39Arbeitnehmerfreizügigkeit und Anciennität
Arbeitnehmerfreizügigkeit und Anciennität
Die Art 45 AEUV und 7 Abs 1 der VO (EU) 2011/492 über die Freizügigkeit der AN innerhalb der Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die von den DN einer Gebietskörperschaft ununterbrochen bei ihr zurückgelegten Dienstzeiten bei der Ermittlung des Stichtags für die Vorrückung in höhere Entlohnungsstufen in vollem Ausmaß, alle anderen Dienstzeiten dagegen nur teilweise berücksichtigt werden.
1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art 45 AEUV und 7 Abs 1 der VO (EU) 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.4.2011 über die Freizügigkeit der AN innerhalb der Union (ABl L 141, S 1).
2. Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Zentralbetriebsrat (ZBR) der SALK und dem Land Salzburg wegen der teilweisen Anrechnung von Dienstzeiten, die DN des Landes Salzburg bei anderen AG zurückgelegt haben, bei der Festsetzung des Arbeitsentgelts.
Rechtlicher Rahmen [...]
Österreichisches Recht [...]
8. Das L-VBG wurde im Jahr 2012 rückwirkend zum 1.1.2004 geändert (LGBl 99/2012). § 54 L-VBG in geänderter Fassung lautet:
„(1) Der Vorrückungsstichtag ist dadurch zu ermitteln, dass Zeiten nach dem 30. Juni des Jahres, in dem nach der Aufnahme in die erste Schulstufe neun Schuljahre absolviert worden sind oder worden wären, in dem sich aus Abs 2 ergebenden Ausmaß dem Tag der Anstellung vorangesetzt werden.
(2) Die sich gemäß Abs 1 ergebenden Zeiten sind wie folgt voranzusetzen:
bis zu drei Jahre, in der Entlohnungsgruppe (a) Höherer Dienst bis zu sieben Jahre zur Gänze;
die darüber hinausgehenden Zeiten zu 60 %.“ Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
9. Die SALK ist eine Dachgesellschaft dreier Krankenhäuser sowie weiterer Einrichtungen im Land Salzburg, deren Alleingesellschafterin das im Ausgangsrechtsstreit bekl Bundesland Salzburg ist. Nach der nationalen Regelung sind die DN der SALK Beamte oder Vertragsbedienstete (VB) des Landes Salzburg.
10. Aus den beim Gerichtshof eingereichten Akten geht hervor, dass am 31.5.2012 716 Ärzte für die SALK arbeiteten, von denen 113 aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) als der Republik Österreich stammten, sowie 2.850 nicht-ärztliche Angehörige der Gesundheitsberufe, davon 340 aus einem anderen Mitgliedstaat der EU oder des EWR als der Republik Österreich.
11. Der ZBR der SALK begehrte mit am 6.4.2012 erhobener Klage, das LG Salzburg möge mit Wirkung zwischen den Parteien feststellen, dass ein Recht der DN der SALK auf Anrechnung sämtlicher bei anderen AG als dem Land Salzburg in der Union bzw im EWR zurückgelegter berufseinschlägiger Vordienstzeiten bei der Ermittlung des Stichtags für die Vorrückung in die nächsthöhere Entlohnungsstufe bestehe, da diese Dienstzeiten, wären sie im Dienst des Landes Salzburg zurückgelegt worden, zu 100 % zu berücksichtigen wären. [...]
13. Nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts differenziert § 54 L-VBG bei der Ermittlung des Stichtags für die Vorrückung der Beschäftigten der SALK in die nächsthöhere Entlohnungsstufe danach, ob sie immer bei Dienststellen des Landes Salzburg oder bei anderen AG gearbeitet haben. Bei Ersteren schlage die Dienstzeit in vollem Ausmaß zu Buche, während bei Letzteren die vor ihrer Einstellung beim Land Salzburg zurückgelegten Dienstzeiten nur zu 60 % angerechnet würden. DN, die ihre Berufsausübung beim Land Salzburg begönnen, würden daher einer höheren Entlohnungsstufe zugeordnet als DN, die vergleichbare und gleich lange Berufserfahrung bei anderen AG gesammelt hätten. [...]
15. Unter diesen Umständen hat das LG Salzburg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Stehen Art 45 AEUV und Art 7 Abs 1 der VO 492/2011 einer nationalen Regelung (hier §§ 53 und 54 L-VBG) entgegen, dass ein öffentlicher AG die von seinen DN ununterbrochen bei ihm zurückgelegten Dienstzeiten für die Ermittlung des Vorrückungsstichtages in vollem Ausmaß, die von seinen DN bei anderen öffentlichen oder privaten AG – sei es innerhalb Österreichs oder in anderen EU- bzw EWR-Staaten – zurückgelegten Dienstzeiten jedoch nur teilweise pauschal ab einem bestimmten Lebensalter für die Vorrückung in höhere Entlohnungsstufen berücksichtigt?
Zur Vorlagefrage [...]
Zur Beantwortung der Frage [...]
23. Art 45 Abs 2 AEUV verbietet jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der AN der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Art 7 Abs 1 der VO 492/2011 stellt nur eine besondere Ausprägung des in Art 45 Abs 2 AEUV enthaltenen Diskriminierungsverbots auf dem speziellen Gebiet der Beschäftigungsbedingungen und der Arbeit dar und ist daher ebenso auszulegen wie Art 45 Abs 2 AEUV (Urteil vom 26.10.2006, Kommission/Italien, C-371/04, Slg 2006, I-10257, Rn 17und die dort angeführte Rsp). [...]
25. Der Grundsatz der Gleichbehandlung, der sowohl in Art 45 AEUV als auch in Art 7 der VO 492/2011 niedergelegt ist, verbietet nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verschleierten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungskriterien de facto zum gleichen Ergebnis führen (vgl ua Urteile vom 23.5.1996, O‘Flynn, C-237/94, Slg 1996, I-2617, Rn 17, und vom 28.6.2012, Erny, C-172/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn 39).
26. Sofern eine Vorschrift des nationalen Rechts nicht objektiv gerechtfertigt ist und in angemessenem411 Verhältnis zum verfolgten Ziel steht, ist sie, auch wenn sie ungeachtet der Staatsangehörigkeit anwendbar ist, als mittelbar diskriminierend anzusehen, falls sie sich ihrem Wesen nach stärker auf Wander-AN als auf inländische AN auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wander-AN besonders benachteiligt (vgl in diesem Sinne Urteil vom 10.9.2009, Kommission/Deutschland, C-269/07, Slg 2009, I-7811, Rn 54und die dort angeführte Rsp).
27. Um eine Maßnahme als mittelbar diskriminierend qualifizieren zu können, muss sie nicht bewirken, dass alle Inländer begünstigt werden oder dass unter Ausschluss der Inländer nur die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten benachteiligt werden (Urteil Erny, Rn 41 und die dort angeführte Rsp).
28. Im vorliegenden Fall kann sich die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung dadurch, dass nach ihr nicht sämtliche von Wander-AN bei AG mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als der Republik Österreich zurückgelegten berufseinschlägigen Vordienstzeiten angerechnet werden, stärker auf Wander-AN als auf inländische AN auswirken, indem sie Wander-AN besonders benachteiligt, denn diese werden vor dem Eintritt in den Dienst des Landes Salzburg sehr wahrscheinlich Berufserfahrung in einem anderen Mitgliedstaat als der Republik Österreich erworben haben. So würde ein Wander-AN, der bei AG mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als der Republik Österreich im selben Umfang einschlägige Berufserfahrung erworben hat wie ein AN, der seine Berufslaufbahn bei Dienststellen des Landes Salzburg durchlaufen hat, in eine niedrigere Entlohnungsstufe eingruppiert als der Letztgenannte.
29. Außerdem weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass diese Regelung die DN, die, nachdem sie zunächst im Dienst des Landes Salzburg und danach für andere AG gearbeitet hätten, in den Dienst des Landes Salzburg zurückgekehrt seien, in gleicher Weise berühre, da sämtliche von ihnen bis zum Wiedereintritt in den Landesdienst zurückgelegten Dienstzeiten nur zu 60 % angerechnet würden. Damit ist die Regelung geeignet, die bereits beim Land Salzburg beschäftigten DN davon abzuhalten, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen. Entschieden sie sich nämlich dafür, aus dem Dienst des Landes Salzburg auszuscheiden, würden, falls sie später in dessen Dienst zurückkehren wollten, sämtliche bis dahin zurückgelegten Dienstzeiten bei der Festsetzung ihrer Entlohnung nur zum Teil angerechnet.
30. Nationale Bestimmungen, die einen AN, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, daran hindern oder davon abhalten, seinen Herkunftsstaat zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, stellen aber Beeinträchtigungen dieser Freiheit dar, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden AN angewandt werden (vgl ua Urteile vom 17.3.2005, Kranemann, C-109/04, Slg 2005, I-2421, Rn 26, und vom 16.3.2010, Olympique Lyonnais, C-325/08, Slg 2010, I-2177, Rn 34).
31. Es trifft zwar zu, dass sich die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung zum Nachteil nicht nur der Wander-AN, sondern auch der inländischen DN auswirken kann, die bei einem anderen AG mit Sitz in Österreich als dem Land Salzburg einschlägige Berufserfahrung gesammelt haben. Doch muss, wie in Rn 27 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, eine Maßnahme, um sie als mittelbar diskriminierend qualifizieren zu können, nicht bewirken, dass alle Inländer begünstigt werden oder dass unter Ausschluss der Inländer nur die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten benachteiligt werden.
32. Sämtliche Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Freizügigkeit sollen nämlich, wie die der VO 492/2011, den Angehörigen der Mitgliedstaaten die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Union erleichtern und stehen Maßnahmen entgegen, die sie benachteiligen könnten, wenn sie eine wirtschaftliche Tätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausüben wollen (vgl in diesem Sinne ua Urteile Kranemann, Rn 25, und Olympique Lyonnais, Rn 33)
33. Zum Vorbringen der österreichischen und der deutschen Regierung, nach deren Meinung die Auswirkungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung auf die Entscheidung eines Wander-AN, in den Dienst der SALK zu treten, ungewiss sind, ist darauf hinzuweisen, dass die Gründe, aus denen sich ein Wander-AN dafür entscheidet, von seinem Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Union Gebrauch zu machen, bei der Beurteilung des diskriminierenden Charakters einer nationalen Vorschrift nicht berücksichtigt werden können. Denn die Möglichkeit, sich auf eine so grundlegende Freiheit wie die Freizügigkeit zu berufen, kann nicht durch solche Überlegungen rein subjektiver Art eingeschränkt werden (Urteil O‘Flynn, Rn 21).
34. Zudem stellen die Artikel des Vertrags über den freien Warenverkehr, die Freizügigkeit sowie den freien Dienstleistungs- und Kapitalverkehr grundlegende Bestimmungen für die Union dar, und jede Beeinträchtigung dieser Freiheit, mag sie auch unbedeutend sein, ist verboten [...].
35. Folglich ist eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende geeignet, die Freizügigkeit der AN zu beeinträchtigen, was nach den Art 45 AEUV und 7 Abs 1 der VO 492/2011 grundsätzlich verboten ist.
36. Eine solche Maßnahme ist nur dann zulässig, wenn mit ihr eines der im Vertrag genannten legitimen Ziele verfolgt wird oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Darüber hinaus muss in einem derartigen Fall ihre Anwendung geeignet sein, die Verwirklichung des in Rede stehenden Zieles zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zu seiner Erreichung erforderlich ist (vgl in diesem Sinne ua Urteile Kranemann, Rn 33, und Olympique Lyonnais, Rn 38).
37. Das vorlegende Gericht vertritt insoweit die Auffassung, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung eine „Treueprämie“ einführe, mit der die DN belohnt werden sollten, die ihre Laufbahn beim gleichen AG absolvierten. Nach Ansicht des Landes Salzburg und der österreichischen Regierung wird durch die Regelung keine solche Prämie eingeführt.
38. Unterstellt, dass mit dieser Regelung tatsächlich das Ziel der Bindung der DN an ihre AG verfolgt würde und nicht auszuschließen wäre, dass ein solches Ziel einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen könnte (vgl Urteil vom 30.9.2003, Köbler, C-224/01, Slg 2003, I-10239, Rn 83), ist festzustellen, dass angesichts der Merkmale der Rege412lung die mit ihr verbundene Beeinträchtigung nicht geeignet erscheint, die Verwirklichung dieses Zieles zu gewährleisten.
39. In Beantwortung des in Rn 20 des vorliegenden Urteils erwähnten Ersuchens um Klarstellung hat das vorlegende Gericht nämlich mitgeteilt, dass DN der SALK, die Beamte oder VB des Landes Salzburg seien, in den Genuss einer vollständigen Berücksichtigung früherer, ununterbrochen im Dienst nicht nur der SALK als solcher, sondern des Landes Salzburg im Allgemeinen zurückgelegter Dienstzeiten kämen, seien sie für die bei der SALK wahrgenommenen Aufgaben einschlägig oder nicht.
40. Angesichts der Vielzahl potenzieller, dem Land Salzburg zuzurechnender AG soll ein solches Entlohnungssystem aber die Mobilität innerhalb einer Gruppe verschiedener AG gewährleisten und nicht die Treue eines DN gegenüber einem bestimmten AG honorieren (vgl in diesem Sinne Urteil vom 30.11.2000, Österreichischer Gewerkschaftsbund, C-195/98, Slg 2000, I-10497, Rn 49).
41. Das Land Salzburg sowie die österreichische und die deutsche Regierung machen geltend, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung die berechtigten Ziele der Verwaltungsvereinfachung und der Transparenz verfolge. Was das erstgenannte Ziel angehe, habe die pauschale Berücksichtigung sämtlicher bei anderen AG als dem Land Salzburg zurückgelegter Vordienstzeiten zu 60 % ein früheres komplexes System ersetzt. Dies habe die von der Verwaltung bei der Ermittlung des Stichtags für die Vorrückung in höhere Entlohnungsstufen vorzunehmenden Berechnungen vereinfacht, da nicht mehr die gesamte Berufslaufbahn neu eingetretener DN im Einzelnen nachvollzogen werden müsse, und die damit verbundenen Verwaltungskosten verringert.
42. Ein Ziel der Verwaltungsvereinfachung, das lediglich dazu dient, der öffentlichen Verwaltung obliegende Aufgaben insb dadurch zu erleichtern, dass die von ihr vorzunehmenden Berechnungen vereinfacht werden, kann aber keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der die Beschränkung einer so grundlegenden Freiheit wie der durch Art 45 AEUV gewährleisteten Freizügigkeit der AN zu rechtfertigen vermag.
43. Zudem ist die Erwägung, dass eine solche Vereinfachung die Senkung der Verwaltungskosten ermöglicht, rein wirtschaftlicher Natur und kann daher nach stRsp keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen (vgl ua Urteil vom 15.4.2010, CIBA, C-96/08, Slg 2010, I-2911, Rn 48und die dort angeführte Rsp).
44. Soweit mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung eine größere Transparenz in Bezug auf die Ermittlung des Stichtags für die Vorrückung in höhere Entlohnungsstufen sichergestellt werden soll, ist festzustellen, dass diese Regelung jedenfalls über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist. Die angestrebte Transparenz könnte nämlich durch Maßnahmen gewährleistet werden, die die Freizügigkeit der AN nicht beeinträchtigen, etwa durch die Ausarbeitung und Veröffentlichung oder die Verbreitung auf anderem geeignetem Wege von im Voraus festgelegten nichtdiskriminierenden Kriterien für die Bewertung der Dauer der für die Vorrückung in höhere Entlohnungsstufen relevanten Berufserfahrung.
45. Demnach ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Art 45 AEUV und 7 Abs 1 der VO 492/2011 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die von den DN einer Gebietskörperschaft ununterbrochen bei ihr zurückgelegten Dienstzeiten bei der Ermittlung des Stichtags für die Vorrückung in höhere Entlohnungsstufen in vollem Ausmaß, alle anderen Dienstzeiten dagegen nur teilweise berücksichtigt werden.
Im Salzburger Landes-Vertragsbedienstetengesetz (L-VBG) ist, insb für die Entgelthöhe, der Vorrückungsstichtag relevant. Dabei kommt es grundsätzlich auf die Dienstdauer bei dem Land Salzburg an. Andere Vordienstzeiten werden bei der Bestimmung des Vorrückungsstichtags nur im Ausmaß von 60 % berücksichtigt. Mit dem LGBl 2012/99 wurde versucht, die E Hütterumzusetzen (vgl ErläutRV 585 BlgLT 14. GP 16, 32). Dazu wurden rückwirkend zum einen auch Vordienstzeiten vor Vollendung des 18. Lebensjahres für relevant erklärt. Zum anderen wurden Vordienstzeiten bei anderen AG bis zu einem Ausmaß von drei Jahren zur Gänze berücksichtigt, bei höheren Diensten bis zu einem Ausmaß von sieben Jahren. Vordienstzeiten bei anderen AG, die diese Grenzen überschreiten, wurden, entgegen der Forderung der Ärztekammer Salzburg, allerdings weiterhin nur im Ausmaß von 60 % berücksichtigt. Dagegen klagte der ZBR der SALK, einer Dachgesellschaft mehrerer Krankenanstalten, deren Alleingesellschafter das Land Salzburg ist.
Im Rahmen einer Vorlage durch das Salzburger LG entscheidet der EuGH iSd ZBR. Es droht durch die beschränkte Anrechnung der Vordienstzeiten gleich ein doppelter Verstoß gegen die AN-Freizügigkeit. Erstens sieht der EuGH eine besondere Benachteiligung von Wander-AN, da diese stärker betroffen sind als österreichische AN (Rz 28). Zweitens könnten AN des Landes Salzburg davon abgeschreckt werden, ihre AN-Freizügigkeit zu nutzen, da ihnen bei ihrer Rückkehr die in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Dienstzeiten nicht zur Gänze angerechnet werden (Rz 29). Eine Rechtfertigung des Eingriffs in die AN-Freizügigkeit scheitert. Die Begünstigung von Dienstzeiten beim Land Salzburg könne nicht mit der erhofften Bindung und Treue an einen bestimmten AG gerechtfertigt werden, da die Dienstzeiten bei vielen verschiedenen, dem Land Salzburg zurechenbaren, AG zur Gänze berücksichtigt werden (Rz 37-40). Auch eine etwaige Verwaltungsvereinfachung sei kein Grund, der einen Eingriff in die AN-Freizügigkeit rechtfertigen könne (Rz 42 f). Eine Rechtfertigung mit der Transparenz bei der Bestimmung des Vorrückungsstichtags scheitert an der Erforderlichkeit, die Transparenz könne auch durch genaue Bestimmung der relevanten Kriterien erreicht werden (Rz 44).
Nach Medienberichten sollen bei der SALK nun Nachzahlungen in zweistelliger Millionenhöhe erfolgen. Die Bestürzung über das Urteil des EuGH zeigt, wie langsam Unionsrecht in das Bewusstsein der Rechts413unterworfenen dringt. Das Ergebnis der E war vor dem Hintergrund der bisherigen Rsp des EuGH jedenfalls vorhersehbar.
Die Ausnahme der öffentlichen Verwaltung von der AN-Freizügigkeit gem Art 45 Abs 4 AEUV hat in diesem Zusammenhang keine Bedeutung. Zum einen wird der Begriff der öffentlichen Verwaltung vom EuGH eng ausgelegt, zum anderen beschränkt sich die Ausnahme auf den Zugang zu einer Beschäftigung, nicht erfasst sind die Arbeitsbedingungen (Schneider/Wunderlich in
Bereits in dem Verfahren Scholz (EuGH 23.2.1994, C-419/92)wehrte sich eine Kl erfolgreich dagegen, dass bei einer Ausschreibung im italienischen öffentlichen Dienst (Kantinenbedienstete an einer Universität) ihre Tätigkeit in der deutschen Postverwaltung nicht berücksichtigt wurde. Wenn die Berücksichtigung der bisherigen Berufstätigkeit in der öffentlichen Verwaltung angeordnet wird, muss das nach dem EuGH auch für die Tätigkeit im öffentlichen Dienst anderer Mitgliedstaaten gelten (Rz 12). In der E Schöning-Kougebetopoulou (EuGH 15.1.1998, C-15/96)entschied der EuGH, dass die Tätigkeit einer Ärztin im öffentlichen Dienst Griechenlands bei der Einstufung im deutschen Bundesangestelltentarifvertrag berücksichtigt werden muss. In dem Verfahren Kommission/Griechenland (EuGH 12.3.1998, C-187/96) wurde eine Vertragsverletzung Griechenlands festgestellt, weil bei der Gewährung von Dienstalterszulagen und der tariflichen Einstufung Dienstzeiten in der öffentlichen Verwaltung anderer Mitgliedstaaten nicht angerechnet wurden. Die E ÖGB, GÖD/Österreich (EuGH 30.11.2000, C-195/98)bezog sich auf österreichisches Recht, genauer auf § 26 VBG. Auch hier sah der EuGH in der Benachteiligung ausländischer Dienstzeiten im Vergleich zu inländischen Dienstzeiten einen Verstoß gegen die AN-Freizügigkeit. Zu berücksichtigen seien auch Zeiten vor dem Beitritt Österreichs zur EU (Rz 55 f). In dem Verfahren von Herrn Köbler (EuGH 30.9.2003, C-224/01)ging es erneut um österreichisches Recht. Der Kl verlangte Schadenersatz von der Republik. Der VwGH hatte seinen Anspruch auf eine Dienstalterszulage für Professoren verneint, weil er Dienstzeiten an Universitäten in anderen Mitgliedstaaten nicht berücksichtigt. Neben Ausführungen zur Haftung der Mitgliedstaaten für höchstgerichtliche Entscheidungen, bejaht der EuGH auch eine Verletzung der AN-Freizügigkeit. Schon hier führte der EuGH aus, dass auch inländische AN von der Nutzung ihrer Freizügigkeit abgehalten werden, wenn ihre im Ausland gesammelte Berufserfahrung bei ihrer Rückkehr nicht berücksichtigt wird. Davor hatte bereits GA Colomer in seinen SA im Verfahren Rs Kommission/Griechenlandso argumentiert. In dem Verfahren Kommission/Italien (EuGH 12.5.2005, C-278/03)wurde noch einmal eine Vertragsverletzung Italiens festgestellt, weil bei der Einstellung von Lehrern die Berufserfahrung außerhalb Italiens nicht ausreichend berücksichtigt wurde, kurz darauf folgte ein ähnliches Urteil im Verfahren Kommission/Italien (EuGH 26.10.2006, C-371/04). Auch im spanischen Recht wurde in der E Kommission/Spanien (EuGH 23.2.2006, C-205/04)bei der Anrechnung von Vordienstzeiten im ausländischen öffentlichen Dienst eine Verletzung der AN-Freizügigkeit festgestellt. Zuletzt wurde in der österreichischen Vorlage Pohl (EuGH 16.1.2014, C-429/12)zum Vorrückungsstichtag der Bundesbahn-Besoldungsordnung 1963 die Vereinbarkeit mit der AN-Freizügigkeit erneut in Frage gestellt. Der EuGH nahm dazu allerdings keine Stellung, da er die österreichische Verjährungsbestimmung für unionsrechtlich unproblematisch hält und diese im Anlassfall bereits abgelaufen war (Rz 37 f).
In den genannten Verfahren wurden verschiedene Rechtfertigungsversuche unternommen, die bisher alle scheiterten. Griechenland brachte etwa vor (Rs Kommission/Griechenland), es sei schwierig festzustellen, ob im Ausland in der öffentlichen Verwaltung gearbeitet wurde, weil der öffentliche und private Sektor jeweils unterschiedlich abgegrenzt sei, außerdem sei ein Vergleich der im Ausland ausgeübten Aufgaben schwierig (Rz 16). Der EuGH meint dazu lediglich, man könne sich nicht deshalb weigern, einen Vergleich der ausländischen Dienste mit der Tätigkeit in der griechischen Verwaltung vorzunehmen, weil man „ihn in der Praxis für schwierig hält“ (Rz 22). Die Unterschiede zwischen den öffentlichen Diensten verschiedener Mitgliedstaaten vermögen für den EuGH (Rs ÖGB, GÖD/Österreich)keine Differenzierung bei der Anrechnung zu begründen, er sieht auch keinen Grund, warum die Verwendung im inländischen öffentlichen Dienst „von besonderer Bedeutung“ sein sollte (Rz 48). Nach GA Jacobs rechtfertigen auch die Unterschiede in der Karrierestruktur im öffentlichen Dienst in verschiedenen Ländern den Eingriff in die AN-Freizügigkeit nicht (Rs Schöning-Kougebetopoulou, Rz 24 ff). Schwierigkeiten bei der Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben, ua wegen der Vielzahl der betroffenen Organisationen (Rz 12), stellen für den EuGH (Rs Kommission/Spanien)keinen Rechtfertigung dar (Rz 17), ebenso wenig wie gerichtliche Entscheidungen oder eine Verwaltungspraxis ausreichen, um die vertraglichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zu erfüllen (Rz 18). Auch die Tatsache, dass bei der Tätigkeit im öffentlichen Dienst anderer Mitgliedstaaten kein Auswahlverfahren stattfindet, rechtfertigt eine Ungleichbehandlung nicht (C-371/04, Kommission/Italien, Rz 18). Unerheblich ist auch die Möglichkeit, Mitarbeitern mit Berufserfahrung im Ausland ein höheres Entgelt zu gewähren (Rs Köbler, Rz 75). Aus dem hier zu besprechenden Urteil sind nunmehr auch die Transparenz und die Verwaltungsvereinfachung als gescheiterte Rechtfertigungsgründe zu ergänzen (Rs Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH, Rz 42 ff).
Bereits mehrfach vorgebracht wurde die Rechtfertigung durch die Abgeltung der Treue der AN. Der EuGH lehnt dieses Argument jedenfalls dann ab, wenn im Inland Beschäftigungszeiten bei vielen „rechtlich voneinander unabhängigen“ AG berücksichtigt werden (Rs Schöning-Kougebetopoulou, Rz 27; ebenso Rs ÖGB, GÖD/Österreich, Rz 49). Soweit zu sehen ist noch nicht endgültig geklärt, ob der EuGH die Rechtfertigung durch die Treue anerkennt, wenn tatsächlich nur die Dienstzeit zu einem AG berücksichtigt wird. Die E Köblerlässt daran zweifeln. Nach der österreichischen Regelung wurden nur die Dienstzeiten an österreichischen Universitäten berücksichtigt und damit Dienstzeiten bei demselben AG belohnt, nämlich der Republik Österreich. Der EuGH verneint dennoch die Rechtfertigung, da414 die verschiedenen Universitäten untereinander in einem Wettbewerb stehen (Rz 84). Man kann dieses Ergebnis aber im Hinblick auf die besondere Wettbewerbssituation zwischen Universitäten begründen, die der EuGH auch in einer anderen E hervorhebt (EuGH 10.3.2005, C-178/04, Marhold, Rz 36). In anderen Fällen kann die Treue die Einschränkung der Anrechnung auf Dienstzeiten bei einem AG also wohl rechtfertigen.
Vor dem Hintergrund der dargestellten E kann zum einen an der Notwendigkeit der Vorlage durch das LG Salzburg gezweifelt werden. Zum anderen ist bedenklich, dass die unionsrechtlichen Vorgaben im österreichischen Recht bisher nicht umgesetzt wurden. Aschauer hat in ihrer Entscheidungsbesprechung dargelegt, dass sowohl im Bundes- als auch in den Landesgesetzen für öffentlich Bedienstete die Anrechnung von Vordienstzeiten in anderen Mitgliedstaaten weiterhin nur eingeschränkt erfolgt (ASoK 2014, 167 [170 ff]). Es ist zu hoffen, dass zumindest nach dem vorliegenden Urteil die unionsrechtlichen Vorgaben umgesetzt werden. Österreich würde damit dem Beispiel mehrerer Mitgliedstaaten folgen (Ziller, Free Movement of European Union Citizens and Employment in the Public Sector, Report for the European Commission [2010] 76 f).
Bei der Umsetzung kann der nationale Gesetzgeber die Anrechnung auf vergleichbare Tätigkeiten im Ausland beschränken. Diese Möglichkeit anerkennt auch der EuGH (Rs Kommission/Griechenland, Rz 22). Es stellt sich die Frage, ob die Anrechnung außerdem auf Dienstzeiten beschränkt werden kann, die in anderen Mitgliedstaaten im öffentlichen Dienst gesammelt wurden. GA Jacobs hält dies in seinen SA im Verfahren Rs Schöning-Kougebetopoulouwegen dem besonderen Berufsethos öffentlich Bediensteter für zulässig (Rz 22 f): „Eine Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung setzt typischerweise die Bereitschaft voraus, ein vergleichsweise bescheidenes Entgelt für eine größere langfristige Sicherheit hinzunehmen, verbunden vielleicht mit der Befriedigung, der Allgemeinheit einen Dienst zu leisten.“Baumgärtner (ZESAR 2007, 77 [81]) hat auf eine Mitteilung der Kommission hingewiesen, wonach „wegen der sehr unterschiedlichen Organisation öffentlicher Aufgaben (zB Gesundheitswesen, Bildungswesen, öffentliche Versorgungsbetriebe usw.) und der fortschreitenden Privatisierung dieser Aufgaben nicht auszuschließen ist, dass auch eine im privaten Sektor eines anderen Mitgliedstaates erworbene vergleichbare Berufserfahrung berücksichtigt werden muss, selbst wenn normalerweise eine Erfahrung im privaten Sektor im Aufnahmemitgliedstaat nicht berücksichtigt wird“ (KOM 2002/694, 26). In einem neueren Arbeitsdokument der Kommission taucht diese Meinung allerdings nicht mehr auf (SEK 2010/1609 24 f). Die Kommission weist nur richtig darauf hin, dass Berufserfahrung im ausländischen privaten Sektor dann angerechnet werden muss, wenn nach der jeweiligen Regelung Dienstzeiten im nationalen privaten Sektor berücksichtigt werden. Fraglich ist dabei auch, in welchen Fällen man noch von einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst sprechen kann. Der OGH hatte bereits zu entscheiden, wann eine Tätigkeit bei einer ausländischen Gebietskörperschaft vorlag, die unionsrechtskonform österreichischen Vordienstzeiten gleichzustellen war (OGH 30.9.2009, 9 ObA 19/09y; OGH8 ObA 10/09t
Die Problematik der Vordienstzeiten iZm der AN-Freizügigkeit stellt sich auch bei privaten AG. Problematisch können etwa Regelungen in Kollektivverträgen sein, wie die Rs Schöning-Kougebetopoulouzeigt (wenngleich es sich um einen Tarifvertrag für Bundesangestellte handelte). Aschauer sieht in den Anrechnungsbestimmungen österreichischer Kollektivverträge aktuell keine Verstöße gegen die AN-Freizügigkeit (ASoK 2014, 174). Ein Grund dafür ist die Rsp des OGH, wonach die Anrechnung von Dienstzeiten bei anderen AG in Kollektivverträgen so auszulegen ist, dass auch Beschäftigungszeiten im Ausland zu berücksichtigen sind (RIS-Justiz RS0029298). Neben den Interessenvertretungen sind aber auch private AG zur Wahrung der AN-Freizügigkeit verpflichtet (EuGH 6.6.2000, C-281/98, Angonese), was dann auch bei der Berücksichtigung von (Vor-)Dienstzeiten gelten muss. Unterstellt man, dass der EuGH die Betriebstreue grundsätzlich als Rechtfertigung akzeptiert, ist das Abstellen auf das unternehmensinterne Dienstalter unproblematisch. Aus der oben dargestellten Rsp zum öffentlichen Dienst ergeben sich allerdings zwei Vorgaben bei der Berücksichtigung von Vordienstzeiten. Nicht mit einer „Treueprämie“ zu rechtfertigen wäre erstens die Anrechnung von Vordienstzeiten nur aus bestimmten anderen nationalen (Konzern-)Gesellschaften, weil der EuGH eine „Treue“ zu mehreren „rechtlich selbständigen AG“ nicht akzeptiert (so etwa in der vorliegenden E). Überträgt man die Rsp des EuGH auf den privaten Bereich, kann also eine (nationale) „Konzerntreue“ einen Eingriff in die AN-Freizügigkeit nicht rechtfertigen. Zweitens könnte auch die Berücksichtigung von Dienstzeiten nur innerhalb eines Unternehmens problematisch sein, wenn dem Unternehmen mehrere Betriebe angehören, die untereinander im Wettbewerb stehen (analog zur Rs Köbler). Ein Verstoß gegen die AN-Freizügigkeit liegt auch vor, wenn Dienstzeiten für denselben AG in anderen Mitgliedstaaten bei der Prüfung eines Anspruchs auf eine Betriebspension nicht berücksichtigt werden (EuGH 10.3.2011, C-379/09, Casteels/British Airways).415