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Ausbildungskostenrückersatz bei betriebsinterner Ausbildung ohne Abschlussprüfung: keine Aufrechnung mit Lohnansprüchen

CharlotteReiff (Wien)
  1. Ausschlaggebend dafür, ob Ausbildungskosten iSd § 2d AVRAG vorliegen, ist, ob die dem AN vermittelten Kenntnisse auf dem Arbeitsmarkt verwertbar sind bzw ob er dadurch einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt, weil seine Fähigkeiten zunehmen und seine Berufschancen auf dem Arbeitsmarkt steigen. Für die „erfolgreich absolvierte“ Ausbildung iSd § 2d AVRAG ist eine Prüfung oder ein Zeugnis nicht erforderlich.

    Dass der AN nach Abschluss der Ausbildung nicht von Beginn an völlig mängelfrei arbeitet und noch nicht die gleichen Fertigkeiten haben muss wie ein Mitarbeiter, der seit längerem mit einer entsprechenden Aufgabe befasst ist, kann dabei nicht schaden, weil auch eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung den Wert von Routine und Erfahrung nicht ersetzen mag. Ob die Ausbildung extern oder firmenintern angeboten wird, macht grundsätzlich keinen Unterschied.

  2. Zwischen der Entgeltforderung des AN und dem Anspruch des AG auf Rückersatz von Ausbildungskosten gem § 2d AVRAG liegt kein rechtlicher Zusammenhang vor. Eine Aufrechnung der Forderungen des AG auf Rückersatz der Ausbildungskosten gegen den der Exekution entzogenen Teil der Lohnforderung kommt mangels ausreichender Konnexität nicht in Betracht.

Die Kl war seit 5.5.2008 bei der Rechtsvorgängerin der Bekl zunächst als Friseurlehrling und danach als Friseurin angestellt [...]. Die Kl verdiente bei der Bekl zuletzt 1.087,56 € brutto. Das Dienstverhältnis endete durch Kündigung der Kl zum 11.12.2011. Die Bekl behielt von den Löhnen der Kl für November und Dezember 2011 einen Betrag von 806,28 € netto für die Ausbildung der Kl für Nageldesign und Wimpernverlängerung ein.

Die Kl macht diesen Betrag als Lohnforderung geltend. Die Kriterien des § 2d AVRAG für die Rückersatzvereinbarungen seien nicht erfüllt. [...]

Die Bekl bestritt [...]. Das Aufrechnungsverbot nach § 293 Abs 3 EO werde nicht schlagend, weil es sich bei den Ausbildungskosten um einen Vorschuss handle, der unter den Bedingungen des § 2d AVRAG rückerstattungsfähig sei. [...]

Das Erstgericht [...] stellte [...] zusammengefasst fest: [...] In Hinblick auf die Übernahme zum 1.9.2011 präsentierte der Geschäftsführer der Bekl den Mitarbeitern die Dienstleistungspalette der Bekl, die auch Haarverlängerungen, Kosmetikbehandlungen, Nageldesign, Wimpernverlängerung und Fußpflege umfasst, und erklärte, es würde ihn freuen, wenn die Mitarbeiterinnen eine Zusatzausbildung machten. Die Kl meldete sich für die Ausbildung in Nageldesign und Wimpernverlängerung an. Am 25.8.2011 unterfertigte sie [...] folgende Vereinbarung:

„Vertragliche Vereinbarung!

Zwischen der M* & M* GmbH als Arbeitgeber einerseits und Frau E* F* als Arbeitnehmerin andererseits wird folgende Vereinbarung getroffen:

Frau E* F* ist gewillt, im Rahmen ihrer Tätigkeit bei ‚M* & M‘ als Friseurin und Perückenmacherin neben der herkömmlichen, branchenüblichen saloninternen Aus- und Fortbildung bei M* & M* weitere spezielle Aus- und Fortbildungsveranstaltungen zu besuchen.

Frau E* F* ist sich der Tatsache bewusst, dass sie durch die im Folgenden beschriebenen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen einen Ausbildungsstand erreicht, der Dienstnehmern im Rahmen ihrer herkömmlichen, branchenüblichen Ausbildung im Regelfall nicht angeboten wird. Dadurch ist es ihr zum einen möglich, den Anforderungen bei ‚M* & M*‘ gerecht zu werden, zum anderen erhält sie durch die im Anschluss genannten Aus- und Fortbildungsmaßnahmen ganz entscheidende (Wettbewerbs-)Vorteile gegenüber anderen sich am Arbeitsmarkt befindlichen branchengleichen Dienstnehmern.

Gesamtkosten Nageldesign Ausbildung EUR 490,00: Frau E* F* verpflichtet sich, die obgenannten effektiv angefallenen und vom Arbeitgeber getragenen Gesamtkosten dieser Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen in Höhe von EUR 490,00, die für sie einen auch außerhalb des bestehenden Dienstverhältnisses wirtschaftlichen verwertbaren, hiemit ausdrücklich anerkannten Vorteil begründen, dem Arbeitgeber zu vergüten bzw zurückzuzahlen, wenn das Dienstverhältnis innerhalb von drei Jahren wie auch immer frühzeitig endet. Diese Rückzahlungsverpflichtung verringert sich nach Ablauf eines jeden vollen Jahres um ein Drittel der ursprünglichen Gesamtkosten.“

Eine gleichlautende Vereinbarung wurde hinsichtlich einer Ausbildung in Lash Sensation Wimperntechnik abgeschlossen [...]. Die Schulungen wurden von zwei Mitarbeiterinnen der Bekl in ihrer Arbeitszeit durchgeführt. Sie erhalten von der Bekl pro Schulungstag 15 € an Diäten, eine von ihnen auch 15 € an Fahrtkostenersatz. Die Schulungen der Kl, die von Dienstag bis Samstag arbeitete, fanden jeweils montags ab 9:00 Uhr [...] statt. [...] Bis Mittag wurde Wimpernverlängerung unterrichtet, nachmittags fand die Nagelschulung (jeweils vier Stunden) statt. [...] Die Kl bekam von der Bekl einen Materialkoffer für die Wimpernverlängerung im Wert von 86 € und einen Karton für Nageldesign im Wert von 304 €, mit dem sie an den Modellen arbeitete. Nach der Schulung sollten die Mitarbeiterinnen der Bekl die erlernten Fähigkeiten in ihrer Arbeitszeit an Kunden festigen, wobei die Bekl mindestens fünf bis zehn Modelle empfiehlt. Die Kl [...] führte zwischen 5. und 15.10.2011 an sieben Kunden eine Nagelbehandlung zum vergünstigten Preis von 44 € (Normalpreis: 80 €) durch. Von 6.10. bis 3.11.2011 nahm sie an sechs Kundinnen Wimpernverlängerungen zum vergünstigen Preis von 54 € (anstatt 120 €) vor. [...] Bei den Nagelbehandlungen der Kl gab es Reklamationen wegen Luftbläschen, eine Kundin beschwerte sich, dass die Wimpern nur einige Tage gehalten416 hätten. Die Kl erhielt anlässlich ihres Ausscheidens von der Bekl ein Arbeitszeugnis, in dem diese bestätigte, dass sich die Kl für die Berufszweige Nageldesign und Wimpernverlängerung ausbilden ließ.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, [...] die Vereinbarungen über den Ausbildungskostenrückersatz seien wirksam zustande gekommen. Kenntnisse des Nageldesigns und der Wimpernverlängerung seien bei anderen AG verwertbare Spezialkenntnisse iSd § 2d AVRAG. Die erfolgreiche Absolvierung einer Ausbildung iS dieser Bestimmung erfordere weder eine Prüfung noch ein Zeugnis. [...] Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Streitteile keine Folge und schloss sich unter Darlegung von Lehre und Rsp im Wesentlichen der Argumentation des Erstgerichts an. [...] Die Revisionen beider Streitteile sind zulässig, jedoch nicht berechtigt.

I. Zur Revision der Kl [...]:

I.2. Bereits das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf Lehre und Rsp den Begriff der „Ausbildung“ iS dieser Bestimmung dargelegt und zutreffend die Vermittlung von theoretischen und praktischen Spezialkenntnissen (Nageldesign, Wimpernverlängerung) an die Kl als eine solche Ausbildung qualifiziert [...]. Hervorzuheben ist davon, dass für die Frage, ob Ausbildungskosten iSd § 2d AVRAG vorliegen, ausschlaggebend ist, ob die dem AN vermittelten Kenntnisse auf dem Arbeitsmarkt verwertbar sind bzw ob er dadurch einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt, weil seine Fähigkeiten zunehmen und seine Berufschancen auf dem Arbeitsmarkt steigen (siehe RIS-Justiz RS0125435). Ob die Ausbildung dabei extern oder firmenintern angeboten wird, kann keinen grundsätzlichen Unterschied machen, muss es einem AG doch freistehen, die Vermittlung von Spezialkenntnissen durch Fremd- oder Eigenpersonal durchführen zu lassen. Wenngleich zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 2d AVRAG wurden in diesem Sinn auch konzernnahe Ausbildungsmöglichkeiten nicht schon grundsätzlich von einer Kostenrückerstattung ausgeschlossen (9 ObA 151/12i). Die Kl meint allerdings, dass eine Ausbildung ohne Qualifikationsprüfung nicht „erfolgreich absolviert“ sein könne.

I.3. Der Gesetzeswortlaut selbst lässt offen, was unter dem „erfolgreichen Absolvieren“ zu verstehen ist. [...]

I.7. Gemessen an der § 2d AVRAG zugrunde liegenden Wertung, dass der Ersatz von Ausbildungskosten durch den AN dann gerechtfertigt ist, wenn ihm am Arbeitsmarkt verwertbare Spezialkenntnisse verschafft wurden, muss es für den Ausbildungserfolg darauf ankommen, dass dem AN ein bestimmtes Wissen und bestimmte Fähigkeiten (Know How) dergestalt vermittelt wurden, dass er darüber verfügen und sie einsetzen kann. Wird die Vermittlung des Wissens und der Fähigkeiten am Ausbildungsende einer Prüfung unterzogen, so ist für die Beurteilung des Ausbildungserfolges in der Regel das positive Absolvieren der Prüfung maßgeblich. Eine Prüfung oder ein Zeugnis muss aber nicht in jedem Fall vorgesehen sein, weil der Erfolg einer Ausbildungsleistung auch nur an den neu erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten des auszubildenden Mitarbeiters ersehen und gemessen werden kann. Dass der Auszubildende nach Abschluss der Ausbildung nicht von Beginn an völlig mängelfrei arbeitet und noch nicht die gleichen Fertigkeiten haben muss wie ein Mitarbeiter, der seit längerem mit der entsprechenden Aufgabe befasst ist, kann dabei nicht schaden, weil auch eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung den Wert von Routine und Erfahrung nicht zu ersetzen vermag. Es kann aber auch kein Zweifel bestehen, dass auch ohne Prüfungsnachweis erworbene Spezialkenntnisse am allgemeinen Arbeitsmarkt nachgefragt und bewertet werden können. Der erkennende Senat schließt sich daher für den Fall, dass eine Ausbildung keine Qualifikationsprüfung vorsieht, jenen Literaturmeinungen an, die für den „erfolgreichen Abschluss“ einer Ausbildung iSd § 2d AVRAG eine Prüfung oder ein Zeugnis nicht für erforderlich erachten. [...]

I.9. Davon ausgehend sind die Vorinstanzen zu Recht zum Ergebnis gelangt, dass der Kl im vorliegenden Fall eine erfolgreiche Ausbildung zum Nageldesign und zur Wimpernverlängerung zuteil wurde, die auf dem Arbeitsmarkt, insb im kosmetischen Bereich, nachgefragt und verwertbar ist und damit zu einer Steigerung der Berufschancen der Kl geführt hat. [...] Danach ist die Revision der Kl auch in diesem Punkt nicht berechtigt, sodass ihr ein Erfolg zu versagen ist.

II. Zur Revision der Bekl [...]:

II.1. Gem § 293 Abs 3 EO ist die Aufrechnung gegen den die Exekution entzogenen Teil der Forderung, abgesehen von den Fällen, wo nach bereits bestehenden Vorschriften Abzüge ohne Beschränkung auf den der Exekution unterliegenden Teil gestattet sind, nur zulässig zur Einbringung eines Vorschusses, einer im rechtlichen Zusammenhang stehenden Gegenforderung oder einer Schadenersatzforderung, wenn der Schaden vorsätzlich zugefügt wurde. Die Anwendung der Pfändungsbeschränkungen ist zwingendes Recht (§ 293 Abs 1 und 2 EO).

II.2. Bereits das Berufungsgericht hat zu Recht verneint, dass die von der Bekl verauslagten Ausbildungskosten als der Aufrechnung zugänglicher Entgeltvorschuss (§ 293 Abs 3 erster Fall EO) zu qualifizieren sind. Denn dabei handelt es sich nicht um eine Vorauszahlung auf einen noch nicht fälligen Entgeltanspruch der Kl für dann tatsächlich erbrachte Arbeitsleistungen (siehe auch Oberhammer in

Angst
, EO2 § 290c Rz 2), sondern um einen von der Bekl einem Dritten geleisteten Aufwand (Ausbildungskosten), den sie von der Kl ersetzt haben will.

II.3. Aber auch der für eine Aufrechnung alternativ erforderliche rechtliche Zusammenhang (§ 293 Abs 3 zweiter Fall EO) ist nicht gegeben: Er liegt dann vor, wenn Forderungen aus einem einheitlichen Rechtsverhältnis hergeleitet werden. Außerdem muss ein unmittelbarer enger Bezug bestehen und bei der Beurteilung dem Schutzzweck der Norm Rechnung getragen werden. Der Zweck des § 293 EO besteht in der Verhinderung der Umgehung der Pfändungsbeschränkungen (RIS-Justiz RS0121046). Der Begriff des rechtlichen Zusammenhangs ist dabei eng auszulegen (vgl RIS-Justiz RS0003873).

II.4. Für die enge Verknüpfung zwischen Forderung und Gegenforderung reicht jedoch die bloße Rückführbarkeit beider Forderungen auf ein und dasselbe Dienstverhältnis nicht aus. Wäre dies Absicht des Gesetzgebers gewesen, hätte er sich damit begnügen können, für alle gegenseitigen Forderungen aus dem Dienstverhältnis die unbeschränkte Aufrechen417barkeit zu normieren (siehe RIS-Justiz RS0003888, RS0003908). [...]

II.5. In der Literatur sind Reissner in ZellKomm2 § 2d AVRAG Rz 1 und Neumayr in ZellKomm2 § 293 EO Rz 4 der Ansicht, dass eine Aufrechnung mit der Forderung auf Rückersatz von Ausbildungskosten gegen den der Exekution entzogenen Teil der AN-Forderung mangels ausreichender Konnexität nicht in Betracht kommt.

II.6. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an: Auch wenn man der Ansicht der Bekl folgt, dass die Ausbildungsvereinbarung nur einen Zusatz zum Dienstvertrag der Kl darstellt, so wird nach der dargelegten Rsp das für den rechtlichen Zusammenhang erforderliche Kriterium des „einheitlichen Rechtsverhältnisses“ mit dem Bestand eines Dienstverhältnisses alleine noch nicht verwirklicht. Die Ansprüche haben auch unterschiedliche Anknüpfungspunkte: Während Grundlage des Entgeltanspruchs eines DN der Dienstvertrag und die laufende Arbeitsleistung ist, resultiert der Rückforderungsanspruch des DG iSd § 2d AVRAG aus seiner wegen der „verfrühten“ Beendigung des Dienstverhältnisses frustrierten Aufwendung für die Ausbildung des DN, wodurch nur dieser Anspruch ausschließlich beendigungsabhängig ist. Er steht mit dem Lohnanspruch daher allenfalls in einem mittelbaren Zusammenhang. Schon das Berufungsgericht hat überdies zu Recht zu bedenken gegeben, dass eine Aufrechnung des Rückersatzanspruchs mit dem pfändungsfreien Teil des Arbeitseinkommens auch dem Zweck des § 2d AVRAG entgegenstünde, die Kündigungsfreiheit des AN nicht zu beschränken, wäre doch ein AN bei einem entsprechend hohen Rückerstattungsanspruch des AG nur vor die Wahl gestellt, entweder nicht zu kündigen oder mit einem unter der Pfändungsgrenze liegenden Einkommen auszukommen. Das führt aber zum Ergebnis, dass auch bei der Rückforderung von Ausbildungskosten das Aufrechnungsverbot des § 293 Abs 3 EO zum Tragen kommen muss. Der zweite Fall leg cit („rechtlicher Zusammenhang“), der ausnahmsweise eine Aufrechnung gestattet, liegt nicht vor. [...]

Anmerkung

In dieser E finden sich zwei wichtige Aspekte des Ausbildungskostenrückersatzes. Einerseits wurde die Frage geklärt, ob das Ablegen einer Prüfung ein notwendiges Kriterium für eine „erfolgreich absolvierte“ Ausbildung ist. Andererseits war fraglich, ob es eine Aufrechnung mit der Forderung der AG auf Rückersatz von Ausbildungskosten gegen den der Exekution entzogenen Teil der Lohnforderung der AN geben kann. Beides hat der neunte Senat verneint und anhand von ausführlicher Auseinandersetzung mit Vorjudikatur und Literatur begründet. Fragen, die sich in Zusammenhang mit der betriebsinternen Wissensvermittlung und damit zusammenhängenden tatsächlich entstandenen Kosten stellen, wurden hingegen nicht näher thematisiert.

1.
Ausbildung iSd § 2d AVRAG
1.1.
Erfolgreich absolvierte Ausbildung

Die Frage, ob es sich um eine „erfolgreich absolvierte“ Ausbildung iSd § 2d Abs 1 AVRAG handelt, wird sich in der Praxis vor allem dann stellen, wenn wie in diesem Fall die Ausbildung keinem Abschluss durch eine Prüfung zugänglich ist. Im vorliegenden Sachverhalt fand eine mehrtägige Ausbildung statt, die AN übte an einigen Kunden die Ausbildungsinhalte und bekam schließlich anlässlich des Ausscheidens im Arbeitszeugnis eine Bestätigung über die Teilnahme an den Ausbildungen vermerkt. Bei der „Erfolgsprüfung“ musste sich der OGH mit zwei Aspekten auseinandersetzen: Ab wann kann man formell davon sprechen, dass eine Ausbildung „erfolgreich absolviert“ wurde? Und schadet es dem Erfolg, wenn die AN nach Abschluss noch nicht über die erforderlichen Fähigkeiten verfügt?

Zur ersten Fragestellung gibt es bisher auch in der Literatur keine einheitliche Auffassung. Sicherlich auch, weil in diesem Zusammenhang sehr unterschiedliche Parameter in der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung zu beachten sind. In der E werden die folgenden Positionen berücksichtigt: Für Binder (AVRAG2 § 2d Rz 27) ist es nicht entscheidend, ob der Erfolg in der Anwesenheit, Mitarbeit und/oder der Ablegung einer Prüfung besteht. Ähnlich argumentiert auch Reissner (ZellKomm2 § 2d AVRAG Rz 9), dass die Maßnahme überhaupt einem erfolgreichen Abschluss zugänglich sein muss, aber Prüfungen oder Zeugnisse nicht entscheidend sind. Er stellt auf den tatsächlichen erfolgreichen Abschluss ab. Oberhofer (Ausbildungskostenersatz und Konkurrenzklausel neu, ZAS 2006, 155) hält die konkrete Ausgestaltung der Ausbildung für maßgeblich. So können Ausbildungen bloß die Anwesenheit der Auszubildenden erfordern, aber auch Mitarbeit und eine (Abschluss-)Prüfung. Zusätzlich stellt sie aber auch auf eine wörtliche Interpretation des „Absolvierens“ ab, nach der die vorgeschriebene Ausbildungszeit an einer Bildungseinrichtung abzuleisten bzw etwas auszuführen oder durchzuführen ist. „Erfolg“ steht für das positive Ergebnis einer Bemühung. Eypeltauer (Offene Fragen des Ausbildungskostenrückersatzes, ecolex 2007, 197) stellt auch auf das Bemühen ab, weil nur eine Ausbildung, die zum Erfolg ein Bemühen voraussetzt, eine solche iSd § 2d Abs 1 AVRAG ist. Eine Prüfung hält er für den erfolgreichen Abschluss grundsätzlich für erforderlich, weil erst damit in der Regel bessere Chancen des/der AN am Arbeitsmarkt einhergehen.

In der E schließt sich der OGH den Meinungen an, die die Ablegung einer Prüfung für den erfolgreichen Abschluss für nicht erforderlich halten, wenn eine Prüfung nicht vorgesehen ist. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass es beim Ausbildungserfolg darauf ankomme, dass ein bestimmtes Wissen und bestimmte Fähigkeiten vermittelt werden und dass der/die AN darüber verfügen und sie einsetzen kann. Dies führt allerdings zur zweiten Fragestellung: Wann verfügt ein/e AN über die Fähigkeiten und schadet es dem Erfolg, wenn er oder sie nach Abschluss die erforderlichen Fähigkeiten noch nicht einsetzen kann? Im vorliegenden Fall war die AN bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses nicht in der Lage, die Wimpernverlängerungen und das Nageldesign mängelfrei auszuführen. In einer anderen E (OGH 27.11.2012, 8 ObA 51/12a) hatte der OGH sich erstmals mit dem Kriterium des „erfolgreichen Absolvierens“ auseinandergesetzt und völlig wertlose, weil nicht verständliche Ausbildungen von diesem ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall lag die Mangelhaftigkeit bei Umsetzung der Ausbildungsinhalte durch die AN jedoch nicht an den unverständlichen Inhalten, sondern der418 OGH sah diese Mangelhaftigkeit als Zeichen fehlender Routine an. Die AN hatte nach dieser Sichtweise zwar Kenntnisse erworben, die sie am Kunden gebrauchen konnte, allerdings hätte sie diese noch festigen müssen. Auch im Anschluss an eine „erfolgreich absolvierte“ Ausbildung, schadet es also nicht, dass ein/e AN noch nicht fehlerfrei arbeitet. Durch diese Konkretisierungen ist weitere Klarheit in Hinblick auf die Auslegung des Kriteriums „erfolgreich absolviert“ geschaffen worden. Obwohl das Ergebnis im konkreten Fall vielleicht durchaus gerechtfertigt erscheint, könnte sich die Auslegung in anderen Fällen uU als problematisch erweisen. Denn damit Kenntnisse aus einer Ausbildung am Arbeitsmarkt in der Praxis tatsächlich verwertbar sind, bedarf es eines Nachweises für spätere AG. Wird dieser nicht durch ein Zertifikat – am besten mit Verweis auf einen positiven Prüfungserfolg – erbracht, ist es schwer, diese Kenntnisse nachzuweisen. Wenn dann auch wie in diesem Fall die praktischen Kenntnisse aufgrund von mangelnder Routine noch nicht erlernt sind, könnte der/die AN bei zukünftigen AG auch durch Probearbeit nicht nachweisen, dass er/sie über die Fähigkeiten verfügt. Bei einer Ausbildung, die ohne Prüfung und mit fehlender Routine endet, ist der Mehrwert am Arbeitsmarkt und die Steigerung der Berufschancen für AN zweifelhaft. Aus dieser Sicht ist der oben genannten Einschätzung von Eypeltauer – in der Regel bringe erst eine Prüfung bessere Chancen am Arbeitsmarkt – etwas abzugewinnen.

1.2.
Betriebsinterne Ausbildung

Ein weiterer Aspekt, der von der AN vorgebracht wurde, um der „erfolgreichen Absolvierung“ im konkreten Fall zu widersprechen, war die betriebsinterne Abhaltung durch Eigenpersonal der AG. In den Entscheidungsgründen wird betont, dass es keinen grundsätzlichen Unterschied macht, ob die Ausbildung intern angeboten wird. AG wird es damit freigestellt, ob sie die Vermittlung der Spezialkenntnisse durch Fremd- oder Eigenpersonal durchführen lassen. Die Entscheidungsgründe sind in dieser Hinsicht nicht sehr detailliert, sondern es wird lediglich auf eine frühere E (OGH 29.1.2013, 9 ObA 151/12i) verwiesen, wonach auch konzernnahe Ausbildungsmöglichkeiten nicht schon von vornherein von einer Kostenrückerstattung ausgeschlossen sind. Die Frage der Abwägung von nicht ersatzfähigen „Sowieso-Kosten“ und „tatsächlich aufgewendeten“ Ausbildungskosten iSd § 2d AVRAG, wird nicht thematisiert.

Zwei Aspekte erscheinen bei einer betriebsinternen Ausbildung aber berücksichtigenswert: Erstens wird man zur Beurteilung auf die Inhalte der Ausbildung, dh Einschulung oder tatsächliche Ausbildung, achten müssen. Denn bei rein betriebsinternen Ausbildungen kann die Gefahr bestehen, dass es sich nur um eine bloße Wissensvermittlung durch dienstältere KollegInnen handelt, die sich schon aus dem Arbeitsvertrag ergibt und nicht als Ausbildung iSd § 2d AVRAG angesehen werden kann (vgl dazu Wanderer, „Tatsächliche Ausbildungskosten“ bei betriebs- oder konzerninternen Schulungsmaßnahmen?DRdA 2013, 443). Dass es sich im konkreten Fall um eine vollwertige Ausbildung gehandelt hat, kann aufgrund gegenteiliger Indizien kaum in Zweifel gezogen werden. Es handelte sich jedenfalls nicht um eine bloße Einschulung, die die Rückforderung von Ausbildungskosten gem § 2d Abs 1 AVRAG ausschließen würde.

Fraglich ist allerdings zweitens, ob es in Fällen von betriebsinterner Ausbildung nicht einer genaueren Prüfung bedarf, welche Kosten für die Ausbildung tatsächlich entstanden sind. In der Judikatur (OGH 29.1.2013, 9 ObA 151/12i) sah man zuletzt das Vorliegen von Anhaltspunkten dafür, dass die verrechneten Kosten nur fiktiv, willkürlich oder in Wahrheit nicht von der konkreten Teilnehmerzahl abhängig gewesen wären oder lediglich eine konzerninterne buchhalterische Umschichtung dargestellt hätten, als Voraussetzung für die Überprüfung von gegenüber AN geltend gemachten konzerninternen Ausbildungskosten an. Auch im vorliegenden Fall kann sicherlich nicht ohne Weiteres von reinen „Sowieso-Kosten“ ausgegangen werden, also Aufwendungen, die der AG auch ohne die Teilnahme der AN entstanden wären. Denn die Ausbildung wurde beispielsweise von zwei Mitarbeiterinnen in ihrer Arbeitszeit durchgeführt und die Mitarbeiterin bekam Seminarunterlagen und Übungsmaterial zur Verfügung gestellt. Dennoch erscheint es bei betriebsinternen Schulungen wünschenswert, dass die dem/der AG tatsächlich entstandenen Kosten einer genaueren Prüfung unterzogen werden, um AN nicht ungebührlich durch uU zweifelhafte Ausbildungskosten einzuschränken.

3.
Aufrechnung von Ausbildungskostenrückersatzforderungen gegen pfändungsfreien Teil des Arbeitseinkommens

Dieses Urteil ist der erste Ausspruch des OGH zur Frage, ob die vereinbarte Verpflichtung zum Rückersatz von Ausbildungskosten einen rechtlichen Zusammenhang mit Lohnforderungen von AN iSd § 293 Abs 3 EO begründet. In den Entscheidungsgründen schloss sich der OGH der Ansicht von Reissner (ZellKomm2 § 2d AVRAG Rz 1) und Neumayr (ZellKomm2 § 293 EO Rz 4) an, für die eine Aufrechnung mit der Forderung auf Rückersatz von Ausbildungskosten gegen den der Exekution entzogenen Teil der AN-Forderung mangels ausreichender Konnexität nicht in Betracht kommt. Dies steht im Einklang mit vorangegangener Judikatur, nach der der Begriff des rechtlichen Zusammenhangs eng auszulegen ist und nur solche Gegenforderungen des/der DG unter Außerachtlassung des Pfändungsschutzes aufrechenbar sind, die einen unmittelbaren und engen Sachbezug zum Entgeltanspruch haben (OGH 26.4.1983, 4 Ob 34/83). In der vorliegenden E wird die bloße Rückführung von Forderung und Gegenforderung auf ein und dasselbe Dienstverhältnis als nicht ausreichend angesehen, um der Anforderung eines „einheitlichen Rechtsverhältnisses“ zu entsprechen. Denn während der Entgeltanspruch auf der laufenden Arbeitsleistung gemäß Dienstvertrag beruht, ist der Ausbildungskostenrückersatzanspruch auf Seiten der AG beendigungsbedingt auf die Kündigung der AN zurückzuführen. Eine Aufrechnung würde dem Zweck des § 2d AVRAG entgegenstehen, die Kündigungsfreiheit von AN nicht zu beschränken. Dies erscheint insb vor dem Hintergrund von Ausbildungen in Branchen mit geringen Einkommen – wie im konkreten Fall – gerechtfertigt.419