KlockeDer Unterlassungsanspruch in der deutschen und europäischen Betriebs- und Personalverfassung
Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2013, 397 Seiten, € 84,90
KlockeDer Unterlassungsanspruch in der deutschen und europäischen Betriebs- und Personalverfassung
Das vorliegende Buch erschien im Jahr 2013 als 318. Band der Reihe „Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht“ des Verlags Duncker & Humblot. Die Arbeit setzt sich thematisch mit der Existenz eines Unterlassungsanspruchs in der deutschen und europäischen Betriebs- und Personalverfassung auseinander. Gefragt wird also, ob Belegschaftsorgane die Durchführung beteiligungspflichtiger Maßnahmen bis zu ihrer ordnungsgemäßen Beteiligung untersagen können. In der österreichischen wissenschaftlichen Diskussion findet dieses Thema trotz seiner Relevanz für die Praxis in Teilen bis dato eher wenig Beachtung (aus jüngerer Zeit vgl Kodek, DRdA 2011, 517 ff zu einstweiligen Verfügungen zur Sicherung des Informationsanspruchs des BR nach den §§ 108, 109 ArbVG bei beabsichtigten Betriebsänderungen). In der deutschen Rsp und Lehre steht die Problematik intensiver in Bearbeitung und erlangte durch unionsrechtliche Vorgaben nochmals neue Impulse (vgl nur die Nachweise in der Einleitung des zu besprechenden Werkes).
Daniel Klocke stellt in seiner Arbeit die Existenz bzw den Umfang von Unterlassungsansprüchen hinsichtlich dreier Belegschaftsorgane (BR, Europäischer BR [EBR] sowie Personalrat) zur Diskussion. Je nach Ausgestaltung der Beteiligungsrechte unterscheidet er allgemein zwischen paritätischen und verfahrenssichernden Unterlassungsansprüchen, wobei erstere Mitwirkungsrechte ieS und zweitere die übrigen Beteiligungsrechte sichern sollen. In allen Bereichen kommt europarechtlichen Rechtsquellen – vor allem der RL 2002/14/EG – entscheidende Bedeutung zu. Insb soll ergründet werden, ob die deutsche Betriebsverfassung wegen der genannten RL so weiterzubilden ist, dass die Frage nach einem Unterlassungsanspruch einheitlich beantwortet werden kann.
Hierzu leitet der Autor die grundsätzliche Existenz eines Unterlassungsanspruchs im Rahmen der Betriebsverfassung ua aus dem Anterioritätsprinzip ab, also dem Grundsatz, dass eine Beteiligung der Organe vor der Durchführung der avisierten beteiligungspflichtigen Maßnahme stattzufinden habe. Der Rechtsschutz müsse daher die vorherige Beteiligung der Organe realisieren. Im Ergebnis geht Klocke von einer grundsätzlichen umfassenden Anerkennung der die Beteiligung flankierenden Unterlassungsansprüche aus. Dennoch müsse für jedes Recht gesondert überprüft werden, ob es durch einen Unterlassungsanspruch gesichert werden könne bzw müsse, dh ob die Freiheit des AG überwiege.
Ein paritätischer Unterlassungsanspruch bestehe nur bei Mitwirkungsrechten ieS, so gem § 87 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 dBetrVG hinsichtlich der erzwingbaren Mitbestimmungsrechte nach § 87 dBetrVG – eine bezüglich der Mitwirkungsintensität dem § 96a ArbVG vergleichbare Norm. Da das Treffen derartiger Maßnahmen lediglich mit Zustimmung des BR möglich sei, bestimme dieser durch das Unterlassungsverlangen über die Maßnahme an sich mit und stelle dieses Verlangen somit gleichzeitig auch die Ausübung des Mitbestimmungsrechts dar. Diesbezüglich bestünden damit gleiche Rechte für beide Betriebspartner. Dennoch sei ein derartiger Unterlassungsanspruch nicht bei jedem Mitwirkungsrecht ieS anwendbar, da hierfür auch der Inhalt der Rechte ent469scheidend sei. Eine Sicherung der Mitwirkungsrechte des § 98 Abs 1 dBetrVG erfolge trotz entsprechenden Wortlauts daher lediglich durch einen verfahrenssichernden Unterlassungsanspruch.
Da die restlichen Beteiligungsrechte ua nicht derart paritätisch ausgebildet seien, müsse bei diesen die verfahrenssichernde Dimension des Unterlassungsanspruchs in den Vordergrund rücken. Dabei gehe es lediglich darum, die Mitwirkungsrechte des BR zu sichern. Nicht vorgesehen sei hingegen eine Festigung der Position der Belegschaftsorgane dahingehend, dass diese faktisch die beteiligungspflichtige Maßnahme positiv bestimmen könnten. Die Letztentscheidungsbefugnis bleibe beim Unternehmer. Während der Unterlassungsverpflichtung des AG sei der BR zudem verpflichtet, seinen sich aus § 2 Abs 1 dBetrVG ergebenden Mitwirkungspflichten nachzukommen. Dogmatisch beruhe der verfahrenssichernde Unterlassungsanspruch auf einer Rechtsfortbildung des § 23 Abs 3 dBetrVG. Für eine konkrete Anwendung der Norm müsse aber jedes Beteiligungsrecht dahingehend geprüft werden, ob es an der Integritätswertung teilhabe oder die rechtswidrige Maßnahme (teilweise) billige.
Höchst strittig und Mittelpunkt der Diskussionen sei, ob dem BR in wirtschaftlichen Angelegenheiten nach §§ 111 ff dBetrVG – vergleichbar mit § 109 ArbVG – (vor Abschluss der Beratungen) ein verfahrenssichernder Unterlassungsanspruch zustehe. Klocke bejaht hierbei einen auf den §§ 111, 23 Abs 3 analog dBetrVG basierenden Unterlassungsanspruch des BR bis zur Beendigung des Beteiligungsverfahrens. Dagegen lehnt ein Großteil der deutschen Lehre eine Missbilligung der Maßnahme iSd § 111 dBetrVG ohne vorherige Beteiligung ab, da die Realisierung auf Grund der Unternehmerfreiheit im Belieben des AG stünde. Klocke erkennt hingegen eine Missbilligung in der Regelung einer Zahlungsverpflichtung (§ 113 Abs 3 dBetrVG). Er geht davon aus, dass die Anerkennung des Unterlassungsanspruchs in diesen Angelegenheiten im Grundverständnis der AN-Beteiligung als Chance zur positiven und interessengerechten Gestaltung der Unternehmenszukunft wurzle. Solange der AG die Organe der AN nicht beteilige, müsse er die Durchführung der Maßnahme damit unterlassen. Spannungsfelder würden dadurch reduziert, dass die Letztentscheidungskompetenz beim Unternehmer verbleibe. Durch korrekte Beteiligung könne der Unternehmer zudem den Unterlassungsanspruch ausschließen. Ferner sei der BR verpflichtet, auf die sachgerechte und zeitnahe Beendigung der Beteiligung hinzuarbeiten.
Die herausgearbeiteten Lösungen würden die Richtlinienkonformität des dBetrVG ermöglichen. Vor allem stelle die RL eine Absage an eine allein im Nachhinein wirkende Sicherung der Beteiligung sowie an eine einzig auf Individualschutz hinauslaufende Rechtsbewahrung dar.
Die rechtliche Begründung der verfahrenssichernden Unterlassungsansprüche des EBR – paritätische Unterlassungsansprüche seien dem dEBRG fremd – sei über eine richtlinienkonforme Auslegung des § 42 Z 2 dEBRG zu erreichen. Die RL 94/45/EG sowie RL 2009/38/EG würden interpretativ eine Unterlassung der Maßnahmen bis zum Schluss der (ordnungsgemäßen) Beteiligung verlangen.
Schlussendlich könne auch der Personalrat seine Beteiligungsrechte über Unterlassungsansprüche sichern, wobei diesem im Bereich der nicht korrigierten Mitbestimmung ein paritätischer Unterlassungsanspruch aus §§ 69 Abs 1, 2 Abs 1 dPersVG iVm dem jeweiligen Mitbestimmungsrecht und in sonstigen Fällen der allgemeine (verfahrenssichernde) öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch zustehe. Entgegen der Rsp stelle das Personalvertretungsrecht Außenrecht dar, woraus sich die Anwendbarkeit des allgemeinen Unterlassungsanspruchs ableiten lasse. Dieser sei klagbar und mittels einstweiliger Verfügung sicherbar, könne aber im Einzelfall zur Sicherung der Effektivität der Verwaltung ausgeschlossen sein (§§ 69 Abs 5, 72 Abs 6 dPersVG). Durch dieses Verständnis des Rechtsschutzes werde das deutsche Recht auch in Einklang mit der RL 2002/14/EG und Art 27 GRC gebracht.
Ein Umlegen der von Klocke erarbeiteten Lösungsansätze auf die österreichische Rechtslage ist großteils wohl nicht möglich. Trotz einer auf den ersten Blick ähnlichen Rechtslage ergeben sich im Detail größere Unterschiede. So sei zB nur darauf hinzuweisen, dass der in der hier zu besprechenden Arbeit zentrale § 23 dBetrVG dem österreichischen (Arbeits-)Recht fremd ist. Dennoch lohnt sich die Lektüre dieser Arbeit. Insb könnte sie Anstoßpunkt dafür sein, die österreichische Diskussion zu diesem Themengebiet voranzutreiben, um so eine für heimische Betriebsräte fundierte Sicherung ihrer Mitwirkungs- bzw Beteiligungsrechte zu erreichen. Hierbei ist vor allem an die Mitwirkungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten zu denken, wo Belegschaftsorgane durch ihre Unternehmer oft vor vollendete Tatsachen gestellt werden (vgl Kodek, DRdA 2011, 518).