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Anspruch auf Pflegegeld für subsidiär Schutzberechtigte

MichaelaWindisch-Graetz/LjubicaMrvošević (Wien)

Da das Pflegegeld unionsrechtlich als Leistung bei Krankheit qualifiziert wird, haben subsidiär Schutzberechtigte gem § 3a Abs 2 Z 1 BPGG Anspruch auf Pflegegeld. Der Anspruch auf Gleichstellung mit österreichischen Staatsbürgern ergibt sich aus dem Unionsrecht.

Die Kl lebt zumindest seit 8.10.2010 in Österreich. Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 5.3.2012 wurde ihr die befristete Aufenthaltsberechtigung gem § 8 Abs 4 AsylG 2005 als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 22.3.2013 erteilt. Ihr Antrag auf Zuerkennung des Status gem § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 wurde abgewiesen.

Die Kl ist am linken Auge erblindet. Dem rechten Auge wurde die Linse entfernt, sodass mit Zusatzkorrekturen lediglich eine Sehschärfe von 0,1 erzielt werden kann. Das Gesichtsfeld des rechten Auges ist weitgehend – von mehr als einer Quadrantenanopsie – verfallen. Eine Besserbarkeit diese Zustandsbilds ist auszuschließen.

Mit Bescheid vom 14.3.2012 wies die Bekl den Antrag der Kl vom 30.1.2012 auf Zuerkennung des Pflegegeldes mit der Begründung ab, dass die Kl nicht dem anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG) angehöre.

Gegen diesen Bescheid erhob die Kl Klage mit dem Begehren, ihr ab 1.2.2012 das Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.

Die Bekl beantragte die Klageabweisung und wendete zusammengefasst ein, die Kl sei als subsidiär Schutzberechtigte gem § 3a Abs 2 Z 2 BPGG einem österreichischen Staatsbürger nicht gleichgestellt. Da sie immer nur über eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsbewilligung verfüge und ihr daher gem § 13 AsylG nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zukomme, bestehe kein Anspruch auf Pflegegeld. [...]

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine Rsp des OGH zu der Frage bestehe, ob subsidiär Schutzberechtigte Anspruch auf Pflegegeld haben. [...]

§ 3a Abs 1 BPGG idF des PflegegeldreformG 2012 BGBl I 2011/58gewährt Anspruch auf Pflegegeld auch ohne Grundleistung für österreichische Staatsbürger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. [...]

Nach dem Wegfall der landesgesetzlichen Härtefallregelungen ist für Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft Anspruch auf Pflegegeld nur mehr dann gegeben, wenn sie vom Anwendungsbereich des § 3a Abs 2 BPGG idF des PflegegeldreformG 2012 BGBl I 2011/58erfasst sind.

Nach diesem sind den österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt:

Z 1 Fremde, die nicht unter eine der folgenden Ziffern fallen, insoweit sich eine Gleichstellung aus Staatsverträgen oder Unionsrecht ergibt, oder Z 2 Fremde, denen gem § 3 des AsylG 2005, ... Asyl gewährt wurde, oder [...].

4. Der erkennende Senat hat erwogen:

4.1. Gem § 3a Abs 2 Z 1 BPGG sind Fremde, die nicht unter eine der folgenden Ziffern fallen, den österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt, wenn sich eine solche Gleichstellung aus dem Unionsrecht ergibt. Nach den bereits zitierten Gesetzesmaterialien (RV 1208 BlgNR 24. GP 9) ist die genannte Bestimmung somit ein Auffangtatbestand für jene Personen, die nicht unter § 3a Abs 2 Z 2 bis 4 BPGG subsumiert werden können, aber grundsätzlich aufgrund von Staatsverträgen oder dem Unionsrecht österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt sind. In den zitierten Gesetzesmaterialien wird weiters darauf hingewiesen, dass sich aus dem Unionsrecht – und hier insb aus der VO (EG) 883/2004 – ergibt, dass UnionsbürgerInnen und anerkannte Flüchtlinge und Staatenlose sowie deren Familienangehörige die gleichen Rechte und Pflichten im Bereich der sozialen Sicherheit genießen wie InländerInnen. Auslösender Faktor für die österreichische Verpflichtung zur Gleichstellung auch in Bezug auf Pflegegelder im Wege der VO (EG) 883/2004 waren die Entscheidungen des EuGH in den Rs Jauchund Hosse, in denen der Gerichtshof sowohl das Bundes- als auch das Landespflegegeld unter die Kategorie Leistung bei Krankheit iSd (damals noch) VO (EG) 1408/71 eingereiht hat (vgl RV 1208 BlgNR 24. GP 9).

4.2. Art 28 der RL 2004/83/EG sieht vor, dass Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, die notwendige Sozialhilfe, wie Staatsangehörige des betreffenden Mitgliedstaates, erhalten müssen. Im Fall von subsidiär Schutzberechtigten können die Mitgliedstaaten diese allerdings auf „Kernleistungen“ beschränken, die sie im gleichen Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige gewähren.

4.3. Art 29 der RL 2004/83/EG regelt den Zugang zu medizinischer Versorgung in ähnlicher Weise: Grundsätzlich muss dieser für anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte zu denselben Bedingungen wie für eigene Staatsbürger gegeben sein; auch hier besteht aber die Möglichkeit der Beschränkung auf „Kernleistungen“ für subsidiär Schutzberechtigte.

4.4. Nach dem Erwägungsgrund Nr 6 der RL 2004/83/EG ist es das wesentliche Ziel dieser RL einerseits, ein Mindestmaß an Schutz in allen Mitgliedstaaten für Personen zu gewährleisten, die tatsächlich Schutz benötigen, und andererseits sicherzustellen, dass allen diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten wird. Es ist daher nach dem Erwägungsgrund Nr 33 insb zur Vermeidung sozialer Härtefälle angezeigt, Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, ohne Diskriminierung im Rahmen der Sozialfürsorge angemessene Unterstützung in Form von Sozialleistungen und Leis435tungen zur sozialen Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

4.5. Nach dem Erwägungsgrund Nr 34 der RL 2004/83/EG sollen bei der Sozialhilfe und der medizinischen Versorgung die Modalitäten und Einzelheiten der Gewährung der Kernleistungen durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften bestimmt werden. Die Möglichkeit der Einschränkung von Leistungen für Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, auf Kernleistungen ist so zu verstehen, dass dieser Begriff zumindest ein Mindesteinkommen sowie Unterstützung bei Krankheit, bei Schwangerschaft und bei Elternschaft umfasst, sofern diese Leistungen nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats eigenen Staatsangehörigen gewährt werden.

4.6. Aus dem 34. Erwägungsgrund der RL geht somit hervor, dass der Begriff der Kernleistungen zumindest ein Mindesteinkommen sowie Unterstützung bei Krankheit, bei Schwangerschaft und bei Elternschaft erfasst. Zunächst ist festzustellen, dass die in diesem Erwägungsgrund enthaltene Aufzählung, die den in Art 28 und 29 der RL verwendeten Begriff der „Kernleistungen“ veranschaulicht, nicht erschöpfend ist, wie die Verwendung des Wortes „zumindest“ zeigt. Dass in diesem Erwägungsgrund nicht ausdrücklich auf Pflegegeld Bezug genommen wird, bedeutet somit nicht, dass dieses keine der Kernleistungen darstellt, auf die der Grundsatz der Gleichbehandlung zwingend anzuwenden ist (vgl EuGH 24.4.2012, C-571/10, Kamberaj, Rn 85 zu dem insoweit vergleichbaren Art 11 Abs 4 der RL 2003/109).

4.7. Weiters ist, da die Gleichstellung der Rechtsstellung der Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, mit den Staatsangehörigen des Mitgliedstaats die Grundregel nach Art 28 Abs 1 und Art 29 Abs 1 der RL bildet, die in Abs 2 dieser beiden Artikel für subsidiär Schutzberechtigte vorgesehene Ausnahme eng auszulegen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der österreichische Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht hätte, von der in Art 28 Abs 2 und Art 29 Abs 2 der RL vorgesehenen Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung Gebrauch zu machen (vgl EuGH 24.4.2012, C-571/10, Kamberaj, Rn 86 ff).

4.8. Schließlich ist festzustellen, dass die im 34. Erwägungsgrund der RL 2004/83/EG enthaltene Verweisung auf das nationale Recht nur die Modalitäten der Gewährung der fraglichen Leistungen betrifft, dh die Festlegung der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Leistungen und der Höhe dieser Leistungen sowie der entsprechenden Verfahren (vgl EuGH 24.4.2012, C-571/10, Kamberaj, Rn 89).

4.9. Die Bedeutung und die Tragweite des Begriffs „Kernleistungen“ iSd Art 28 Abs 2 und 29 Abs 2 der RL 2004/83/EG sind daher unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem dieser Begriff verwendet wird, und des mit dieser RL verfolgten Ziels zu ermitteln, das nach Erwägungsgrund Nr 6 der RL im Wesentlichen darin liegt, einerseits ein Mindestmaß an Schutz in allen Mitgliedstaaten für Personen zu gewährleisten, die tatsächlich Schutz benötigen, und andererseits sicherzustellen, dass allen diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten wird, wobei es insb zur Vermeidung sozialer Härtefälle angezeigt ist, diesen schutzbedürftigen Personen ohne Diskriminierung im Rahmen der Sozialfürsorge angemessene Unterstützung in Form von Sozialleistungen und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren (vgl Erwägungsgrund Nr 33).

4.10. Art 28 und 29 der RL 2004/83/EG betreffen in ihrem Zusammenhang Fragen des Inhalts des internationalen Schutzes, vor allem der mit diesem Status verbundenen Rechte. Der EuGH betont in stRsp das Gebot der einheitlichen Anwendung und Auslegung des Rechts der Union, da dies zu größerer Rechtssicherheit beiträgt (vgl EuGH 21.12.2011, C-424/10und C-425/10, Ziolkowski uaund Szeja, Rn 34 mwN). Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der EuGH in den Rs Jauchund Hossesowohl das Bundes- als auch das Landespflegegeld den Leistungen bei Krankheit zugeordnet hat und auch der österreichische Gesetzgeber bei der Neufassung des anspruchsberechtigten Personenkreises nach § 3a BPGG durch das PflegegeldreformG 2012, BGBl I 2011/58, von dieser europarechtlichen Zuordnung des Pflegegeldes zu den Leistungen bei Krankheit ausgegangen ist (vgl RV 1208 BlgNR 24. GP 9).

5. Da Pflegegeld somit europarechtlich eine Leistung bei Krankheit darstellt und der Terminus „Kernleistungen“ jedenfalls auch die „Unterstützung bei Krankheit“ umfasst, haben subsidiär Schutzberechtigte gem § 3a Abs 2 Z 1 BPGG iVm Art 28 RL 2004/83/EG Anspruch auf Pflegegeld, weil sich ein Anspruch auf Gleichstellung mit österreichischen Staatsbürgern aus dem Unionsrecht ergibt (in diesem Sinne auch Peyrl, Der Anspruch von subsidiär Schutzberechtigten auf Pflegegeld, ÖZPR 2013/77, 111; Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld3 Rz 114). Diese Beurteilung trägt auch dem Umstand Rechnung, dass gerade der Personenkreis der subsidiär Schutzberechtigten auf Grund der Lebensumstände besonders schutzwürdig ist und diese Personen durch den Eintritt einer Pflegebedürftigkeit keinen zusätzlichen Nachteil erleiden sollen. [...]

Anmerkung

In vorliegender E untersucht der OGH, ob subsidiär Schutzberechtigte iSd § 8 Abs 1 AsylG 2005 Anspruch auf Pflegegeld nach dem BPGG haben. Der erkennende Senat bejaht diese Frage unter Berufung auf § 3a Abs 2 Z 1 BPGG, da sich eine Gleichstellung von subsidiär Schutzberechtigten mit österreichischen Staatsbürgern aus dem Unionsrecht, in concreto der RL 2004/83/EG (sogenannte „Status-RL“) ergebe.

Nach Art 28 und 29 der Status-RL sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, subsidiär Schutzberechtigten notwendige Sozialhilfe und Zugang zur medizinischen Versorgung zu denselben Bedingungen wie für die eigenen Staatsangehörigen zu gewähren. Auch wenn die Mitgliedstaaten in Abs 2 der Art 28 und 29 der Status-RL ermächtigt werden, den Zugang zu Sozialhilfe und medizinischer Versorgung auf Kernleistungen einzuschränken, soll sich die Gleichstellungsverpflichtung nach den Erwägungsgründen jedenfalls auf Unterstützung bei Krankheit beziehen. Da das Pflegegeld436 aufgrund stRsp des EuGH und nunmehr auch nach der systematischen Einordnung von Kollisionsregelungen betreffend das Pflegegeld in der VO 883/2004/EG als „Leistung bei Krankheit“ einzustufen ist (EuGH 8.3.2001, C-215/99, Jauchsowie EuGH 21.2.2006, C-286/03, Hosse), sind subsidiär Schutzberechtigte auch bezüglich des Pflegegeldes nach dem BPGG gleichzustellen.

Im Ergebnis ist der E des OGH vollinhaltlich zuzustimmen, die Begründung erweist sich jedoch bei näherer Betrachtung als ergänzenswert. Der OGH bejaht den Anspruch der Kl auf Pflegegeld gem § 3a Abs 2 Z 1 BPGG iVm Art 28 RL 2004/83/EG. Er qualifiziert damit offenkundig die Status-RL, die die Mitgliedstaaten zur Gleichstellung subsidiär Schutzberechtigter bei der medizinischen Versorgung verpflichtet, als eine unionsrechtliche Regelung iSd § 3a Abs 2 Z 1 BPGG, „aus der sich eine Gleichstellung für Fremde ergibt“ (der erkennende Senat stützt sich dabei ua auf die Ausführungen von Peyrl, Der Anspruch von subsidiär Schutzberechtigten auf Pflegegeld, ÖZPR 2013, 111). § 3a Abs 2 Z 1 BPGG ist in seiner Allgemeinheit jedenfalls auslegungsbedürftig. Der OGH geht auf dogmatische Fragen an der Schnittstelle zwischen nationalem Recht und Unionsrecht, die sich bei näherer Betrachtung stellen, nicht ein.

1.
§ 3a Abs 2 Z 1 BPGG als Umsetzungsmaßnahme der RL 2004/83/EG?

EU-Richtlinien sind bekanntlich, im Gegensatz zu Verordnungen, lediglich hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, während den Mitgliedstaaten die Wahl der Form und der Mittel der Umsetzung überlassen bleibt (Vcelouch in

Mayer/Stöger
[Hrsg], EUV/AEUV, Art 288 AEUV, Rz 40). Richtlinien müssen daher von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden, um dem Einzelnen Ansprüche zu verleihen. Die Status-RL selbst stellt daher subsidiär Schutzberechtigte nicht mit den Staatsbürgern der Mitgliedstaaten gleich, da sie grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung für Einzelpersonen entfaltet (zur Ausnahme der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien siehe unten Pkt 3).

Im Dunklen bleibt, ob der OGH im konkreten Fall davon ausgeht, dass § 3a Abs 2 Z 1 BPGG eine Umsetzungsmaßnahme der RL 2004/83/EG ist, da er den Anspruch der Kl auf § 3a Abs 2 Z 1 iVm Art 28 RL 2004/83/EG stützt. Der Gesetzgeber verweist in dieser Bestimmung lediglich pauschal auf allfällige unionsrechtliche Vorschriften, die eine Gleichstellung von Fremden mit Staatsbürgern vorsehen. Aus den Materialien (ErläutRV 1208 BlgNR 24. GP 9) lässt sich nicht ableiten, dass die Einführung des § 3a Abs 2 Z 1 BPGG als Umsetzungsmaßnahme der Status-RL gedacht war. Die Materialien halten zwar zunächst allgemein fest, dass diese Bestimmung als „Auffangtatbestand“ für all jene Fälle gedacht ist, die nicht schon unter Z 2 bis 4 subsumiert werden können, nennen in ihrer beispielsweisen Aufzählung allerdings ausschließlich unionsrechtliche Regelungen, die unmittelbar anwendbar sind, dh Fälle, in denen sich die Gleichstellung bereits aus dem Unionsrecht unmittelbar ergibt (VO 883/2004 und Beschluss Nr 1 des Assoziationsabkommens EG-Türkei).

Aus unionsrechtlicher Sicht genügt § 3a Abs 2 Z 1 BPGG jedoch keinesfalls den Anforderungen einer ausreichenden Richtlinienumsetzung:

Nach Rsp des EuGH reicht es zur Richtlinienumsetzung gerade nicht aus, wenn ein „Umsetzungsakt“ bloß auf das Unionsrecht im Allgemeinen verweist (EuGH 20.3.1997, C-96/95, Kommission/Deutschland). Eine Umsetzungsvorschrift muss im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nicht nur verbindlich, sondern auch hinreichend klar und bestimmt sein, sodass der Einzelne von den Ansprüchen, die die RL 2004/83/EG einräumt, Kenntnis erlangen kann, um diese allenfalls gerichtlich durchzusetzen (Vcelouch in

Mayer/Stöger
[Hrsg], EUV/AEUV, Art 288 AEUV, Rz 55 sowie auch Biervert in
Jürgen Schwarze
[Hrsg], EU-Kommentar, Art 288 AEUV, Rz 28). Des Weiteren erfüllt § 3a Abs 2 Z 1 BPGG auch nicht die Anforderungen, die die RL 2004/83/EG selbst für den nationalen Umsetzungsakt statuiert: Gem Art 38 Abs 1 RL 2004/83/EG müssen die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der RL entweder in der Vorschrift selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese RL Bezug nehmen. Unterlässt der nationale Gesetzgeber solch einen Hinweis, erachtet der EuGH das als mangelhafte Richtlinienumsetzung (EuGH 27.11.1997, C-137/96, Kommission/Deutschland). Weder im BPGG selbst noch in den Materialien zum § 3a BPGG (ErläutRV 1208 BlgNR 24. GP 8, 9) ist ein entsprechender Hinweis auf die RL 2004/83/EG enthalten.

Insgesamt ergibt sich also, dass § 3a Abs 2 Z 1 BPGG aus unionsrechtlicher Sicht (zum Verfassungsrecht siehe Pkt 2) nicht die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Richtlinienumsetzung erfüllt.

2.
Richtlinienkonforme Interpretation?

Die Organe des Mitgliedstaates trifft die Pflicht, dem EU-Recht so weit wie möglich iSd effet utile zur Wirksamkeit zu verhelfen. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung besteht gem Art 288 AEUV für das gesamte mitgliedstaatliche Recht, unabhängig davon, ob der Mitgliedstaat mit einer Regelung gezielt die RL umsetzen wollte (EuGH 24.1.2012, C-282/10, Dominguez). Es ist daher zu prüfen, ob § 3a Abs 2 Z 1 BPGG richtlinienkonform so ausgelegt werden kann, dass die Ziele der RL erreicht werden (Vcelouch in

Mayer/Stöger
[Hrsg], EUV/AEUV, Art 288 AEUV, Rz 60). Zur richtlinienkonformen Auslegung hat das Gericht die nach dem mitgliedstaatlichen Recht anerkannten Auslegungsmethoden heranzuziehen, bis zur Grenze der contra legem Auslegung. Da § 3a Abs 2 Z 1 BPGG unbestimmt formuliert ist („Gleichstellung, die sich aus dem Unionsrecht ergibt“), lässt sich der Gesetzestext zunächst nicht nur so interpretieren, dass dieser einen Anspruch von Personen auf Pflegegeld festhält, die diesen bereits aufgrund unmittelbar unionsrechtlicher Regelung haben, sondern auch, dass er einen solchen Anspruch selbst normiert, sollte dies aufgrund von Richtlinien oder anderen nicht unmittelbar anwendbaren unionsrechtliche Regelungen notwendig sein.

Problematisch ist allerdings, ob der richtlinienkonformen Auslegung des § 3a Abs 2 Z 1 BPGG nicht das Bestimmtheitsgebot des Art 18 B-VG entgegensteht.437 Allgemeine Verweise auf das Unionsrecht sind problematisch, da sie eine konkrete – dem Bestimmtheitsgebot des Art 18 Abs 2 B-VG genügende – Vorschrift einer RL zum Gegenstand haben müssten, um den innerstaatlichen Anforderungen an die Normsetzung zu genügen (Vcelouch in

Mayer/Stöger
[Hrsg], EUV/AEUV, Art 288 AEUV, Rz 52; Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht5 [2013] 117). Selbst wenn die Verweisungsnorm auf bestimmte Richtlinien oder Teile davon verweist, bleibt Voraussetzung für die Verfassungskonformität, dass die Richtlinienbestimmungen, auf die verwiesen wird, im Zusammenwirken mit der innerstaatlichen Verweisungsnorm inhaltlich den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit von Rechtsvorschriften gem Art 18 B-VG genügen (Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht5 117). Im vorliegenden Fall wird nicht einmal auf die Status-RL verwiesen, sondern auf das Unionsrecht allgemein. Zusammengefasst spricht viel dafür, dass § 3a Abs 2 Z 1 BPGG verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen ist, dass er lediglich Gleichstellungstellungsansprüche erfasst, die sich bereits aus unmittelbar anwendbaren Normen des Unionsrechts ergeben.

3.
Unmittelbare Wirkung der RL 2004/83/EG?

Da die Status-RL in Österreich nicht umgesetzt worden ist, ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob sie nicht unmittelbar anzuwenden ist. Richtlinien entfalten nach Rsp des EuGH ausnahmsweise unmittelbare Wirksamkeit, wenn der Mitgliedstaat bei der Umsetzung säumig ist, die RL inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist und den Einzelnen begünstigt (Vcelouch in

Mayer/Stöger
[Hrsg], EUV/AEUV, Art 288 AEUV, Rz 69). Die Frist zur Umsetzung der Status-RL ist abgelaufen, da diese bis zum 10.10.2006 umzusetzen gewesen wäre (Art 38 Abs 1 RL). Der österreichische Gesetzgeber hat gerade nicht, wie die RL dies vorsieht, eine Gleichstellung von subsidiär Schutzberechtigten mit österreichischen Staatsbürgern hinsichtlich des Bezugs von Pflegegeld vorgenommen. Die Status-RL ist des Weiteren inhaltlich unbedingt und hinreichend genau gestaltet, da den Mitgliedstaaten kaum Spielraum bei der Umsetzung gestattet ist. Subsidiär Schutzberechtigte müssen beim Zugang zur medizinischen Versorgung den Staatsangehörigen gleichgestellt werden. Als zu garantierender Kernbereich sind jedenfalls Leistungen bei Krankheit zu verstehen. Dem OGH ist zuzustimmen, wenn er in Anschluss an die Judikatur des EuGH Rs Jauch, DRdA 2001, 579[Windisch-Graetz]; Rs Hosse, ZESAR 2006, 452 [Windisch-Graetz]) unter Leistungen bei Krankheit auch das Pflegegeld versteht.

Da jedoch nur die vertikale Drittwirkung (dh gegenüber dem Staat)anerkannt ist, stellt sich die Frage, ob Sozialversicherungsträger als „Staat“ im europarechtlichen Sinn anzusehen sind. Nach Rsp des EuGH besteht die unmittelbare Wirksamkeit von Richtlinien nicht nur gegenüber dem säumigen Mitgliedstaat selbst, sondern auch gegenüber Organisationen und Einrichtungen, die dem Staat oder dessen Aufsicht unterstehen oder mit besonderen Rechten ausgestattet sind (EuGH 12.7.1990, C-188/89, Foster/British Gas). Aus österreichischer Sicht trifft dies auf die unter staatlicher Aufsicht stehenden Sozialversicherungsträger jedenfalls zu, sodass der Anspruch der Kl unmittelbar auf die RL hätte gestützt werden müssen.438