Regierungsübereinkommen 2013 bis 2018 – Soziales
Regierungsübereinkommen 2013 bis 2018 – Soziales
Der Großteil der sozialpolitischen Festlegungen im Regierungsübereinkommen findet sich in einem Abschnitt, der mit „Länger gesund leben und arbeiten“ überschrieben ist. Die Titulierung signalisiert die Schwerpunktsetzung: Die Bundesregierung sieht den längeren Verbleib im Erwerbsleben und damit die Anhebung des faktischen Pensionsalters als zentrale sozialpolitische Aufgabenstellung in der neuen Legislaturperiode.
Im Folgenden wird im ersten Teil auf das Pensionskapitel – und damit auf diese Schwerpunktsetzung – eingegangen. Im zweiten Teil werden ausgewählte Punkte aus anderen sozialpolitischen Themenfeldern angesprochen (das Arbeitsrecht wurde in einem eigenen Beitrag abgehandelt – siehe C. Klein, Arbeitsrechtliche Vorhaben im neuen Koalitionsübereinkommen, DRdA 2014, 156 ff). Kommentierungen sind als solche gekennzeichnet.
Als generelles Ziel ist im Pensionskapitel einleitend festgehalten, dass „alle Maßnahmen ... zur langfristigen Sicherung des gesetzlichen auf dem Umlageverfahren beruhenden Pensionssystems
“ führen sollen.
Zum Finanzierungspfad heißt es, dass „die Bundesmittel zu den öffentlichen Pensionssystemen einen stabilen, entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung vertretbaren Verlauf nehmen
“ sollen. Die damit zum Ausdruck gebrachte Bezugnahme auf alle öffentlichen Pensionssysteme findet in einer erweiterten Aufgabenstellung der Pensionskommission ihren Niederschlag. Die Kommission soll sich in Zukunft nicht – wie bisher – bloß mit der gesetzlichen PV, sondern auch mit den Beamtenpensionen befassen. Ebenfalls behandelt werden sollen Betriebs- und Privatpensionen.
Welchen großen Unterschied es macht, ob die Beamtenpensionen mitberücksichtigt werden oder nicht, zeigen folgende Zahlen aus den zuletzt veröffentlichten Langzeit-Rechnungen: Für den Zeitraum 2012- 2060 lassen die Vorausberechnungen für die PV einen Kostenanstieg von 11,2 % auf 14,2 % des BIP erwarten (Pensionskommission, Oktober 2013). Parallel dazu zeigen die Vorausberechnungen zu den Beamtenpensionen einen Rückgang von derzeit 3,5 % auf 1,4 % des BIP (BMF 2012). Die bloße Betrachtung der Ausgaben der PV lässt damit einen Anstieg um 3 % des BIP, die Gesamtbetrachtung hingegen nur einen Anstieg um 0,9 % des BIP erwarten. Hinter diesen Entwicklungen steht eine in den kommenden Jahrzehnten wirksam werdende massive Kostenverschiebung von den Beamtenpensionen hin zur PV in Folge der vielen Ausgliederungen und der stark eingeschränkten Zahl der Pragmatisierungen. Bei den Beamtenpensionen kommt als weiteres kostendämpfendes Element die bei den Jüngeren voll zur Wirksamkeit kommende leistungsrechtliche Gleichstellung mit den ASVG-Pensionisten zum Tragen. Klar ist, dass in Anbetracht dieser Gegebenheiten letztlich nur eine Gesamtbetrachtung Sinn macht.
Die detailliertesten Festlegungen beziehen sich auf das faktische Pensionsantrittsalter. Neben der durchaus ambitionierten Zielsetzung (Anhebung von 58,4 im Jahr 2012 auf 60,1 im Jahr 2018) fällt dabei vor allem auf, dass erstmals eine korrespondierende Zielsetzung bei der Entwicklung der Beschäftigungsquoten Älterer festgeschrieben wurde (zB Anhebung von 21,6 % auf 35,3 % bei Männern der Altersgruppe 60-64).
Die Festlegung von Zielwerten auch bei den Beschäftigungsquoten gewährleistet, dass in Zukunft nicht nur die Entwicklung des durchschnittlichen Pensionszugangsalters, sondern auch die Entwicklung der Beschäftigung in den betroffenen Altersgruppen im Blickfeld sein wird. Gezielt wurde dabei auf Beschäftigungs- und nicht auf Erwerbsquoten abgestellt, weil letztere neben den aktiv Erwerbstätigen auch die Arbeitslosen umfassen. Klargestellt wird damit, dass der Anstieg des Zugangsalters zu den Pensionen281 nicht durch einen Anstieg der Arbeitslosigkeit Älterer „erkauft“ werden soll.
Die Zielerreichung soll durch ein detailliertes Monitoring überwacht werden. „Das Monitoring umfasst neben einem Frühpensions- und Arbeitsmarkt-Monitoring (Altersgruppe ab 55) die Feststellung des laufenden Zielerreichungsgrades (faktisches Pensionsalter, Beschäftigungsquote) sowie ein Maßnahmenmonitoring um festzustellen, welchen Beitrag die gesetzten Maßnahmen zur Zielerreichung geleistet haben.“ Für den Fall der Nichterreichung der Ziele wird eine „ursachenspezifische Intervention“ in Aussicht gestellt.
Als Maßnahmen zur Steigerung der Beschäftigungsquoten Älterer sind neben der Einführung eines neuen Bonus-/Malus-Systems (siehe unten), ua die Aktivierung passiver Leistungen des AMS (Mitteltransfer von Geldleistungen an Arbeitslose zu Beschäftigungsförderung), die Einführung einer Teilpension und ein „Aufschub-Bonus“ vorgesehen. Die Möglichkeit zum Bezug einer Teilpension soll es ab Erreichung des Antrittsalters für eine Korridorpension oder Alterspension bei langer Versicherungszeit geben, den „Aufschub- Bonus“ bei Inanspruchnahme einer Alterspension erst nach Erreichen des Regelpensionsalters.
Die auf Sozialpartnerebene im Grundsatz schon in Bad Ischl 2011 vereinbarte Einführung eines Bonus-/ Malus-Systems wurde nun in Form eines Quotenmodells ins Regierungsübereinkommen aufgenommen. Unternehmen, deren Beschäftigungsquote Älterer unter dem Branchendurchschnitt liegt, sollen ab 2017 eine Malus-Zahlung zu leisten haben. Ausgenommen sind Betriebe mit weniger als 25 AN. Bereits 2014 sollen alle betroffenen Unternehmen auf die zu erreichende Älterenquote hingewiesen werden, um genug Zeit für erforderliche Anpassungen zu bieten. Bonus-Zahlungen soll es „zur Förderung der vorhandenen Beschäftigung [im Alter] 55plus
“ geben. Zur Finanzierung der Bonus-Zahlungen sollen anfangs die Einnahmen aus der „Auflösungsabgabe“ herangezogen werden. Ab 2017 soll die „Auflösungsabgabe“ wegfallen und durch die neuen Malus-Zahlungen ersetzt werden.
Im Jahr 2012 haben rund 293.000 Betriebe 3,4 Mio AN beschäftigt. Rund 18.000 Betriebe beschäftigen 25 und mehr AN. Insgesamt arbeiten in diesen mittleren und größeren Betrieben rund 2,4 Mio AN. Etwa 2.000 der Betriebe mit zumindest 25 AN beschäftigen derzeit kontinuierlich keine Älteren, in rund 5.600 dieser Betriebe ist der Anteil der Älteren kleiner als 5 %.
Für die Betriebs- und Privatpensionen sind „mehr Transparenz und einfachere Regelungen“ in Aussicht gestellt. Letzteres soll ua durch eine Neuordnung und Harmonisierung der Förderinstrumente erreicht werden. Mit der Vorgabe, dass die Förderwürdigkeit von Produkten der privaten Pensionsvorsorge von der Erfüllung von Qualitätskriterien (Transparenz, Sicherheit) abhängig gemacht wird, wird langjährigen Forderungen der KonsumentenschützerInnen entsprochen.
Als zentrale Ziele sind angeführt: Ausbildung bis 18, Aufwertung der Lehre, Weiterbildung aller Altersgruppen, Frauenbeschäftigung fördern, Beschäftigung Älterer steigern und Qualifizierte Zuwanderung und Willkommenskultur.
Zur Erreichung des Ziels „Ausbildung bis 18“ werden ua eine ausreichende Zahl niederschwelliger Ausbildungsangebote, Anreizmodelle zur Teilnahme an Ausbildungsmaßnahmen und die Einführung einer Verwaltungsstrafe analog zur Verletzung der Schulpflicht (mit Wirksamkeit ab dem Ausbildungsjahr 2016/2017) in Aussicht gestellt.
Die „Aktivierung passiver Leistungen für Förderungen des AMS (zB Eingliederungsbeihilfe, Weiterführung der Aktion ‚Reife Leistung‘, Ausbau des Zweiten Arbeitsmarktes für ältere Arbeitssuchende, etc)“ ist als zentrale Maßnahme zur Steigerung der Beschäftigung Älterer vorgesehen. Bei einer vollständigen Umsetzung dieses Vorhabens könnten jährlich bis zu 350 Mio € zusätzlich für die Beschäftigung Älterer zum Einsatz kommen.
Aufbauend auf einem Bekenntnis „zur Gesundheitsreform 2013 (Art 15a B-VG-Vereinbarungen und Zielsteuerungsverträge)“ werden als prioritär zu verfolgende Vorhaben ua die notwendigen Änderungen im Gesamtvertragsrecht, im Krankenanstaltenrecht und in den Berufsgesetzen genannt. Umgesetzt werden sollen diese Rechtsänderungen noch im Jahr 2014. Weitere Ziele sind in diesem Zusammenhang ua die Etablierung einer wohnortnahen Primärversorgung und von multiprofessionellen Versorgungsformen.
Umfassende Reformen soll es bei den Gesundheitsberufen geben, insb sollen „die Ausbildungen und Berufsbilder an die künftigen Aufgaben und Rollen
“ angepasst werden. Vorgesehen sind ua neue Ausbildungen für Pflegeberufe, ÄrztInnen und Psychotherapie und „vertikale und horizontale Durchlässigkeit
“.
Besonderer Stellenwert wird den Themen Prävention und Gesundheitsförderung eingeräumt. Betriebliche Gesundheitsförderung soll als „qualitätsgesichertes, ganzheitliches Modell
“ in der KV forciert und flächendeckend angeboten werden. Angekündigt sind darüber hinaus ua eine nationale Suchtpräventionsstrategie, Maßnahmen zur Erhaltung der psychischen Gesundheit „mit Schwerpunkt Früherkennung
“ und spezifische Maßnahmen zum Schutz und zur Stärkung der Kinder- und Jugendgesundheit.
Auffallend – und bedauerlich – ist, dass im Regierungsübereinkommen trotz neuer arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse und einer sich rasch ändernden Arbeitswelt mit neuen Risiken keine Vorhaben angeführt sind, die den technischen und arbeitshygienischen ANSchutz betreffen.282
Aufbauend auf der Prämisse der Wahlfreiheit soll es ein breit gefächertes Angebot an Pflegevarianten geben „von der häuslichen Pflege durch Angehörige und professionelle Dienste, über betreute Wohnformen bis hin zu Pflegeheimen
“. Priorität wird dem „Verbleib in der gewohnten Umgebung
“ eingeräumt. Diese Variante soll „bestmöglich“ gefördert werden, „um den Anteil der nicht-stationär betreuten PflegegeldbezieherInnen weiterhin über 80 % zu halten
“.
Materiell besonders wichtig sind die Dotierung des Pflegefonds auch in den Jahren 2017 und 2018 (mit insgesamt 700 Mio €) und die Schwerpunktsetzung der Mittelgewährung für den flächendeckenden Ausbau sozialer Dienste.
Offen bleibt die Überführung des Pflegefonds ins Dauerrecht.
Weitere wichtige Punkte sind die Schaffung einer Bundeskompetenz zur Harmonisierung der Ausbildung in den Sozial- und Gesundheitsberufen, die gewerberechtliche Trennung von BetreuerInnen und Vermittlungsagenturen bei der 24-Stunden-Betreuung und der neue Förderschwerpunkt für barrierefreies Sanieren.
Zentraler Bezugspunkt für die Festlegungen im Regierungsübereinkommen ist der 2012 beschlossene Nationale Aktionsplan für Menschen mit Behinderung. In Aussicht gestellt sind ua eine Reform der Beschäftigung in Behindertenwerkstätten mit „eigenständiger [sozialversicherungsrechtlicher] Absicherung“ und die Stärkung der Durchlässigkeit zwischen „Erstem“ und „Drittem“ Arbeitsmarkt.
Praktisch sehr wichtig für die Betroffenen ist auch, dass eine zentrale Anlaufstelle für die Vergabe von Hilfsmitteln geschaffen werden soll. Derzeit werden Hilfsmittel von vier Stellen finanziert (Land, Bundessozialamt, KV, PV) und jeweils gesondert beauskunftet!
Die materiell bedeutsamsten Neuerungen sind:
Verpflichtung des Bundes, für den Ausbau und die Qualitätsverbesserung der Kinderbetreuung 350 Mio € zur Verfügung zu stellen (für vier Jahre);
Einführung eines zweiten kostenfreien Kindergartenjahres für Vier- bis Fünfjährige;
Überführung des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes in ein „flexibel nutzbares Kinderbetreuungsgeld- Konto“ (wobei die Gesamtdauer der Eltern- Karenz unangetastet bleiben soll).
Offen bleibt zB, inwieweit die vom Bund in Aussicht gestellten Mittel von den Ländern kofinanziert werden müssen.
Aufbauend auf den bisher gesammelten Erfahrungen mit der 2010 eingeführten „Bedarfsorientierten Mindestsicherung“ sollen die (Wieder)Eingliederung in den Arbeitsmarkt verstärkt, die Leistungsstandards in den Bundesländern weiter vereinheitlicht und Unterschiede im Vollzug beseitigt werden. Konkret sind zB eine Reform des WiedereinsteigerInnenfreibetrags (bei Wieder- oder Erstaufnahme einer Beschäftigung kann vom Leistungsbezieher zeitlich befristet ein Freibetrag geltend gemacht werden), bundeseinheitliche Rechtsansprüche für Sonderbedarfe, aber auch „Kontrollen und Sanktionen“ genannt.