ThüsingArbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz

2. Auflage, C. H. Beck Verlag, München 2013 XXI, 489 Seiten, kartoniert, € 49,–

Barbara Trost (Linz)

Gregor Thüsing beweist mit dem vorliegenden Buch wieder einmal, wie wichtig es ist, gründlich und bis ins Detail von Anfang bis Ende zu lesen, ehe man eine Bewertung eines wissenschaftlichen Werks zu Papier bringt, findet sich doch Maßgebliches manchmal in scheinbaren Randthemen und schärft dieses dann doch den Blick auf das Ganze.

Das Werk zum Antidiskriminierungsrecht liegt hier in zweiter Auflage vor und sollte, schon weil Gegenstand, Aufbau, Themen und Bearbeitung im Wesentlichen gleich geblieben sind, nichts von seiner Bedeutung eingebüßt haben. Freilich ist einschränkend anzumerken, dass mittlerweile schon aufgrund der Vielzahl aktuell neu aufgelegter großer Kommentierungen – Bauer/Göpfert/Krieger, Däubler/Bertzbach, Schleusener/Suckow/Voigt, um nur einige zu nennen – Thüsings Antidiskriminierungsrecht in der zweiten Auflage naturgemäß nicht mehr die seinerzeitige De-Facto-Monopolstellung auf dem Gebiet des deutschen Gleichbehandlungsrechts zukommt. Umso wichtiger erscheint es, vor dem Hintergrund so mancher tief greifender gesellschaftlicher und rechtlicher Entwicklungen und des fortgeschrittenen wissenschaftlichen Diskurses die Notwendigkeit, Wichtigkeit und Qualität dieser Neuauflage auf den Prüfstand zu stellen.

„Gleichheit und Gerechtigkeit scheinen untrennbar verbunden, sie bedingen und bewirken einander: ...“ – so beginnt Thüsing im Vorwort seine Betrachtungen zur Unumgänglichkeit des Antidiskriminierungsrechts und zeigt zugleich durchgängig und nicht nur in den einleitenden Bemerkungen, dass ihm, so wie den meisten Menschen, die das Antidiskriminierungsrecht in das Zentrum ihrer Betrachtungen stellen, offenbar diese Suche nach Gerechtigkeit auch ein persönliches Anliegen ist. Nicht bereits in der Einleitung, sondern vor allem im weiteren Inhalt wird deutlich, welche Gefahren das höchstpersönliche Interesse an der Gerechtigkeit mit sich bringen kann, zumal dieses speziell im Kontext mit Themen rund um die Gleichbehandlung immer auch ein von subjektiven Wertungen Geprägtes ist. Dem ist prinzipiell nichts entgegenzuhalten, sofern ein wissenschaftliches Werk auch durchgängig den Regeln der Wissenschaftlichkeit folgt. Genau vor diesem Hintergrund wurde sodann die Neuauflage gelesen und beurteilt.

Von der ersten zur zweiten Auflage ist das Buch um 70 Seiten Umfang angewachsen, das Format ist ein größeres, ebenso das Schriftbild, was das Lesen angenehmer macht und zugleich die Neugier erweckt, worin nun der inhaltliche Zuwachs besteht. Tatsächlich sind Struktur und Aufbau im Wesentlichen gleich geblieben. Dazu gekommen sind die notwendigen Ergänzungen aufgrund der europäischen Rechtsänderungen. Gelungen ist diesbezüglich das Kapitel über Equal pay und Equal treatment bei Leiharbeit (Rz 832 ff), in dem die Gesetzesänderung aus 2011 (Übernahme der Grundsätze der RL 2008/104/EG) eingearbeitet wurden. Weniger überzeugend hinsichtlich der Aktualität erscheinen andere Passagen, wie etwa in der Einleitung A. VI. zur Bedeutung des Diskriminierungsschutzes für die Entwicklung des Arbeitsrechts. Hier wird in Rz 72 ff der Text der Vorauflage (dort Rz 71 ff) wörtlich übernommen. Es befremdet, wenn es dort (Rz 72) sieben Jahre nach Inkrafttreten des AGG heißt: „Wesentlicher Effekt des AGG wird nicht so sehr sein, ...“. Hier dürfte sich der Käufer und Leser der Neuauflage wohl erwarten, zu erfahren, welcher Effekt tatsächlich während der vergangenen Jahre zu beobachten gewesen war. Reflexartig sucht man in der Folge im nämlichen Kapitel dennoch nach Hinweisen auf eine Einarbeitung aktuellen Materials – in diesem Abschnitt vergeblich (vgl insb Rz 76 zur spannenden Frage der Altersdiskriminierung – der Hinweis auf weitere Ausführungen in Rz 425 ff tröstet hier nur mäßig).

Misstrauisch geworden mag man nun umso intensiver nach eingearbeiteter neuer Literatur in den übrigen Kapiteln suchen und stellt zunächst befriedigt fest, dass mindestens in den Literaturübersichten vor den einzelnen Kapiteln die Zeit seit dem Erscheinen der Vorauflage durchaus gründlich berücksichtigt wurde. Dabei finden sich, anders als in der Erstauflage, in der Literaturübersicht am Beginn des Teils 1 nun nur mehr die Kommentare, während bei den übrigen Kapiteln nur die Artikel in Fachzeitschriften und Sammelbänden aufgelistet sind. Vor allem bei jenen Themen, die im Zuge des gesellschaftspolitischen Diskurses nicht nur einem468 tatsächlichen Wandel, sondern auch einem solchen in der rechtlichen Beurteilung unterliegen, war daher mit Spannung darauf zu achten, in welcher Weise (auch) die Kommentarmeinungen in die wissenschaftliche Bearbeitung Eingang gefunden haben. Dabei zeigt sich, dass dies reduzierter geschieht, je enger die jeweilige Thematik nach der Natur der Sache mit Weltanschauung verbunden ist, wie eben insb auch die Interpretation des Begriffs „Weltanschauung“ (Rz 194 ff). Zur gewünschten engen Interpretation benötigt der Autor hier vergleichsweise wenig Auseinandersetzung mit der bestehenden Meinungsvielfalt, verweist pauschal auf andere nationale Rechtsordnungen, die politische Meinungen für schützenswert erachten, und präsentiert demgegenüber schließlich in Rz 199 sein Ergebnis schlicht, klar und ohne weitere Begründung. Als selektiv muss auch die Literaturauswahl in anderen „weltanschaulichen“ Fragen bezeichnet werden, wie etwa wenn es um die mögliche Rechtfertigung von Privilegierungen der Ehe gegenüber Lebenspartnerschaften geht (Rz 349). In den Kapiteln Teil 1 E. II. und VI. tritt besonders stark zutage, dass die eingangs angesprochene Suche nach Gerechtigkeit bei Thüsing mitunter sowohl Recht als auch Argumentation als verzichtbar erscheinen lässt, werden doch etwa in E. II. Rz 348 zum Thema Kündigung von AN im kirchlichen Dienst wegen Homosexualität zwei Entscheidungen des BAG aus den Jahren 1983 und 1984 zitiert und erklärt der Autor nach kurzer Erwähnung, dass zwischenzeitlich das AGG in Kraft getreten sei, ohne weitere Begründung und ohne jegliche Auseinandersetzung mit der umfassenden Literatur (vgl zB zum Umsetzungsdefizit in Deutschland ua Schlachter in ErfK13 [2013]; Stein in

Rust/Falke
[Hrsg], AGG [2007] § 9 Rz 100; Däubler/Bertzbach, AGG2 [2008; mittlerweile bereits 3. Auflage 2013] § 9 Rz 6 uam; vgl im Übrigen anschaulich und übersichtlich Wakolbinger, Was heißt denn hier normal? Ausgewählte Fragen zum Antidiskriminierungsrecht: Religion, Weltanschauung, sexuelle Orientierung, ethnische Zugehörigkeit [2011] 205 ff, mit Bezugnahme zum österreichischen GlBG), diese Rsp habe „unverändert Bestand“. Deutlicher wird Thüsing unter E.VI., wo die Benachteilung wegen der Religion durch kirchliche AG im Vordergrund steht. Für das Ergebnis, es sei kirchlichen AG jedenfalls erlaubt, AN wegen deren Homosexualität zu kündigen, hält sich der Autor nicht mit der mittlerweile stattlichen Zahl sorgfältig begründeter Gegenmeinungen auf und trifft eine sorgfältige Auswahl von Bruchstücken möglicherweise unterstützender Aussagen, während er KritikerInnen zu 100 % unerwähnt lässt. Die „Begründung“ fasst er in Rz 489 in einem aussagekräftigen Satz zusammen: „Niemand – oder doch niemand, der sich innerhalb der Grenzen des wissenschaftlichen Diskurses bewegen will – wird behaupten, die Kündigung Verpartneter [Schreibfehler im Original] widerspreche dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, vergleichbar dem Bordellkauf, dem Glücksspiel, der Bestechung.“ Mangels einer Erwähnung jener, die wissenschaftlich begründete Gegenmeinungen publiziert haben, ist die pauschale Herabwürdigung wenigstens keine persönliche Beleidigung.

Es bleibt nach der Lektüre insgesamt ein bitterer Nachgeschmack: Weltanschaulich geprägte Suche nach Gerechtigkeit läuft Gefahr, von der Wissenschaftlichkeit abzugleiten. Und: Jedenfalls solange Eklektizismus keine geschützte Weltanschauung ist, sollte diese Haltung auch nicht die Literaturauswahl bei wissenschaftlicher Arbeit prägen.