Voraussetzungen für das Entstehen einer Betriebsübung
Voraussetzungen für das Entstehen einer Betriebsübung
Eine regelmäßig gewährte Zuwendung, mit der der/die AN rechnen kann, verliert den Charakter der Freiwilligkeit, wenn mangels ausdrücklicher Betonung des freiwilligen, unverbindlichen und jederzeit widerruflichen Charakters* ein Anspruch als stillschweigend vereinbart oder nach dem Ortsgebrauch als bestehend angenommen werden kann.* Wird eine derartige Leistung gegenüber einer Mehrzahl von AN erbracht, entsteht durch deren – gleichfalls schlüssige – Zustimmung eine Betriebsübung, die im Wege des § 863 ABGB zum Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge wird.* Einer Betriebsübung kommt daher keine eigene normative Wirkung zu, sondern sie erlangt „lediglich“ auf rechtsgeschäftlichem Weg rechtliche Relevanz.*
Der/die AG ist auch gegenüber AN verpflichtet, die erst später (dh nach Begründung der Betriebsübung) eingestellt oder aus der schlüssigen Vereinbarung anspruchsberechtigt werden.* Entscheidend ist (auch hier) nicht, ob die neu eintretenden AN von den Leistungen tatsächlich in Kenntnis gesetzt wurden, sondern, ob sie sich davon (infolge des tatsächlichen Bestandes der Regelungen und ihrer Handhabung) Kenntnis verschaffen können hätten.* Dass es sich beim AG um eine juristische Person des öffentlichen Rechts handelt, schließt das Entstehen einer Betriebsübung nicht aus.*
Durch eine gesetzwidrige Vorgangsweise kann kein berechtigtes Vertrauen geschaffen werden.* So sind bspw Erklärungen (und damit auch schlüssiges Verhalten) von Organen des Bundes nur innerhalb der ihnen eingeräumten, durch Gesetz oder öffentlich bekanntgemachte Vorschriften kundgemachten Vertretungsmacht verbindlich. Auch eine langjährige betriebliche Übung kann daher dann keine Ansprüche begründen, wenn sie auf einem gesetzwidrigen (weil den Kompetenzbereich überschreitenden) Handeln eines Organes beruht.* Daher können etwa die gesetzlichen Rechte und Verpflichtungen von Vertragsbediensteten nach stRsp nur unter den im Gesetz vorgesehenen Rahmenbedingungen geändert werden, weshalb eine konkludente Genehmigung einer praktizierten Übung im Anwendungsbereich des VBG ausscheidet.* Diese Einschränkung gilt aber iZm Ausgliederungen nur, wenn der öffentliche DG (im Dienstverhältnis) fortbesteht.* Daher geht etwa bei Weitergewährung von Essensbons auch nach Ausgliederung und Privatisierung der AG-Gesellschaft eine Berufung auf die aus § 36 VBG resultierenden Beschränkungen ins Leere.*
Durch Betriebsübung können bspw folgende, unmittelbar mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängende Ansprüche begründet werden:
Überstundenzuschläge (auch) für bestimmte Dienstverrichtungen (hier: „Wendezeiten am Dienstort“),*451
Bilanzgelder bzw Gewinnbeteiligungen,*
Firmenpensionen,*
Pensionszuschüsse,*
Bonuszahlungen bzw Prämien,*
Ist-Lohn-Erhöhungen,*
Höherreihungen,*
Sachbezüge,*
eine (zusätzliche) Todfallsabfertigung (hier: an Witwen),*
Biennien (hier: ab einer Dauer von zehn Dienstjahren),*
eine (als zuschlagsfreie Überstunde verrechnete, generell zuerkannte und nicht überprüfte) „Schreibstunde“,*
(andere) als Entgeltbestandteil zu qualifizierende Leistungen (hier: Ambulanzgebührenanteile),*
ein erhöhtes Urlaubsausmaß* oder
die Handhabung der Freizeitgewährung an bestimmten Tagen (zB Karfreitag, Allerseelentag oder Reformationstag).*
Ferner kann etwa die Ausfolgung von Treuebriefen, mit denen ein besonderer Kündigungsschutz eingeräumt wird, zum Gegenstand einer Betriebsübung werden.* In Betracht kommt – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen (insb eines erkennbar generalisierenden Prinzips) – aber bspw auch eine Betriebsübung, AN (erst) bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (zB Vollendung eines bestimmten Lebensalters, Anspruch auf Pension etc) zu kündigen.* Nach Auffassung des OGH kann jedoch aus dem Umstand, dass der/die AG bei der Festlegung des Urlaubs jahrelang in gleicher Weise entscheidet (hier: Bewilligung von Halbtagsurlauben iZm dem Verbrauch von Gleitzeitguthaben), kein Bindungswille, auch in Zukunft Urlaubsanträge unter Hintanhaltung allfälliger betrieblicher Erfordernisse in gleicher Weise zu bewilligen, abgeleitet werden.*
Bei nur ganz lose mit den Arbeitsleistungen zusammenhängenden Begünstigungen (sogenannte entgelt- oder verpflichtungsferne Leistungen), die erkennbar vorrangig andere Ziele verfolgen (zB Zuschüsse zu Theater- und Konzertabonnements oder 50 %-ige Ermäßigung auf die – allgemein zugänglichen – Kinderbetreuungsstätten des/der AG), verneint der OGH im Zweifel eine konkludente Bindung des/der AG, da dann, wenn die Leistungserbringung sehr stark von sozialen Kriterien abhängig gemacht wird, die Schenkungsabsicht (und damit die Unverbindlichkeit) in den Vordergrund tritt.* Als entgeltfern wurde etwa eine Begünstigung bei Benützung städtischer Einrichtungen angesehen.* Die Gewährung eines verbilligten Mittagessens stellt aber eine (vom Bestehen einer Personalkantine unabhängige) individuelle Sachleistung dar und wurde daher nicht als entgeltferne Begünstigung qualifiziert.*
Für das Entstehen einer Betriebsübung ist entscheidend, welchen Eindruck die AN bei sorgfältiger Überlegung (insgesamt) vom Verhalten des/der AG haben durften. Nicht maßgebend ist daher, ob jede/r einzelne AN tatsächlich auf die Verbindlichkeit der zuerkannten Vergünstigung vertraut hat.* Selbst wenn im Verhalten des/der AG bloß eine Wissenserklärung zum Ausdruck kommt, ist das Vertrauen des/der AN zu schützen, sofern es sich um eine dem/der AG zurechenbare Wissenserklärung über die Rechtslage handelt, der/die AN gutgläubig ist und eine nachhaltige Vertrauensposition vorliegt.* Ob auf Seiten des/der AG überhaupt ein Erklärungswille vorhanden ist, ist somit iSd Vertrauenstheorie unerheblich.*
Wie oft Entgelte ausbezahlt werden müssen, damit die konkludente Begründung eines Anspruches angenommen werden kann, lässt sich dabei nicht allgemein beantworten; eine zweimalige vorbehaltlose Auszahlung wurde aber bereits als ausreichend erachtet.*An dieses Kriterium sind bei Vorliegen einer bloßen Wissenserklärung (über die Rechtslage) zwar höhere Anforderungen zu stellen (so reicht etwa eine unrichtige Anwendung des KollV und der Zulagenordnung für einen Zeitraum von 2,25 Jahren nicht aus*), ein über sehr lange Zeit fortgesetztes Ver452halten führt aber auch in diesen Konstellationen zum Entstehen einer Betriebsübung. So bewirkt bspw eine (irrtümlich vom KollV abweichende) Berechnung der Überstundenentlohnung über 15 Jahre hindurch eine Betriebsübung.* Erst recht gilt das für die Gewährung von Zusatzurlaubstagen nach dem NSchG über einen Zeitraum von sogar nahezu 30 Jahren.* Auch eine Zuerkennung von 50 %-igen Nachtstundenzuschlägen für rund acht Jahre wurde für ausreichend erachtet.*
Zweites wesentliches Element ist die Erkennbarkeit eines generalisierenden Prinzips.* So kann bspw aus dem Umstand, dass alle Arbeiter, die sich einer Fachprüfung unterzogen haben (hier: innerhalb eines Zeitraums von acht Jahren 18 Arbeiter, davon allein acht innerhalb des letzten Jahres), vom AG vorbehaltlos als Facharbeiter umgestuft wurden, der berechtigte Schluss gezogen werden, die Umstufung sei lediglich an die Ablegung der Facharbeiterprüfung, nicht aber darüber hinaus an einen Bedarf an Facharbeitern geknüpft.* Hingegen fehlt es an einem schutzwürdigen Vertrauen, wenn eine höhere Einstufung erst nach Freiwerden einer Planstelle erfolgt und (hier: als Personenkassier bzw Call-Center-Agent) neu eingesetzte AN daher nicht erwarten durften, bereits alleine aufgrund ihrer Verwendung höher eingereiht zu werden.*
Drittens ist erforderlich, dass der/die AG tatsächlich eine (zusätzliche) Leistung erbringt. Dieses Element fehlt etwa dann, wenn für die Höhe von Prämien ua bestimmte Unternehmenskennzahlen maßgeblich sind und der/die AG zwar nur ganzzahlige Werte veröffentlicht, die dabei vorgenommenen Rundungen (aufgrund der Zwei- und Drei-Prozentsprünge) aber berechnungsneutral und somit ohne Einfluss auf die Prämienhöhe geblieben sind.*
Als dem Entstehen einer Betriebsübung entgegenstehender Umstand wurde etwa angesehen, dass über den gegenständlichen Anspruch (hier: jährliche freie Tage zu jeweils bestimmten Terminen) jedes Jahr auf Ersuchen des BR neuerlich verhandelt wurde, die Zahl der jeweils eingeräumten freien Tage (wenn auch nicht allzu großen) Schwankungen unterlag und die AN jeweils vom BR über das Ergebnis der jährlichen Verhandlungen informiert wurden, wobei der BR idR Formulierungen verwendete, mit denen das Verhandlungsergebnis als (bisweilen bloß teilweiser) Erfolg seiner Bemühungen vermittelt wurde.* Gleiches gilt, wenn die Höhe des Anspruchs (hier: jährliche gesonderte Prämienzahlungen) jeweils vom Verhandlungsergebnis abhängt,* oder wenn die AN vor Inanspruchnahme der Leistung (hier: regelmäßige zusätzliche Freizeit vor jedem Feiertag) jeweils die Genehmigung des/der AG abwarten.*
Stellt der/die AG dem BR – unabhängig von der Zahl der jeweils tatsächlich beschäftigten AN – eine bestimmte Anzahl von Freikarten zur Verfügung, auf deren Verteilung er/sie keinen Einfluss nimmt, wird keinem/keiner konkreten AN eine bestimmte Anzahl von Freikarten zugesagt, weshalb einzelnen AN daraus kein (durch Betriebsübung begründeter) Anspruch erwächst.* Dies gilt auch, wenn der/die AG Firmenparkplätze nach Maßgabe der freien Flächen einräumt, da die Leistung ebenfalls keinen bestimmten Arbeitsverhältnissen zugeordnet werden kann.* Der Umstand, dass die betreffende Leistung nicht direkt an den/die AN ausbezahlt wird (hier: direkt an den Vermieter ausbezahlter Mietzinszuschuss), hindert das Entstehen einer Betriebsübung aber nicht.*
Schließlich setzt das Entstehen einer Betriebsübung voraus, dass die begünstigten AN als redliche Erklärungsempfänger anzusehen sind. Bspw wurde die Redlichkeit in Bezug auf die Zuerkennung von Ersatzfreizeiten für Rufbereitschaft verneint, wenn die betreffenden Zeiten in den Arbeitszeitlisten und in der Lohnverrechnung keinen Niederschlag finden, sondern als normale Arbeitszeiten aufscheinen.* Gleiches gilt, wenn erkennbar ist, dass die betreffende Leistung (hier: vorzeitige Auszahlung einer erst ein Jahr später gebotenen Lohnerhöhung) auf einem Irrtum (hier: Eingabefehler einer untergeordneten Mitarbeiterin) beruht.*453