PellarEine andere Geschichte Österreichs – Gewerkschaft, soziale Verantwortung und menschliche Politik

Verlag des ÖGB, Wien 2014, 128 bzw 148 Seiten, € 29,90

JOSEFCERNY (WIEN)

Im Rahmen der Schriftenreihe Zeitgeschichte sind im ÖGB-Verlag zeitgleich zwei aktualisierte Bände mit dem gleichen Titel und Untertitel erschienen. Einer dieser Bände ist in Kooperation mit der Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten entstanden, der zweite mit der Produktionsgewerkschaft. Autorin ist in beiden Fällen die ausgewiesene und anerkannte Expertin der Gewerkschaftsgeschichte Brigitte Pellar, beim ersten Band in Zusammenarbeit mit Thomas Linzbauer, beim zweiten mit Robert Wittek.

Der Inhalt der beiden Bücher ist größtenteils identisch, nämlich ein detaillierter Streifzug durch die Geschichte der Gewerkschaftsbewegung. Nur im Schlussteil unterscheiden sich die beiden Bände, indem jeweils auf die spezielle Geschichte der beiden Gewerkschaften eingegangen wird.

Die Wortwahl im Titel „Eine andere Geschichte Österreichs“ soll offenbar zum Ausdruck bringen, dass hier nicht, wie in unzähligen anderen Publikationen, wie zB in den bekannten Standardwerken von Hugo Portisch, eine allgemeine Darstellung der historischen Entwicklung unseres Landes geboten wird, sondern die Geschichte speziell aus dem Blickwinkel der Gewerkschaften und ihres Beitrages zur politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung betrachtet wird.

Die Spannweite des Zeitraums, der in den beiden Bänden dargestellt wird, ist groß: Der Bogen spannt sich von den frühen Kämpfen der österreichischen ArbeiterInnenschaft im Mittelalter über die junge Gewerkschaftsbewegung in der Monarchie, die großen Sozialreformen unter Ferdinand Hanusch zu Beginn der Ersten Republik, die dunklen Jahre der Ständestaat-Diktatur und der Nazizeit, die Wiedererrichtung der Grundlagen der Zweiten Republik, Auf- und Ausbau der Sozialgesetzgebung und des Sozialstaats, Sozialpartnerschaft, veränderte Rahmenbedingungen seit den 1980er-Jahren bis hin zur Gegenmacht der Gewerkschaftsbewegung zum Turbokapitalismus und Widerstand gegen den Sozialabbau in diesem Jahrtausend. Im letzten Abschnitt mit der Überschrift „Bewegung in Bewegung“ wird schließlich der Weg des ÖGB der 16 Gewerkschaften zum ÖGB der sieben Gewerkschaften chronologisch nachgezeichnet.

Die in der Schriftenreihe Zeitgeschichte erschienenen Bücher wenden sich nicht in erster Linie an ein wissenschaftlich interessiertes Publikum. Zielgruppe der hier besprochenen Bände sind vielmehr jene „Zigtausenden Menschen, die ihrer Gewerkschaft beitreten und diese große Gemeinschaft damit zu dem machen, was sie seit ihren Anfängen bis heute geblieben sind – eine engagierte Kämpferin für die Rechte und das Wohl der arbeitenden Menschen“, so Präsident Erich Foglar im Vorwort.

Dieser Zielsetzung entsprechend ist auch die Gestaltung der beiden Bände: ähnlich wie eine Zeitung, jede Seite kann für sich allein gelesen werden. Die Sprache ist kurz, präzise und leicht verständlich, ohne jedoch zu sehr an der Oberfläche zu bleiben. Für die Richtigkeit der Fakten und die Korrektheit der Darstellung bürgt die hohe fachliche Kompetenz der Autorin.

Besonders hervorzuheben ist der große Umfang des verarbeiteten Bildmaterials (auch wenn es nicht immer zum Text der jeweiligen Seite passt). Hier finden auch einschlägig Vorinformierte mit Sicherheit viel Interessantes und Neues.

Wünschenswert wäre es aus meiner Sicht, wenn das letzte Kapitel der Gewerkschaftsgeschichte, nämlich der Zusammenschluss zu neuen Gewerkschaften, nicht nur in Form einer Chronologie dargestellt, sondern auch mit bereits vorhandenen Erfahrungswerten versehen und durch eine Zukunftsperspektive ergänzt werden könnte. Zwar wird von den Vorsitzenden der beiden Gewerkschaften, Helmut Köstinger und Rainer Wimmer, in ihrem Vorwort zumindest angedeutet, dass der Start erfolgreich und der eingeschlagene Weg richtig war, es wäre aber interessant zu erfahren, ob das von jenen, denen diese „Ehrenbände“ (Foglar) gewidmet sind, nämlich den Gewerkschaftsmitgliedern, auch so gesehen wird.

Wer sich rasch und trotzdem verlässlich über die Geschichte der Gewerkschaftsbewegung informieren will, ist mit den beiden Büchern gut bedient; wer mehr in die Tiefe gehen möchte, dem sei das wissenschaftliche Werk der Autorin empfohlen.