Handel betrieben. Zahlreiche Tankstellenbetreiber (vor allem Pächter oder Franchisenehmer) verkaufen auf relativ großen Flächen ein breites Warensortiment an Lebensmitteln und Nonfood-Waren, wobei die GewO (§ 157 Abs 2) derzeit eine Flächenbeschränkung auf maximal 80 qm vorsieht und auch die zulässigen Warenkategorien grob definiert (Näheres bei Klaushofer).* Allerdings: Viele dieser Betreiber verfügen neben der Gewerbeberechtigung für Tankstellen auch über solche für den Handel und für das Gastgewerbe und die Unterscheidung der unter der Gewerbeberechtigung „Handel“ betriebenen Verkaufsflächen, Räumlichkeiten und Gebäude von jenen, die dem Tankstellenzweck und/oder Gastronomiezwecken dienen, wird zunehmend schwieriger. Große Lebensmittelhandelskonzerne versuchen derzeit, Tankstellenbetreibern ihr Konzept eines 24 Stunden-/7 Tage-Zusatzhandelsgeschäfts schmackhaft zu machen.*
Bei den eingangs genannten Fragestellungen wird möglicherweise zu unterscheiden sein, ob ein Unternehmen aufgrund objektiver wirtschaftlicher Bedingungen seinen Charakter ändert* oder ob es einem Unternehmer erkennbar darum geht, mithilfe seiner zusätzlichen Gastgewerbeberechtigung außerhalb der Ladenöffnungszeiten Waren zu verkaufen. Ob „Gewerbeberechtigungsmissbrauch“ oder ein „Umgehungsverhalten“ vorliegt, kann für die zuständigen Kontroll- und Strafbehörden beachtlich sein. Im Übrigen ist anzumerken, dass entgegen einigen Gerüchten für „Familienbetriebe“ und damit zusammenhängende Kinder- und270 Jugendlichenbeschäftigung (vgl das KJBG) keine Ausnahme von den Ladenschlussregelungen besteht.*
Die grundlegende Rechtsquelle für die Beschäftigung von AN an Wochenenden und Feiertagen ist das als „Pendant“ zum Arbeitszeitgesetz (AZG) im Jahr 1984 in Kraft getretene ARG. Dieses löste das Sonnund Feiertagsruhegesetz ab, welches sich wiederum aus dem § 75 der GewO (alt, also 1859) entwickelt hatte.* Grundsätzlich bestimmt § 3 ARG, dass die Wochenendruhe für alle AN spätestens am Samstag um 13.00 Uhr beginnt sowie den gesamten Sonntag umfasst. § 8 ARG normiert einen Anspruch auf ununterbrochene Arbeitsruhe während der gesetzlichen Feiertage, die in § 7 ARG festgelegt sind. Von diesen Grundsätzen gibt es zahlreiche Ausnahmen, die in den Abschnitten 3 bis 5b ARG (§§ 10-22f) geregelt sind. Diese Ausnahmen können durch dieses Gesetz selbst, durch ein anderes Gesetz, durch Verordnung oder in Einzelfällen durch Bescheid festgelegt werden. Der Gleichklang der „Verkaufsstellen“-spezifischen Ausnahme (gilt ebenso für „vergleichbare Dienstleistungsbetriebe“) des § 22d ARG mit der maximalen Samstag-Öffnungszeit gem § 4 ÖZG (dazu gleich unten) ist dabei von besonderem Interesse und legt eine gesetzgeberische Beschränkungsabsicht hinsichtlich des Einsatzes von Verkaufspersonal während der Wochenendruhe nahe.
Gem § 4 ÖZG – es handelt sich dabei um ein Nebengewerberecht und somit öffentliches Wirtschaftsrecht – dürfen Läden und Verkaufsstellen grundsätzlich von Montag bis Freitag von 5:00 Uhr bzw 6:00 Uhr (je nach Verordnung) bis 21:00 Uhr und am Samstag von 5:00 Uhr bzw 6:00 Uhr bis 18.00 Uhr offengehalten werden. Ausnahmen davon, etwa für Wochenenden und Feiertage sowie für „Verkaufsstellen bestimmter Art“, sind in § 3 Abs 2 und 4 und in den §§ 5-7 dieses Gesetzes geregelt. Prinzipiell bestimmt aber § 3 ÖZG dass, soweit sich nicht nach den (grundsätzlich eher restriktiven) Ausnahmebestimmungen des Gesetzes anderes ergibt, Verkaufsstellen zwischen Samstag 18:00 Uhr und Montag 5:00 Uhr sowie an Feiertagen geschlossen zu halten sind; ebenso im genannten Nachtzeitraum von 21:00 Uhr bis 5:00 Uhr bzw 6:00 Uhr. Ausgenommen davon ist gem § 2 ÖZG vor allem „der Warenverkauf im Rahmen eines Gastgewerbes in dem in § 111 Abs 4 Z 4 GewO 1994 bezeichneten Umfang“ sowie „Tankstellen für den Verkauf von Betriebsstoffen für Kraftfahrzeuge sowie für den Kleinverkauf von im § 157 Abs 1 Z 2 GewO angeführten Waren“.
Das BZG bestimmt in seinem § 2 ähnliches wie das ÖZG, nämlich dass die Gewerbetreibenden ihre Betriebsstätten an Sonn- und Feiertagen grundsätzlich geschlossen zu halten haben, es sei denn eine Ausnahme (insb aufgrund einer § 12 ARG-VO) erlaube auch das Arbeiten unselbständig Beschäftigter.
Die GewO selbst lässt, abgesehen von den genannten Gast- und Tankstellengewerbe, auch noch für andere Gewerbetreibende gewisse (eingeschränkte) Verkaufsnebenrechte zu, etwa für die Gewerbeausübungen als Bäcker, Fleischer und Konditor (beachte die Charakterwahrungsklauseln in § 150 Abs 1 und Abs 11). Im gegebenen Zusammenhang sind aber vor allem die §§ 32, 111 Abs 4 und 157 GewO beachtlich. Diese lauten auszugsweise (Hervorhebungen, unterstrichen, durch den Verfasser):
Sonstige Rechte von Gewerbetreibenden
§ 32. (1) Gewerbetreibenden stehen auch folgende Rechte zu:
1. Alle Vorarbeiten [...]
15. Die unentgeltliche Ausschank von Getränken; hiefür darf jedoch nicht geworben werden und dürfen keine zusätzlichen Hilfskräfte noch [...] Räume verwendet werden.
(2) Bei der Ausübung der Rechte gemäß Abs 1 müssen der wirtschaftliche Schwerpunkt und die Eigenart des Betriebes erhalten bleiben. Soweit dies aus Gründen der Sicherheit notwendig ist, haben sich die Gewerbetreibenden entsprechend ausgebildeter und erfahrener Fachkräfte zu bedienen. [...]
Gastgewerbe
§ 111. (1) Einer Gewerbeberechtigung für das Gastgewerbe (§ 94 Z 26) bedarf es für
1. die Beherbergung von Gästen;
2. die Verabreichung von Speisen jeder Art und den Ausschank von Getränken.
(4) Unbeschadet der den Gastgewerbetreibenden gemäß § 32 zustehenden Rechte stehen ihnen noch folgende Rechte zu: [...],
4. während der Betriebszeiten des Gastgewerbebetriebes der Verkauf folgender Waren:
a) die von ihnen verabreichten Speisen und ausgeschenkten Getränke, halbfertige Speisen, die von ihnen verwendeten Lebensmittel sowie Reiseproviant;
b) Waren des üblichen Reisebedarfes (zB Treib- und Schmierstoffe, Toiletteartikel, Badeartikel, Fotoverbrauchsmaterial, Ansichtskarten, Lektüre, übliche Reiseandenken);
c) Geschenkartikel.“
Neu durch BGBl I 2013/85gilt seit 29.5.2013 als letzter Satz des Abs 4: „Beim Verkauf von Waren gemäß lit a bis c muss der Charakter des Betriebes als Gastgewerbebetrieb gewahrt bleiben. Liegt auch eine Berechtigung nach § 94 Z 3 oder Z 19 vor, genügt es, dass der Charakter des Betriebes als Bäcker oder Fleischer gewahrt bleibt, hiebei müssen Verabreichungsplätze bereit gestellt werden.“
Tankstellen
§ 157. (1) Gewerbetreibende, die Betriebsstoffe an Kraftfahrer im Betrieb von Zapfstellen abgeben, sind unbeschadet des § 32 zu folgenden Tätigkeiten berechtigt:
1. [...]
2. den Verkauf folgender Waren während der Betriebszeiten der Tankstelle:271
Heizöl, Grillkohle, Grillkohlenanzünder,
Kraftfahrzeugersatzteile und Kraftfahrzeugzubehör, [...]
Waren des üblichen Reisebedarfes (zB Straßenkarten, Fotoverbrauchsmaterial, Toiletteartikel, Ansichtskarten, Reiseandenken),
vorverpackt gelieferte Lebensmittel (§ 2 LMG) sowie Futtermittel für Heimtiere, löslicher Kaffee, alkoholfreie Getränke und Bier in handelsüblichen verschlossenen Gefäßen. Soweit es sich um Getränke handelt, dürfen diese nur in Kleinmengen abgegeben werden.
(2) Bei Ausübung der Rechte gemäß Abs. 1 muss der Charakter des Betriebes als Tankstelle gewahrt bleiben und es dürfen, soweit es sich nicht um die Ausübung des Kleinhandels mit Heizöl handelt, keine Räumlichkeiten verwendet werden, welche ausschließlich dem Kleinverkauf von Waren gemäß Abs. 1 Z 2 dienen. Die dem Verkauf von Waren gemäß Abs. 1 Z 2 gewidmete Fläche darf 80 Quadratmeter nicht übersteigen. Die Aufnahme von zusätzlichen Arbeitnehmern für den Warenverkauf kann durch Kollektivvertrag zugelassen werden.“
Ua als Reaktion auf öffentliche Absichtserklärungen des Managements einer Drogeriehandelskette, in deren Filialen auch Gastronomie betreiben und daher während der Wochenenden und Feiertage offen halten zu wollen, wurde die GewO im Mai 2013 novelliert.* In § 111 Abs 4 Z 4 GewO wurde die im Zuge der Gewerberechtsnovelle 2002 entfernte „Wahrungsklausel“ bzw „Charakterklausel“ in der soeben zitierten Form am Ende der Z 4 des § 111 Abs 4 GewO wieder eingefügt. In der Übergangsbestimmung des § 376 Z 14b Abs 2 GewO wurde in diesem Zusammenhang neu geregelt, dass Gastgewerbetreibenden, die in den letzten sechs Monaten vor Inkrafttreten der Novelle die Nebenrechte des § 111 Abs 4 Z 4 GewO (alte Fassung) ununterbrochen zulässigerweise an einen bestimmten Standort ausgeübt haben, diese Rechte an diesem Standort weiterhin zustehen. Diese Übergangsbestimmung ist mE als Vertrauensschutz-Norm zu verstehen und insofern eng auszulegen, als bloß der zumindest von 29.11.2012 bis 28.5.2013 tatsächlich ausgeübte Umfang (mengen-, flächen- und umsatzmäßig)* von Handelsaktivitäten in reglementierten (nicht „freien“! – siehe 3.) Gastronomieunternehmen von der Charakterklausel ausgenommen bleibt.
Zur Rechtslage ist zusammenfassend zu bemerken: Wie der ehemalige Präsident des VfGH, Karl Korinek, zu Recht festhält, ist das Gewerberecht (einschließlich Gewerbenebenrecht wie ÖZG, BZG usw) eine äußerst unübersichtliche Rechtsmaterie; der Gesetzgeber schwankt zwischen Allgemeinregelungen und Regelungskasuistik. Für Rechtsunterworfene und Rechtsanwender ist vieles nur noch verständlich, wenn man die historischen Anlassfälle einzelner Novellierungen kennt.*
Das ÖZG und das BZG stellen Einschränkungen des Grundrechts auf Erwerbsfreiheit dar, weshalb die Frage der Verfassungsgemäßheit dieser „eingreifenden“ Gesetze (Art 6 StGG steht unter Gesetzesvorbehalt) immer wieder Gegenstand von VfGH-Erkenntnissen war. Wie der VfGH zuletzt mit Erk vom 14.6.2012 festhielt,* komme dem ÖZG und BZG keine primär sozialrechtliche Arbeitszeitbegrenzungsfunktion zu – dies sei Aufgabe des Arbeitszeitrechts – da die beiden Gesetze auch für Unternehmungen gelten, die keine AN beschäftigen.
Unabhängig davon sind nach dem VfGH die mit den Ladenschlussregelungen verfolgten Interessen größer als die Schwere des dadurch bewirkten Grundrechtseingriffs. Die im oben genannten Erk gegenständlichen Antragsteller, die Teile der §§ 3 bis 5 ÖZG aufzuheben beantragt hatten, irren laut VfGH, wenn sie den Einwand erheben, dass aufgrund nicht mehr bestehender Übereinstimmung von ARG und Ladenschlussregelungen (seit 1996/1997 ist der Beginn von Wochenendruhe und Ladenschließzeit nicht mehr per Samstag 13:00 bzw 15:00 Uhr parallel festgesetzt*) die sozialen Schutzfunktionen des ÖZG aufgegeben worden seien. Wörtlich spricht der VfGH aus: „Das der Funktion des Wochenendes für Freizeit, Erholung und soziale bzw familiäre Integration Rechnung tragende Ziel (vgl. VfSlg 15.305/1998 zum Arbeitsrecht) erschöpft sich im Bereich des Arbeitsrechts nicht im Schutz der im Handel beschäftigten Arbeitnehmer. [...] Das Ziel der Synchronisierung und Harmonisierung der Öffnungszeiten mit der arbeitszeitrechtlichen Wochenendruhe geht vielmehr über das arbeitszeitrechtliche Regelungsziel hinaus,*) weil damit [...] ganz allgemein eine Reduktion des erforderlichen Ausmaßes der Erbringung von Dienstleistungen [erreicht werden soll], die auch die nicht unmittelbar im Handel beschäftigten Personen davon entbindet, in einem mit Werktagen vergleichbaren Ausmaß zu arbeiten (zB Arbeitnehmer und öffentlich Bedienstete, die im Bereich der Daseinsvorsorge wie etwa zur Aufrechterhaltung der Infrastruktur oder zur Abfallbeseitigung an Orten eingesetzt werden müssen, die zu Zeiten geschlossener Geschäfte nicht oder kaum frequentiert werden, etc).“*
Der VfGH betont somit einen neben der Wettbewerbsregulierung wichtigen Zweck des ÖZG (und wohl auch seines Pendants BZG): die Hintanhaltung eines Schneeball- oder Lawineneffekts, wonach viele andere Branchen und Lebensbereiche in Folge schrankenloser Warenverkaufszeiten betroffen sein könnten. Ignorierte oder vernachlässigte man diesen Regelungszweck, dann wäre auch eine unabschätzbare Zahl bzw Quote der bislang von Sonn- und Feiertagsarbeit weitgehend verschonten AN und Selbständigen zur Aufgabe von272 „Synchronisierung und Harmonisierung des Wochenendes für Freizeit, Erholung und soziale bzw familiäre Integration
“ gezwungen. Wollen wir in unserer gesamten Gesellschaft, in der Arbeitswelt und damit zusammenhängend bei Familienangehörigen, Verwandten und Freunden der Beschäftigten diese Harmonie (Harmonisierung) aufgeben. So muss wohl eine zentrale Frage lauten, wenn man das Regelungsziel und den Zweck des Ladenschlussrechts hinterfragt.
Einschlägige Rsp ist rar. Zu Tankstellenshops existiert, soweit erkennbar, keine Rsp seit der umfassenden Verkaufsrechteänderung (einschließlich Zulassungsermächtigung für den KollV) durch die Gewerberechtsnovelle 1997; allerdings gab es zB 1996 eine OGH-E* zur vormaligen, restriktiveren Rechtslage (§ 284 Abs 2 GewO): In der Einschränkung des Warenverkaufs in Tankstellen auch im Vergleich mit anderen Anbietern sieht der OGH keine unzulässige Differenzierung; vielmehr verstoße es gegen das Sachlichkeitsgebot, den Verkauf von Lebensmitteln in Tankstellen unbeschränkt zuzulassen, den übrigen Lebensmitteleinzelhandel aber an Öffnungszeiten zu binden.
Zum Gastgewerbe spricht der VwGH mit Erk vom 26.4.2013 (2011/11/0009) aus, dass die Verkaufsrechte des § 111 Abs 4 Z 4 GewO nur den reglementierten Gastgewerben zukommen, nicht aber den „freien“ des § 111 Abs 2, wie etwa der verfahrensgegenständlichen Imbissstube. Dass die E zutreffend ist, ergibt sich schon klar aus dem Wortlaut des § 111 Abs 4: Denn dort werden nur „den Gastgewerbetreibenden“ die gegenständlichen Nebenrechte zuerkannt, während die Inhaber von Imbissstuben, Schutzhütten usw gem § 111 Abs 2 eben gerade „keiner Gewerbeberechtigung für das Gastgewerbe“ bedürfen, sie damit also deutlich von „den Gastgewerbetreibenden“ abgegrenzt werden.
Die wiederinstallierte Charakterklausel des § 32 Abs 2 GewO war übrigens in diesem Verfahren noch nicht anwendbar.
Eingehend hat sich Klaushofer* mit diesen in zwei unterschiedlichen Formulierungen (vgl oben 2.) in der GewO – recht unsystematisch* – aufzufindenden Einschränkungstatbeständen beschäftigt. Auch das Verhältnis der allgemeinen Nebenrechte-Zulassung in § 32 zu den punktuellen und unsystematischen speziellen Nebenberechtigungsregelungen führt er näher aus und kommt zum Ergebnis, dass „die Vermeidung einer überbordenden Ausübung einer Nebentätigkeit und zugleich die Verpflichtung zur überwiegenden Wahrnehmung der Haupttätigkeit“ zentraler Zweck sei.
Regelungsziel der Einräumung „sonstiger Rechte“ ist mE wohl die Ermöglichung einer ökonomisch sinnvollen Gewerbeausübung. Dass die Ausübung der Nebenrechte nicht grenzenlos erfolgen darf, entspricht dem Gedanken des Nichteingriffs in andere Gewerbe, der wieder Zielen der öffentlichen Sicherheit, des Gesundheitsschutzes, des Wettbewerbsschutzes, der behördlichen Kontrollmöglichkeiten und weiteren wirtschaftslenkenden Staatszielen dient. Dass auch sozial- und gesellschaftspolitische Ziele der Begrenzung der Nebenrechte zugrunde liegen, wird schon daraus deutlich, dass der Gesetzgeber mit der Wiedereinführung der Charakterklausel auf die in 2. erwähnte Ankündigung einer Drogeriekette, über die Ausübung von Nebenrechten die Öffnungszeiten aushebeln zu wollen, reagiert hat.
Selbst für die Zeit der Nichtgeltung der Charakterklausel im Gastgewerbe (2002 bis 2013) vertreten Eisner* und Klaushofer* die Ansicht, dass die spezielle Nebenrechtsregelung des § 111 Abs 4 – die ja aber nur für Vollgastgewerbe gilt, siehe Pkt 3 – durch die allgemeine Regel des § 32 GewO nicht eingeschränkt werde. Beide Autoren meinen aber, dass der Betrieb eines „verschleierten Handelsgewerbes“ bzw eines gegenüber dem Handel bloß untergeordneten Gastgewerbes dem Zweck der Zulassung „sonstiger Rechte“ zuwiderliefe. Es wurde zwar mit der GewO-Novelle 2002 eine bewusste Ausdehnung der Nebenrechte der Gastgewerbetreibenden vorgenommen, dennoch dürfe man das grundsätzliche Verhältnis zwischen Hauptund Nebengewerbe nicht aus den Augen verlieren, andernfalls jede Unterscheidung verloren ginge. Wenn eine weitgehende wirtschaftliche Verlagerung stattfindet, dann könne man von einer Nebenrechtsausübung nicht mehr sprechen, weil das Hauptgewerbe, aus dem es sich herleitet, nicht mehr bestehe.* Nach der Wiedereinführung der Charakterklausel dürfen diese Ausführungen noch gesteigerte Gültigkeit beanspruchen.
Explizit wird zusätzliche Beschäftigung von AN für den Warenverkauf bzw für den unentgeltlichen Getränkeausschank in § 32 Abs 1 Z 15 und in § 157 Abs 2 GewO verboten bzw an die Zulassung durch KollV gebunden. Der KollV für Arbeiter in Garagen-, Tankstellen und Servicestationsunternehmungen hat bis dato (2014) keine derartige Zulassung vorgenommen, ebenso wenig die Kollektivverträge für Angestellte in Handwerk und Gewerbe, in der Mineralölindustrie (direkt von den Raffinateuren betriebene Tankstellen) und jener für Angestellte in landwirtschaftlichen Genossenschaften und deren Verbänden („Lagerhaus-Tankstellen“ uä).
Für Tankstellen besteht hinsichtlich der Beschäftigung zusätzlichen Warenverkaufspersonals bis dato273 keine Kollektivvertragsermächtigung. Der Gesetzgeber untersagt also die Beschäftigung von „zusätzlichem“ Personal, sofern es über den für den an der jeweiligen Tankstelle konkreten, für Tankstellenserviceleistungen erforderlichen Personalbedarf hinausginge. Fraglich ist, ob für das reglementierte Gastgewerbe dieselbe Restriktion gilt.
§ 2 ÖZG nimmt, wie oben aufgezeigt, vor allem den Warenverkauf in Gast- und Tankstellengewerben vom Geltungsbereich des Gesetzes aus. Die ErläutRV des ÖZG 2003 liefern keinen Aufschluss für den Grund dieser Ausnahmen. Tatsache ist, dass der GewO-Novelle 1997, mit der die jetzige Formulierung (inklusive Kollektivvertragsermächtigung für die Beschäftigung zusätzlicher AN) in den seinerzeitigen § 279 Abs 2 GewO aufgenommen wurde, eine Sozialpartnereinigung zugrunde lag: Die vormals enge Warennomenklatur für Tankstellenverkauf wurde erweitert (allerdings mit gesundheits- und hygienebezogenem Bedacht, daher „vorverpackte Lebensmittel“), im Gegenzug wurde die Kollektivvertragszulassung normiert und die Charakterklausel deutlicher formuliert. Werden über die Begrenzungen des § 157 GewO hinaus Waren verkauft, liegt klarerweise eine Handelsgewerbeausübung vor und es wirkt die Ausnahme gem § 2 ÖZG nicht, die Ladenschlusszeiten gelten also in vollem Umfang.*
Die unbestimmten Gesetzesbegriffe „Eigenart“ und „Charakter“ in der GewO helfen nur bedingt weiter, wenn man etwa der Frage nachgeht, ob an einer Tankstelle, die kaum noch Benzin verkauft, aber im „Shop“ mehr als 2.000 Waren anbietet (siehe FN 4), das Hauptgewerbe noch dominant ist. Ebenso bei einem Gasthaus in Nähe eines Verkehrsknotens, das kaum Speisen und Getränke ausgibt, aber hohe Umsätze mit Souvenirs, Blumen und Waren verschiedenster Art macht. Wie kann „Eigenart/Charakter“ nun von den Kontroll- und Strafbehörden überprüft und gesetzeskonform eingegrenzt werden?
ME ging der Gesetzgeber der ÖZG-Novelle und Wiederverlautbarung 2003* davon aus, dass nur jene Warenkategorien und Umfänge* im Rahmen der Nebenrechtsausübung in Gastgewerbe- und Tankstellenbetrieben unbedenklich sind, die kein zusätzliches Personal erfordern. Daher ist vor allem aus diesem Blickwinkel, jenem des § 2 ÖZG iVm § 2 BZG und §§ 3 ff ARG der „Charakter“ zu bestimmen: Er muss gegenüber dem Hauptgewerbe deutlich untergeordnet bleiben und darf – ausgenommen eine allfällige Kollektivvertragszulassung für Tankstellenshops – keinen zusätzlichen Personalbedarf verursachen.*
Kein erhöhter oder „zusätzlicher“ Personalbedarf aufgrund des Warenverkaufs bedeutet nun: Es ist zu prüfen, ob in der Summe der Beschäftigungszeiten aller AN die gastgewerblichen Tätigkeiten in Küche, Service usw bzw die Tankstellenkassier- und -servicetätigkeiten deutlich gegenüber den den Nebenrechten entspringenden Verkaufstätigkeiten überwiegen. Der Warenverkauf muss dementsprechend geringfügig und einem bloßen „Nebenrecht“ entsprechend bleiben. Überprüft werden kann das zB anhand eines Vergleichs oder einer Fiktion: Wie viele AN beschäftigt(e) eine Tankstelle gleicher Kundenfrequenz, gleicher Treibstoffumsätze uä, die keinen Shop hat (hätte)? Wie viele ein Gastronom, der keinerlei (oder kaum) Waren verkauft?
Wollen wir die vom VfGH 2012 (siehe 2.1.) betonten Schutzgüter gemeinsamer und familienorientierter Erholungszeiträume, usw bewahren und ist uns die Gefahr des Ausuferns einer „24 Stunden-/7 Tage- Gesellschaft“ auf unabsehbar viele andere Branchen (dh Verlust harmonisierter Freizeit zigtausender oder gar hunderttausender Menschen) bewusst, dann ist die herrschende Rechtslage ernst zu nehmen. Wie die in FN 4 gezeigte Anpreisung des Verkaufs von 2.200 Produkten in Tankstellenshops mit dem üblichen, nicht aufgestockten Tankstellenpersonal legal in die Realität umgesetzt werden soll, bleibt rätselhaft.
Die Nebenrechte, die etwa Tankstellen oder Gastgewerbebetriebe in eingeschränkter Form zum Warenverkauf ermächtigen, sind gerade im Hinblick auf die Schutzziele des Öffnungszeitenrechts eng auszulegen. Sie müssen iSd Charakterwahrungsklauseln gegenüber der Hauptgewerbetätigkeit in klar erkennbarer Weise untergeordnet bleiben.
Zusätzliche, verkaufsspezifische AN dürfen nach der ratio legis der GewO im Zusammenhang mit dem ÖZG und dem ARG nicht beschäftigt werden.274