Neue EU-Richtlinie über Erwerb und Wahrung von Betriebspensionsanwartschaften
Neue EU-Richtlinie über Erwerb und Wahrung von Betriebspensionsanwartschaften
Im April 2014 wurde im EU-Parlament die „RL über die Mindestvorschriften zur Erhöhung der Mobilität von AN zwischen den Mitgliedstaaten durch Verbesserung des Erwerbs und der Wahrung von Zusatzrentenansprüchen“ beschlossen (RL 2014/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014). Vorangegangen war eine mehr als zehnjährige Diskussion.
Anlass für die Initiative sind Mobilitätshemmnisse für AN in Verbindung mit betrieblichen Pensionszusagen. In vielen Fällen führt ein Wechsel des AG zu einem Wegfall bereits erworbener Anwartschaften und damit zu einer Einschränkung der Mobilität.
Ursprünglich war das Vorhaben primär darauf ausgerichtet, AN bei Wechsel des AG einen Anspruch auf Übertragung bereits erworbener Betriebspensionsanwartschaften in das Zusatzpensionssystem des neuen AG zu eröffnen. Aus kompetenzrechtlichen Gründen wurde dabei von vornherein auf grenzüberschreitende Sachverhalte abgestellt. Abgeleitet aus dem angestrebten Übertragungsanspruch wurde das Vorhaben als „Portabilitäts-RL“ bekannt.
Der letztlich beschlossene Richtlinien-Text weicht vom ursprünglichen Vorhaben deutlich ab. Der Übertragungsanspruch (die „Portabilität“) war gegen den massiven Widerstand einiger Staaten nicht durchsetzbar. An dessen Stelle gibt es nun einen Schutz erworbener Anwartschaften beim ursprünglichen AG bzw beim zwischengeschalteten Pensionsinstitut.
Die zentralen Regelungen der neuen EU-RL sind:
Unverfallbarkeitsfristen und allfällige vorgelagerte „Wartezeiten“ sind in Summe nur bis zu einem Zeitraum von maximal drei Jahren zulässig.459
Unverfallbar gewordene Pensionsanwartschaften, die im System des alten AG verbleiben, dürfen in ihrer weiteren Wertentwicklung nicht schlechter behandelt werden als Anwartschaften von noch aktiven AN bzw – in der Auszahlungsphase – als Pensionsansprüche von anderen Leistungsempfängern. Ist in einer Pensionszusage ein Mindestalter für den Erwerb unverfallbarer Anwartschaften vorgesehen, so beträgt dieses Alter für ausscheidende AN höchstens 21 Jahre.
Es steht dem nationalen Gesetzgeber frei, im Fall der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses die Auszahlung erworbener Pensionsanwartschaften zu ermöglichen, falls der Wert der Anwartschaften eine festzulegende Grenze nicht übersteigt und der AN zustimmt.
Den AN sind auf Verlangen Auskünfte über die Folgen einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Hinblick auf Betriebspensionsansprüche zu erteilen.
Die neuen Regelungen gelten nur bei grenzüberschreitendem AG-Wechsel und nur für Anwartschaften, die ab dem Zeitpunkt der Umsetzung in nationales Recht erworben werden.
Die Umsetzung in nationales Recht hat bis spätestens 21.5.2018 zu erfolgen.
Klargestellt wird in den einleitenden Erwägungsgründen zur RL, dass „das Recht der Mitgliedstaaten, ihre Altersversorgungssysteme selbst zu gestalten, nicht in Frage gestellt“ wird. „Die Mitgliedstaaten bleiben uneingeschränkt für die Organisation dieser Systeme zuständig und sind im Zuge der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht nicht verpflichtet, Rechtsvorschriften zur Einführung von Zusatzrentensystemen zu erlassen.“ Ein Anspruch auf die Etablierung von Betriebspensionssystemen in Unternehmen, in denen es diese bisher nicht gibt, lässt sich folglich aus der RL nicht ableiten.
Absehbar ist, dass die Umsetzung der RL in den Mitgliedstaaten ohne Einschränkung auf grenzüberschreitende Sachverhalte erfolgen wird (müssen). Inhaltlich unterschiedliche Regelungen, je nachdem ob ein AG-Wechsel ins EU-Ausland oder innerstaatlich erfolgt, wären sachlich wohl kaum zu rechtfertigen. Für eine einheitliche Regelung spricht auch, dass im Zeitpunkt der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses vielfach noch keine definitive Klarheit darüber gegeben ist, ob die betroffene Person zu einem AG im Ausland wechselt oder nicht.
Vorausgesetzt die Umsetzung erfolgt ohne Einschränkung auf grenzüberschreitenden AG-Wechsel, ergeben sich in Österreich vor allem folgende Neuerungen:
Bei allen Varianten betrieblicher Pensionszusagen ergibt sich eine Änderung durch die in der RL vorgesehene Aufsummierung von „Wartezeit“ und Unverfallbarkeitsfrist und deren Limitierung mit maximal drei Jahren (als „Wartezeit“ wird in der RL die Beschäftigungszeit verstanden, die im jeweiligen Betriebspensionssystem erforderlich ist, bevor ein AN in das System eingebunden wird).
Mit der Pensionskassengesetz-Novelle 2012 wurde lediglich die maximal zulässige Unverfallbarkeitsfrist bei Pensionskassen und betrieblicher Kollektivversicherung mit drei Jahren begrenzt (für Arbeitsverhältnisse, deren vertraglich vereinbarter Beginn nach dem 31.12.2012 liegt).
Bei direkten Leistungszusagen wird die bisher im Betriebspensionsgesetz gegebene unterschiedliche Regelung der Unverfallbarkeit, je nachdem ob es sich um eine AG- oder um eine AN-Kündigung handelt, obsolet. Die RL erlaubt keine unterschiedliche Behandlung verschiedener Beendigungsarten.
Die (generelle) Begrenzung von „Wartezeit“ und Unverfallbarkeitsfrist mit maximal drei Jahren führt damit bei direkten Leistungszusagen zu einer massiven Änderung im Vergleich zum geltenden Recht.
Unverfallbare Anwartschaften, deren Wert die Abfindungsgrenze nicht übersteigt, dürfen nur mehr mit Zustimmung des AN als Einmalbetrag ausbezahlt werden.
Einschränkend ist zu beachten, dass der Wirksamkeitsbereich der EU-RL auf Anwartschaften beschränkt ist, die erst nach der Umsetzung ins nationale Recht entstehen.
Abschließend verbleibt anzumerken, dass die Zielsetzung der Beseitigung von Mobilitätshemmnissen für die AN durch die Einschränkung der genannten Fristen auf maximal drei Jahre nur bei Arbeitsverhältnissen mit entsprechender Dauer sichergestellt wird. Für die vielen AN mit nur kürzerer Dauer ihrer Arbeitsverhältnisse bleibt damit selbst bei Vorhandensein eines Betriebspensionssystems bei ihrem AG der Aufbau einer betrieblichen Zusatzpension außer Reichweite (es sei denn, der AG ist freiwillig zu einer für die betroffenen AN günstigere Regelung bereit) – ein Aspekt, der bei der Diskussion über die richtige Gesamtstruktur eines Alterssicherungssystems nicht übersehen werden sollte.460