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Diskriminierung von Frauen durch automatische Vertragsbeendigung bei Erreichung des Regelpensionsalters

ANDREASMAIR (INNSBRUCK)
Art 3 Abs 1 RL 76/207/EWG idF RL 2002/73/EG
  1. Der Begriff der „Entlassung“ ist im Bereich der Gleichbehandlung weit auszulegen.

  2. Eine Regelung in einer Dienstordnung (DO), die ein unterschiedliches Pensionsantrittsalter für Männer und Frauen festlegt, begründet eine unmittelbar auf das Geschlecht gestützte Ungleichbehandlung.

  3. Der weiblichen AN eingeräumte Vorteil, der darin besteht, dass sie eine Alterspension in einem Alter beanspruchen können, das fünf Jahre unter dem für männliche AN festgelegten Alter liegt, steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ziel der Regelung, die eine Ungleichbehandlung festsetzt.

  4. Eine in einer DO enthaltene Regelung, die Bestandteil eines vor Beitritt eines Mitgliedstaats zur Union geschlossenen Arbeitsvertrags ist und vorsieht, dass das Arbeitsverhältnis durch Erreichen des Pensionsantrittsalters endet, das nach dem Geschlecht des AN unterschiedlich festgesetzt ist, begründet eine verbotene unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, wenn der betreffende AN das Pensionsantrittsalter nach diesem Beitritt erreicht.

[...]

(11) Frau Kuso war ab dem 1.3.1967 im Rahmen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses bei der NÖ-LLWK beschäftigt. Am 1.1.1980 vereinbarte sie durch Heranziehung einer Vertragsschablone, der DO, die Unkündbarstellung, mit der die nach § 25 Abs 2 DO vorgesehene Befristung des Vertrags verbunden war.

(12) Frau Kuso vollendete ihr 60. Lebensjahr im Jahr 2008. Am 18.7.2008 wurde sie vom Leiter des Personalreferats telefonisch davon in Kenntnis gesetzt, dass ihr Ansuchen auf Beschäftigung auch über das Pensionsantrittsalter hinaus in der Präsidialsitzung der NÖ-LLWK vom 14.7.2008 abschlägig beschieden worden sei. Die NÖ-LLWK gehe davon aus, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Jahres 2008 enden werde. In einem Schreiben vom 25.7.2008 wurde Frau Kuso mitgeteilt, dass einer Verlängerung ihres Arbeitsverhältnisses über den 31.12.2008 hinaus nicht zugestimmt werde und das Arbeitsverhältnis mit Ende des Jahres 2008 als aufgelöst gelte.

(13) Frau Kuso focht die Rechtmäßigkeit der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses beim LG Korneuburg an. Das für sie nachteilige Urteil dieses Gerichts vom 21.1.2009 wurde durch das Urteil des OLG Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18.3.2010 abgeändert. Daraufhin legte die NÖ-LLWK beim OGH Revision ein. [...]

(22) Wie Frau Kuso und die Kommission vortragen, ist festzustellen, ob die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf der Grundlage von § 25 Abs 2 Buchst a der DO unter Art 3 Abs 1 Buchst c der RL 76/207 fällt.

(23) Erstens ist die Frage nach der zeitlichen Anwendbarkeit dieser Bestimmung bei einem Sachverhalt wie dem des Ausgangsverfahrens zu stellen.

(24) Die Vorschriften des materiellen Unionsrechts sind im Interesse der Beachtung der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes so auszulegen, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossene Sachverhalte nur gelten, soweit aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist (vgl ua Urteil vom 29.1.2002, Pokrzeptowicz-Meyer, C-162/00, Slg 2002, I-1049, Rn 49 und die dort angeführte Rsp).

(25) Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass eine neue Vorschrift unmittelbar auf die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts anzuwenden ist, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden ist (Urteile vom 10.7.1986, Licata/WSA, 270/84, Slg 1986, 2305, Rn 31 und Pokrzeptowicz-Meyer, Rn 50). Der Gerichtshof hat auch festgestellt, dass ab dem Beitritt die ursprünglichen Verträge für die neuen Mitgliedstaaten verbindlich sind und in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und der jeweiligen Beitrittsakte gelten (vgl Urteil vom 2.10.1997, Saldanha und MTS, C-122/96, Slg 1997, I-5325, Rn 13). [...]

(28) Sodann ist das Vorbringen der NÖ-LLWK zu verwerfen, wonach Frau Kuso damit, dass sie sich auf die ab dem Beitritt der Republik Österreich zur Union geltende Anwendbarkeit der Bestimmungen der RL 76/207 berufe, um die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses anzufechten, vor diesem Beitritt erworbene Rechte in Frage zu stellen versuche und den Grundsatz des Schutzes des Vertrauens ihres AG missachte.

(29) Der Gerichtshof hat nämlich entschieden, dass ein befristeter Arbeitsvertrag, der vor Inkrafttreten des durch den Beschluss 93/743/Euratom, EGKS, EG des Rates und der Kommission vom 13.12.1993 (ABl L 348 S 1) im Namen der Gemeinschaft geschlossenen und gebilligten Europa-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Polen andererseits geschlossen wurde, seine Rechtswirkungen nicht mit der Unterzeichnung erschöpft, sondern sie vielmehr fortgesetzt und regelmäßig während der gesamten Vertragsdauer erzeugt (vgl in diesem Sinne Urteil Pokrzeptowicz-Meyer, Rn 52). 295

(30) Im Übrigen darf der Anwendungsbereich des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht so weit erstreckt werden, dass die Anwendung einer neuen Regelung auf die künftigen Auswirkungen von unter der Geltung der früheren Regelung entstandenen Sachverhalten schlechthin ausgeschlossen ist (vgl in diesem Sinne Urteile Pokrzeptowicz-Meyer, Rn 55).

(31) Unter diesen Umständen durfte die NÖ-LLWK nicht darauf vertrauen, dass die RL 76/207 keinerlei Auswirkung auf die dem im Jahr 1980 geschlossenen Vertrag zugrunde liegenden Regeln haben wird, die erst bei Vertragsende relevant werden sollten. Folglich betrifft die Anwendung dieser Richtlinie ab dem Beitritt der Republik Österreich zur Union, um die Beendigung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arbeitsverhältnisses anzufechten, keinen zuvor abgeschlossenen Sachverhalt.

(32) Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof wiederholt zum einen festgestellt hat, dass Art 3 der RL 76/207, der Art 5 dieser RL in ihrer ursprünglichen Fassung entspricht, unbedingt und hinreichend genau ist, so dass sich ein Einzelner gegenüber dem Staat darauf berufen kann (vgl Urteile vom 26.2.1986, Marshall, 152/84, Slg 1986, 723, Rn 52, und vom 12.7.1990, Foster ua, C-188/89, Slg 1990, I-3313, Rn 21), und zum anderen, dass eine Einrichtung, die unabhängig von ihrer Rechtsform kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hat und die hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgehen, zu den Rechtssubjekten gehört, denen die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen einer RL entgegengehalten werden können (vgl in diesem Sinne Urteil Foster ua, Rn 22). Wie das vorlegende Gericht – von den Parteien des Ausgangsverfahrens und der Kommission unbestritten – ausführt, zählt die NÖ-LLWK zu den Rechtssubjekten, die mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgehen.

(33) Drittens ist festzustellen, ob Art 3 Abs 1 Buchst c der RL 76/207 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung, nach der ein Arbeitsverhältnis wegen des Ablaufs des Arbeitsvertrags unter Bezugnahme auf ein für Männer und Frauen unterschiedliches Alter endet, eine Diskriminierung iSd RL begründet.

(34) Es ist darauf hinzuweisen, dass sich der Zeitpunkt des Ablaufs des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden befristeten Arbeitsvertrags nach der DO bestimmt, die Bestandteil dieses Arbeitsvertrags ist, und dass diese DO für männliche und für weibliche AN ein unterschiedliches Pensionsantrittsalter vorsieht.

(35) Der Gerichtshof hat zwar entschieden, dass die Nichterneuerung eines befristeten Arbeitsvertrags zum Zeitpunkt seiner regulären Beendigung grundsätzlich nicht einer Kündigung gleichgestellt werden kann (vgl in diesem Sinne Urteil vom 4.10.2001, Jiménez Melgar, C-438/99, Slg 2001, I-6915, Rn 45).

(36) Nach stRsp ist jedoch der Begriff der Entlassung im Bereich der Gleichbehandlung weit auszulegen (vgl Urteile vom 16.2.1982, Burton, 19/81, Slg 1982, 555, Rn 9, Marshall, Rn 34; vom 26.2.1986, Beets-Proper, 262/84, Slg 1986, 773, Rn 36; vom 21.7.2005, Vergani, C-207/04, Slg 2005, I-7453, Rn 27, und Kleist, Rn 26).

(37) Insb hat der Gerichtshof zum einen festgestellt, dass der Begriff „Entlassung“ im Rahmen der RL 76/207 in dem Sinne auszulegen ist, dass er die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem AN und seinem AG einschließt, auch wenn sie aufgrund einer Regelung über freiwilliges Ausscheiden erfolgt (Urteil Burton, Rn 9), und zum anderen, dass eine allgemeine Entlassungspolitik, wonach eine Frau nur deshalb entlassen wird, weil sie das Alter erreicht oder überschritten hat, in dem sie Anspruch auf eine staatliche Pension erwirbt und das nach den nationalen Rechtsvorschriften für Männer und Frauen unterschiedlich ist, eine durch diese RL verbotene Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt (vgl Urteile Marshall, Rn 38, und Kleist, Rn 28).

(38) Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen erläutert, ist die im Ausgangsverfahren fragliche DO aber zum einen wegen ihrer Verbindlichkeit und zum anderen wegen der Verweisung auf ein Pensionsalter, das für männliche und weibliche AN unterschiedlich ist, mit der vom Gerichtshof im Urteil Kleist geprüften Regelung vergleichbar.

(39) Daher ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Frau Kuso im Ausgangsverfahren nach § 25 Abs 2 Buchst a der DO einer Entlassung iSv Art 3 Abs 1 Buchst c der RL 76/207 gleichzusetzen.

(40) Es ist weiter festzustellen, ob diese Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine nach Art 3 Abs 1 Buchst c der RL 76/207 verbotene Entlassung darstellt. Dafür ist zu prüfen, ob der Grund für diese Entlassung eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts iSv Art 2 dieser RL begründet. [...]

(42) Im vorliegenden Fall geht aus § 25 der DO hervor, dass das Dienstverhältnis der DN endet, wenn sie das Pensionsantrittsalter erreichen. Nach den §§ 26 und 65 der DO beträgt das Pensionsantrittsalter für männliche DN 65 Jahre, für weibliche DN hingegen 60 Jahre.

(43) Da mit dem in diesen Bestimmungen herangezogenen Kriterium ausdrücklich auf das Geschlecht der AN abgestellt wird, ist somit festzustellen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche eine unmittelbar auf das Geschlecht gestützte Ungleichbehandlung begründet.

(44) Um zu bestimmen, ob diese Ungleichbehandlung eine nach der RL 76/207 verbotene Diskriminierung darstellt, ist zu prüfen, ob sich unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die männlichen und die weiblichen AN in einer vergleichbaren Situation befinden.

(45) Nach stRsp kann die Vergleichbarkeit von Situationen ua im Hinblick auf das Ziel der nationalen Regelung geprüft werden, die die Ungleichbehandlung festsetzt (vgl in diesem Sinne Urteile vom 9.12.2004, Hlozeki, C-19/02, Slg 2004, I-11491, Rn 46, und Kleist, Rn 34).

(46) Im Ausgangsverfahren haben die §§ 25, 26 und 65 der DO, die die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen festsetzen, das Ziel, die Bedingungen zu regeln, unter denen das Dienstverhältnis der Beschäftigten beendet werden kann.

(47) Der den weiblichen AN eingeräumte Vorteil, der darin besteht, dass sie eine Alterspension in einem Alter beanspruchen können, das fünf Jahre unter dem für männliche AN festgelegten Alter liegt, steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ziel der Regelung, die eine Ungleichbehandlung festsetzt. 296

(48) Dieser Vorteil bringt die weiblichen AN nicht in eine besondere Situation im Vergleich zu den männlichen AN, da sich Männer und Frauen hinsichtlich der Bedingungen für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der gleichen Situation befinden (vgl Urteil Kleist, Rn 37 und die dort angeführte Rsp).

(49) Es ist also festzustellen, dass sich die männlichen und die weiblichen AN in einer vergleichbaren Situation befinden. [...]

(51) Da eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende – wie sich aus Rn 43 des vorliegenden Urteils ergibt – eine unmittelbar auf das Geschlecht gestützte Ungleichbehandlung begründet, kann die Diskriminierung, die sie festsetzt, nicht sachlich gerechtfertigt sein.

(52) Unter diesen Umständen ist, da der Gerichtshof zum einen entschieden hat, dass die durch eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende eingeführte Ungleichbehandlung unmittelbar auf das Geschlecht gestützt ist und sich die männlichen und die weiblichen AN in einer vergleichbaren Situation befinden, und zum anderen, dass die RL 76/207 für eine unmittelbare Diskriminierung keine Ausnahmeregelung enthält, festzustellen, dass diese Ungleichbehandlung eine nach der RL 76/207 verbotene unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt.

(53) Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass Art 3 Abs 1 Buchst c der RL 76/207 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die in einer DO besteht, die Bestandteil eines vor Beitritt des betreffenden Mitgliedstaats zur Union geschlossenen Arbeitsvertrags ist und vorsieht, dass das Arbeitsverhältnis durch Erreichen des Pensionsantrittsalters endet, das nach dem Geschlecht des AN unterschiedlich festgesetzt ist, eine nach der RL verbotene unmittelbare Diskriminierung begründet, wenn der betreffende AN das Pensionsantrittsalter nach diesem Beitritt erreicht.

Anmerkung

Das vorstehend abgedruckte Urteil beschäftigt sich mit einem der „Dauerbrenner“ des europäischen Arbeitsrechts. Der EuGH hatte darüber zu befinden, ob eine in einer DO enthaltene Regelung, die das Ende des Arbeitsverhältnisses an das Erreichen des Regelpensionsalters koppelt, mit dem Unionsrecht kompatibel ist, wobei der vorliegende Fall sich durch zwei Besonderheiten auszeichnet. Zum einen war von einer derartigen Regelung eine weibliche AN betroffen. Zum anderen stand die Frage im Raum, inwieweit sich (europarechtlich induzierte) Veränderungen des rechtlichen Beurteilungsmaßstabes auf vorher getroffene vertragliche Vereinbarungen auswirken können, sodass damit der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes Beachtung verlangte. Bei seiner E konnte sich der EuGH auf jene dogmatischen Grundlinien stützen, die vom Gerichtshof bereits in anderen Urteilen argumentativ entfaltet worden sind, sodass sich das zu besprechende Urteil schwergewichtig als deren Bekräftigung und Bestätigung verstehen lässt.

1.
Ausgangssituation

Die dem Urteil zugrunde liegende Sachverhaltskonstellation ist nicht neu. Eine ähnliche beschäftigte den EuGH bereits in der Rs Kleist (EuGH 18.11.2010, C-356/09, Kleist, Slg 2010, I-11939 = ZAS 2011/32, 190 [zust Wachter] = EuZA 4 [2011] 340 [Melzer-Azodanloo]). In beiden Fällen enthielt die jeweilige DO die Ermächtigung, bestehende Arbeitsverhältnisse beenden zu können, wenn der/die betreffende AN das für ihn/sie geltende Regelpensionsalter erreicht hatte. Im Unterschied zur Rs Kleist, bei der die AN mit einer Kündigung konfrontiert war, ging es im hier vom EuGH zu beurteilenden Sachverhalt um eine automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses, zu der es aufgrund einer zwischen der AN und ihrem AG im Jahr 1980 getroffenen vertraglichen Vereinbarung kam. In dieser Vereinbarung erklärte sich die AN damit einverstanden, sich der DO ihres AG zu unterwerfen, womit eine Befristung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende des Kalenderjahres verbunden war, in dem die AN ihr 60. Lebensjahr vollendet. Rechtskonstruktiv handelt es sich damit um ein sogenanntes „Arbeitsverhältnis mit einer vereinbarten Höchstdauer“ (Wachter, Zum Vorabentscheidungsersuchen des OGH vom 25.10.2011, 8 ObA 63/10p [Fall Kuso], in

ders
[Hrsg], Jahrbuch Altersdiskriminierung 2012 [2012] 135 [137]), das automatisch, also ohne einseitige Beendigungserklärung durch den AG, zum vorher einvernehmlich festgelegten Zeitpunkt endet. Während einer derart langen Zeitdauer (hier: 28 Jahre) können sich naturgemäß die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung eines Arbeitsverhältnisses ändern. Im vorliegenden Fall war der Beitritt Österreichs zur EU im Jahr 1995 das ausschlaggebende Faktum, das aufgrund der dadurch bedingten Beachtlichkeit des unionalen Antidiskriminierungsrechts die zwischen der AN und ihrem AG getroffene Vereinbarung nachträglich im neuen Licht erschienen ließ.

2.
Unionsrechtliche Gesichtspunkte
2.1.
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts

Die Gleichbehandlung von Männern und Frauen ist ein zentrales Anliegen der EU (siehe dazu Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht [2009] § 8 Rz 4 ff und Art 3 Abs 3 EUV). Dies wird nicht nur durch Art 23 GRC und Art 157 AEUV verdeutlicht, sondern darüber hinaus vor allem durch die Existenz der RL 76/207/EWG in ihrer durch die RL 2002/73/EG geänderten Fassung. Deren Ziel ist es, die gesamte Arbeitswelt diskriminierungsfrei zu stellen (vgl Egger, Die neuen Antidiskriminierungsrichtlinien der EU, DRdA 2003, 302 [303]). Zu diesem Zweck sieht Art 3 Abs 1 lit c RL 76/207/EWG vor, dass es bei den Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben darf. Im vorliegenden Fall war fraglich, ob eine zeitbedingte automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter den Begriff „Entlassungsbedingungen“ subsumiert werden konnte, ist doch eine „Entlassung“ nach österreichischem Rechtsverständnis mit einer einseitigen, sofort wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses verbunden (statt vieler: Löschnigg, Arbeitrecht11 [2011] Rz 7/222). Zutreffend beurteilt der EuGH den zeitbedingten Ablauf des Arbeitsverhältnisses als „Entlassung“ iSv Art 3 Abs 1 lit c RL 76/207/EWG, wobei der EuGH erneut betont, dass der Begriff „Entlassung“ im Bereich des Antidiskriminierungsrechts weit 297ausgelegt werden müsse (siehe auch EuGH 21.7.2005, C-207/04, Vergani, Slg 2005, I-7453 Rz 27). Dahinter steht wohl der Gedanke, den Vorgaben des Antidiskriminierungsrechts größere Wirksamkeit zu verschaffen. Daher spielt es auch keine Rolle, ob das Ende des Arbeitsverhältnisses auf eine Regelung über ein freiwilliges Ausscheiden zurückzuführen ist (EuGH 16.2.1982, Rs 19/81, Burton, Slg 1982, 554 Rz 9; EuGH Rs Vergani, Rz 27) oder ob der/die AN nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Bezug einer Altersrente rechnen kann (EuGH 26.2.1986, Rs 152/84, Marshall I, Slg 1986, 723 Rz 34). Das Unionsrecht verlangt aber, dass für männliche und weibliche AN unabhängig vom Geschlecht die gleichen Entlassungsbedingungen gelten müssen (EuGH 26.2.1986, Rs 262/84, Beets-Proper, Slg 1986, 773 Rz 35) Dies war beim vorliegenden Sachverhalt gerade nicht der Fall. Vielmehr legte die gegenständliche DO das Pensionsantrittsalter für weibliche AN mit 60 Jahren, dasjenige für männliche AN mit 65 Jahren fest. Dies führte dazu, dass weibliche AN fünf Jahre früher als männliche AN aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden mussten, sodass in einer derartigen Regelung – wenig überraschend – eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts begründet liegt. Allerdings ließe sich argumentieren, dass das um fünf Jahre frühere Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis für weibliche AN mit dem Vorteil verbunden ist, eine Pensionsleistung aus der gesetzlichen SV beziehen zu können, sodass die aus antidiskriminierungsrechtlicher Sicht für die Annahme einer unmittelbaren Diskriminierung erforderliche Vergleichbarkeit der Situation weiblicher und männlicher AN nicht gegeben sei (siehe auch § 5 Abs 1 GlBG, der auf eine „vergleichbare Situation“ abstellt). Dieser Argumentation folgt der EuGH zu Recht nicht. Wie bereits die Gleichbehandlungskommission in ihrer Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts ausführte, ist nämlich die antidiskriminierungsrechtliche Ebene strikt von der sozialversicherungsrechtlichen zu trennen (GBK I/155/08-M; ebenso Wachter, EuGH: Zwangspensionierung von Frauen wegen Erreichung des Pensionsalters [60 Jahre] in Österreich unzulässig, in

ders
[Hrsg], Jahrbuch Altersdiskriminierung 2011 [2011] 163 [174 f]). Angesichts der nach wie vor zwischen Männern und Frauen typischerweise bestehenden Einkommensunterschiede, die in der Folge auch im Durchschnitt zu geringeren Pensionsansprüchen führen (Konstatzky/Pritz-Blazek, Die Kündigung von Frauen bei Erreichen des Regelpensionsalters, DRdA 2010, 460 [462 f]), würde es in der Tat seltsam anmuten, weiblichen AN mit dem Hinweis auf ihr vermeintliches Privileg, bereits fünf Jahre früher als männliche AN eine Pensionsleistung beziehen zu können, den antidiskriminierungsrechtlichen Schutz zu versagen, zumal die Erreichung des Regelpensionsalters weibliche AN sozialversicherungsrechtlich keineswegs dazu verpflichtet, die Pensionsleistung auch beantragen zu müssen (Wachter in
ders
[Hrsg],
Jahrbuch Altersdiskriminierung 2011
, 174 f).

2.2.
Vertrauensschutz?

Ausführlich beschäftigt sich der EuGH auch mit dem Argument des Vertrauensschutzes. Anlass dazu gab das Vorabentscheidungsersuchen des OGH, in dem dieser seine Rsp zum Einfluss nachträglicher Änderungen der Rechtslage auf ein bereits in Vollzug gesetztes Arbeitsverhältnis darstellte (OGH8 ObA 63/10pArb 13.024 = wbl 2012/83, 224). Anknüpfend an die rechtsfolgenrelevante Unterscheidung von gesetzlichen Neuregelungen, die laufende Ansprüche betreffen, und solchen, die die gesamte Qualität des Arbeitsverhältnisses betreffen, wollte der OGH nur die im Jahr 2008 von der AG artikulierte Weigerung, das Arbeitsverhältnis zu verlängern, am Maßstab des Antidiskriminierungsrechts messen, nicht aber die eigentlich beurteilungsrechtlich relevanten Vorgänge im Jahr 1980, die zur nachträglich problematisch gewordenen Befristung des Arbeitsverhältnisses führten. Dabei interpretierte der OGH die Vertrauensschutzjudikatur des EuGH restriktiver als jener diese in seiner Rsp bislang entfaltete. Anders als der OGH, der jene Sachverhalte (Tatbestände), die vor dem Inkrafttreten neuer Regelungen abgeschlossen wurden, vom Gedanken des Vertrauensschutzes erfasst sah, verweist der EuGH hingegen darauf, dass später geschaffene unionsrechtliche Regelungen auch auf solche Sachverhalte, die vor dem Inkrafttreten der Regelung abgeschlossen worden sind, zur Anwendung kommen können, wenn „aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist“ (EuGH 29.1.2002, C-162/00, Pokrzeptowicz-Meyer, Slg 2002, I-1049 Rz 49). An sich gäbe es zwischen EuGH und OGH keine Diskrepanz in der Beurteilung, anerkennt doch auch der OGH, dass im Fall einer Änderung der Rechtslage bei Dauerschuldverhältnissen der in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen Gesetzes reichende Teil des Dauertatbestandes danach zu beurteilen ist (OGH2 Ob 73/10iJBl 2011, 175 [J. Mayrhofer]). Daran anknüpfend wäre ein Gleichklang der beiden Höchstgerichte durchaus zu realisieren gewesen, hätte der OGH die Tatsache des Zeitablaufs und nicht die im Jahr 1980 abgeschlossene Befristungsvereinbarung als antidiskriminierungsrechtlich relevanten Anknüpfungspunkt fixiert. So aber stellt der EuGH in der vorliegenden E erneut klar, dass ein befristet abgeschlossener Arbeitsvertrag seine Rechtswirkungen nicht mit der Unterzeichnung erschöpft, sondern diese während der gesamten Vertragslaufzeit fortgesetzt erzeugt (so bereits EuGH Rs Pokrzeptowicz-Meyer Rz 52). Mit dieser Klarstellung kann es – wie Wachter pointiert formuliert – tatsächlich kein schutzwürdiges Vertrauen darauf geben, dass es während der Vertragslaufzeit zu keinem sozialpolitischen Fortschritt zugunsten von AN kommt (Wachter in

ders
[Hrsg], Jahrbuch Altersdiskriminierung 2012, 142).

3.
Fazit

Aus europarechtlicher Perspektive betrachtet bestätigt das vorliegende Urteil die vom EuGH in früheren Entscheidungen bereits erarbeiteten dogmatischen Grundlinien. Aus nationaler Perspektive betrachtet macht das Urteil auf Defizite der österreichischen Rechtsordnung aufmerksam. Denn: Das GlBG als Umsetzungsgesetz der RL 76/207/EWG reflektiert den hier vom EuGH entschiedenen Diskriminierungskontext nicht. Unionsrechtlich ist nämlich zweierlei gefordert. Zum einen haben die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz unvereinbaren Bestimmungen in Einzelarbeitsverträgen nichtig sind oder für nichtig erklärt 298werden können (Art 3 Abs 2 lit b RL 76/207/EWG in der durch die RL 2002/73/EG geänderten Fassung), wobei dieser Anforderung prima vista mit § 879 Abs 1 ABGB entsprochen zu sein scheint. Mit § 879 Abs 1 ABGB kann die an die diskriminierende Regelung in der DO anknüpfende einzelvertragliche Befristungsabrede gerichtlich für nichtig erklärt werden. Ergebnis ist, dass durch den Wegfall der Befristungsabrede das Arbeitsverhältnis nicht zum ursprünglich vereinbarten Zeitpunkt als aufgelöst gilt (Wachter in

ders
[Hrsg], Jahrbuch Altersdiskriminierung 2012, 142). Aus dem GlBG kann dieses Ergebnis aber nicht abgeleitet werden (siehe auch Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG [2009] § 12 Rz 87 zur mangelnden Einschlägigkeit von § 12 Abs 7 GlBG), da § 12 Abs 7 Satz 2 GlBG nur auf die Situation Bezug nimmt, bei der ein auf unbefristete Fortführung angelegtes befristetes Arbeitsverhältnis wegen des Geschlechts des/der AN vom AG nicht verlängert worden ist. Eine Verlängerung ihres befristeten Arbeitsverhältnisses war aber bei Frau Kuso gerade nicht intendiert. Der Rückgriff auf die Generalklausel von § 879 Abs 1 ABGB ermöglicht zwar eine dem Unionsrecht entsprechende Falllösung. Gleichzeitig wird damit aber die Frage nach der Erfüllung des unionsrechtlich geforderten Determinierungsgrades bei der Umsetzung von Richtlinienrecht aufgeworfen, da die nationale Umsetzungsnorm es dem Einzelnen ermöglichen muss, von seinen unional vermittelten Rechten Kenntnis zu nehmen und zwar ohne auf die konkretisierende Interpretation durch die Gerichte angewiesen zu sein (Ruffert in
Calliess/Ruffert
[Hrsg], EUV/AEUV4 [2011] Art 288 AEUV Rz 35). Diese Anforderung erfüllen in Bezug auf den hier vorliegenden Diskriminierungskontext weder § 879 Abs 1 ABGB noch das GlBG.

Zum anderen verlangt das Unionsrecht, dass bei einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot das Diskriminierungsopfer einen tatsächlichen und wirksamen Schadensausgleich erhalten muss, wobei dies auf eine abschreckende und dem erlittenen Schaden angemessene Art und Weise geschehen muss (Art 6 Abs 2 RL 76/207/EWG in der durch die RL 2002/73/EG geänderten Fassung). § 12 Abs 7 GlBG bietet dafür aber keine Grundlage. Selbst wenn man im Wege der richtlinienkonformen Interpretation versucht, einen unionsrechtskonformen Zustand zu erreichen, um dem Diskriminierungsopfer auch für den Fall der erfolgreichen Bekämpfung einer diskriminierenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens und der erlittenen persönlichen Beeinträchtigung einräumen zu können (so Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 12 Rz 94 ff), ändert dies nichts daran, dass die österreichische Gesetzeslage nicht den Vorgaben des Unionsrechts entspricht. So gesehen erteilt das Urteil des EuGH in der Rs Kuso dem Gesetzgeber gleich in mehrfacher Hinsicht einen Reparaturauftrag.