42Textanalyse bei Kollektivverträgen
Textanalyse bei Kollektivverträgen
Mit dem Zusatz-KollV wurde kein allgemeiner, auf alle Autobahnbaustellen in Österreich anzuwendender KollV geschaffen. Die in § 3 Abs 2 Zusatz-KollV normierte Erschwerniszulage steht nur jenen AN zu, die auf den taxativ in § 1 lit e und f aufgezählten Autobahnen und Schnellstraßen beschäftigt sind.
Maßgeblich ist bei der Auslegung von Kollektivverträgen, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann, denn die Normadressaten, denen nur der Text des KollV zur Verfügung steht, können die Vorstellungen, die die Kollektivvertragsparteien beim Abschluss vom Inhalt der Norm besessen haben, weder kennen noch feststellen. In der Rsp ist aber anerkannt, dass auch ein „Blick über den Kollektivvertragsrand“ als zusätzliches Auslegungskriterium herangezogen werden kann.
Wenn die Kollektivvertragsparteien für auf Autobahnbaustellen beschäftigte Arbeiter je nach Baulos unterschiedliche Regelungen, etwa in Bezug auf Arbeitszeit und Entgelt treffen, bedeutet dies für sich allein gesehen noch keinen Wertungswiderspruch, der zwecks Vermeidung einer Ungleichbehandlung hintangehalten werden müsste.
Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass der Kl als BR des selbständigen Betriebsteils der Zweigniederlassung Salzburg der Bekl gem § 54 Abs 1 ASGG klagslegitimiert ist und bei der Bekl eine Vielzahl von DN (30 namentlich genannte) beschäftigt sind, die für die Bekl Arbeiten auf der Innkreisautobahn A 8 verrichten.
Der Zusatz-KollV (zum KollV für Bauindustrie und Baugewerbe) vom 25.5.1955 in der geltenden Fassung vom 20.4.2004 zur Regelung der Arbeitsbedingungen auf den „Autobahn- und Schnellstraßen- Baustellen“ (Zusatz-KollV) lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 1 Geltungsbereich
1. Dieser Zusatzkollektivvertrag erstreckt sich
sachlich: auf alle von der Bundesstraßenverwaltung A im Zuge der Errichtung der Autobahnen und Schnellstraßen gemäß lit e) und f) vergebenen Bauten mit Ausnahme der Hochbauten. Diese Einschränkung gilt jedoch nicht, wenn gleichzeitig mit der Ausführung der Trasse vom gleichen Auftragnehmer auch ein Hochbau ausgeführt wird, der an einem in dem gleichen Bundesland in Ausführung begriffenen Trassenstück liegt;
fachlich: auf alle Betriebe, deren Inhaber Mitglieder der Bundesinnung der Baugewerbe oder des Fachverbandes der Bauindustrie sind bzw auf die von diesen Betrieben gebildeten Arbeitsgemeinschaften;
persönlich: auf alle Arbeitnehmer (einschließlich der Lehrlinge), die nicht Angestellte im Sinne des Angestelltengesetzes sind und bei einem der in b) genannten Betriebe bzw einer von diesen gebildeten Arbeitsgemeinschaft beschäftigt sind;
örtlich: auf alle Bundesländer;
auf den Bau der Bundesstraße Innsbruck bis Schönberg (Brenner Straße), in den die Baulose Stilltalbrücke III (Europabrücke), Remmos, Abrenberg, Patsch, Schönberg usw fallen, und zwar auch dann, wenn dieser Bau nicht unter die Kompetenz der Bundesstraßenverwaltung A fällt, auf den Bau von Schnellstraßen, die richtungsgetrennt mit vier oder mehr Fahrstreifen ausgeführt werden.
auf die Baulose der Teilstrecken (BGBl Nr 300/1981) der A 2 Süd-Autobahn von Grimmenstein über den Wechsel bis Sinnersdorf, der S 6 Semmering-Schnellstraße von Oberdanegg über den Semmering bis St. Michael bei Leoben, der S 36 Murtal-Schnellstraße von St. Michael bei Leoben bis Thalheim bei Judenburg.
2. Sofern im Folgenden nichts anderes bestimmt wird, gilt der Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe (im Folgenden Kollektivvertrag genannt) in seiner jeweiligen Fassung.
§ 3 Erschwerniszulagen
[...] 2. Für Arbeiten an Straßen mit fließendem Verkehr erhalten die mit diesen Arbeiten beschäftigten Arbeitnehmer eine Zulage von 10 Prozent pro Stunde auf den jeweiligen kollektivvertraglichen Stundenlohn.
§ 10 Wirksamkeit
Dieser Zusatzkollektivvertrag tritt in der vorliegenden Fassung am 1. Mai 2004 in Kraft. Er ist eine Wiederverlautbarung des Zusatzkollektivvertrages vom 25. Mai 1955 mit seinen bis 1. Mai 2004 erfolgten Abänderungen. Bezüglich der Kündigung gelten die Bestimmungen des § 16 des Kollektivvertrages.”
Im vorliegenden Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 1 ASGG begehrt der klagende BR die Feststellung, dass jene DN der Bekl, die für die Bekl auf der Baustelle Innkreisautobahn A 8 Arbeiten verrichten bzw verrichtet haben, gem § 3 des Zusatz-KollV vom 25.5.1955 idF vom 20.4.2004 zur Regelung der Arbeitsbedingungen auf den „Autobahn- und Schnellstraßen-Baustellen“ einen Anspruch auf Bezahlung der Erschwerniszulage von 10 % pro Stunde auf den jeweiligen kollektivvertraglichen Stundenlohn haben. Der Zusatz-KollV beziehe sich auf alle Autobahnen. Alle auf der Baustelle A 8 tätigen AN hätten daher Anspruch auf die Erschwerniszulage gem § 3 Z 2 Zusatz-KollV (Fließverkehrszulage).
Die Bekl beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der erwähnte Zusatz-KollV sei schon seinem Wortlaut nach nicht auf Baustellen der A 8 anzuwenden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. [...]
Das Berufungsgericht gab der Berufung des klagenden BR nicht Folge. [...] Die Revision sei aufgrund der über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Auslegung des Zusatz-KollV zulässig. [...]
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Die Vorinstanzen haben die von der Rsp entwickelten Grundsätze für die Auslegung eines KollV zutreffend dargestellt. Danach sind die dem normativen Teil eines KollV angehörenden Bestimmungen nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB, also nach427 der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und der Absicht des Normgebers auszulegen (RIS-Justiz RS0008782; RS0008807). Maßgeblich ist daher, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RIS-Justiz RS0010088). Denn die Normadressaten, denen nur der Text des KollV zur Verfügung steht, können die Vorstellungen, die die Kollektivvertragsparteien beim Abschluss vom Inhalt der Norm besessen haben, weder kennen noch feststellen. Sie müssen sich vielmehr darauf verlassen können, dass die Absicht der Parteien in erkennbarer Weise im Vertragstext ihren Niederschlag gefunden hat (RIS-Justiz RS0010089 [T2]; RS0010088 [T3 und T18]; jüngst 9 ObA 33/13pmwN). In der Rsp ist auch anerkannt, dass bei der Auslegung von Kollektivvertragsbestimmungen auch ein „Blick über den Kollektivvertragsrand“ als zusätzliches Auslegungskriterium herangezogen werden kann (9 ObA 56/10z; 8 ObA 76/10zua).
Ausgehend von diesen Auslegungsgrundsätzen erweist sich die Rechtsansicht der Vorinstanzen, vom sachlichen Geltungsbereich des Zusatz-KollV seien nur Baustellen auf jenen Autobahnen und Schnellstraßen erfasst, die in § 1 Abs 1 lit e) und f) aufgelistet seien, als zutreffend, sodass zunächst darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Die wesentlichen Gründe sind wie folgt zusammenzufassen:
1. Die Erforschung des Wortsinns als primäre Auslegungsregel scheitert hier an der in sich widersprüchlichen Formulierung des Geltungsbereichs des Zusatz-KollV. Sollten mit den Worten „alle von der Bundesstraßenverwaltung A im Zuge der Errichtung der Autobahnen und Schnellstraßen gemäß lit e) und f) vergebenen Bauten“ in § 1 Abs 1 lit a) des Zusatz-KollV zum einen ohnehin alle Autobahnen und zum anderen (nur) die in § 1 Abs 1 lit e) und f) genannten Schnellstraßen gemeint sein, so stellt sich die Frage, weshalb in § 1 Abs 1 lit f) des Zusatz-KollV die „A 2 Süd-Autobahn“ angeführt ist. Wollten die Kollektivvertragsparteien mit der genannten Formulierung aber den sachlichen Geltungsbereich des Zusatz-KollV auf all jene Autobahnen und Schnellstraßen angewendet wissen, die in lit e) und f) taxativ aufgezählt sind, dann stehen damit die einzelnen Baulose der aufgezählten Bundesstraßen nicht in Einklang.
2. Da somit im Rahmen des möglichen Wortsinns erhebliche Unklarheiten über die konkrete Bedeutung des sachlichen Geltungsbereichs des Zusatz-KollV bestehen, muss versucht werden, aus dem Bedeutungszusammenhang ein eindeutiges Auslegungsergebnis zu erzielen (systematisch-logische Auslegung). Diese Auslegung zieht zum besseren Verständnis einer Norm andere damit im Kontext stehende Normen heran, um Wertungswidersprüche innerhalb eines Gesetzes bzw der Rechtsordnung zu vermeiden (vgl 10 ObS 50/12vua; P. Bydlinski in KBB3 § 6 ABGB Rz 4). Auch aus dem Aufbau eines KollV und dem jeweiligen Standort einer Norm lassen sich Schlüsse auf ihren Anwendungsbereich ziehen. In diesem Zusammenhang spielen auch Überschriften eine wesentliche Rolle, die vielfach Rückschlüsse auf den Anwendungsbereich der jeweils folgenden Normen zulassen (vgl Schauer in
Doch auch mit dieser Auslegungsmethode ist hier kein eindeutiges Ergebnis zu erzielen. Andere Normen des Zusatz-KollV, auf die hier zur Klärung des sachlichen Geltungsbereichs des Zusatz-KollV zurückgegriffen werden könnte, sind nicht ersichtlich. Der Titel des Zusatz-KollV lässt jede Auslegungsvariante offen. Wenn die Kollektivvertragsparteien für auf Autobahnbaustellen beschäftigte Arbeiter – aus welchen Gründen auch immer – je nach Baulos unterschiedliche kollektivvertragliche Regelungen, etwa – wie hier – in Bezug auf Arbeitszeit und Entgelt (Zulagen, Trennungsgeld, Kosten von Heimfahrten) treffen, dann bedeutet dies für sich allein gesehen auch noch keinen Wertungswiderspruch, der zwecks Vermeidung einer Ungleichbehandlung dieser Arbeiter hintangehalten werden müsste.
3. Die historische Auslegung, welche an den feststellbaren Absichten des Gesetzgebers anknüpft (vgl 10 ObS 77/11pua; P. Bydlinski in KBB3 § 6 ABGB Rz 5), spricht hingegen für die von den Vorinstanzen vertretene Rechtsansicht:
3.1. In seiner ursprünglichen Fassung vom 25.5.1955 lautete der Titel des Zusatz-KollV „... zur Regelung der Arbeitsbedingungen auf den Autobahnbaustellen“ (die Schnellstraßen hatten noch keinen Eingang gefunden). Der sachliche Geltungsbereich erstreckte sich auf „alle von der Bundesstraßenverwaltung A im Zuge der Errichtung der Autobahnen vergebenen Bauten mit Ausnahme der Hochbauten“ (§ 1 Abs 1 lit a) Zusatz-KollV). [...]
Am 7.9.1959 (rückwirkend mit 1.8.1959 in Kraft getreten) wurde dem § 1 Abs 1 Zusatz-KollV bei gleichbleibendem Titel und Beibehaltung der lit a) eine neue lit e) hinzugefügt, die jedoch keine Autobahn, sondern die im Zuge der Errichtung der Europabrücke (Autobahnbrücke) zu bauenden Bundesstraßen erwähnte.
Am 24.3.1972 wurde ab 1.4.1972 der sachliche Geltungsbereich auf „alle von der Bundesstraßenverwaltung A im Zuge der Errichtung der Autobahnen und Schnellstraßen gemäß lit e) vergebenen Bauten mit Ausnahme der Hochbauten“ erweitert (§ 1 Abs 1 lit a) Zusatz-KollV). § 1 Abs 1 lit e) Zusatz-KollV wurde um die Wortfolge „auf den Bau von Schnellstraßen, die richtungsgetrennt mit vier oder mehr Fahrstreifen ausgeführt werden“ ergänzt.
3.2. Dennoch hatten die Kollektivvertragsparteien bereits am 15.4.1971 mit Wirksamkeitsbeginn 1.4.1971 einen „Zusatzkollektivvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingung der Tauernautobahnbaustellen Eben/Pongau bis Rennweg/Liesertal“ (Zusatz-KollV Tauernautobahn) geschaffen. [...] Mit dem am 1.9.1971 in Kraft getretenen Bundesstraßengesetz 1971 – BStG 1971 (BGBl 1971/286) wurden erstmals die Strecken der einzelnen als Bundesautobahnen bezeichneten Bundesstraßen A beschrieben; die A 10 Tauernautobahn mit „Salzburg (A 1)-Altenmarkt bei Radstadt-Katschberg-Spittal/Drau-Villach (A 2)“.
Mit Wirksamkeitsbeginn 1.4.1974 traten geringfügige Änderungen des Zusatz-KollV Tauernautobahn in Kraft, der räumliche Geltungsbereich blieb jedoch unverändert.
3.3. Am 15.3.1974 wurde weiters mit Wirksamkeitsbeginn 1.3.1974 ein „Zusatzkollektivvertrag vom 25.3.1974 zur Regelung der Arbeitsbedingungen auf der Pyhrn-Autobahn A 9 auf der Strecke St. Michael bis Deutschfeistritz (Gleinalm-Autobahn)“428 (Zusatz-KollV Pyhrn-Autobahn A 9) abgeschlossen. [...]
3.4. Am 1.4.1974 trat der „Zusatz-Kollektivvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingungen auf der Arlberg-Schnellstraße in der Teilstrecke von St. Anton am Arlberg bis Langen am Arlberg“ (Zusatz-KollV Arlberg-Schnellstraße) in Kraft. [...]
3.5. Mit dem BG vom 20.5.1981 betreffend die Errichtung einer Autobahnen- und Schnellstraßen-Gesellschaft, BGBl 1981/300, wurde der Bund verpflichtet, die Planung und Errichtung folgender Abschnitte der im BStG 1971, BGBl Nr 286,angeführten Autobahnen und Schnellstraßen einer Kapitalgesellschaft zu übertragen: [...]
3.6. Genau die in § 1 lit a) bis d) des BG vom 20.5.1981 aufgezählten Baulose finden sich wortgleich im Zusatz-KollV idF vom 28.4.1988 (§ 1 Abs 1 lit f). [...]
3.8. Am 1.5.2004 wurde der gegenständliche Zusatz-KollV, wie bereits eingangs beschrieben, wiederverlautbart (§ 10).
3.9. Diese detaillierte Darstellung der historischen Entwicklung des Zusatz-KollV und anderer vergleichbarer Zusatzkollektivverträge zeigt auf, dass die Kollektivvertragsparteien die räumlichen Geltungsbereiche der jeweiligen Zusatzkollektivverträge immer exakt den entsprechenden Baulosen angepasst haben. Sie beabsichtigten gerade nicht, einen „allgemeinen“, auf alle Autobahnbaustellen in Österreich anzuwendenden Zusatz-KollV zu schaffen. Offenbar abgestellt auf die konkreten Arbeitsanforderungen der jeweiligen Baulose (vgl die Gewährung einer Höhenzulage im Zusatz-KollV Tauernautobahn und im Zusatz-KollV Pyhrn-Autobahn A 9 oder die unterschiedlichen Regelungen der Arbeitszeit und der Heimfahrten in den verschiedenen Zusatzkollektivverträgen), vereinbarten die Kollektivvertragsparteien unterschiedliche Regelungen. Nach wie vor stehen (nur) für ganz bestimmte Baulose eigene Zusatzkollektivverträge in Kraft (vgl ZKV A 12 betreffend Inntalautobahn/Tschirgantt oder ZKV A 9 Pyhrnautobahn Abschnitt Bosruck uva). Hätten die Kollektivvertragsparteien ungeachtet der vorstehenden Gegebenheiten tatsächlich beabsichtigt, dass gerade die (soweit ersichtlich, nur) im Zusatz-KollV zumindest seit 1.5.1988 enthaltene Fließverkehrszulage auch AN zustehen soll, die auf anderen Autobahnbaustellen tätig seien, hätte dies einfach und ausdrücklich geregelt werden können.
Damit muss der Revision des Kl ein Erfolg versagt bleiben. Die von beiden Vorinstanzen erörterte Frage zum Wechsel der die Arbeiten in Auftrag gebenden Person von der Bundesstraßenverwaltung A auf die ASFINAG kann dahingestellt bleiben. Auch eines Eingehens auf die vom Erstgericht vertretene Ansicht zu den inhaltlichen Voraussetzungen der begehrten Erschwerniszulage bedarf es nicht. [...]
Die eigentliche Rechtsfrage, die der OGH zu klären hatte, war jene nach einem Anspruch der auf der Baustelle A 8 tätigen AN auf die sogenannte Fließverkehrszulage nach § 3 des Zusatz-KollV. Im Fokus stand aber eher die methodische Frage, welche Regeln bei der Auslegung von Kollektivverträgen zu beachten seien und inwieweit eine historische Auslegung derselben gestattet sei, die der OGH in diesem Fall angestrengt hat, um zu zeigen, dass kein Anspruch auf die Zulage bestehe.
Rechtswissenschaftliche Auslegung ist als Erkenntnis des positiven Rechts zu verstehen, eine Auslegungsmethode als plangemäßes Vorgehen bei der Suche nach rechtlicher Erkenntnis. Indem sich ein Normsetzer äußert, bringt er den Inhalt der gesetzten Norm als Sinn seines Willensaktes zum Ausdruck. Bei der Interpretation geht es nun um die Deutung dessen, was er zum Ausdruck gebracht hat, um daraus Rückschlüsse auf seinen Willen und damit auf den Inhalt der gesuchten Norm ziehen zu können (zur methodengeleiteten Rechtsfindung siehe Pacic, Methoden der Rechtsfindung im Arbeitsrecht [2012]). Das gilt bei der Auslegung von Gesetzesvorschriften, die als Träger gesetzter (Gesetzes-)Normen und ihres Inhalts dienen, ebenso wie bei der Auslegung von im Wege der kollektiven Rechtsgestaltung erzeugten Rechtsvorschriften.
Basis jeglicher Interpretation ist zunächst der Rechtstext, der ihren Ausgangspunkt bildet. Im Rahmen einer ersten einfachen Textanalyse sind Bedeutung und Sinn der Worte und Sätze mit Blick auf den engeren Kontext zu ergründen und fallbezogen zu konkretisieren. Bei einer weitergehenden, systematischen Textanalyse wäre die auszulegende Rechtsvorschrift sodann mit anderen Rechtsvorschriften wie auch mit Prinzipien der Rechtsordnung in Beziehung zu setzen. In Form einer historischen Textanalyse wäre zudem der historisch-faktische Handlungskontext des Normsetzers zu berücksichtigen. Teleologische Erwägungen hätten auf allen drei Ebenen stattzufinden, die den Rahmen für alle derzeit gängigen Auslegungsmethoden abdecken. Eine Rangordnung derselben gibt es dabei nicht. Dem üblichen Umgang mit Argumenten entspricht es eher, verschiedene Gesichtspunkte zu berücksichtigen und sie zu gewichten, um sie gegeneinander abzuwiegen (vgl Canaris, Die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung, in
Die Orientierung am semantischen Sinngehalt einer Rechtsvorschrift findet dort ihre Grenze, wo pragmatische Auslegungskriterien einen abweichenden Willen des Rechtsetzers deutlich belegen (Potacs, Auslegung im öffentlichen Recht [1994] 39). Bei der Auslegung von Kollektivverträgen scheint der OGH allerdings im besonderen Maße am Wortlaut des Rechtstextes zu haften, weil die Normadressaten die Vorstellungen, die die Kollektivvertragsparteien beim Abschluss desselben vom Inhalt seiner Normen hatten, nicht kennen können. Dabei will das Höchstgericht offenbar darauf hinaus, dass es bei der Auslegung von Kollektivverträgen – anders als bei der Vertragsauslegung – nicht429 auf den wahren Willen der Parteien ankommen könne. Dem ist nichts entgegenzuhalten, zumal es auch bei der Gesetzesauslegung nicht auf den wahren (realpsychologischen) Willen des Gesetzgebers ankommen kann, sondern nur auf jenen, der ihm nach den Regeln der Kommunikation zuzurechnen ist. Zu diesen gehört auch die Bedachtnahme auf den faktischen Äußerungs- und Handlungskontext, der im Rahmen der angesprochenen historischen Textanalyse ins Auge gefasst wird. Eine solche führte der OGH im vorliegenden Fall durch und bezeichnete sie als Blick über den Kollektivvertragsrand. Diesen Blick rechtfertigte er mit dem Hinweis auf die Unergiebigkeit der Erforschung des Wortsinns und mit fehlenden Anhaltspunkten für eine fruchtbare systematisch-logische Auslegung.
Einer solchen Rechtfertigung hätte es jedoch nicht bedurft, denn die Bedachtnahme auf den Handlungs- und als solchen auf den historischen Äußerungskontext des Normsetzers ist ein legitimes Auslegungsmittel. Die historische Regelungsabsicht der Parteien des KollV macht ebenso wenig wie jene der einzelnen Nationalratsabgeordneten den eigentlich rechtserheblichen Willen des jeweiligen Rechtsetzers aus, sondern bloß einen Teil seines Äußerungskontextes, der auf diesen und damit auf den Inhalt der von ihm gesetzten Norm schließen lässt. Dies gilt umso mehr für eine etwaige subjektive Absicht, die unter Berücksichtigung von Semantik und Pragmatik in keiner Weise zum Ausdruck gebracht wurde und dem Normsetzer infolgedessen nach objektiven Kriterien auch nicht als Norminhalt zugesonnen werden kann.
Gegen die Verwertbarkeit von zugänglichem, objektiv-historischem Material, wie etwa von gemeinsamen Stellungnahmen und Erläuterungen im Zuge des Abschlusses eines KollV oder einem Vergleich der Entwicklung der Inhalte und Formulierungen vorangegangener Kollektivverträge, spricht nichts. Auch können offizielle Äußerungen der Kollektivvertragsparteien im Zuge der Kollektivvertragsverhandlungen, die veröffentlicht und ein gewisses Maß an Publizität erreicht haben, durchaus taugliche Argumente aus dem Handlungskontext darstellen, die auf die von ihnen bei der Rechtsgestaltung verfolgten Zwecke schließen lassen. Da sich der Inhalt einer Norm aber (zumindest theoretisch) jedem Rechtsunterworfenen (Adressaten) in gleicher Weise erschließen können muss (vgl Tomandl, Im juristischen Methodendschungel, ÖJZ 2011/58, 542 ff), kommt dagegen eine Befragung der am Zustandekommen eines KollV beteiligten Personen (wie auch der einzelnen Abgeordneten bezüglich der Inhalte von Gesetzesnormen) oder die Verwertung ihrer persönlichen Aufzeichnungen nicht in Betracht; dies liefe nicht nur der Rechtssicherheit zuwider, sondern würde auch in einer untragbaren Belastung der Rechtsgemeinschaft resultieren, die auf objektives und zugängliches Material angewiesen und idR außer Stande ist, förmliche Zeugenbefragungen durchzuführen.
Der Vertragscharakter des KollV könnte lediglich (aber immerhin) eine beschränkte Verstärkung derjenigen Argumente im Gesamtgefüge der möglichen Auslegungsergebnisse bewirken, die für ein im Normtext nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck kommendes, sich aber aus historisch-teleologischen Erwägungen als möglich ergebendes Auslegungsergebnis sprechen; dies dann, wenn sich verschiedene Auslegungsmöglichkeiten gleichgewichtig gegenüber stehen, also nur im Zweifel (vgl Pacic, Die Auslegung des normativen Teils von Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen, ZAS 2010/49, 304). Beschränkt ist dieser Verstärkungsfaktor deshalb, weil die umfassende Erforschung der Regelungsabsicht der Parteien aufgrund der Unzulässigkeit der Zeugenvernehmung und der häufig unzureichenden (zugänglichen) Materialien eingeschränkt ist. Der normative Charakter des KollV bringt es außerdem mit sich, dass kollektivvertragliche (wie auch gesetzliche) Bestimmungen nicht aufgrund eines durch Auslegung ermittelten Dissenses ungültig werden können und eine ergänzende Vertragsauslegung im Wege des hypothetischen Parteiwillens von vornherein ausscheidet, weil widrigenfalls die richterliche Vertragsergänzung ohne (verfassungs-)gesetzlich delegierte Befugnis anstelle der kollektiven Rechtsgestaltung treten würde, die Gerichte sich also Normschöpfung auf Kollektivvertragsebene anmaßen würden.
Sowohl das Berufungsgericht als auch der OGH hielten die Formulierung des Geltungsbereichs des Zusatz-KollV für mehrdeutig und widersprüchlich: Wenn er sich auf alle Autobahnen erstrecke, sei nicht klar, warum die A 2 Süd-Autobahn gesondert angeführt werde, und wenn nur jene Autobahnen und Schnellstraßen erfasst sein sollten, die in lit e und f taxativ aufgezählt seien, stünde damit die gesonderte Erwähnung einzelner Baulose der aufgezählten Bundesstraßen nicht in Einklang. Aus dem Bedeutungszusammenhang sei ebenfalls kein klares Ergebnis zu erzielen. Dass die Kollektivvertragsparteien für auf Autobahnbaustellen beschäftigte Arbeiter je nach Baulos unterschiedliche kollektivvertragliche Regelungen, etwa in Bezug auf Arbeitszeit und Entgelt treffen, bedeute für sich allein gesehen auch noch keinen Wertungswiderspruch, der zwecks Vermeidung einer Ungleichbehandlung dieser Arbeiter hintangehalten werden müsste. In dieser Allgemeinheit ist diese bemerkenswerte Aussage nicht zu bestreiten, wiewohl eine Aufspaltung einer Regelung in zahlreiche, zwischen denselben Parteien geschlossenen Sonder-Kollektivverträge, die eine weitgehende Differenzierung ohne greifbare Unterschiede im Tatsächlichen zur Folge haben – bei Bejahung einer unmittelbaren Bindung an die Grundrechte, die in der Lehre strittig ist (vgl Pacic, Ausgewählte Entgeltklauseln im Kollektivvertrag, in
Bei genauer Betrachtung der Wortfolge „auf alle von der Bundesstraßenverwaltung A im Zuge der Errichtung der Autobahnen und Schnellstraßen gemäß lit e) und f) vergebenen Bauten“430 fällt allerdings auf, dass die Umschreibung des Geltungsbereichs gar nicht so unklar und undeutlich ist, wie es dem Höchstgericht erschienen haben mag, denn das Fehlen des Artikels „der“ vor „Schnellstraßen“, dh der Umstand, dass es nicht heißt „der Autobahnen und der Schnellstraßen gemäß [...], sondern bloß „Autobahnen und Schnellstraßen gemäß [...]“, weist eher darauf hin, dass sich die nachfolgende Einschränkung auf beide Wortgruppen (Autobahnen und Schnellstraßen) gleichermaßen bezieht. Die in § 1 lit e Zusatz-KollV gesondert angeführten Bundestraßen sind am ehesten als eigenständiger – von § 1 lit a Zusatz-KollV losgelöster und diesen ergänzender – Bestandteil der Umschreibung des Geltungsbereichs zu betrachten, zumal es darin heißt, dass sie selbst dann von diesem erfasst seien, „wenn dieser Bau nicht unter die Kompetenz der Bundesstraßenverwaltung A fällt“, wohingegen lit a ausdrücklich nur die von der Bundesstraßenverwaltung A vergebenen Bauten anspricht.
Primärer Sinnträger des rechtlich maßgeblichen Willens eines jeden Normsetzers ist zwar das, was in authentischer Form kundgemacht wurde, doch ist der Sinn seiner Äußerung aus dem jeweiligen normativen und faktischen Zusammenhang, dh aus dem Text- und Handlungskontext heraus zu verstehen. Dies ermöglicht bei der Rechtsfindung ua die Bedachtnahme auf die historische Entwicklung einer Rechtsvorschrift und ihres Normenumfeldes, sofern man auf diese Weise erhellende Hinweise auf und Argumente für einen dem Normsetzer objektiv zurechenbaren Willen gewinnt. Die Rsp scheint auf eine solche historische (Norm-)Textanalyse aber nur sehr zögerlich zurückzugreifen und sieht sich offenbar regelmäßig veranlasst, diesen Schritt eigens zu rechtfertigen.
Im vorliegenden Fall hat sich der OGH allerdings zu einer historischen Untersuchung veranlasst gesehen, weil er das Ergebnis der einfachen Textanalyse zu Unrecht für widersprüchlich hielt. Da sie ihn letztere bei sorgfältiger Durchführung zum selben Ergebnis geführt hätte, hätte es hier ausgereicht, die historische Analyse weniger eingehend, sondern nur zu seiner Prüfung und Bekräftigung (Absicherung) anzustrengen.