Gewerkschaftliche Zutrittsrechte zum Betrieb

THOMASMAJOROSMARTINRISAK (WIEN)
Die Frage, inwieweit Gewerkschaften ein – über die im § 39 Abs 4 ArbVG geregelten Befugnisse hinausreichendes – Zutrittsrecht in den Betrieb haben, wurde in Österreich (im Gegensatz zu Deutschland) bisher weder in der Judikatur noch in der Literatur grundlegend erörtert. Dies ist umso bemerkenswerter, als derartige Zutrittsrechte für die gewerkschaftliche Tätigkeit von großer praktischer Bedeutung sind. Der folgende Beitrag versucht, diese Lücke zu schließen.
  1. Ausgangsbasis und Problemstellung

  2. Betriebsverfassungsrecht

    1. Ausgangsbasis und historische Entwicklung

    2. § 39 Abs 2 ArbVG

    3. Betriebsverfassungsrechtliche Zutrittsrechte

    4. Weitergehende Zutrittsrechte

  3. Koalitionsfreiheit

    1. Inhalt der Koalitionsfreiheit

    2. Konsequenzen für Zutrittsrechte

      1. Grundsätzliches

      2. Schutz des Eigentums

      3. Recht auf Wohnung

      4. Erwerbsausübungsfreiheit

    3. Auswirkungen für Österreich

      1. Grundsätzliches

      2. Schadenersatzrecht und Sittenwidrigkeit

      3. Konsequenzen der Zutrittsverweigerung

    4. Europäische Grundrechte-Charta (GRC) und sonstige Internationale Übereinkommen

  4. Rechtsvergleich mit Deutschland

  5. Ergebnisse

1.
Ausgangsbasis und Problemstellung

Sidney und Beatrice Webbs definieren 1895 Gewerkschaften als „dauernde Verbindung von Lohnarbeitern zum Zweck der Aufrechterhaltung und Besserung ihrer Arbeitsbedingungen“.* Karl Marx* führt 1866 zur Funktion der Gewerkschaften weiter aus: „Die einzige gesellschaftliche Macht der Arbeiter ist ihre Zahl. Die Macht der Zahl wird jedoch durch Uneinigkeit gebrochen. Die Uneinigkeit der Arbeiter wird erzeugt und erhalten durch ihre unvermeidliche Konkurrenz untereinander. Gewerksgenossenschaften entstanden ursprünglich durch die spontanen Versuche der Arbeiter, diese Konkurrenz zu beseitigen oder wenigstens einzuschränken, um Kontraktbedingungen zu erzwingen, die sie wenigstens über die Stellung bloßer Sklaven erheben würden. Das unmittelbare Ziel der Gewerksgenossenschaften beschränkte sich daher auf die Erfordernisse des Tages, auf Mittel zur Abwehr der ständigen Übergriffe des Kapitals, mit einem Wort, auf Fragen des Lohns und der Arbeitszeit.“

Diese historischen Zitate zeigen sehr gut die Kernelemente gewerkschaftlicher Selbstorganisation und ihre Funktionsweise: Der gemeinsame Nenner der Mitglieder ist deren Rolle im Arbeitsverhältnis, ihre Eigenschaft als AN. Ihr Ziel ist jedenfalls die Wahrung und Besserung der Arbeitsbedingungen, das sie idR auf dreifache Weise erreichen, wobei die Gewichtung je nach historischer Epoche verschieden ist. Sie basieren (1.) auf dem Prinzip gegenseitiger Hilfe und fungieren so als Genossenschaft; außerdem (2.) wollen544 Gewerkschaften den Arbeitsmarkt und die Arbeitsbedingungen als (kollektiver) Kampfverband ebenso beeinflussen wie (3.) die Gesetzgebung, Verwaltung und Rsp als politischer Verband.* Diese Aspekte werden zT auch im ArbVG angesprochen, wo der zweite Aspekt, der sich vor allem im kollektiven Aushandeln der Arbeitsbedingungen, das in einem KollV münden soll, reguliert ist. In diesem Sinne sind Gewerkschaften „auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Berufsvereinigungen der ... Arbeitnehmer, welche sich ... zur Aufgabe stellen, die Arbeitsbedingungen ... zu regeln“ (§ 4 Abs 2 ArbVG).

Um diese Ziele zu erreichen, müssen Gewerkschaften einerseits Mitglieder gewinnen und andererseits kollektive Aktivitäten entfalten können, die der Zielerreichung dienlich sind. Dazu zählt die Information, die Aktivierung und Organisation der Mitglieder sowie die Planung und Durchführung kollektiver Aktionen. Wie bereits erwähnt, definieren sich Gewerkschaftsmitglieder durch ihre Stellung im Arbeitsverhältnis als AN – das ist ihr verbindendes Element, das zu ihrem gemeinsamen Handeln im Rahmen der Gewerkschaft führt. Ihr Arbeitsplatz ist somit der Ort, wo sich in erster Linie ihr Bewusstsein um die gemeinsame Situation herausbildet. Er ist die Basis für die Solidarisierung und das kollektive Handeln im Rahmen der Gewerkschaft. Der Raum für gewerkschaftliche Aktivitäten ist somit geradezu logisch der Arbeitsplatz, da hier die (potenziellen) Mitglieder in der ihnen allen gemeinsamen Eigenschaft als AN zusammenkommen.

Andererseits ist jedoch der Arbeitsplatz kein Raum, über den die AN frei nach ihrem Gutdünken verfügen können – ganz im Gegenteil! Die AG bzw der Betriebsinhaber verfügt über den Arbeitsplatz kraft der Verfügungsgewalt, die idR aus dem Eigentumsrecht oder einem anderen Verfügungsrecht über den Betrieb abgeleitet wird. Da die Tätigkeit der Gewerkschaften typischerweise in einem Spannungsverhältnis zu den Interessen der AG steht, liegt es eigentlich nahe, dass diese einerseits die gewerkschaftliche Betätigung ihrer eigenen AN im Betrieb einschränken möchten* sowie andererseits Gewerkschaften, dh betriebsfremden gewerkschaftlichen Angestellten, FunktionärInnen und AktivistInnen den Zugang zum Betrieb verwehren wollen. Zweitem Aspekt widmet sich dieser Beitrag.

Das Eigentum oder das sonstige Verfügungsrecht am Betrieb scheint auf den ersten Blick dem AG Recht zu geben, ist doch nach § 354 ABGB „Eigentum das Befugnis, mit der Substanz und den Nutzungen einer Sache nach Willkür zu schalten, und jeden anderen davon auszuschließen.“ Jedoch ist – was im Rahmen diese Beitrages herauszuarbeiten ist – das Eigentumsrecht, wenngleich verfassungsrechtlich durch Art 5 StGG und Art 1 1. ZP-MRK abgesichert, nicht grenzenlos, sondern muss sich in eine Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsordnung einfügen, die ebenso die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit (einschließlich der Gewerkschaftsfreiheit) anerkennt.

Dieser Beitrag arbeitet in diesem Sinne die unterschiedlichen Ansatzpunkte für ein gewerkschaftliches Zutrittsrecht zum Betrieb heraus: Zuerst wird die einzige Regelung, welche explizit ein Zutrittsrecht vorsieht (§ 39 Abs 4 ArbVG), aufgearbeitet und dann auf die grund- und europarechtlichen Aspekte gewerkschaftlicher Betätigungsfreiheit eingegangen. Auf dieser Grundlage soll eine Lösung für die Frage entwickelt werden, ob und in welchem Umfang Gewerkschaften Zutrittsrechte zum Betrieb haben.

2.
Betriebsverfassungsrecht
2.1.
Ausgangsbasis und historische Entwicklung

Zwischen den Gewerkschaften und den betriebsverfassungsrechtlichen Organen der Belegschaft bestehen zahlreiche Berührungspunkte. Diese rühren einerseits daher, dass beide die Förderung von ANInteressen zum Ziel haben* und andererseits, dass personelle Überschneidungen zwischen den Betriebsratsmitgliedern und den GewerkschaftsaktivistInnen bzw -funktionärInnen bestehen. Andererseits bestehen jedoch auch massive Unterschiede hinsichtlich des organisatorischen Aufbaus und der ideologischen Ausgangsbasis: Während der BR ein gesetzlich geregeltes Interessenvertretungsorgan mit auf Gesetz gegründeten Mitwirkungsrechten darstellt, basieren Gewerkschaften auf der Selbstorganisation und Solidarität der ihnen freiwillig beitretenden Arbeitenden, die ihre Ziele auch durch Arbeitskampfmaßnahmen durchsetzen. Pointiert ausgedrückt, stellt die Gewerkschaft eine Kampforganisation dar, während der BR zum friedlichen Ausgleich widerstreitender Interessen gesetzlich verpflichtet ist.*

In den Materialien zur RV des BRG 1919 findet sich ein bedeutsamer Satz zum Zusammenspiel von Gewerkschaften und BR: „Nach wie vor werden die Arbeiter in ihren Gewerkschaften stehen und diesen unabhängig von dem Beschäftigungsorte angehören. Nach wie vor werden die Arbeiter in den Gewerkschaften die Organe erblicken, mit welchen sie die Gestaltung der Arbeitsbedingungen beeinflussen und ihre Interessenkämpfe ausfechten.“* Dies deutet darauf hin, dass die Gesetzgebung eine Parallelität der Interes senvertretung vor Augen hat: Das BRG 1919 regelt dabei nur die gesetzliche auf betrieblicher Ebene, geht aber davon aus, dass sich die AN auch gewerkschaftlich betätigen. In diesem Sinne determiniert das Gesetz das Zusammenspiel von Gewerkschaften und BR noch nicht grundsätzlich, sondern nur punktuell dort, wo es zu Überschneidungen zwischen den beiden Interessenvertretungen kommen soll. Es545 sieht die Mitwirkung von bzw das Einvernehmen mit Gewerkschaften nur bei einzelnen Angelegenheiten vor, die allesamt die kollektive Regelung von Arbeitsbedingungen betreffen: Vereinbarung von betrieblichen Sonderregelungen zu Kollektivverträgen (§ 3 Z 1 lit b BRG 1919), Anbahnung von Kollektivverträgen im Falle von deren Nichtbestehen (Z 2), Festlegung von Leistungslöhnen (Z 3).

Dieses grundsätzliche Konzept ändert sich – nach der Zeit des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus – mit der Erlassung des als Nachfolgegesetz zum BRG 1919 angesehenen*BRG 1947 nur in Nuancen. Es ist eine stärkere Dichte der Reglementierung und auch verstärkte Einbindung von Gewerkschaften zu beobachten, wie zB die Befugnis, Vertreter zu Betriebsversammlungen zu entsenden (§ 5 Abs 6 BRG 1947) oder Einspruch gegen die Wirtschaftsführung zu erheben (§ 17 Abs 3 BRG 1947).*

Erst das ArbVG enthält eine Regelung der Grundsätze der Interessenvertretung in § 39, die auch das Verhältnis zwischen BR und Gewerkschaften grundsätzlich, wenngleich uE weiterhin nicht umfassend, anspricht.

2.2.

Die RV zum ArbVG* enthält – damals noch als Abs 2 – die sich heute in § 39 Abs 4 ArbVG findende Formulierung, dass die Belegschaftsorgane „zur Beratung in allen Angelegenheiten die zuständige freiwillige Berufsvereinigung oder gesetzliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer beiziehen [können].“ Im Hinblick auf das Zutrittsrecht wird normiert: „Den Vertretern der zuständigen freiwilligen Berufsvereinigung und der gesetzlichen Interessenvertretung der Arbeitnehmer ist in diesen Fällen oder soweit dies zur Ausübung der ihnen durch dieses oder ein anderes Bundesgesetz eingeräumten Befugnisse sonst erforderlich ist, nach Unterrichtung des Betriebsinhabers oder seines Vertreters Zugang zum Betrieb zu gewähren.“

Auch dieser Passus findet sich (mit Ausnahme des Zusatzes „oder ein anderes [Bundesgesetz]“) bis heute im Gesetzestext. Die Materialien merken dazu an: „Um die Zusammenarbeit auch in der Praxis zu gewährleisten, hat der Entwurf in Abs 2 eine Bestimmung aufgenommen, welche den Vertretern der Gewerkschaften und gesetzlichen Interessenvertretungen der Arbeitnehmer das Recht auf Zugang zum Betrieb sichert, soweit es zur Ausübung der ihnen eingeräumten Befugnisse erforderlich erscheint. Der Betriebsinhaber ist vom Eintreffen des Gewerkschaftsvertreters zu benachrichtigen; er kann den Zutritt zum Betrieb aber nicht verweigern.“

Der AB ändert dies dann auf die heute noch geltende Fassung des § 39 Abs 2 ArbVG ab, wonach die Belegschaftsorgane „bei Verwirklichung ihrer Interessenvertretungsaufgabe im Einvernehmen mit den zuständigen kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitnehmer vorgehen sollen“. Das sich in der RV (und auch heute noch im Gesetzestext) befindliche Beratungsrecht wird nach Abs 4 verschoben. Im Hinblick auf das dort normierte Zutrittsrecht wird nun noch auf Abs 3 leg cit (tunlichst keine Störung des Betriebes, kein Eingriff in die Führung des Betriebes) und auf § 115 Abs 4 ArbVG (Verschwiegenheitspflicht) hingewiesen.*

2.3.
Betriebsverfassungsrechtliche Zutrittsrechte

Aus § 39 Abs 4 ArbVG ergibt sich ein Zutrittsrecht der (kollektivvertragsfähigen)* Gewerkschaften jedenfalls in zwei Fällen:

  • – Einerseits geht es darum, dass ein Belegschaftsorgan von seinem Beiziehungsrecht gem § 39 Abs 4 ArbVG Gebrauch macht. Diese Beratungen können (betriebsrats-)intern sein, wie im AB* betont wird, oder auch die Beiziehung zu Beratungen mit dem Betriebsinhaber betreffen (siehe dazu § 92 Abs 2 ArbVG). Jedenfalls entscheidet das Belegschaftsorgan darüber, ob dem Vertreter der Gewerkschaft das Zutrittsrecht konkret zusteht oder nicht.*

  • – Andererseits besteht auch dann ein Zutrittsrecht, wenn der Zutritt zum Betrieb zwecks Ausübung von den überbetrieblichen AN-Verbänden durch das ArbVG verliehenen Befugnissen in Bezug auf die Betriebsverfassung erforderlich ist (zB hinsichtlich der Einberufung einer Betriebsversammlung nach § 45 Abs 2 Z 2 ArbVG*). Dabei kommt es darauf an, ob objektiv der Zutritt zur sinnvollen Erfüllung eines dieser Befugnisse notwendig ist.*

Das Zutrittsrecht ist nach § 39 Abs 4 ArbVG an die vorherige Verständigung des Betriebsinhabers bzw seiner Vertreterin gebunden. Diese Pflicht trifft die Gewerkschaft, die sich aber auch des Belegschaftsorgans als Erklärungsbotin bedienen kann.* Das Zutrittsrecht ist jedenfalls tunlichst ohne Störung des Betriebes auszuüben (§ 39 Abs 3 ArbVG iVm Abs 4 leg cit).

2.4.
Weitergehende Zutrittsrechte

Fraglich ist, ob ein darüber hinausgehendes Recht der Gewerkschaften besteht, das insb die genuin gewerkschaftliche Betätigung wie Mitgliederwerbung sowie die Information und Aktivierung bestehender Mitglieder betrifft. Der Wortlaut des § 39 Abs 4 ArbVG spricht zunächst nicht unbedingt gegen eine derart weite Auslegung. Auch ist aufgrund der systematischen Stellung dieser Bestimmung uE davon auszugehen, dass sich § 39 Abs 4 ArbVG nur auf Befugnisse bzw Aufgaben iZm der Betriebsverfassung bezieht. Die Norm ist nämlich im II. Teil des ArbVG „Betriebsverfassung“, angesiedelt und § 39 Abs 1 ArbVG regelt546 ausdrücklich die „Ziele der Bestimmungen über die Betriebsverfassung“, die nachfolgenden Absätze führen diese gleichsam aus.

Fraglich ist jedoch, ob § 39 Abs 4 ArbVG die Zutrittsrechte der Gewerkschaft zum Betrieb abschließend regelt oder ob dort nur der Bereich erfasst ist, der die Überschneidungen der beiden Organe betrifft und ob es daneben noch einen gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten Raum gibt.

Die oben skizzierte Entstehungsgeschichte einschlägiger Regelungen zeigt, dass nur die betriebsverfassungsrechtlichen Aspekte gewerkschaftlicher Aktivität eine Regelung erfahren haben, die sich als „Gewährleistung gegenseitiger Unterstützung“* zusammenfassen lassen. Der Bereich gewerkschaftlicher Aktivität, der keine Berührungspunkte zur betrieblichen Interessenvertretung aufweist, wurde hingegen nicht gesetzlich reguliert. Damit ist die Regelung des § 39 Abs 2 und 4 ArbVG nicht abschließend in dem Sinne, dass sie jegliche gewerkschaftliche Betätigung im Betrieb erfasst, sondern regelt lediglich das Zusammenwirken von BR und Gewerkschaft. Dies hat wiederum zur Folge, dass auch das in Abs 4 leg cit geregelte Zutrittsrecht nur den Bereich betrifft, in dem die Gewerkschaft den BR unterstützt – keineswegs kann hingegen daraus abgeleitet werden, dass Gewerkschaften keine darüber hinausgehenden Zutrittsrechte besitzen. Diese können sich nämlich aus der, sogleich unter Pkt 3. zu behandelnden grundrechtlich abgesicherten Koalitionsfreiheit ergeben.

3.
Koalitionsfreiheit*
3.1.
Inhalt der Koalitionsfreiheit

Von zentraler Bedeutung für die Frage der Zutrittsrechte von Gewerkschaften in den Betrieb ist die in Art 11 EMRK sowie in Art 12 StGG geregelte sogenannte „Koalitionsfreiheit“. Demnach hat „jede Person ... das Recht, sich frei und friedlich mit Anderen zu versammeln und sich frei mit Anderen zusammenzuschließen; dazu gehört auch das Recht, zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten (Art 11 Abs 1 EMRK)“.

Zu den wesentlichen Elementen der Koalitionsfreiheit als besondere Form der Vereinigungsfreiheit zählt das Recht, eine Gewerkschaft zu gründen oder einer solchen beizutreten, wobei insb die typischen Tätigkeiten der Gewerkschaften garantiert werden.*

Ganz allgemein gewährleistet die Vereinigungsfreiheit nicht nur den Schutz vor Eingriffen des Staates, sondern legt diesem auch die positive Verpflichtung auf, vernünftige und angemessene Maßnahmen zum Schutz der gewährleisteten Rechte zu ergreifen.* Die Staaten sind demnach verpflichtet, in ihrer Rechtsordnung Möglichkeiten zur Gründung von Vereinigungen vorzusehen, wobei ihnen die Rechtsform und Anforderungen jedoch grundsätzlich frei stehen.* Sie müssen in tatsächlicher Hinsicht dafür sorgen, dass Vereinigungen ihre Tätigkeit auch dann ausüben können, wenn andere Personen die von ihnen verfolgten Interessen anstößig oder störend empfinden.* Konkret sind die Staaten verpflichtet, Aktionen der Gewerkschaften zum Schutz der beruflichen Interessen ihrer Mitglieder zu erlauben und zu ermöglichen.* Die Gewerkschaften sowie ihre Mitglieder sind vor Beeinträchtigung ihres Rechtes auf Koalitionsfreiheit durch Dritte zu schützen. Die Staaten dürfen daher etwa Sanktionen eines AG wegen der Mitgliedschaft zu einer Gewerkschaft,* ebenso wie Sanktionen wegen der Nichtmitgliedschaft zu einer Gewerkschaft,* nicht zulassen. Das Recht auf Kollektivverhandlungen mit dem AG ist als essentielles Element des in Art 11 EMRK garantierten Rechtes zu betrachten.* Ausdrücklich anerkannt wurde letztlich auch das Streikrecht.*

3.2.
Konsequenzen für Zutrittsrechte
3.2.1.
Grundsätzliches

Aus diesen Grundsätzen der Rsp des EGMR zu Art 11 EMRK folgt, dass die den Gewerkschaften eingeräumten Rechte „praktisch und wirksam“ sein müssen.*

Däubler vertritt auf dieser Basis die Ansicht, dass dem nicht Rechnung getragen würde, wollte man den Gewerkschaften jede Betätigung im Betrieb untersagen. Gewerkschaftliche Aktivitäten nur außerhalb des Betriebes zuzulassen, würde die Entstehung bzw Aufrechterhaltung effektiver AN-Interessenvertretungsorganisationen massiv erschweren. Die Möglichkeit, für die Interessen der Mitglieder zu kämpfen, setze nämlich voraus, dass sich die Organisation auch in den Betrieben betätigen kann.* In dieselbe Kerbe schlagen auch das (deutsche) BVerfG und das BAG (dazu Pkt 4.), die im Wesentlichen argumentieren, dass die Mitgliederwerbung und -information wesentliche Aspekte gewerkschaftlicher Betätigung sind.

Diese Wertungen sind überzeugend und stimmen insb mit der oben (Pkt 1) dargestellten Funktionsweise von Gewerkschaften überein. Eine derartige gewerkschaftliche Betätigung kann nicht nur durch547 gewerkschaftlich organisierte Belegschaftsmitglieder erfolgen, sondern bedarf in den meisten Fällen der Unterstützung professioneller Gewerkschaftsangestellter und -funktionäre. Deshalb ist ein Zutrittsrecht betriebsfremder gewerkschaftlich Beauftragter für eine „wirksame“ gewerkschaftliche Betätigung iSd Art 11 EMRK erforderlich. Die Gewerkschaft soll dabei selbst entscheiden können, wie sie intern organisiert ist und wie sie diese Aktivitäten ausübt. Hat sich eine Gewerkschaft aber dafür entschieden, die Mitgliederwerbung und -information auch durch angestellte oder sonstige betriebsexterne Beauftrage durchzuführen, dann haben diese grundsätzlich ein Zutrittsrecht zum Betrieb. Gerade die Kontaktaufnahme mit Nichtmitgliedern (insb die Mitgliederwerbung), das Initiieren von Betriebsratswahlen oder generell der wechselseitige Informationsaustausch sowie die Unterstützung und Aktivierung der Belegschaft in Angelegenheiten ihren konkreten Arbeitsplatz betreffend verlangen nach einem derartigen Zutrittsrecht.

Die Koalitionsfreiheit ist jedoch nicht isoliert, sondern iZm den übrigen Grundrechten zu betrachten, womit sich auch Einschränkungen für das Zutrittsrecht Betriebsfremder ergeben können. Das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit ist in diesem Sinne „Bestandteil einer von Eigentum, Vertragsfreiheit und Erwerbsfreiheit gekennzeichneten Wirtschaftsordnung“.*

3.2.2.
Schutz des Eigentums

Herausragende Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Schutz des Eigentums gem Art 1 1. ZP EMRK zu. Der EGMR hielt in der E Appleby fest, dass die Freiheit der Meinungsäußerung nicht ohne Weiteres die Einräumung von Rechten erfordere, fremdes Eigentum zu betreten. Wenn aber die Verweigerung des Zuganges zum Privatgrund die wirksame Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung verhindere oder das Recht in seinem Kern zerstöre, könne der Gerichtshof eine positive Verpflichtung des Staates, die Ausübung der Konventionsrechte durch eine Regelung der Besitzrechte sicher zu stellen, nicht ausschließen.* In der E Frasila und Ciocirlan führte der EGMR aus, dass die wirkliche und effektive Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit auch positive Schutzmaßnahmen bis in das Verhältnis zwischen Einzelnen untereinander hinein erfordern könne.*

Nach einer E des deutschen Bundesverfassungsgerichts könnten Versammlungen nicht ohne Weiteres auf frei gewählten Privatgrundstücken durchgeführt werden. Allerdings verbürge die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen auch an jenen Orten, für die ein öffentliches Unternehmen einen allgemeinen öffentlichen Verkehr eröffnet habe.*

Die OGH-Rsp scheint zumindest auf den ersten Blick restriktiver, wenn 1994 ausgeführt wird, dass das Versammlungsrecht nicht das Recht einschließe, ohne Einwilligung des Eigentümers fremde, nicht dem Gemeingebrauch gewidmete Liegenschaften zu benützen. Eine Versammlung, die eine unerwünschte Tätigkeit verhindern wolle und dabei in absolut geschützte Rechte Dritter eingreife, sei nicht „friedlich“ und daher durch subjektive öffentliche im Verfassungsrang stehende Rechte der Teilnehmer nicht geschützt.* 1999 meinte der OGH, dass die Blockade der Zufahrtsstraße zu einem Bauplatz durch Demonstranten, wodurch die Bautätigkeit an einem öffentlichen Bauvorhanden verhindert werde, einen Eingriff in das Eigentumsrecht des Liegenschaftseigentümers darstelle, wenn die Blockade die dauerhafte Entziehung der Benützung der Bauliegenschaft anstrebe.*

Diese Entscheidungen des OGH sind jedoch im Lichte der EGMR-Rsp zu sehen, wonach die entsprechenden Grundrechte und die dadurch geschützten Interessen einander gegenüber zu stellen sind. Auch das Eigentumsrecht ist daher nicht absolut, sondern es sind vielmehr Einschränkungen im notwendigen Ausmaß in Kauf zu nehmen, die von anderen Grundrechten (hier der Koalitionsfreiheit) gefordert werden, wenn eine entsprechende Abwägung dies im Einzelfall rechtfertigt und insb dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen dem eingesetzten Mittel und dem verfolgten Ziel entsprochen wird.*

3.2.3.
Recht auf Wohnung

Art 8 EMRK regelt das Recht auf Wohnung, wobei der Begriff weit auszulegen ist, sodass darunter auch bspw eine Anwaltskanzlei fallen kann, da es nicht immer möglich ist, zwischen Privatwohnungen und Geschäfts- und Büroräumen zu unterscheiden. Eingriffsmöglichkeiten werden dort weitreichender sein, wo Berufs- oder Geschäftstätigkeiten bzw -räumlichkeiten betroffen sind, als dort, wo das nicht der Fall ist.* IdS sind nach Ansicht des VfGH auch gewerbliche Beherbergungsbetriebe vom Schutzbereich des Art 8 EMRK erfasst.* Als „Wohnungen“ sind jedoch weder Räumlichkeiten anzusehen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind (wie bspw ein ehemaliges Geschäftslokal, in dem jedermann eingeladen war, Informationen über die Anliegen einer Obdachlosen-Gruppe zu erhalten),* noch ein Gebäude, das zur Gänze Baustelle ist.* Es ist somit nach der Art der Räumlichkeit zu differenzieren. UE ist dabei auch zu berücksichtigen, dass der AG dadurch, dass er „seine“ Räumlichkeiten als Arbeitsplatz zur Verfügung stellt, einen zumindest „halböffentlichen Raum“ schafft.

3.2.4.
Erwerbsausübungsfreiheit

Art 6 Abs 1 StGG gewährt das Recht, unter den gesetzlichen Bedingungen jeden Erwerbszweig auszuüben.* Das Grundrecht der Erwerbsfreiheit und jenes der Eigentumsfreiheit schützen die Privatautonomie und speziell die Freiheit wirtschaftlicher548 Entscheidungen einschließlich der Vertragsfreiheit.* Beschränkungen der Erwerbsausübungsfreiheit sind nach der Judikatur des VfGH einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen.* Bei der Regelung der Erwerbsausübung ieS steht dem Gesetzgeber ein größerer Gestaltungsspielraum offen als bei der Normierung von (insb objektiven) Beschränkungen des Erwerbsantritts.* Auch arbeitsrechtliche Regelungen, welche bspw die Möglichkeit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen beschränken, sind als Eingriffe in die Erwerbsausübungsfreiheit zu werten und daher nicht schrankenlos zulässig. Umgekehrt sind aber auch die Interessen des AN an der Sicherung des Bestandes des Arbeitsverhältnisses als grundrechtlich geschützt anzuerkennen. Der Gesetzgeber hat daher durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen die „wirtschaftliche Kräftebalance“ zwischen den Arbeitsvertragsparteien herzustellen.*

3.3.
Auswirkungen für Österreich
3.3.1.
Grundsätzliches

Die in Art 11 EMRK gewährleisteten Rechte stehen im Verfassungsrang und beziehen sich primär auf das Verhältnis gegenüber dem Staat, nicht jedoch gegenüber anderen Privatrechtsträgern. Eine unmittelbare Drittwirkung zwischen Privaten untereinander wird im Allgemeinen verneint. Demgegenüber wird eine mittelbare Drittwirkung insofern bejaht, als darunter eine durch (einfache) Gesetze vermittelte Wirkung der Grundrechte auch auf Rechtsverhältnisse zwischen Privaten zu verstehen ist.* IdS ist es Aufgabe der (einfachen) Gesetzgebung, die (grundrechtlich geschützten) Rechtspositionen der Privaten gegeneinander abzugrenzen und gleichzeitig ihre effektive Ausübbarkeit zu schützen. Demnach sind bei der Auslegung einfachgesetzlicher Normen von mehreren Interpretationsergebnissen jene ausgeschlossen, die mit dem Verfassungsrecht nicht vereinbar sind („verfassungskonforme Interpretation“).* Außerdem ist wegen des völkerrechtlichen Charakters der EMRK auch der Grundsatz der völkerrechtskonformen Interpretation des innerstaatlichen Rechtes zu beachten.* Dabei erweisen sich vor allem die Generalklauseln des Privatrechtes (wie §§ 16, 879, 1295 Abs 2 ABGB*) als offen für grundrechtskonforme Auslegungen.*

3.3.2.
Schadenersatzrecht und Sittenwidrigkeit

Gem § 1295 Abs 2 ABGB haftet, wer in sittenwidriger Weise oder durch Rechtsmissbrauch anderen Schaden zufügt. Unter „gute Sitten“ wird dabei der „Inbegriff des im Gesetz zwar nicht ausdrücklich ausgesprochenen Rechts, das sich jedoch aus der richtigen Betrachtung der rechtlichen Interessen ergibt“,* verstanden. Die guten Sitten umfassen sowohl die allgemeinen Rechtsprinzipien als auch die allgemein anerkannten Normen der Ethik.* Generell wird als „Rechtsmissbrauch“ ein „ganz krasses Missverhältnis“ zwischen den Interessen der Rechtsausübungen und den beeinträchtigten Interessen des davon Betroffenen angesehen. Letztlich geht es darum, die „zwischen den Parteien bestehende Interessenlage zu würdigen und die im Hinblick darauf angemessenen Rechtsfolgen in Abweichung von den Regelungsmustern der einschlägigen speziellen Rechtsnormen zu finden“.*

IdS können auch einseitige Rechtsakte gem § 879 ABGB (bspw Kündigungen oder die Verweigerung eines Zutrittes) als sittenwidrig anzusehen sein.*

3.3.3.
Konsequenzen der Zutrittsverweigerung

Wird nun den Gewerkschaften der Zutritt zum Betrieb verweigert, ist dieser einseitige Rechtsakt des AG insb im Lichte der §§ 879 und 1295 ABGB zu prüfen. Sieht man ein derartiges Zutrittsrecht als von Art 11 EMRK gefordert, sind die genannten Bestimmungen verfassungskonform so zu interpretieren, dass den Erfordernissen der EMRK Rechnung getragen wird. Die Verweigerung des Zutrittes wäre somit in diesem Fall als rechtswidrig anzusehen, sodass der Zutritt durch Duldungsklage durchgesetzt werden kann.

3.4.
Europäische Grundrechte-Charta (GRC) und sonstige Internationale Übereinkommen

Die Koalitionsfreiheit wird auch durch Art 12 Abs 1 und Art 28 GRC geschützt. Bereits in den vor Inkrafttreten der GRC ergangenen Entscheidungen des EuGH „Viking“ und „Laval“ wurde ein Recht auf Streik bzw kollektive Maßnahmen anerkannt.* Schwierig ist jedoch die Auslegung der Formulierung in Art 51 GRC, wonach die Mitgliedstaaten die Grundrechte „ausschließlich bei der Durchführung des Rechtes der Union“ zu beachten haben. Hier sind die Meinungen549 hinsichtlich der Reichweite geteilt,* eine abschließende Klärung des Anwendungsbereiches der GRC durch den EuGH steht noch aus.

Die Koalitionsfreiheit ist außerdem noch in zahlreichen anderen Internationalen Übereinkommen geregelt.* Diese Übereinkommen können iSd Grundsatzes der völkerrechtskonformen Interpretation des innerstaatlichen Rechtes von Bedeutung sein und damit das schon unter Pkt 3.1. entwickelte Ergebnis weiter stützen.* Hinzuweisen ist insb auf Art 5 ILOÜbereinkommen Nr 135,* wonach das Vorhandensein gewählter Vertreter nicht dazu benützt werden darf, die Stellung der Gewerkschaften oder ihrer Vertreter zu untergraben. Däubler bemerkt dazu zutreffend, dass der Ausschluss von gewerkschaftlichen Informationsund Werbetätigkeiten im Betrieb einen Verstoß gegen diese Bestimmung darstellen würde.*

4.
Rechtsvergleich mit Deutschland

Ähnlich wie das österreichische enthält das deutsche Betriebsverfassungsrecht nur eine Regelung des Verhältnisses von Gewerkschaften zum BR (insb § 2 Abs 2 BetrVG),* nicht jedoch eine Regelung autonomer Gewerkschaftsrechte, wie insb den Zutritt betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zum Betrieb. § 2 Abs 3 BetrVG führt ausdrücklich an, dass die „Aufgaben der Gewerkschaften ..., insbesondere die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder, ... durch dieses Gesetz nicht berührt“ werden. Es liegt hier somit eine „geplante“ Lücke vor, weshalb die gewerkschaftliche Betätigung im Betrieb (insb Werbung und Information) durch das BetrVG „weder geregelt noch beeinträchtigt“* wird, weswegen ihre Zulässigkeit und Grenzen aus anderen Vorschriften abgeleitet werden müssen.

Die deutsche Diskussion setzt dabei an der Bestimmung des Art 9 Abs 3 Grundgesetz (GG) zur Koalitionsfreiheit an. Danach ist das Recht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Gewerkschaften sind demnach hinsichtlich ihres Bestandes und ihrer Betätigung grundrechtlich geschützt. Da die spezifisch koalitionsgemäße Information und Werbung schlechthin sowohl in persönlicher wie in sachlicher Beziehung Voraussetzungen für die erfolgreiche Tätigkeit der Gewerkschaften sind, ist sie grundrechtlich geschützt.*

Das BVerfG hat auf dieser Basis entschieden, dass die Koalitionsfreiheit nicht nur die „unerlässlichen“, sondern alle Mittel umfasse, „von deren Einsatz die Verfolgung des Vereinigungszwecks abhängt“, wozu auch das Recht auf Zugang zum Betrieb zählt.* Das BAG* hat in diesem Sinne weiter ausgeführt, dass die Mitgliederwerbung von besonderer Bedeutung sei: „Durch diese schaffen die Koalitionen das Fundament für die Erfüllung ihrer Aufgaben und sichern ihren Fortbestand“. Zur Mitgliederwerbung im Betrieb können sie sich auch betriebsfremder Beauftragter bedienen.

Hingewiesen wird freilich darauf, dass die Betätigung von Gewerkschaften im Betrieb mit ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Rechten des AG kollidiere, wie ua das durch Art 13, 15 GG geschützte Haus- und Eigentumsrecht sowie die durch Art 2 Abs 1 GG geschützte wirtschaftliche Betätigungsfreiheit. Den Gerichten obliege es – so das BAG –, eine praktische Konkordanz zwischen den Rechten herzustellen, was nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles geschehen könne.* Die deutsche Rechtslage ist somit der österreichischen nicht unähnlich, sodass die für diese entwickelten Ansätze auch für Österreich als Argumentationsgrundlage verwendet werden können. Zwar ist Art 11 EMRK (im Gegensatz zu Art 9 Abs 3 GG) nicht unmittelbar anwendbar, doch gelangt man aufgrund mittelbarer Grundrechtswirkung zu vergleichbaren Ergebnissen (Pkt 3.3.).

5.
Ergebnisse

Wie bereits oben (Pkt 2) ausgeführt, ist das Zutrittsrecht der Gewerkschaften nur für den Bereich der Betriebsverfassung in § 39 Abs 4 ArbVG positiviert. Das betrifft einerseits die Beiziehung durch den BR sowie die autonomen, durch das Betriebsverfassungsrecht der Gewerkschaft eingeräumten Rechte. Aus der Zielbestimmung des § 39 Abs 2 ArbVG (Einvernehmen der betrieblichen und überbetrieblichen Interessenvertretungen) ergibt sich uE, dass die „Beiziehung“ in Abs 4 leg cit weit zu interpretieren ist und davon auch ein proaktives Handeln der Gewerkschaft zur Unterstützung des BR umfasst ist.

Die Bestimmung des § 39 Abs 4 ArbVG ist jedoch nicht abschließend idS, dass daneben kein gewerkschaftliches Zutrittsrecht zu genuin gewerkschaftli550chen Zwecken zustehen kann. Vielmehr ergibt sich in erster Linie aus dem Koalitionsrecht des Art 11 EMRK, dass neben dem im ArbVG positivierten Zutrittsrecht zu betriebsverfassungsrechtlichen Zwecken auch ein Recht der Gewerkschaften zur autonomen Betätigung im Betrieb besteht. Dieses beinhaltet auch den Zugang betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zum Betrieb. Das ergibt sich uE wesentlich daraus, dass in der bestehenden Sozial- und Wirtschaftsordnung der vom AG zur Arbeitsleistungserbringung gewidmete Raum kein rein privater Raum des AG ist. Der Einsatz von AN in diesem führt vielmehr dazu, dass ihr individuelles Koalitionsrecht ebenso in den Betrieb hereingetragen wird wie das den Gewerkschaften zustehende Recht, die AN im Betrieb zu organisieren. Es besteht somit ein individuelles Recht der gewerkschaftsangehörigen AN, gewerkschaftliche Aktivitäten im Betrieb zu entfalten, ebenso wie ein Recht der Gewerkschaften, auch durch betriebsfremde Beauftragte die im Betrieb beschäftigten AN zu werben und zu informieren.

Dieses – verfassungsrechtlich geschützte – Recht auf gewerkschaftliche Betätigung im Betrieb hat jedoch seine Grenzen in der Eigentumsfreiheit und der daraus abgeleiteten Privatautonomie des AG, ebenso wie in dessen Erwerbs(ausübungs)freiheit.* Die kollidierenden Grundrechtspositionen der AN bzw der Gewerkschaften einerseits und der AG andererseits sind gegeneinander abzuwägen und auszugleichen, wobei uE die Grundwertungen des § 39 Abs 4 ArbVG Orientierung bieten können.

Demnach ist ein Zutritt zum Betrieb auch zu nichtbetriebsverfassungsrechtlich begründeten Zwecken durch die Gewerkschaft dem Betriebsinhaber bzw seiner Vertreterin im Vorhinein anzuzeigen. Dabei ist eine der Situation angemessene Frist zu beachten, die jedoch, da die AG den Zutritt ohnehin nicht untersagen kann, nicht zu lange zu bemessen ist. Bei länger im Vorhinein geplanten Aktionen (zB einer Mitgliederanwerbung) wird eine einwöchige Frist angemessen sein, bei laufenden Kollektivvertragsverhandlungen kann sich diese dann aber massiv verkürzen.

Der Zutritt selbst hat – soweit dies mit den von der Gewerkschaft verfolgten Zwecken vereinbar ist – analog § 39 Abs 3 ArbVG so schonend wie möglich zu erfolgen, dh die dabei vorgenommenen gewerkschaftlichen Aktivitäten sollen tunlichst ohne Störung des Betriebes ablaufen. Daraus ergibt sich, dass die Kontaktaufnahme mit den AN im Betrieb – sofern dies sinnvoll möglich ist – außerhalb von deren Arbeitszeit, dh davor bzw danach oder in deren Pausen, stattzufinden hat. Dies wird jedoch insb dann nicht möglich sein, wenn die AN überschneidend und nicht unbedingt lange im Voraus geplant ihre Pausen „nehmen“, wie dies vor allem im Einzelhandel der Fall ist. Davon abgesehen stört generell ein sehr kurzer Kontakt, wie zB das Aushändigen eines Flugblattes, den Betriebsablauf üblicherweise nicht in dem Maße, dass von einer Unzulässigkeit dieser Aktivität auszugehen ist. Letztlich sind hier das Interesse an einer wirksamen gewerkschaftlichen Betätigung und das Interesse an einem ungestörten Betriebsablauf gegeneinander abzuwägen.

Inhaltlich sind vom Zutrittsrecht alle gewerkschaftlichen Aktivitäten von der Mitgliederanwerbung über deren Information bis hin zur Mobilisierung und zur Streikorganisation gedeckt. Im Zusammenhang mit Arbeitskämpfen ist zu beachten, dass die Betriebsräte nach hA* der betriebsverfassungsrechtlichen Friedenspflicht unterliegen und dass dieses Kampfmittel eine wesentliche gewerkschaftliche Aktivität darstellt,* weshalb die Mobilisierung zu einem Streik ein gesetzlich anerkannter Grund darstellt, der einen Zutritt der Gewerkschaft zum Betrieb rechtfertigen kann.

Hinsichtlich der Häufigkeit der einzelnen Zutritte kommt es uE auf die Art der jeweiligen Aktivität sowie den konkreten Anlass und eine entsprechende Abwägung mit den betrieblichen Interessen an. So wird man bspw bei dringenden anlassbezogenen Kontaktaufnahmen kürzere „Besuchsintervalle“ fordern können als bei (planbaren) Informationen über alljährliche Kollektivvertragsabschlüsse.551