Bringt die neue Durchsetzungs-RL zur Entsende-RL die erhofften Lösungen zum Schutz der ArbeitnehmerInnen Europas?

ChristofCesnovar (Brüssel)
Die Urteile des EuGH in den Rs Viking-Line, Laval, Rüffert und EU-Kommission gegen Luxemburg* haben bei Gewerkschaften und AN-Vertretungen ein wahres Erdbeben ausgelöst – zu Recht, wie Analysen* dies eindrucksvoll aufgezeigt haben. Quintessenz der Analysen war, dass der EuGH die sozialen Grundrechte sowie die Kollektivvertragsfreiheit und das Streikrecht den Wirtschaftsfreiheiten unterordne und dies somit den Interessen der AN zuwiderlaufe. In allen vier Fällen spielte die Entsende-RL* und damit die Umsetzung und praktische Auslegung eine maßgebende Rolle. Die EU-Kommission nahm dies zum Anlass, einen neuen Richtlinienvorschlag zur Durchsetzung der RL 96/71/EG über die Entsendung von AN im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vorzulegen,* um künftig einen angemessenen Mindestschutz der Rechte entsandter AN zu gewährleisten – eine komplette Revision der RL, wie sie zB der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) forderte, lehnte die EU-Kommission aus unterschiedlichen Gründen ab.
    Übersicht
  1. Hintergrund zur Verabschiedung der Entsende-RL 96/71/EG

  2. Die Kernpunkte der Durchsetzungs-RL zur Entsende-RL

  3. Der lange und steinige Weg zur Einigung

1.
Hintergrund zur Verabschiedung der Entsende-RL 96/71/EG

Lange vor der Verabschiedung der Entsende-RL hatte die Frage, in welchem Ausmaß nationale arbeitsrechtliche Bestimmungen auf AN ausländischer DienstleisterInnen angewendet werden können, zu beträchtlichen Kontroversen geführt. Mit der Verabschiedung der Entsende-RL wollte man daher gewährleisten, dass die Rechte und Arbeitsbedingungen entsandter AN in der gesamten EU geschützt sind, und um „Sozialdumping“ zu vermeiden – dh die Unterbietung von Preisen auf lokalen Märkten durch ausländische DienstleisterInnen, deren Arbeitsnormen weniger streng sind –, sieht das EU-Recht eine Reihe von Vorschriften zu den allgemeinen Arbeitsbedingungen entsandter AN vor. Laut diesen Vorschriften müssen die für inländische AN geltenden Normen im Gastland auch auf entsandte AN angewandt werden. Die meisten bindenden Vorschriften über die Entsendung von AN betreffen die Mindest- bzw Höchstgrenzen für Arbeits- und Pausenzeiten, bezahlten Urlaub, Entlohnung, Gleichbehandlung von Frauen und Männern sowie die Bedingungen für das Ausleihen von AN, insb die Bereitstellung von AN über Zeitarbeitsfirmen. Das EU-Recht sollte somit den freien Wettbewerb und die Einhaltung der Rechte entsandter AN gewährleisten und Unternehmen und AN damit einen festen Rahmen vorgeben, in dem sie die Vorteile des Binnenmarkts voll ausschöpfen können. Doch der feste Rahmen wurde seit den Urteilen des EuGH in den Rs Viking-Line, Laval, Rüffert und EU-Kommission gegen Luxemburg vollständig durchbrochen, sodass auch die EU-Kommission anerkannte, dass es Klärungsbedarf gab.

Die Debatte spitzte sich im Wesentlichen auf zwei Punkte zu:

Der erste betraf die Festlegung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen dem Recht der Gewerkschaften auf kollektive Maßnahmen, einschließlich des Streikrechts, und den im Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) verankerten wirtschaftlichen Freiheiten, vor allem der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit. Bei dem zweiten ging es um die Auslegung einiger zentraler Bestimmungen der RL 96/71/EG, zB das Konzept der öffentlichen Ordnung, den materiellen Anwendungsbereich der von der RL vorgegebenen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen und das Wesen der zwingenden Vorschriften, insb zum Mindestentgelt.

Nach intensiven Konsultationen aller betroffenen Stakeholder kam die EU-Kommission zum Schluss, dass es zu keinem Aufschnüren, sprich einer Revision der bisherigen RL, kommen soll, sondern vielmehr mit einer Durchsetzungs-RL zur Entsende-RL das Auslan461gen gefunden werden kann. Damit soll die ordnungsgemäße Um- und Durchsetzung der Entsende-RL den Schutz der Rechte der entsandten AN verbessern, mehr Klarheit über die Rechte und Pflichten der DienstleistungserbringerInnen sowie der einzelstaatlichen Behörden geschaffen werden und zudem dazu beitragen, die Umgehung geltender Vorschriften zu verhindern. Gleichzeitig wird der Schutz der Rechte entsandter AN und die Beseitigung ungerechtfertigter Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr gewährleistet. Eine Überarbeitung der Entsende-RL, wie sie zB der EGB und einige Fraktionen im Europäischen Parlament forderten, um ua einen Verweis auf das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ aufzunehmen und dem „Aufnahmemitgliedstaat“ die Möglichkeit zu geben, günstigere Bedingungen anzuwenden als den Kern der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die gem Art 3 Abs 1 der RL einzuhalten sind sowie die Aufnahme eines „Protokolls über den sozialen Fortschritt“ in den Vertrag, um grundlegenden Sozialrechten den Vorrang gegenüber wirtschaftlichen Freiheiten einzuräumen, wurde von der EU-Kommission abgelehnt.

2.
Die Kernpunkte der Durchsetzungs-RL zur Entsende-RL

Die von der EU-Kommission am 21.3.2012 vorgelegte Durchsetzungs-RL zur Entsende-RL* soll, wie bereits ausgeführt, die Art und Weise verbessern, wie die Entsende-RL von 1996 in der Praxis angewendet wird, ohne deren Bestimmungen zu ändern. Grundlage des Vorschlages ist ein Paket regulatorischer Maßnahmen für Durchführung, Monitoring und Durchsetzung der Mindestarbeitsbedingungen, das auch den Umgang mit Missbrauch von Entsendungen zur Umgehung von Rechtsvorschriften, kombiniert mit nicht-regulatorischen Maßnahmen zur Lösung von Problemen auf Grund der kontroversen oder unklaren Auslegung der gem der RL 96/71/EG einzuhaltenden Beschäftigungsbedingungen, umfasst.

Als einen der Kernpunkte enthält der Vorschlag eine beispielhafte, nicht erschöpfende Aufzählung von qualitativen Kriterien/Tatbestandsmerkmalen, die sowohl typisch sind für den vorübergehenden Charakter der Entsendung im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen als auch für das Bestehen einer echten Verbindung zwischen dem AG und dem Mitgliedstaat, aus dem der AN entsandt wird. Damit will man versuchen, die „kreative Nutzung“ der RL 96/71/EG in Fällen zu vermeiden, in denen keine ordnungsgemäße Entsendung iSd RL vorliegt. Weiters sind zum wirksamen Schutz der AN-Rechte auch nationale Prüfungen und Kontrollmaßnahmen vorgesehen, die zur Ausübung der allgemeinen Überwachungspflicht von Behörden in Bezug auf die Einhaltung materiell-rechtlicher, durch das allgemeine Interesse gerechtfertigter, Verpflichtungen notwendig sind.* Die EU-Kommission verfolgt dabei den Ansatz eines abschließenden Katalogs an Kontrollmaßnahmen, die die Mitgliedstaaten ausüben dürfen und will mit dem Vorschlag daher kodifizieren und eindeutig klären, welche Anforderungen mit Verpflichtungen gem EU-Recht vereinbar sind und welche nicht. Auch ein wirksames Beschwerdeverfahren ist vorgesehen, damit entsandte AN Beschwerden direkt oder über bezeichnete dritte Stellen, wie zB Gewerkschaften, einlegen können. Interessant ist, dass man mit dem Ansatz einer gesamtschuldnerischen Haftung dem Problem der Unterauftragsketten, die in der EU vor allem im Baugewerbe weit verbreitet sind, Einhalt gebieten will. Denn es gilt längst als erwiesen, dass in einer Reihe von Fällen entsandte AN ausgebeutet werden und ein Teil oder das gesamte Entgelt, auf das sie gem der RL 96/71/EG Anspruch haben, nicht bezahlt wird.

Das EU-Parlament forderte in mehreren Anfragen* an die EU-Kommission, dass ein Rechtsinstrument zur gesamtschuldnerischen Haftung auf EU-Ebene geschaffen werden soll. Der Vorschlag der Kommission entsprach der Forderung und enthält nun spezielle Bestimmungen zu den Verpflichtungen und zur (gesamtschuldnerischen) Haftung des Auftragnehmers im Hinblick auf die Einhaltung der relevanten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen entsandter AN durch Unterauftragnehmer. Der Schwerpunkt liegt auf Präventivmaßnahmen in Kombination mit der Option, dass Mitgliedstaaten, die dies möchten, weitergehende Systeme der gesamtschuldnerischen oder der Kettenhaftung beibehalten oder einführen können. Die Bestimmungen sind jedoch auf das Baugewerbe beschränkt, aber auch hier eröffnet man den Mitgliedstaaten die Option, dies auf andere Branchen auszudehnen. Das vorgeschlagene System gesamtschuldnerischer Haftung ist auf Fälle unmittelbarer Unterauftragnehmer im Baugewerbe beschränkt, also auf den Sektor mit den meisten Fällen von Nichtzahlung von Löhnen und Gehältern. Auftragnehmer, die ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen, können nicht haftbar gemacht werden. Abschließend formuliert die Kommission die Standardbestimmung über Sanktionen bei Verstößen, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein sollten.

3.
Der lange und steinige Weg zur Einigung

Der Vorschlag zur Durchsetzungs-RL wurde zwar von vielen Seiten begrüßt, jedoch auch kritisiert. Das Europäische Parlament und der Rat als gleichberechtigte Gesetzgeber brauchten daher mehr als zwei Jahre, um einen gangbaren Kompromiss zu finden. Teilweise lagen die Vorstellungen der Co-Gesetzgeber so weit auseinander, dass mit einer Einigung nicht zu rechnen war. Das EU-Parlament konnte sich dann aber doch in informellen Verhandlungen mit dem Rat auf wesentliche Punkte einigen. So wurde zB der von der EU-Kommission ursprünglich vorgeschlagene Ansatz eines abschließenden Katalogs an Kontrollmaßnahmen, die die Mitgliedstaaten ausüben dürfen,462 um die Bedingungen der Entsendung zu überprüfen, in eine „offene Liste“ verändert. Damit können nationale Behörden nun nicht nur schon bestehende Maßnahmen, sondern auch neue Maßnahmen durchführen, müssen diese aber der EU-Kommission mitteilen. Weiters konnte beim gefunden Kompromiss der Begriff „Entsendung“ geklärt werden, um die Ausbreitung von Briefkastenfirmen zu unterbinden, die keinerlei echte Wirtschaftstätigkeit im Herkunftsmitgliedstaat ausüben und die Entsendung zur Umgehung von Gesetzen nutzen. Auch wurde die Definition von Scheinselbstständigkeit klarer gefasst. Einigen konnte man sich auch darauf, dass Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen können, sodass – in Unterauftragsketten – der Auftragnehmer, dessen direkter Unterauftragnehmer der AG iSd Art 1 Abs 3 der RL 96/71/EG ist, neben dem oder an Stelle des AG von dem entsandten AN in Bezug auf ausstehende Entgelte haftbar gemacht werden kann.* Für das Baugewerbe sind diese Vorgaben bindend. Die EU-Staaten können diese Klausel aber auch auf andere Wirtschaftszweige anwenden. Bei der gesamtschuldnerischen Haftung ist negativ anzumerken, dass sich die Haftung nicht über die gesamte Subunternehmerkette erstreckt. Das Europäische Parlament wollte dies unbedingt, doch der Rat weigerte sich beharrlich und setzte sich letztendlich durch. Für Österreich bedeutet dies, dass das bereits in Kraft stehende Lohn- und SozialdumpingbekämpfungsG weiterhin angewendet werden kann und es damit besser gerüstet ist als viele andere Mitgliedstaaten.

Nach harten und langen Verhandlungen wurde die RL zur Durchsetzung der RL 96/71/EG über die Entsendung von AN im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen* am 28.5.2014 im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Nun sind die Mitgliedstaaten am Zug, denn sie müssen die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen, die erforderlich sind, um die RL bis zum 18.6.2016 umzusetzen.

Abschließend ist anzumerken, dass der zwischen EU-Parlament und Rat erzielte Kompromiss ein erster Schritt in die richtige Richtung ist, aber offen lässt, ob sich nicht die Urteile des EuGH, wie in den Rs Viking-Line, Laval, Rüffert und EU-Kommission gegen Luxemburg wiederholen könnten. Um dem entgegenzuwirken und den entsandten AN einen effektiven Schutz zu gewähren, bedarf es einer Revision der Entsende-RL, die den Erfordernissen des 21. Jahrhunderts entspricht. Die neu zu bestellende EU-Kommission wird sich dazu etwas überlegen müssen, denn die AN-Vertretungen werden weiter darauf beharren.463