Österreichische Juristenkommission (Hrsg)Gesundheit und Recht – Recht auf Gesundheit

Linde Verlag, Wien 2013, 416 Seiten, kartoniert, € 58,–

CHARLOTTEREIFF (WIEN)

Im Schnittpunkt von Gesundheit und Recht gibt es zahllose rechtliche, rechtspolitische und gesundheitspolitische Fragestellungen: zur Ausgestaltung und Durchsetzung von Grundrechten, zu Haftung und Schadenersatz, zur Allokation oder zum Datenschutz. Um diesen vielfältigen Anknüpfungspunkten Rechnung zu tragen und ausgewählte Fragen näher zu beleuchten, stand die Frühjahrstagung der Österreichischen Juristenkommission 2012 unter dem Thema „Gesundheit und Recht“. Der Mitte 2013 erschienene Tagungsband „Gesundheit und Recht – Recht auf Gesundheit“ gibt die Diskussionsbeiträge und Referate der Teilnehmer nun wieder. Das Buch folgt dem Aufbau der Tagung, in fünf Teilen finden sich die Beiträge thematisch gegliedert nach den vier Arbeitssitzungen und dem Kamingespräch. Die Schwerpunkte sind das Verhältnis von Arzt und Patient, dh ärztliche Aufklärung und der Umgang mit Behandlungsfehlern, die „Zweiklassenmedizin“, Rechtsfragen am Beginn des Lebens, Pflege und Psychiatrie, Datenschutz vor dem Hintergrund von ELGA und Nichtraucherschutz. Insgesamt enthält der Tagungsband 24 Beiträge von zahlreichen Experten, daher können hier nur einige wenige im Detail erwähnt werden. Arbeitsrechtliche Anknüpfungen ieS gibt es kaum, am ehesten finden sich in den Beiträgen zum Datenschutz und zum Nichtraucherschutz Berührungspunkte. Dafür werden im Tagungsband zahlreiche sozialpolitisch relevante Themen umfassend behandelt.

Das Kapitel zum Thema Gesundheit und Datenschutz spiegelt die kontroverse Diskussion um die Einführung von ELGA wider und auch die Beiträge unterscheiden sich in ihrem kritischen Potential. In seinem Beitrag „ELGA und das Grundrecht auf Datenschutz“ (299 ff) unterzieht Andreas Lehner den Entwurf zur Einführung einer elektronischen Gesundheitsakte einer verfassungsrechtlichen Analyse. Er bezieht sich dabei auf den Entwurf des „Elektronische Gesundheitsakte-Rahmengesetz“ aus dem Jahr 2012, der inhaltlich weitgehend übereinstimmend mittlerweile als Elektronische Gesundheitsakte-Gesetz (ELGA-G) in Kraft getreten ist (BGBl I 2012/111BGBl I 2012/111). Lehner nimmt eine umfassende Darstellung der Eingriffe in das Grundrecht auf Datenschutz und deren Rechtfertigungsmöglichkeiten durch ELGA vor. Dabei gelingt es ihm, einen Überblick über die ambivalenten Interessensphären – einzelne Patienteninteressen, öffentliche Interessen an der Steigerung der Behandlungs- und Betreuungsqualität im Gesundheitswesen – darzustellen. Interessant ist auch seine Diskussion der Ausgestaltung mittels Opt-in- oder Opt-out-Modell, die Ausgangspunkt der massiven datenschutzrechtlichen Bedenken war. Auch Sebastian Reimer mit seinem Beitrag „Möglichkeiten zur Objektivierung von Interessenabwägung und Verhältnismäßigkeitsprüfung am Beispiel ELGA“ (319 ff) und Lukas Stärker „Zukunftsherausforderung ELGA“ (337 ff) widmen sich der elektronischen Gesundheitsakte. Während Reimer sich in seinem Artikel wie Lehner auf Fragestellungen aus verfassungsrechtlicher Sicht beschränkt, ist die Auseinandersetzung bei Stärker deutlich breiter angelegt. Seine Stellungnahme zu ELGA fällt zudem sehr kritisch aus.

Während in Bezug auf Nichtraucher und Raucher die Diskussion zuletzt auch von der Frage der Einarbeitung von Rauchpausen und Nichtraucherprämien geprägt war, wird im Tagungsband der Fokus auf den Nichtraucherschutz gerichtet. Der Nichtraucherschutz im Arbeitsrecht wird allerdings nur kurz und überblicksartig im Beitrag von Dieter Kolonovits („Der Nichtraucherschutz des TabakG aus rechtlicher Sicht“ [377 ff]) dargestellt. Das Kapitel bietet mit dem Beitrag von Peter Koller („Rauchverbote zwischen Nichtraucherschutz und Paternalismus“ [363 ff]) aber auch eine spannende rechtspolitische Erörterung von rechtlichen Beschränkungen des Rauchens. Er zeigt empirische Prämissen über die Auswirkungen des Rauchens und Möglichkeiten rechtlicher Regulierung ebenso auf, wie normative Grundsätze zur Rechtfertigung rechtlicher Beschränkungen. Dass die Diskussion durch die zwei Beiträge für die Teilnehmer noch nicht umfassend genug aufgearbeitet werden konnte, zeigt die folgende, mitunter emotionale Diskussion des Podiums und Publikums. Ein Diskussionsteil ist im gesamten Tagungsband immer nach den Fachbeiträgen abgedruckt, nimmt aber in diesem Kapitel besonders viel Platz ein und widmet sich allen gesellschaftlich relevanten Facetten des Rauchens und Nichtrauchens: E-Zigaretten, räumliche Trennung in Gastronomiebetrieben, Gesundheitsschädlichkeit des Passivrauchens, sozialer Druck, Vollzug des Nichtraucherschutzes.

Sozialpolitisch äußerst aktuell und relevant sind die Beiträge aus dem Kamingespräch, das sich dem Thema „Recht auf Gesundheit – Gleiche Versorgung für alle oder „Zweiklassenmedizin“ widmete. Gerald Bachinger („Transparenzmängel sind weit offene Einfallstore für Zwei-Klassen-Medizin und Korruption“ [109 ff]) sieht als Mittel gegen Missbrauch von öffentlichen Mitteln und Korruption im 368Gesundheitswesen vor allem die Transparenz, die er beispielsweise beim Wartezeitenmanagement und hinsichtlich Nebentätigkeiten von Spitalsärzten vergrößern will. Wenig überraschend ist sein Vorschlag, Whistleblowing zur Korruptionsbekämpfung einzusetzen. Rechtlich interessant ist die Analyse von Meinrad Handstanger zum Thema „Grundrecht auf Gesundheitsschutz“ (101 ff), bei der auch insb unionsrechtliche Anknüpfungspunkte im Rahmen der GRC besprochen werden.

Eine umfassende Darstellung erfahren auch die „Rechtsfragen am Beginn des Lebens“. Hier hinterfragt beispielsweise Erwin Bernat („SH et al gegen Österreich: Ein Schritt vorwärts, ein Schritt zurück“ [163 ff]) die Haltung des österreichischen Gesetzgebers hinsichtlich Fortschritten in der Fortpflanzungsmedizin. Matthias Neumayr („Embryopathie und wrongful birth“ [207 ff]) stellt hingegen sehr praxisnah anhand von österreichischer und internationaler Judikatur die Rechtslage und das Problem von Schadenersatz in wrongful-birth-, wrongful-conception- und wrongful-life-Fällen dar.

Abschließend kann gesagt werden, dass der Tagungsband einen äußerst interessanten Überblick über gesundheitspolitische Themen gibt. Praktische arbeitsrechtliche Anknüpfungen beschränken sich zwar auf einen überschaubaren Anteil, aber für jeden an gesundheitspolitischen Themengebieten Interessierten bietet das Buch umfassende Informationen und Anregungen.