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Schichtprämie in Betriebsvereinbarung

GERT-PETERREISSNER (INNSBRUCK)
  1. Die Festsetzung von Entgeltbedingungen gehört nicht zu den Angelegenheiten, die nach dem ArbVG durch BV geregelt werden können. Sie ist auch kein nach § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG zulässiger Inhalt einer BV; im Zusammenhang mit einer derartigen Arbeitszeit-BV können sich höchstens finanzielle Effekte mittelbarer Art ergeben.

  2. Die Sonderprämie wird jedem Mitarbeiter, der der BV unterliegt, schon für die Bereitschaft zur Schichtabdeckung gewährt; sie ist also nicht vom jeweiligen Arbeitseinsatz abhängig und daher nicht „leistungsbezogen“ iSd § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG.

  3. Da die gegenständliche BV, soweit darin die im Gesetz nicht vorgesehene und auch von keiner Kollektivvertragsermächtigung umfasste Sonderprämie vereinbart wurde, die betriebsverfassungsrechtlichen Regelungskompetenzen überschritt, entfaltete sie keine normative Wirkung zugunsten der verfahrensbetroffenen AN. Die Sonderprämienvereinbarung ist vielmehr samt Kündigungsklausel durch ihre tatsächliche Anwendung konkludent zum Inhalt der Einzelarbeitsverträge geworden.

Am 24.10.2011 schlossen die Wirtschaftskammer Österreich, Fachverband der Gießereiindustrie, und der Österreichische Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft PRO-GE, einen „Kollektivvertrag über die befristete Zulassung von Sonntagsarbeit gemäß § 12a Arbeitsruhegesetz ab. Darin wurde für das bekl Unternehmen vom 30.10.2011 bis 12.5.2013 zur Aufrechterhaltung der Produktion während der Durchführung des Investitionsprogramms und wegen Neuanläufen von Gießmaschinen für alle MitarbeiterInnen verschiedener, im Einzelnen aufgelisteter Produktionsbereiche Sonntagsarbeit unter bestimmten Bedingungen zugelassen. Die hier wesentlichen [zu ergänzen: „Passagen“; Anm des Rezensenten] lauten:

„Voraussetzung ist, dass eine Betriebsvereinbarung Sonntagsarbeit zulässt und zumindest die Verteilung der Arbeitszeit (Schichtplan), Zuschläge für Wochenendarbeit und die Beschäftigung von überlassenen Arbeitskräften regelt. Dabei muss Sonntagsarbeit grundsätzlich gleichmäßig auf alle ArbeitnehmerInnen aufgeteilt werden (insbesondere sind ‚stehende Wochenendschichten‘ unzulässig).

Diese BV gilt befristet bis längstens 12.5.2013, sofern sie nicht schon vorher einvernehmlich beendet wird. Mit Ablauf ihrer Geltungsdauer treten wieder alle Regelungen in Kraft, die vor ihrem Inkrafttreten in Geltung gestanden sind.

Diese Betriebsvereinbarung bedarf zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung der Kollektivvertragspartner.

Allen ArbeitnehmerInnen, die auf Grundlage dieses Kollektivvertrages Sonntagsarbeit leisten, gebührt für jede geleistete Arbeitsstunde an einem Samstag ein Zuschlag von mindestens 50 % und an einem Sonntag ein Zuschlag von mindestens 100 %.“

Auf Grundlage dieses KollV haben der kl Arbeiter- BR der Bekl und die Bekl am selben Tag die „Betriebsvereinbarung über ein 20-Schichtenmodell in der G GmbH & Co KG“ abgeschlossen. Neben Pkt 5. dieser BV, der für Samstagsarbeitsstunden einen Zuschlag von 50 % und für Sonntagsarbeitsstunden einen Zuschlag von 100 % vorsieht, und Pkt 8. der BV, der an einem Sonntag zwischen 13 Uhr und 21 Uhr geleistete Arbeitsstunden, sofern eine gesamte Schicht geleistet wurde, mit einem gegenüber dem grundsätzlich anwendbaren KollV für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie erhöhten Überstundenzuschlag von 200 % vergütet, ist der streitgegenständliche Pkt 6. hervorzuheben:

„Es wird ohne Präjudiz für die Zukunft vereinbart, dass jedem Mitarbeiter, der dieser Betriebsvereinbarung unterliegt, eine einmalige Sonderprämie von brutto 125 EUR pro Geltungsmonat für die Bereitschaft zur Schichtabdeckung ausbezahlt wird. Mitarbeiter, die während der gegenständlichen Vereinbarung untermonatig in den Schichtturnus eintreten, erhalten den jeweils aliquoten Betrag. Diese Regelung gilt auch für überlassene Arbeitskräfte.“

In der Schlussbestimmung ist festgehalten:

„Die Vereinbarung kann unter Einhaltung einer vierwöchigen Frist und unter Berücksichtigung der Durchrechnungszeiträume von den Parteien zum Monatsletzten gekündigt werden. Mit Ablauf ihrer Geltungsdauer treten wieder alle Regelungen in Kraft, die vor ihrem Inkrafttreten in Geltung gestanden sind (3-Schichtbetrieb).“

Mit Schreiben vom 19.9.2012 hat die Bekl diese BV gekündigt.

Der kl BR begehrte mit seiner Klage gem § 54 Abs 1 ASGG die Feststellung, dass die Kündigung der BV rechtsunwirksam sei und die von ihr erfassten AN Anspruch auf die Bezahlung der Sonderprämie von 125 € brutto pro Monat auch über den 31.10.2012 hinaus bis zum 12.5.2013 hätten. [...]

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. [...] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl teilweise Folge. [...]

Gegen die Berufungsentscheidung im Umfang des bestätigenden, klagsabweisenden Teils richtet sich die auf gänzliche Klagsstattgabe gerichtete außerordentliche Revision des Kl. [...]

1.

Nach einhelliger Rsp kann – ungeachtet der getroffenen Vereinbarung – Inhalt einer BV nur sein, was durch Gesetz oder KollV der Regelung durch BV überantwortet wurde (RIS-Justiz RS0050981).

2.

Die Festsetzung von Entgeltbedingungen gehört nach Rsp und Lehre nicht zu den Angelegenheiten, die nach dem ArbVG durch BV geregelt werden können; sie ist auch kein nach § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG zulässiger Inhalt einer BV (9 ObA 131/88; 9 ObA 205/93, SZ 66/117; 9 ObA 121/08x mwN; 8 ObA 43/12z; Reissner in ZellKomm2 § 97 ArbVG Rz 27; Preiss in

Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller
, ArbVR III4 § 97 Erl 7; Binder in
Tomandl
, ArbVG § 97 Rz 46; Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht2 648 ua).586

Auch die in der E 9 ObA 121/08x(DRdA 2011/28 [Firneis]) dargelegten Erwägungen sind hier keine tragfähige Grundlage für die Subsumtion der gegenständlichen Prämienregelung unter § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG. Im Gegensatz zu dem der E 9 ObA 121/08x zugrunde gelegenen Sachverhalt (Festlegung einer bezahlten Essenspause) handelt es sich bei der gegenständlichen Prämienregelung nicht um einen finanziellen Effekt bloß mittelbarer Art – Reissner (ZellKomm2 § 97 ArbVG Rz 27) spricht in diesem Zusammenhang von einer „Reflexwirkung“ –, sondern die Prämienregelung zielte unmittelbar auf die Gewährung eines Entgeltbestandteils ab.

3.

Richtig ist, dass es zur Frage, was unter einem „leistungsbezogenen Entgelt“ iSd § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG idF [zu ergänzen: „BGBl I 2010/101“; Anm des Rezensenten] zu verstehen ist, keine höchstgerichtliche Rsp gibt. Der Tatbestand der „Einführung von leistungs- und erfolgsbezogenen Prämien und Entgelten nicht nur für einzelne AN“ wurde jedoch aus § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG idgF BGBl I 2010/101 vor BGBl I 2010/101 in die fakultative Mitbestimmung verlagert (Reissner in ZellKomm2 § 97 ArbVG Rz 83). Da die Ermächtigung Entgeltfragen betrifft, ist sie eng zu interpretieren (Reissner in ZellKomm2 § 97 ArbVG Rz 81).

Zu § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG idF vor BGBl I 2010/101 hat der OGH jedoch bereits ausgesprochen, dass eine Prämie dann leistungsbezogen ist, wenn sie irgendwie von der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung abhängt, sei es, dass sie für eine bestimmte Mengenleistung gewährt wird (Quantitätsprämie), sei es, dass sie auf anderen mit der Arbeitsleistung zusammenhängenden Bezugsgrößen – wie Güte und Genauigkeit der Arbeit, besondere Ausnützung der Roh- und Werkstoffe, besondere Nutzung der Betriebsmittel, sonstige Einsparungen, genaue Einhaltung vorgegebener Termine udgl – beruht (9 ObA 144/07b; vgl 4 Ob 135/80 und 14 Ob 198/86). Auch in der Lehre wird die Auffassung vertreten, dass von der Leistungsbezogenheit einer Prämie nur dann gesprochen werden kann, wenn nicht die geleistete Arbeitszeit Maßstab der Entgeltberechtigung ist, sondern arbeitsleistungsbezogene Faktoren, wie die Güte und die Genauigkeit der Arbeit, die exakte Einhaltung vorgegebener Termine oder die sparsame Nutzung der eingesetzten Betriebsmittel die Entgelthöhe bestimmen (Binder/Mair in

Tomandl
, ArbVG § 97 Rz 215b, 215d; Reissner in ZellKomm2 § 97 ArbVG Rz 83; Löschnigg, Arbeitsrecht11 Rz 9/182). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die gegenständliche Sonderprämie erfülle diese Voraussetzungen nicht, ist nicht unvertretbar. Die Sonderprämie wird jedem Mitarbeiter, der der BV unterliegt, schon für die Bereitschaft zur Schichtab deckung gewährt; sie ist also nicht vom jeweiligen Arbeitseinsatz abhängig (Binder/Mair in
Tomandl
, ArbVG § 97 Rz 215e) und honoriert keine messbare Leistung bzw keinen messbaren Erfolg des einzelnen AN.

4.

Auch die übereinstimmende Auslegung des KollV durch die Vorinstanzen, die in der BV enthaltene Prämienregelung sei nicht von einer kollektivvertraglichen Ermächtigung gedeckt, ist nicht korrekturbedürftig. Behalten die Kollektivvertragspartner Angelegenheiten, die in ihre Regelungsbefugnis fallen, der BV vor (§ 29 ArbVG), so müssen diese Angelegenheiten ausdrücklich und konkret bezeichnet werden (9 ObA 131/88; Reissner in ZellKomm2 § 29 ArbVG Rz 15; Strasser in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 29 Rz 12; Völkl-Posch in
Mazal/Risak
, Das Arbeitsrecht, System und Praxiskommentar Kap IV Rz 24). Nur in dem so determinierten Bereich kann eine Regelung durch BV iSd § 29 ArbVG erfolgen, wobei der Vorrang des KollV einer extensiven Interpretation einer solchen Kollektivvertragsbestimmung entgegensteht (9 ObA 131/88).

Eine diese Aspekte berücksichtigende und nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB vorzunehmende Auslegung des KollV (RIS-Justiz RS0010088, RS0008807) zeigt, dass das Wort „zumindest“ im 2. Absatz (beginnend mit „Voraussetzung ist ...“) zum Ausdruck bringt, dass damit Mindestvoraussetzungen beschrieben werden, unter denen eine BV über Schicht- und Sonntagsarbeit überhaupt geschlossen werden kann. Mit dem Wort „mindestens“ im 5. Absatz (beginnend mit „Allen ArbeitnehmerInnen ...“) wollten die Kollektivvertragsparteien erkennbar den Betriebsparteien die Möglichkeit eröffnen, die Samstags- und Sonntagsarbeit mit höheren Zuschlägen als im KollV festgelegt abzugelten. Damit haben die Kollektivvertragsparteien aber weder ausdrücklich noch konkret zum Ausdruck gebracht, dass sie den Betriebsparteien mit Ausnahme der Gewährung eines höheren Zuschlags auch sämtliche andere mögliche Formen einer Entgeltvereinbarung übertragen wollten. Die bloßen Wörter „zumindest“ und „mindestens“, auf die der Kl den Schwerpunkt seiner Ausführungen legt, werden dem Anspruch einer ausreichenden Determinierung nicht gerecht. Dem Text des KollV kann daher nicht entnommen werden, dass die Kollektivvertragsparteien die Betriebsparteien dazu ermächtigen wollten, alle den Betriebsparteien relevant erscheinenden Regelungen, auch Entgeltfragen betreffend, im Zusammenhang mit der Schichtarbeit und Sonntagsarbeit vereinbaren zu können.

5.

Da die gegenständliche BV, soweit darin die im Gesetz nicht vorgesehene und auch von keiner Kollektivvertragsermächtigung umfasste Sonderprämie vereinbart wurde, die betriebsverfassungsrechtlichen Regelungskompetenzen überschritt, entfaltete sie keine normative Wirkung zugunsten der verfahrensbetroffenen AN (8 ObA 43/12z mwN ua; Reissner in ZellKomm2 § 29 ArbVG Rz 18). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Sonderprämienvereinbarung sei samt Kündigungsklausel durch ihre tatsächliche Anwendung konkludent zum Inhalt der Einzelarbeitsverträge geworden, findet ihre grundsätzliche Deckung in der herrschenden Rsp (9 ObA 186/95; 9 ObA 81/99y; 8 ObA 99/04y; 8 ObA 43/12z mwN; RISJustiz RS0018115) und Lehre (Reissner in ZellKomm2 § 29 ArbVG Rz 20; Marhold/Friedrich, Arbeitsrecht2 713; Löschnigg, Arbeitsrecht11 157). Die Richtigkeit dieser Rechtsansicht im konkreten Anlassfall wird in der außerordentlichen Revision auch nicht in Zweifel gezogen.

6.

Da somit im Ergebnis eine erzwingbare BV iSd § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG (bezüglich des 20-Schichtenmodells ohne Prämienvereinbarung) und daneben eine einzelvertragliche Regelung (bezüglich der Sonderprä587mie) vorliegt, stellt sich die in der außerordentlichen Revision zur Begründung deren Zulässigkeit geltend gemachte Frage einer unzulässigen Teilkündigung einer BV nicht. [...]

Anmerkung

Die Begründung der vorliegenden E bewegt sich, wie es auf den ersten Blick scheint, in bekannten und bewährten Bahnen der zum Rechtsinstitut der BV entwickelten Dogmatik. Es ist zutreffend und hier nicht weiter zu vertiefen, dass Inhalt einer BV nur sein kann, was durch Gesetz oder KollV der Regelung durch BV überantwortet wurde. Es ist weiters richtig, dass die Festsetzung von Entgeltbedingungen im Allgemeinen nicht zu den Angelegenheiten gehört, die nach dem ArbVG durch BV geregelt werden können, auch die Arbeitszeit-BV nach § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG ermöglicht es weitgehend nicht, Entgeltfragen mitzuregeln. Überzeugend wurde auch begründet, dass eine Regelung iSd § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG (diese Bestimmung ermöglicht ausnahmsweise spezielle Entgeltregelungen in Form von Gewinnbeteiligungssystemen bzw – hier relevant – „leistungsbezogenen Entgelten“) nicht vorliegt. Schließlich ist auch nicht zu beanstanden, dass die Gerichte die Prämienregelung als nicht von der kollektivvertraglichen Ermächtigung gedeckt qualifiziert haben; dies ist bei Interpretation der Passagen über die Ermächtigung eben nicht der Fall.

Im Folgenden werden allerdings drei Aspekte angesprochen, die nach Auffassung des Rezensenten von den beteiligten Gerichten nicht korrekt argumentiert wurden. Die beiden ersten sind dabei für die Falllösung nicht entscheidend, der dritte Punkt jedoch schon.

1.
Charakter einer ermächtigten BV als erzwingbar?

Die vorliegende BV ist mE als eine vom KollV ermächtigte BV aufzufassen. Hat eine BV ihre Regelungsmacht vom KollV, so ist sie von ihren Eigenschaften her, insb auch in Bezug auf Beendigungsfragen, eine fakultative. Ist die BV vom KollV ermächtigt, so kann man insb nicht sagen, es liege eine BV iS eines gesetzlichen Ermächtigungstatbestands vor, wie dies hier unter Zitierung des § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG gemacht wurde. Die Kündigung der ermächtigten BV kann daher im Allgemeinen (siehe aber auch 2.) nicht mit der Rechtsfolge einer Rechtsunwirksamkeit iSd § 32 Abs 2 und § 97 Abs 2 ArbVG versehen sein.

Nachdem es im gegenständlichen Prozess aber nur um die Frage des Bestehens eines Anspruchs auf die Sonderprämie von € 125,– ging, ist dieser Aspekt – wie zu zeigen sein wird – letztlich nicht so wichtig.

2.
Kündigung entgegen der Ermächtigung im KollV?

In der kollektivvertraglichen Ermächtigung heißt es ua, dass die von den Betriebspartnern geschaffene BV „befristet bis längstens 12.5.2013 (gilt), sofern sie nicht schon vorher einvernehmlich beendet wird“.

Der KollV kann seine Ermächtigung nicht nur inhaltlich, räumlich oder persönlich beschränken (dabei darf er nicht unsachlich vorgehen; Strasser/Jabornegg, Arbeitsverfassungsgesetz3 [1999] § 29 Anm 4), sondern auch befristet oder bedingt erteilen. Ebenso kann er eine Delegation wieder rückgängig machen (OGH8 ObA 244/95

= RdW 1996, 130; Cerny in
Cerny/Gahleitner/Kundtner/Preiss/Schneller
, Arbeitsverfassungsrecht II4 [2010] § 29 Anm 7).

Aus der oben wiedergegebenen Formulierung kann nun mE abgeleitet werden, dass die Ermächtigung an die Parteien der BV auch insofern beschränkt wurde, als in Bezug auf die Beendigungsmodalitäten nur die Beendigungsarten Befristungsablauf und einvernehmliche Lösung (die vorzeitige Lösung aus wichtigem Grund kann im Allgemeinen nicht ausgeschlossen werden und tritt daher dazu) ermöglicht wurden. Es könnte also in der Ermächtigung des KollV insb die Kündbarkeit ausgeschlossen worden sein. Ist dies der Fall, dann ist die Kündigung der (echten) BV (zur unechten BV vgl 3.) nichtig.

Allenfalls könnte die Ermächtigung auch so gelesen werden, dass die Kollektivvertragsparteien nur eine Höchstdauer der Ermächtigung bestimmen wollten. Nimmt man allerdings § 6 ABGB, wonach Wortlaut und Systematik von Gesetzen im Verhältnis zu den anderen Maximen des Auslegungskanons nicht vernachlässigt werden dürfen, ernst, ist eine derartige Sichtweise nicht treffend.

Auch diese Facette der Falllösung ist allerdings – im Gegensatz zu jener im dritten Punkt – nicht entscheidend.

3.
Kündigung einer „freien BV“ gegenüber dem BR? Unbegründete Kündigung gegenüber dem einzelnen AN?

In Bezug auf die Sonderprämie gibt es weder eine gesetzliche noch eine kollektivvertragliche Ermächtigung zur Regelung. Wird der durch Gesetz bzw KollV geschaffene Rahmen der Regelungsbefugnis durch die Betriebspartner überschritten, so ist die getroffene Abmachung insoweit keine BV. Die Vereinbarung ist vielmehr, auch weil dem BR keine allgemeine Rechtsfähigkeit zukommt und daher eine Deutung als zivilrechtlicher Vertrag nicht möglich ist, als solche nichtig (hA; OGH9 ObA 131/88

[Eypeltauer]
= ZAS 1990/6, 60 [Valentic]; OGH9 ObA 101/89Arb 10.806 = infas 1989 A 109; OGH 8 ObA 167/98m infas 1998 A 128 = ARD 4962/15/98; Cerny, ArbVR II4 § 29 Anm 8 mwN).

Von der Normsetzungsbefugnis nicht gedeckte Regelungen entfalten zwar keine kollektivrechtliche Wirkung, sie können aber ausdrücklich bzw insb dadurch, dass sie dauernd angewendet werden (zB laufende Ausschüttung eines höheren Entgelts an die AN), konkludent Inhalt der Einzelarbeitsverträge (§ 863 ABGB) werden (hA; zB OGH14 ObA 47/87

[Strasser]
= RdW 1987, 337; OGH9 ObA 82/92
[Kerschner]
= RdW 1993, 17
; OGH8 ObA 167/98minfas 1998 A 128 = ARD 4962/15/98; Strasser in
Strasser/Jabornegg/Resch
[Hrsg], Arbeitsverfassungsgesetz [2002 ff] § 29 Rz 15; Strasser/588Jabornegg in
Floretta/Spielbüchler/Strasser
, Arbeitsrecht II4 [2001] 457 ff). Das schriftlich Festgehaltene ist somit quasi als Vertragsschablone anzusehen, die in die einzelnen Arbeitsverträge „hineinvereinbart“ wird („Vertragsschablonentheorie“). Ein derartiges Szenario ist im gegenständlichen Fall eingetreten.

Unechte Betriebsvereinbarungen können, da sie zum Inhalt des individuellen Arbeitsvertrags geworden sind, nicht auf kollektivem Wege, also durch neuerliche Einigung oder Kündigung auf Betriebspartnerebene (OGH9 ObA 205/93wbl 1994, 54), abgeändert oder aufgehoben werden – und hier liegt mE der Fehler bei der Bewältigung des gegenständlichen Falles: Der AG hat, so deutlich in der E zu lesen, die „BV“ – die, weil unecht, als solche gar nicht vorhanden ist – gekündigt. Man kann das nur so verstehen, dass er gegenüber dem BR gekündigt hat. Eine derartige Vorgangsweise geht ins Leere und hat keine Rechtswirkungen!

Sollte doch gegenüber jedem einzelnen AN gekündigt worden sein (die AN wurden laut Untergerichten von einem Personalverantwortlichen über die Kündigung der BV informiert, womit dies durchaus fraglich ist), so muss zunächst die Kündigungsvereinbarung mit der Entgeltzusage in die Einzelverträge eingegangen sein; dies ist möglich (allg Reissner in

Neumayr/Reissner
[Hrsg], Zeller Kommentar zum Arbeitsrecht2 [2011] § 29 ArbVG Rz 26 ff mwN) und wird im vorliegenden Fall, die Gerichte haben es übereinstimmend so gesehen, passiert sein.

Wurden in eine unechte BV, wie hier geschehen, gezielt Kündigungsmöglichkeiten aufgenommen, so müssen diese mE nicht zuletzt wegen des Teilkündigungsverbots bei Übernahme in den Arbeitsvertrag in Widerrufsvorbehalte umgedeutet werden. Ein Widerrufsvorbehalt kann nur nach billigem Ermessen, maW bei Vorliegen eines guten Grundes, ausgeübt werden. Ein Abgehen von der einzelvertraglich inkorporierten Bestimmung wird daher bei Vorliegen eines derartigen Grundes („außerordentliche Kündigung“) zulässig sein (Reissner in ZellKomm2 § 29 ArbVG Rz 29). Ein „guter Grund“, also ein Interesse des AG, welches das Interesse des AN an der Beibehaltung der Regelung deutlich überwiegt, ist im festgestellten Sachverhalt nicht erkennbar.