Botz/Bruckmüller/Cerny ua (Hrsg)Wissenschaft über Gewerkschaft – Analysen und Perspektiven

Verlag des ÖGB, Wien 2013, 412 Seiten, broschiert, € 29,90

Gert-PeterReissner (Innsbruck)

Das vorliegende Werk, erstellt im Auftrag des Bundesvorstands des ÖGB anlässlich des Jubiläums-Bundeskongresses 2013 (dieser fand 120 Jahre nach dem ersten Gewerkschaftskongress auf der Ebene der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder der Monarchie statt), ist ein abwechslungsreiches und interessantes „Lesebuch“, in welchem Beiträge aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen zum Thema „Gewerkschaft“ zusammengefasst sind. Laut Brigitte Pellar, die das Konzept erstellt und die Redaktion übernommen hat, soll das Buch dem gegenseitigen Kennenlernen von Gewerkschaftern und jenen Wissenschaftlern dienen, die sich mit dem Forschungsobjekt „Gewerkschaft“ auseinandersetzen. Diese gehören verschiedenen Generationen an und kommen aus den Wirtschaftswissenschaften, der Politikwissenschaft, den Sozialwissenschaften, der historischen Wissenschaft sowie schließlich auch aus den Rechtswissenschaften.

Dementsprechend vielfältig sind die Beiträge, von denen aus der Sicht des Rezensenten praktisch alle sehr lesenswert sind. Stellvertretend und schlaglichtartig erwähnt seien die volkswirtschaftliche Abhandlung von Bernd Brandl und Thomas Leoni zum „österreichischen Weg“ im Bereich „Gewerkschaft, Lohnfindung und Wirtschaftspolitik“, in der beispielsweise hervorgehoben wird, dass die „aktiv gestaltende Rolle“ des ÖGB bei der internen und externen Konsensfindung auch durch dessen „relativ zentralisierte Organisationsstruktur“ erleichtert wird (S 20), der politikwissenschaftliche Aufsatz von David M. Wineroither mit dem Titel „Die Sozialpartnerschaft als Eckpfeiler der österreichischen Konsensdemokra470tie“, in dem ua erläutert wird, dass die großen sozialpolitischen Reformschritte der sogenannten „Hanusch-Ära“ 1918-1920 erst unter den politisch-kulturellen Rahmenbedingungen der Verhandlungsdemokratie nach 1945 ihre Wirksamkeit entfalteten (S 45 ff), oder – ebenfalls politikwissenschaftlich bzw historisch – der Beitrag von Paul Dvořák über die Beziehung von Gewerkschaft und Parlamentarismus (S 71 ff), in dem – die Innenpolitik insb auch mit Zitaten aus den Parlamentsmaterialien analysierend – überzeugend resümiert wird, dass für Gewerkschaftsorganisationen eine „Notwendigkeit“ bestehe, „in den nationalen Parlamenten vertreten zu sein“. Ein Lesegenuss sind weiters die Ausführungen des Zeitgeschichtlers Helmut Konrad zu Utopien bzw – in Bezug auf Gewerkschaften – Sozialutopien (S 351 ff).

Aus arbeits- und sozialrechtlicher Sicht besonders interessant ist der Beitrag von Elias Felten mit dem Titel „Im Spannungsfeld zwischen Gewerkschaftsfreiheit und Gewerkschaftsrecht. Zur Rechtsstellung der Gewerkschaften im kollektiven Arbeitsrecht“ (S 227 ff). Der Autor stellt die grundrechtliche Verankerung der Gewerkschaften insb in Art 11 EMRK bzw Art 28 EGRC dar und arbeitet zB heraus, dass angesichts der Judikaturtrends beim EGMR das Grundrecht auf gewerkschaftliche Betätigung auch den Arbeitskampf beinhalte, was wiederum Auswirkungen auf die in Österreich lange herrschende „Trennungstheorie“ haben müsse (S 243 f mwN): Eine Entlassung wegen Teilnahme an einer rechtmäßigen Gesamtaktion sei demnach – offenbar wegen Verstoßes gegen die Sittenklausel des § 879 ABGB – als rechtsunwirksam zu qualifizieren. Bemerkenswert ist schließlich – wiederum vor dem angesprochenen grundrechtlichen Hintergrund – der Hinweis Feltens, dass zu strenge Anforderungen an die Erlangung der Kollektivvertragsfähigkeit eine „Hürde für Gewerkschaften“ sein könnten, „sich koalitionsmäßig zu betätigen“ (S 235 mit Verweis auf Henssler, Soziale Mächtigkeit und organisatorische Leistungsfähigkeit als Voraussetzungen der Tariffähigkeit von Gewerkschaften [2006] zum deutschen Recht). Hier gilt es natürlich auch, Irrwege anderer Arbeitsrechtsordnungen zu vermeiden. So muss die Praxis von VwGH bzw Bundeseinigungsamt zur Sozialmächtigkeit gem § 4 Abs 2 Z 2 (und 3) ArbVG, mit der „Schlüsselkräfte-Gewerkschaften“ wie „Cockpitvereinigungen“ udgl die Kollektivvertragsfähigkeit verweigert wird (exemplarisch VwGH2007/05/0001DRdA 2010/38, 401 [Weiß]), ausdrücklich gelobt werden. Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht wird man letztlich „solidarischen“ Gewerkschaften, die sich für die „stärkeren“ und die „schwächeren“ AN in ihrem Wirkungsbereich einsetzen, größeren Schutz und größere Förderung angedeihen lassen müssen.