Vier-Augen-Prinzip und Betriebsratsfonds

GÜNTHERLÖSCHNIGG (GRAZ)
„Vier Augen sehen mehr als zwei“ hat Sprichwortcharakter, findet sich in vielen Sprachräumen*, weist unterschiedliche kulturhistorische Wurzeln* auf und ist fester Bestandteil der (europäischen) Literatur*. Die Richtigkeit bzw der Wahrheitsgehalt der Grundaussage ist nach allgemeiner Anschauung so offensichtlich, dass eine besondere Beweisführung hiefür nicht erforderlich scheint. Der Ausgestaltung und Bedeutung des Vier- Augen-Prinzips im Zusammenhang mit dem Betriebsratsfonds soll im folgenden Beitrag nachgegangen werden.*
  1. Begriff und Formen des Vier-Augen-Prinzips

  2. Ausgestaltungen in der österreichischen Rechtsordnung

    1. Vereinsrecht und Wirtschaftsrecht

    2. Universitäts- und Hochschulrecht

    3. Datenschutz/Telekommunikation

    4. Sozial- und Gesundheitswesen

    5. Haushaltsrecht/Verwaltung/Verwaltungssignaturen

  3. Die Entwicklung des Vier-Augen-Prinzips in der Betriebsverfassung

  4. Interpretationsprobleme zu § 5 BRF-VO

    1. „Verwaltung“ des Betriebsratsfonds

    2. Verhältnis von § 5 BRF-VO zu anderen Ausgestaltungen des Vier-Augen- Prinzips

    3. Anweisungen zu Leistungen

    4. Sonderfall „Handkasse“

  5. Verletzung des Vier-Augen-Prinzips als Dienstpflichtverletzung?

  6. Dispositionsmöglichkeiten

1.
Begriff und Formen des Vier-Augen- Prinzips

Das Vier-Augen-Prinzip bildet einen Unterfall des Mehr-Augen-Prinzips (zB Sechs-Augen-Prinzip), dh des Grundsatzes, dass gemeinsames Verhalten – Entscheidungen, die von mehreren Personen getroffen, oder sonstige Vorgangsweisen, die von mehreren Personen getragen werden, – aus Gründen einer verstärkten Kontrolle oder einer erhöhten Richtigkeitsgewähr gewünscht sind und für gewisse Rechtshandlungen normativ gefordert werden.

Art und Umfang der Partizipation der beteiligten Personen bestimmen die Ausgestaltung des Vier- Augen-Prinzips. So kann damit der Bedarf nach einer qualifizierten Kontrolle zum Ausdruck kommen (kontrollierendes oder bezeugendes Vier-Augen-Prinzip). Gefordert werden könnte aber auch ein (spezifisches) Zusammenwirken in Richtung eines gemeinsamen Ergebnisses (kooperatives oder mitwirkendes Vier- Augen-Prinzip). Darüber hinaus ist zu differenzieren, ob beide Personen eine gleichberechtigte Funktion innehaben (zB gemeinsame Entscheidungen von Experten mit unterschiedlicher Fachausrichtung) oder ob eine Person nur durch ihre Anwesenheit eine Rolle übernimmt (zB Sicherheitserfordernis bei Betreten eines Hochsicherheitsbereiches).

Eine weitere Differenzierung des Vier-Augen-Prinzips ergibt sich aus dem rechtlichen Verhältnis zwischen den beiden interagierenden Personen. Vom Vier- Augen-Prinzip kann schon dann gesprochen werden, wenn die bloße Existenz von zwei Personen in einem Organ oder sonstigen Gremium gefordert wird (organschaftliches Vier-Augen-Prinzip535; siehe unten). Es kann aber auch verlangt werden, dass nur ein gemeinsames Handeln das gesteckte Ziel erfüllt (interagierendes Vier-Augen-Prinzip). Letzteres liegt vor allem dann vor, wenn gewisse Vertretungshandlungen eines Organs nur in Übereinstimmung beider Organmitglieder vorgenommen werden können (siehe unten).

Beispiele für Zielsetzungen des Vier-Augen-Prinzips sind: konsensuale Entscheidungsfindung aus Gründen einer vermuteten erhöhten Richtigkeitsgewähr bei Entscheidungsprozessen, Steigerung der Effizienz und Kreativität von Entscheidungen, Problemlösungen und Abläufen, Qualitätskontrolle und sonstige Maßnahmen der Qualitätssicherung, Zugangskontrolle iSv bloßer Authentifizierung, Missbrauchs- bzw Inkompatibilitätskontrolle, geteiltes Risikopotential und Haftungsteilung, gemeinsame Verantwortung gegenüber Vertretungskörpern (zB gegenüber der Belegschaft als Gesamtheit), Auftraggebern oder juristischen Personen, die handlungsfähiger Personen bedürfen, Gefahrenreduktion bei erhöhter (nicht finanzieller) Risikowahrscheinlichkeit und bei besonderen Bedrohungsbildern.

2.
Ausgestaltungen in der österreichischen Rechtsordnung
2.1.
Vereinsrecht und Wirtschaftsrecht

Das Vereinsgesetz 2002 sah ursprünglich kein Vier-Augen-Prinzip für die Geschäftsführung des Vereins vor. Erst durch die Novelle BGBl I 2011/137kam es für die Vertretung des Vereins nach außen zu einer entsprechenden Änderung. Gem § 5 Abs 3 VerG muss nunmehr das Leitungsorgan des Vereins aus mindestens zwei Personen bestehen.* Innerhalb des Vereinsorgans können die Geschäfte und Vertretungsaufgaben auch aufgeteilt werden.* Damit wird für das Leitungsorgan keine gemeinsame Geschäftsführung oder gemeinsame Vertretung verlangt.* Insofern handelt es sich bloß um ein organschaftliches Vier-Augen- Prinzip. Das Vier-Augen-Prinzip im Vereinsrecht wird als Ausgleich für die teils geringen Rechte der Mitgliederversammlung* und für das Fehlen eines zwingenden Aufsichtsorgans angesehen.*

Im Wirtschaftsrecht findet das Vier-Augen-Prinzip häufig über die Konzessionserteilung Eingang (vgl § 5 Abs 1 Z 12 BWG, § 4 Abs 6 Z 4 VAG, § 9 Z 14 PKG).

2.2.
Universitäts- und Hochschulrecht

Ein ausschließlich interagierendes Vier-Augen- Prinzip enthält das Universitätsgesetz in § 22 Abs 6. Dieser Bestimmung zufolge hat das Rektorat eine Geschäftsordnung zu erlassen. Gültigkeitsvoraussetzungen sind die Genehmigung durch den Universitätsrat und die Veröffentlichung im universitären Mitteilungsblatt. In dieser Geschäftsordnung ist festzulegen, welche Agenden den einzelnen Mitgliedern des Rektorats allein zukommen, welche Agenden von zwei Mitgliedern des Rektorats und welche von allen Mitgliedern gemeinsam wahrzunehmen sind. Entscheidungen in wirtschaftlichen Angelegenheiten sind jedenfalls von mindestens zwei Mitgliedern des Rektorats zu treffen.* Die Materialien gehen davon aus, dass auf alle Entscheidungen des Rektorats, die nicht zum täglichen Geschäftsbetrieb gehören, das Vier-Augen-Prinzip Anwendung finden sollte.*

Das Vier-Augen-Prinzip nach dem UG ist somit teils unmittelbar gesetzlich verankert (wirtschaftliche Angelegenheiten), teils wird es der Geschäftsordnung autonom überlassen. Insofern kann es zu einem Vier- Augen-Prinzip auf zwei Ebenen kommen.

Dem UG nachgebildet sind die entsprechenden Regelungen für Pädagogische Hochschulen. Auch gem § 15 Abs 6 HG 2005 sind Entscheidungen in wirtschaftlichen Angelegenheiten jedenfalls von zwei Rektoratsmitgliedern zu treffen.* Eine Ausweitung des Vier-Augen-Prinzips durch die Geschäftsordnung ist möglich.

2.3.
Datenschutz/Telekommunikation

Die Sensibilität im Umgang mit personenbezogenen Daten führt im Bereich des Datenschutz- und Telekommunikationsrechts dazu, dass das Vier-Augen- Prinzip teilweise eingeführt wurde. Einen wesentlichen Ansatzpunkt bilden die Vorratsdaten iSd TKG 2003.* Unter dem Prätext der Datensicherheit hat die Speicherung der Vorratsdaten gem § 102c TKG 2003 so zu erfolgen, dass eine Unterscheidung der gespeicherten Daten möglich ist. Die Daten sind durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen vor unrechtmäßiger Zerstörung, zufälligem Verlust oder unrechtmäßiger Speicherung, Verarbeitung, Zugänglichmachung und Verbreitung zu schützen. Ebenso ist durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass der Zugang zu den Vorratsdaten ausschließlich dazu ermächtigten Personen unter Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips vorbehalten ist.*536

§ 102c TKG 2003 wurde durch die Datensicherheitsverordnung (TKG-DSVO)* konkretisiert. Gem § 7 Abs 1 dieser VO hat jeder Anbieter seine Systeme auf technischer und organisatorischer Ebene so auszugestalten, dass Zugriffe auf Vorratsdaten nur durch besonders ermächtigte Mitarbeiter unter Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips möglich sind. Jeder Zugriff auf Vorratsdaten muss durch zwei Personen mit einer besonderen Ermächtigung hiefür autorisiert sein. Die Autorisierung durch die zweite Person kann auch zeitnah zum Zugriff durch die erste Person nachträglich erfolgen, wenn dabei die effektive Wahrung des Vier- Augen-Prinzips sichergestellt ist.

Eine explizite Umsetzung des Vier-Augen-Prinzips erfolgte auch im Gesundheitstelematikgesetz (GTelG 2012) im Zusammenhang mit der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA; siehe § 28 Abs 2 Z 5 GTelG sowie § 11 Abs 3 ELGA-VO).*

2.4.
Sozial- und Gesundheitswesen

Als Instrument zur Gefährdungsabklärung und Planung sozialer Hilfe ist das Vier-Augen-Prinzip im Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013* installiert: Ergibt sich insb aufgrund von Mitteilungen über den Verdacht der Gefährdung des Kindeswohls, aufgrund einer berufsrechtlichen Verpflichtung oder aufgrund glaubhafter Mitteilungen Dritter der konkrete Verdacht der Gefährdung von Kindern und Jugendlichen, ist gem § 22 B-KJHG 2013 umgehend eine Gefährdungsabklärung einzuleiten. Die Gefährdungseinschätzung ist erforderlichenfalls* im Zusammenwirken von zumindest zwei Fachkräften zu treffen.*

Das B-KJHG 2013 sieht somit ein bedingtes Vier-Augen-Prinzip vor. Eine möglichst sichere Entscheidung soll zwar immer gewährleistet sein, das Vier-Augen-Prinzip soll aber nur dann zur Anwendung kommen, wenn dies in Hinblick auf den Kinderschutz erforderlich ist. In sehr komplexen Fällen ist die Beurteilung durch zwei Fachkräfte unerlässlich.*

Im Zusammenhang mit der Einführung des Vier- Augen-Prinzips im B-KJHG 2013 wurde auch auf die finanziellen Auswirkungen (auf den Bundeshaushalt und andere öffentliche Haushalte) hingewiesen. Die Gesetzesmaterialien beziffern den zu erwartenden Mehraufwand für das Vier-Augen-Prinzip mit 37 Vollbeschäftigungsäquivalenten für 2013. Grundsätzlich ist jedenfalls zu beachten, dass das Vier-Augen-Prinzip auch einen betrieblichen Kostenfaktor darstellt.

Ein Beispiel für das Vier-Augen-Prinzip im Gesundheitswesen findet sich im Zusammenhang mit dem Phänomen der Verblisterung, dh mit der maschinellen patientenindividuellen Zusammenstellung der Arzneimittelrationen in Blistern.* Um das Gefährdungspotential des Entblisterns (zB Kontamination der entblisterten Tabletten, Verabreichungsfehler) zumindest ansatzweise zu minimieren, verlangt § 20 der Neuverblisterungsbetriebsordnung eine klare Prozessbeschreibung für den Entblisterungsvorgang. Als unabdingbares Element wird hiebei das Vier-Augen- Prinzip genannt. Über das Entblistern ist ein Protokoll anzufertigen, das ua ebenfalls den Operator und den zweiten Operator (Vier-Augen-Prinzip) anführen muss.

2.5.
Haushaltsrecht/Verwaltung/ Verwaltungssignaturen

Eine wesentliche Zielsetzung des Vier-Augen-Prinzips kann in der Zusammenführung von Verantwortung für eine Angelegenheit und Abwicklung der Angelegenheit liegen. Sehr deutlich kommt diese Bedeutung im Bundeshaushaltsgesetz 2013* zum Ausdruck. § 5 Abs 1 BHG 2013 unterscheidet zwischen anordnenden und ausführenden Organen der Haushaltsführung. Erstere sind haushaltsleitende Organe und Leiter der haushaltsführenden Stellen. Zweitere sind die Buchhaltungsagentur des Bundes, Zahlstellen und Wirtschaftsstellen. Schon diese Trennung der Organe nach ihren Funktionen definiert § 3 Abs 1 der BundeshaushaltsVO (BHV) 2013* als Vier-Augen-Prinzip: Organe der Haushaltsführung sind entsprechend dem Grundsatz der funktionellen Trennung zwischen Anordnung und Ausführung im Gebarungsvollzug entweder anordnende oder ausführende Organe.

Ein Vier-Augen-Prinzip ieS ergibt sich aber erst durch § 5 Abs 3 BHG 2013, wonach die anordnenden Organe die im Gesetz aufgezählten Aufgaben nur durch die ausführenden Organe vornehmen lassen dürfen.

Ebenfalls explizit vom Vier-Augen-Prinzip spricht § 4 Abs 8 BHV 2013. Dieser Regelung zufolge ist das Vier-Augen-Prinzip sowohl bei der Verwaltung von Berechtigungen als auch bei der Berechtigungsvergabe einzuhalten. Eine Konkretisierung erfolgt im Zusammenhang mit der Vergabe von Berechtigungen nach Abs 10 leg cit: Die Berechtigungen im Haushaltsverrechnungssystem sind vom Leiter der haushaltsführenden Stelle beim zuständigen Organ schriftlich mit dem dafür vorgesehenen Formular zu beantragen. Der Antrag ist von der Leiterin oder dem Leiter der haushaltsführenden Stelle zu unterfertigen und mit einem gültigen Stempelabdruck zu versehen. Sofern die technisch- organisatorischen Voraussetzungen vorliegen, kann das Antragsformular elektronisch unterfertigt und elektronisch weitergeleitet werden. Das haushaltsleitende Organ kann festlegen, dass die Antragstellung im Wege des haushaltsleitenden Organs zu erfolgen hat.

Für die Personenkontenführung ist im Haushaltsverrechnungssystem gem § 72 Abs 1 der BHV 2013 ein sonstiger Verrechnungskreis einzurichten, der der537 Verrechnung von Forderungen und Verbindlichkeiten, insb der Überwachung von Zahlungsfristen und der Einbringung von Forderungen, dient. Der Zahlungsvollzug darf nur über Personenkonten erfolgen, die im jeweiligen Rechnungskreis von der Buchhaltungsagentur für Verrechnungen freigegeben sind. Änderungen oder Neuanlagen von Personenkonten können sowohl vom anordnenden Organ selbst als auch von der Buchhaltungsagentur vorgenommen werden. Jede nachträgliche Änderung oder Neuanlage von Personenkonten bedarf der ausschließlichen Freigabe durch die Buchhaltungsagentur. Wird die Änderung oder Neuanlage des Personenkontos von der Buchhaltungsagentur vorgenommen, muss bei der Freigabe dieser Personenkonten ein weiterer Buchhaltungsbediensteter mitwirken (Vier-Augen-Prinzip; § 72 Abs 4 BHV 2013).

Unter dem Aspekt der Gebarungssicherheit findet sich auch in der AMS-AnweisungsVO* eine Verpflichtung zum Vier-Augen-Prinzip. Gem § 2 dieser VO können alle im Zusammenhang mit finanziellen Leistungen stehenden Verfügungen des AMS mittels elektronischer Datenverarbeitung direkt von den Geschäftsstellen des AMS an das für die Datenverarbeitung zuständige Organ ohne Mitwirkung eines ausführenden Organs weitergegeben werden. Vor der Weitergabe ist aber technisch und organisatorisch sicherzustellen, dass ein elektronischer Zahlungs- und Verrechnungsauftrag nur mit technischer Freigabe durch eine zur Approbation berechtigte Person (Anordnungsbefugter) freigegeben werden kann, wobei diese Person eine andere Person als der Ersteller des Zahlungs- und Verrechnungsauftrages sein muss (Vier-Augen-Prinzip; § 3 Abs 1 AMS-AnweisungsVO). Der Vorstand des AMS hat Betragsgrenzen bzw Gebarungsvorgänge festzusetzen, ab bzw bei denen vor der Genehmigung und Freigabe zwingend die Zustimmung der Landesgeschäftsstelle einzuholen ist (Sechs-Augen- Prinzip; § 3 Abs 3 AMS-AnweisungsVO).

Das Haushaltsrecht sieht teilweise aber nicht nur die Trennung zwischen anordnenden und ausführenden Funktionen vor, sondern innerhalb der ausführenden Tätigkeiten weitere Differenzierungen. So schreibt § 1 der Tiroler Gemeinde-HaushaltsVO 2012 vor, dass die Buchhaltungs- und Kassengeschäfte (möglichst) von verschiedenen Bediensteten wahrzunehmen sind.

Besondere Erwähnung findet das Vier-Augen-Prinzip schließlich im Zusammenhang mit Verwaltungssignaturen. Konkret verlangt § 3 VerwaltungssignaturVO,* dass Signaturerstellungsdaten grundsätzlich auf dem Sicherheitsserver nur in verschlüsselter Form abgelegt sein dürfen. Signaturerstellungsdaten können zum Betrieb und zur Sicherung außerhalb des Sicherheitsservers verschlüsselt gespeichert werden, wenn durch „starke“ Verschlüsselung sichergestellt ist, dass sie ausschließlich durch den Sicherheitsserver entschlüsselt werden können. Der hiefür notwendige Schlüssel muss organisatorisch (Vier-Augen-Prinzip und Protokoll) und technisch (Safe) gesichert sein.

3.
Die Entwicklung des Vier-Augen- Prinzips in der Betriebsverfassung

Schon das BRG 1919 enthielt in § 12 erste Regelungen über die Einhebung einer Betriebsratsumlage. Eingehoben werden konnte die Umlage nicht nur zur Finanzierung von Wohlfahrtseinrichtungen und Baraufwendungen der Betriebsratsmitglieder, sondern auch zum Ausgleich „für unvermeidlichen Verdienstentgang“ der Vertreter des Belegschaftsorgans.* Über die Verwaltung der Umlagen musste der BR vor Ablauf seiner Funktionsperiode Rechenschaft ablegen. Die Verwaltung selbst, dh die Geldgebarung, oblag dem Kassaverwalter (§ 19 Abs 4 BR-GO 1919*). Gem § 26 BR-GO 1919 hatte der Kassaverwalter die Einnahmen des BR in Empfang zu nehmen und die Ausgaben zu bestreiten. Über Einnahmen und Ausgaben hatte er Aufzeichnungen derart zu führen und die Belege derart aufzubewahren, dass über die Geldgebarung wie über den Kassenstand jederzeit leicht Aufklärung gewonnen werden konnte. Größere Geldbeträge, die nicht sogleich für laufende Ausgaben gebraucht wurden, waren gem Abs 5 leg cit bei einem geeigneten Kreditinstitut am Ort oder in der Postsparkasse anzulegen oder für kürzere Zeit nach Beschluss des BR auf andere Weise sicher zu verwahren. Insb konnte die Verwahrung auch der Gelder für den laufenden Bedarf in einem versperrbaren Behälter unter der Gegensperre eines zweiten Mitglieds des BR oder des Ausschusses* beschlossen werden. Der Begriff der Gegensperre kommt vor allem aus Regulativen zu Kriegs-,* Versorgungs-, Armen-, Gerichts-* und Verwaltungskassen.* Gemeint ist, dass ein versperr538bares „Behältnis“ („Lade“, „Eisentruhe“ etc) nur mit zwei oder drei Schlüsseln geöffnet werden kann.*

Hervorzuheben ist, dass diese „Gegensperre“ iS eines Vier-Augen-Prinzips nicht vom Betriebsratsvorsitzenden vorgenommen werden sollte, sondern von einem anderen Betriebsratsmitglied. Diese Gegensperre ist als Vorläufer des Vier-Augen-Prinzips zu verstehen, beschränkt sich aber auf eine physische Schlüsselgewalt und kann nicht als generelles Prinzip der Gegenzeichnung gedeutet werden.

Das BRG 1947 wies im Wesentlichen bereits die Struktur auf, die sich derzeit im ArbVG findet. Die Eingänge aus der Betriebsratsumlage und die sonstigen Vermögenschaften bilden den mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Betriebsratsfonds (§ 24 BRG 1947). Die Verwaltung des Betriebsratsfonds oblag dem BR, gesetzlicher Vertreter des Betriebsratsfonds war der Obmann des BR oder dessen Stellvertreter.* Leistungen aus dem Betriebsratsfonds waren vom BR zu beschließen. Anweisungen zu Leistungen aus dem Betriebsratsfonds bedurften der Zeichnung des Obmanns und der Gegenzeichnung des Kassaverwalters (§ 38 Abs 5 BR-GO 1947). Die Barmittel für den laufenden Bedarf waren vom Kassaverwalter in einem versperrbaren Behälter und der Gegensperre eines zweiten Betriebsratsmitglieds, das womöglich nicht der Obmann sein sollte, zu verwahren. Größere Geldbeträge, die nicht für den laufenden Bedarf benötigt wurden, waren bei einem geeigneten Geld- oder Kreditinstitut oder bei der Postsparkassa anzulegen (§ 38 Abs 6 BR-GO 1947). Das BRG 1947 und die BR-GO 1947 kombinierten das Prinzip der Gegensperre für die Handkasse mit der allgemeinen Gegenzeichnungspflicht für Leistungen.

Das ArbVG beschränkt sich in § 74 Abs 2 auf den Hinweis, dass die Verwaltung des Betriebsratsfonds dem BR obliegt und der Vorsitzende des BR – bei seiner Verhinderung dessen Stellvertreter – Vertreter des Betriebsratsfonds ist. Detaillierte Regelungen finden sich in den §§ 5 und 6 BRF-VO: Leistungen aus dem Betriebsratsfonds beschließt der BR. Anweisungen zu Leistungen aus dem Betriebsratsfonds sind vom Vorsitzenden des BR zu unterfertigen und vom Kassaverwalter gegenzuzeichnen. Die Barmittel für den laufenden Bedarf sind vom Kassaverwalter in einem versperrbaren Behälter zu verwahren. Größere Geldbeträge, die nicht für den laufenden Bedarf benötigt werden, sind bei einer geeigneten Bank einzulegen. Entsprechende überprüfbare und vollständige Aufzeichnungen über die gesamte Gebarung sind zu führen.

Das ArbVG und die BRF-VO verzichten auf die Gegensperre für die Barmittel in Handkassen etc und wechselten generell von der technischen Kontrolle zur Anweisungskontrolle.

4.
Interpretationsprobleme zu § 5 BRF-VO
4.1.
„Verwaltung“ des Betriebsratsfonds

§ 5 BRF-VO trennt sehr klar zwischen Beschlüssen über Leistungen und Anweisungen zu Leistungen. Ersteres fällt in die Kompetenz des BR, Letzteres in die Verfügungsgewalt von Betriebsratsvorsitzendem und Kassaverwalter. Diese Strukturierung kann aus dem ArbVG abgeleitet werden, in expliziter Form taucht sie jedoch im Gesetz nicht auf. Gem § 74 Abs 2 ArbVG obliegt die Verwaltung des Betriebsratsfonds dem BR.* Vertreter des Betriebsratsfonds ist der Betriebsratsvorsitzende. § 4 BRF-VO wiederholt § 74 Abs 2 ArbVG.

Nach allgemeinem Sprachgebrauch deckt sich die Begriffsbildung bzw die dahinterstehende Kompetenzlage des ArbVG nicht mit jener des § 5 BRF-VO. Als Verwaltung würde man üblicherweise die formelle Abwicklung iS von Vertretungsregelungen, Vorgangsweisen bei Zahlungsvorgängen sowohl hinsichtlich der Zahlungsein- als auch der Zahlungsausgänge, Veranlagung des Fondsvermögens, Aufzeichnungspflichten, Grundsätze über die allgemeine Gebarung etc verstehen. Gerade diese funktionelle Aufgabe nimmt aber nicht der BR als Kollegialorgan wahr. Hiezu bedarf es Einzelpersonen, denen die Handlungskompetenz übertragen wird. Die BRF-VO ordnet dies zu Recht dem Betriebsratsvorsitzenden und dem Kassaverwalter zu und ist dementsprechend sprachlich korrekt. Der Gesetzeswortlaut ist hingegen eher irreführend. Dem § 74 Abs 2 ArbVG kann nur dann ein vernünftiger Regelungsinhalt unterstellt werden, wenn der Begriff von Verwaltung in einem weiten Sinn gedeutet wird, dh in einem Sinn, der auch die inhaltliche Entscheidung über die Verwendung des Fondsvermögens mitumfasst. Einen Überschneidungsbereich zwischen Verwaltung ieS und Verwaltung iwS wird man im Zusammenhang mit Grundsätzen über die Verwaltung des Betriebsratsfonds diagnostizieren können. Die Grundsätze über die Verwaltung können zwar nicht einer Verwendungsentscheidung gleich- oder zugeordnet werden, ihrer Bedeutung nach können sie aber Leistungsentscheidungen nahekommen.

Im Ergebnis bedeutet dies, dass die strukturelle Aufgabenverteilung zwischen Betriebsratskollegium, Betriebsratsvorsitzendem und Kassaverwalter de lege ferenda in § 74 ArbVG klarer abzubilden wäre: Die inhaltliche Entscheidungsgewalt muss beim BR, die formelle Vertretungsmacht muss beim Betriebsratsvorsitzenden und einzelne Agenden müssen in expliziter Weise beim Kassaverwalter angesiedelt werden bzw bleiben.539

4.2.
Verhältnis von § 5 BRF-VO zu anderen Ausgestaltungen des Vier-Augen- Prinzips

Versucht man, § 5 BRF-VO den diversen Formen des Vier-Augen-Prinzips zuzuordnen bzw mit anderen Ausgestaltungen zu vergleichen, dann ist vorweg festzustellen, dass es sich um ein interagierendes Vier-Augen-Prinzip handelt. Es ist kooperativ, wobei vom Konzept des § 5 BRF-VO her die Initiative vom Betriebsratsvorsitzenden ausgeht und der Kassaverwalter nur gegenzeichnet. Da aber eine Anweisung ohne Gegenzeichnung unzulässig ist und organisatorisch auch nicht durchführbar sein sollte (vgl 4.3.), kann von einem gleichberechtigten Zusammenwirken gesprochen werden. Eine Ausweitung bzw Konkretisierung des Vier-Augen-Prinzips durch Beschlüsse der Geschäftsordnung ist möglich (vgl 6.). Das Vier-Augen- Prinzip nach § 5 BRF-VO ist insofern umfassend ausgestaltet, als sämtliche Anweisungen zu Leistungen aus dem Betriebsratsfonds betroffen sind und keine Beschränkungen in der VO vorgesehen sind (zB Vier- Augen-Prinzip erst ab einer gewissen Betragshöhe). Die VO enthält keine Bedingungen für die zwingende Anwendung des Vier-Augen-Prinzips.

4.3.
Anweisungen zu Leistungen

Das Vier-Augen-Prinzip nach § 5 BRF-VO bezieht sich auf „Anweisungen zu Leistungen aus dem Betriebsratsfonds“. Damit sind die drei in dieser Begriffsbildung vorkommenden Elemente näher zu hinterfragen.

„Aus dem Betriebsratsfonds“ bedeutet, dass nur jene Vermögenschaften betroffen sind, die der Belegschaft über den Fonds zugerechnet werden können. Vermögenswerte, insb Bargeld, die sich noch im Eigentum einzelner Betriebsratsmitglieder befinden, aber für Fondszwecke ausgegeben werden und im Nachhinein gegenüber dem Fonds geltend gemacht werden, werden noch nicht „aus dem Betriebsratsfonds“ bestritten. Dies würde etwa für Reisekosten zu einer gewerkschaftlichen Weiterbildungsveranstaltung für Betriebsräte, die das Betriebsratsmitglied „vorschießt“, gelten. Zu einer Leistung aus dem Fonds kommt es erst, wenn der Fonds die Ausgaben an das Betriebsratsmitglied refundiert. Dieselbe Auffassung ist beispielsweise zu vertreten, wenn Arbeitsrechtsliteratur* von Betriebsratsmitgliedern vorfinanziert wird oder wenn eine Getränkerechnung anlässlich einer Betriebsratsschulung vom Betriebsratsvorsitzenden (vorerst) übernommen wird.

Formal wird man Leistungen aus dem Betriebsratsfonds von (Vor-)Leistungen von Betriebsratsmitgliedern danach abgrenzen können, ob die Barschaft oder der verfügbare Geldersatz (Guthaben am Bankkonto) bereits Eigentum des Betriebsratsfonds war und der Verfügungsgewalt des Kassaverwalters unterstellt ist (zB Begleichung der Getränkerechnung durch den Kassaverwalter aus der Handkasse des Fonds).

Als Leistungen aus dem Betriebsratsfonds können sämtliche Verfügungen angesehen werden, die – wenn auch nur kurzfristige – Schmälerungen des Betriebsratsvermögens zum Ziel haben. Auch eine innerhalb eines Tages zurückzuzahlende Geldaushilfe an einen von einem Notfall betroffenen AN wäre eine (bereits erfolgte) Leistung aus dem Betriebsratsfonds. Selbst wenn ein Rechtsanspruch auf eine Refundierung (zB durch den Betriebsinhaber) gegeben ist, unterliegt die Vorleistung seitens des Betriebsratsfonds dem Vier- Augen-Prinzip nach § 5 BRF-VO.

Zuflüsse unterliegen keiner besonderen Vorschrift. Bei Überweisung auf ein Betriebsratskonto wäre dies auch nicht realisierbar. Im Fall von Bareingängen, konkret bei der Quittierung des empfangenen Betrages, wäre eine entsprechende Regelung möglich (vgl 6.). Aus der Formulierung des § 5 BRF-VO kann jedoch e contrario geschlossen werden, dass eine Gegenzeichnung nicht zwingend ist.

Am schwierigsten ist der Begriff der Anweisung zu deuten. Die „Anweisung zu Leistungen“ iSd § 5 BRFVO setzt voraus, dass die inhaltliche Entscheidung über Art, Umfang und Bedingungen der Leistung – durch den BR – getroffen wurde. Bei der Anweisung von Leistungen iSd BRF-VO handelt es sich somit nicht mehr um ein Element des Entscheidungs-, sondern des Abwicklungs-/Ausführungsprozesses. Während aber der Entscheidungsprozess sehr klar durch den Beschluss des Betriebsratskollegiums determiniert und abgeschlossen ist, ist die Durchführung der Entscheidung (Anweisung) eine unter Umständen mehrgliedrige Aktionskette. Da es sich im Normalfall um Geldleistungen handelt, die vom Betriebsratskonto an den Berechtigten überwiesen werden, sind vor allem zwei Phasen der Anweisung zu unterscheiden. Auseinanderzuhalten ist das geteilte Verfügungsrecht zwischen Betriebsratsvorsitzendem und Kassaverwalter vom Verfügungsgeschäft zwischen dem Betriebsratsfonds (vertreten durch den Betriebsratsvorsitzenden und den Kassaverwalter) und dem Kreditinstitut. Inwieweit letzteres zu einer Anweisung (Assignation) iSd § 1400 ABGB führt,* kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben. Für den chronologischen Ablauf bedeutet dies, dass die Anweisung zur Leistung zumindest zwei Phasen durchläuft. In einem ersten Schritt kommt es zur Auszahlungserlaubnis, in einem zweiten Schritt zum Auszahlungsauftrag (im Regelfall an das Kreditinstitut). Diese beiden Phasen der Anweisung können auch als Zahlungsanordnung bezeichnet werden. Davon zu trennen ist der Zahlungsvollzug durch das anweisende Kreditinstitut. Der Zahlungsvollzug ist ausschließlich dem die Zahlung Leistenden, dh der Bank, nach deren internen Ordnungsvorschriften zuzurechnen.

Fraglich ist, wieweit das Vier-Augen-Prinzip hinsichtlich dieser Abläufe reicht, insb ob die Gegenzeichnungspflicht beide Phasen der Zahlungsanordnung540 erfasst. Ziel des Vier-Augen-Prinzips ist jedenfalls die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Leistungsanweisung und die Verhinderung missbräuchlicher Zahlungen oder sonstiger Leistungen. Diese Zwecksetzung kann nur erreicht werden, wenn sämtliche Phasen, in denen Malversationen möglich sind, der Auflage des § 5 BRFVO unterliegen. Würde man sich mit der Anwendung des Vier-Augen-Prinzips auf die Auszahlungserlaubnis begnügen, wäre das Missbrauchspotential kaum eingeschränkt. Die Kontrolle würde auf die Prüfung reduziert werden, ob sich die Leistungs-/Zahlungsanweisung mit dem Betriebsratsbeschluss deckt. Veruntreuende Bankaufträge (überhöhte Auszahlungen, Überweisungen auf eigene Konten, Vornahme von Spekulationsgeschäften mit Fondsgeldern, nicht genehmigte Eigendarlehen etc) wären damit nicht einzudämmen.

Im Ergebnis bedeutet dies, dass die gesamte Zahlungsanordnung in obigem Sinn, vor allem auch der Leistungs-/Zahlungsauftrag an Banken und sonstige Leistende, einer Gegenzeichnung bedarf. Banktechnisch muss Vorsorge getroffen werden, dass Auszahlungen, Überweisungen und sonstige Transaktionen von Konten des Betriebsratsfonds nur möglich sind, wenn sowohl der Betriebsratsvorsitzende als auch der Kassaverwalter den Auftrag erteilt haben (nur gemeinsame Zeichnungsberechtigung für Ausgänge, Absicherung über zwei Transaktionsnummern/TAN oder zwei Transaktionscode-/TAC-SMS bei Netbanking etc). Die Zahlungsabwicklung/der Transfer auf das angewiesene Konto (Zahlungsvollzug) ist Sache der Bank.

Bei Barkäufen wird die Gegenzeichnungspflicht an ihre Grenzen stoßen. Eine Zeichnung im Vorhinein ist bei Barzahlungen nicht möglich. In diesen Fällen wird es bei der Zeichnung auf der Rechnungsquittierung bleiben müssen.

4.4.
Sonderfall „Handkasse“

Gem § 6 Abs 1 BRF-VO sind die Barmittel für den laufenden Bedarf vom Kassaverwalter in einem versperrbaren Behälter zu bewahren. Im Gegensatz zur BR-GO 1919 und zur BR-GO 1947 verlangt die BRF-VO keine Gegensperre (vgl 3.). Dies ist kein Versehen des Verordnungsgebers, sondern als Abkehr von einer mechanischen Sicherungsform zu verstehen. Auch wenn Sicherungen digitaler Art oder Sicherungen mittels biometrischer Merkmale nunmehr realisierbar wären, verzichtet die BRF-VO auf entsprechende Systeme zum Schutz der Handkasse. Dies lässt sich am ehesten damit erklären, dass die Handkasse nur kleinere Geldbeträge enthalten soll (argumentum e contrario aus § 6 Abs 2 BRF-VO). Die Auszahlung aus der Handkasse bildet auch nur mehr den Zahlungsvollzug in obigem Sinn (siehe 4.3.). Die Zahlungsanordnung für die Auszahlung aus der Handkasse unterliegt ohnedies dem Vier-Augen-Prinzip.

Die Grenzen zwischen bargeldlosem und barem Geldverkehr verschwimmen zusehends. Typisches Beispiel sind die immer stärker im Zahlungsverkehr eingesetzten IEP (Intersektor Elektronic Purse), in Österreich die sogenannten Quick-Karten.* Diese Wertkarten sind anonym, übertragbar, an kein Konto gebunden und besitzen insofern Bargeldcharakter. Ähnliches gilt für bestimmte Formen sogenannter Prepaid-Karten oder unternehmensbezogene Affinity-Wertkarten. All diese Karten sind (einmalig oder mehrmalig) beladbar und funktionell dem Bargeld gleichzuhalten. Diese Formen wären nach der BRF-VO eher wie Handkassen zu behandeln.

Fraglich ist, ob die Handkasse nicht auch in Form eines Girokontos geführt werden kann, dessen Kontoinhaber der Kassaverwalter ist und das vom eigentlichen Betriebsratskonto getrennt ist. Die Kontoführung bei einem Kreditinstitut widerspricht aber schon begrifflich der Führung einer Handkasse und lässt sich auch nicht mit der klaren Unterscheidung in § 6 BRFVO zwischen Barmittel und Bankeinlage vereinbaren. Vor allem könnte das Girokonto auf Namen eines Betriebsratsmitglieds nicht mehr dem Vermögen des Betriebsratsfonds zugerechnet werden. Gerade eine Vermengung von Fondsmitteln und anderen finanziellen Mitteln (insb Eigenmitteln des Kassaverwalters) widerspricht dem Wesen des Betriebsratsfonds als Sondervermögen der Belegschaft und als einheitliche Vermögensmasse.*

Bei dislozierten Betriebsteilen (zB wesentlicher Teil des Betriebes in Wien und Arbeitsstätte des Betriebes in St. Pölten) stellt sich vielfach das Problem, dass der Betriebsratsvorsitzende und der Kassaverwalter im „Hauptbetrieb“ beschäftigt sind, ein stellvertretender Betriebsratsvorsitzender „im Nebenbetrieb“. Hauptund Nebenbetrieb bilden aber einen (einheitlichen) Betrieb iSd § 34 ArbVG. Barabhebungen vom Betriebsratskonto lassen sich mangels örtlicher Präsenz der zur Gegenzeichnung Berechtigten schwer organisieren. In derartigen Fällen wird man sich mit Vorschüssen an den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden oder sonstige Betriebsratsmitglieder im Nebenbetrieb behelfen können. Derartige Vorschüsse bedürfen eines Grundsatzbeschlusses über diese Vorgangsweise und eines Beschlusses über die Verwendung der Gelder. Der Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips wird hier bei der Überweisung des Vorschusses an das zuständige Betriebsratsmitglied im Nebenbetrieb Genüge getan.

5.
Verletzung des Vier-Augen- Prinzips als Dienstpflichtverletzung?

Für Schäden aus der Unrechtmäßigkeit der Gebarung und Verwendung der Mittel des Betriebsratsfonds haften die rechtswidrig handelnden Mitglieder des BR.* Dieser Grundsatz gilt auch für Verletzungen des Vier-Augen-Prinzips. Darüber hinaus können Strafrechtstatbestände erfüllt sein, die zu einer Verfolgung nach dem StGB führen können.* Fraglich ist, ob die Verletzung des Vier-Augen-Prinzips als derartige Störung des Arbeitsverhältnisses angesehen541 werden kann, dass der AG zur vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses berechtigt ist.

Wiederholt diskutiert und beurteilt wurden Missachtungen des Vier-Augen-Prinzips im öffentlichen Dienst im Rahmen von Disziplinarverfahren:

a)

DOK 15.4.2010, 15/10 – DOK/10:* Ein Beschäftigter war gemeinsam mit einer Arbeitskollegin mit der Eingabe des wiederkehrenden Abzuges der Miete für Garagenplätze der Bediensteten eines BM betraut gewesen. Die Miete für die Garagenplätze sollte als monatlich wiederkehrender Abzug vom Monatsbezug durch den DG einbehalten werden, weswegen eine Eingabe in das Buchhaltungssystem PM-SAP (Personalmanagement des Bundes mit SAP) erforderlich war. Mit dieser Eingabe waren der betroffene AN und eine Arbeitskollegin gemeinsam betraut worden (Vier-Augen-Prinzip). Bei der Eingabe der eigenen Miete hielt der beschuldigte AN – ebenso wie die Arbeitskollegin bei der Eingabe ihrer Verpflichtung – das Vier-Augen-Prinzip nicht ein. – Die DOK kam zum Ergebnis, dass die – wenn auch nur fahrlässige – Unterlassung der Eingabe der Garagenmiete in eigener Angelegenheit das Vertrauen des DG in die korrekte Aufgabenerfüllung massiv verletzt. Dass der Beschuldigte (ebenso wie seine Arbeitskollegin) diese Eingabe nur bei sich unterlassen hat, ist geeignet, das fahrlässige Fehlverhalten in einem besonders bedenklichen Licht erscheinen zu lassen. Sowohl aus spezial- als auch generalpräventiven Überlegungen hat die DOK die von der Disziplinarkommission verhängte Geldbuße (€ 100,–) deutlich hinaufgesetzt (auf € 700,–).

b)

DOK 1.2.2012, 32/21 – DOK/08 und DOK 15.1.2013, 32/28 – DOK/08: Eine beim Finanzamt H dienstverwendete Mitarbeiterin bearbeitete Abgabenkonten, obwohl diese Angehörigen bzw Firmen von Angehörigen zuzurechnen waren. – Die DOK sah darin eine Dienstpflichtverletzung iSd § 43 Abs 1 BDG (Erfüllung der dienstlichen Aufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung). Gem § 76 Abs 1 BAO haben sich nämlich Organe der Abgabenbehörden der Ausübung ihres Amtes wegen Befangenheit zu enthalten und ihre Vertretung zu veranlassen, wenn es sich um ihre eigenen Abgabenangelegenheiten oder um jene eines ihrer Angehörigen handelt. Darüber hinaus verlangt § 47 BDG, dass sich der Beamte der Ausübung seines Amtes zu enthalten und seine Vertretung zu veranlassen hat, wenn wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unbefangenheit in Zweifel zu setzen. Die Bearbeitung der fraglichen Abgabenkonten war damit unzulässig. Der Umstand, dass der Vorgesetzte der Mitarbeiterin ihre Zweifel unter Hinweis auf das Vier-Augen-Prinzip zerstreut hat, kann ihr nach Auffassung der DOK schon deshalb nicht zugute gehalten werden, weil ein solches eine Kontrolle der jeweiligen Handlungen durch ein zweites Organ der Finanzverwaltung begrifflich voraussetzt. Dies ist jedoch nicht der Fall gewesen, da die Mitarbeiterin Buchungen auch selbständig und ohne Beachtung des Vier-Augen-Prinzips durchgeführt hat. Gefahr im Verzug lag nicht vor. Beim Schutzgut der Objektivität der Verwaltung kommt im Übrigen eine „Einwilligung“ des Verletzten nicht in Betracht. Es kann daher auch ein Vorgesetzter einem nachgeordneten Beamten nicht „erlauben“, trotz Befangenheit eine Amtshandlung vorzunehmen.*

c)

DOK 19.2.2013, 88/11 – DOK/12 bzw 89/11 – DOK/12: Die Leiterin des Wirtschaftsverwaltungsdienstes der Bundespolizeidirektion hatte unter Umgehung des zwingend vorgeschriebenen Vier-Augen-Prinzips von Februar bis Dezember in mehr als hundert Fällen im Haushaltsverrechnungssystem HV-SAP Buchungen administriert, in dem sie mit den Kennwörtern ihrer Mitarbeiter zunächst als ausführendes Organ Vorerfassungen durchführte, die sie unmittelbar darauf als anordnendes Organ mit ihrem eigenen Kennwort genehmigte. Eine Unterschlagung von Geldern konnte der Amtsdirektorin weder unterstellt noch nachgewiesen werden. – Nach Auffassung der DOK war in Ansehung des hohen Stellenwertes, der dem korrekten Umgang mit den Verrechnungsbestimmungen zukommt, der Unrechtsgehalt der der AN anzulastenden Verfehlung nicht bloß gering. Schon die Disziplinarkommission wies in Zusammenhang mit dieser Entscheidung auf die Notwendigkeit einer strikten Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips hin. Durch die Einbindung von zwei Mitarbeitern bei einem Zahlungsvorgang soll eine mögliche Unterschlagung von Geldern bereits im Vorfeld verhindert werden. Es handelt sich dabei also um eine Maßnahme, welche die Behörde schützen soll und auch nach außen hin klar stellt, dass ausreichende Sicherungsmaßnahmen gegen Missbrauch installiert sind.

Die obigen Beispiele aus dem Disziplinarrecht zeigen sehr deutlich, dass Verstöße gegen das Vier- Augen-Prinzip im öffentlichen Dienst als nicht unwesentliche Dienstpflichtverletzungen angesehen werden. Eine gewisse Parallelität zum öffentlichen Dienst ist beim Betriebsratsfonds insofern gegeben, als in der BRF-VO das Vier-Augen-Prinzip gleichfalls explizit verankert ist. Die Rechtswidrigkeit des Verhaltens führt allerdings im privaten Arbeitsrecht regelmäßig nicht zu einem Disziplinarverfahren.43) Im Raum steht vielmehr stets die Frage, ob die Dienstpflichtverletzung so gravierend ist, dass ein wichtiger Grund für die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorliegt.44)

Die obigen Beispiele aus dem Disziplinarrecht zeigen sehr deutlich, dass Verstöße gegen das Vier- Augen-Prinzip im öffentlichen Dienst als nicht unwesentliche Dienstpflichtverletzungen angesehen werden. Eine gewisse Parallelität zum öffentlichen Dienst ist beim Betriebsratsfonds insofern gegeben, als in der BRF-VO das Vier-Augen-Prinzip gleichfalls explizit verankert ist. Die Rechtswidrigkeit des Verhaltens führt allerdings im privaten Arbeitsrecht regelmäßig nicht zu einem Disziplinarverfahren.* Im Raum steht vielmehr stets die Frage, ob die Dienstpflichtverletzung so gravierend ist, dass ein wichtiger Grund für die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorliegt.*

Verletzungen des Vier-Augen-Prinzips bilden keinen Verstoß gegen arbeitsvertragliche Dienstleistungspflichten oder sonstige Verhaltenspflichten gegenüber dem AG. Auch wenn die betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen ihre Wirkungen im Betrieb des542 AG entfalten und ein Großteil der Regelungen als Rechte und Pflichten gegenüber dem Betriebsinhaber ausgestaltet sind, enthalten sie eine Reihe an Alleinbestimmungsrechten.* Das Organisationsrecht findet sich generell in der Alleinverantwortung der Belegschaft. In diesem Sinn kann die Betriebsversammlung bzw Gruppenversammlung die Enthebung des BR beschließen, wenn zB die Vertrauensbasis gestört ist.* Einzelne Betriebsratsmitglieder kann die Belegschaftsversammlung nicht belangen. Sehr wohl kann aber der BR die Enthebung eines Funktionärs gem § 67 Abs 4 Z 1 ArbVG beschließen. Dies gilt auch für den Kassaverwalter. Verletzungen des Vier-Augen- Prinzips durch den Betriebsratsvorsitzenden und/oder den Kassaverwalter können – unter Beibehaltung des Betriebsratsmandats – zum Funktionsverlust innerhalb des BR führen. Der DG wird Verfehlungen bei der Gebarung des Betriebsratsfonds oder bei sonstigem Fehlverhalten innerhalb der Betriebsratsorganisation grundsätzlich nicht aufgreifen können. Fehlverhalten gegenüber der Belegschaft (zB Veruntreuung von Fondsgeldern) werden aus der Sicht des Entlassungsrechts wie außerdienstliche Umstände zu behandeln sein und (nur) in extremen Fällen insb den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit verwirklichen.* Verfehlungen gegenüber dem Betriebsratsfonds, die gleichzeitig einen Entlassungstatbestand iSd § 122 Abs 1 ArbVG erfüllen (insb Delikte iSd StGB), kann der AG im Rahmen des besonderen Entlassungsschutzes* aufgreifen.

6.
Dispositionsmöglichkeiten

Die organisationsrechtlichen Bestimmungen des ArbVG werden grundsätzlich dem zweiseitig zwingenden Recht zugeordnet.* Eine Abdingung des Vier-Augen-Prinzips wäre mit den Sicherungs- und Kontrollzwecken dieses Instruments nicht vereinbar. Einer Konkretisierung wäre aber das Vier-Augen-Prinzip durchaus zugänglich. ME wäre aber auch eine Erweiterung des Vier-Augen-Prinzips von den Wertungen und Zielen des Gesetzgebers bzw Verordnungsgebers gedeckt. In diesem Sinn könnte auch vorgesehen werden, dass nicht nur Leistungen aus dem Betriebsratsfonds, sondern auch sämtliche Eingänge gegengezeichnet werden müssen.

Als Instrumente für eine Erweiterung des Vier- Augen-Prinzips kämen Einzelbeschlüsse des BR (über die Verwaltung des Betriebsratsfondsvermögens) ebenso in Frage wie die Festlegung der Vorgangsweise in einer autonomen Geschäftsordnung iSd § 19 ArbVG. Die Zuständigkeit zur Regelung von Betriebsratsfondsagenden in einer Geschäftsordnung nach § 19 ArbVG wird sich aus § 74 Abs 2 ArbVG iVm § 4 Abs 1 BRF-VO ergeben. Eine Beschlussfassung durch die Betriebs(Gruppen)versammlung wird hiefür nicht notwendig sein. Eine Regelung über die Verwaltung und Vertretung des Betriebsratsfonds bedarf eines Beschlusses durch die zuständige Belegschaftsversammlung iSd § 74 Abs 4 ArbVG und § 10 BRF-VO nur, wenn ein ordentliches Verwaltungs- und Vertretungsorgan vorübergehend fehlt.*543